(Rom) Am vergangenen Donnerstag, dem 16. März, empfing Papst Franziskus eine große Gruppe buddhistischer Mönche aus Taiwan. Im Laufe des vergangenen Jahrzehnts hieß Franziskus bereits buddhistische Mönche aus Thailand, der Mongolei, sogar aus Japan mit offenen Armen im Vatikan willkommen. Keine Einladung gibt es auch weiterhin für den Dalai Lama, die Galionsfigur schlechthin des heutigen Buddhismus – aus Rücksicht auf die Volksrepublik China.
Der Dalai Lama ist das buddhistische Oberhaupt mit den meisten Anhängern in der Welt. Der Buddhismus zerfällt in vier Hauptrichtungen, darunter Vajrayana. Das ist der tibetische Buddhismus, der auch in der Mongolei prägend und in China und Japan anzutreffen ist. Er zerfällt wiederum in vier Schulen, von denen die jüngste, die Gelug-Schule, den größten Einfluß ausübt. Der Dalai Lama gilt als Symbol für Tibet, ein Land, das vom kommunistischen China in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts militärisch besetzt und annektiert wurde. Er ist daher vor allem auch das Symbol für das tibetische Volk, das von Peking fremdbestimmt wird.
Die Mongolen, die im ausgehenden Hochmittelalter Fremdherrschaft, Leid und Elend bis tief nach Europa hineintrugen, vor allem nach Rußland, unterwarfen zur gleichen Zeit auch Tibet, wenngleich das gebirgige Hochland als südlicher Rand des Mongolenreiches in kultureller, religiöser und auch staatlicher Hinsicht eine gewisse Eigenständigkeit bewahrte. Das Amt des Dalai Lama geht auf diese Mongolenherrschaft zurück und ist weniger alt, als viele meinen.
1578 verlieh der Mongolen-Khan seinem verehrten geistlichen Lehrer den Ehrentitel Dalai Lama. Aus dem buddhistischen Reinkarnationsdenken entstand die Idee, daß sich dieser Lehrer nach seinem Tod jeweils wieder reinkarniere. Deshalb ziehen nach dem Tod des Dalai Lama Mönche aus, um in einem kurz danach geborenen Kind die Reinkarnation dieses Lehrers des Mongolen-Khans zu suchen. Das dauert oft Jahre, und in der Geschichte mischte bei der Auswahl die Politik auch schon mit.
Die Mongolenherrschaft bestand bis ins 18. Jahrhundert hinein. Innermongolische Konflikte wurden vom Kaiser von China genützt, um die Macht der unruhigen mongolischen Nachbarn zu schwächen und Tibet 1720 zu besetzen. Die staatliche Unabhängigkeit wurde von China respektiert, Tibet aber faktisch zu einem chinesischen Protektorat. Peking nahm durch einen Vertreter in der tibetischen Hauptstadt Einfluß auf die Regierung Tibets und auch auf die Auswahl des neuen Dalai Lama, ohne jedoch etwas am politischen oder sozialen System des Landes zu ändern oder in andere Bereiche des Lebens einzugreifen. Das feudalistische Tibet, seit dem 18. Jahrhundert mit dem Dalai Lama als politischem wie religiösem Oberhaupt, war kein wirklich souveräner, sondern unterstand der Oberhoheit eines anderen Staates (Suzeränität), der Chinas. Das wurde möglich, weil sich das chinesische Interesse an dem unwegsamen Gebiet in Grenzen hielt.
Diese Zeit von Stabilität, Ruhe und Frieden bestand bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts, als 1903 die Briten von Indien aus einen Feldzug gegen Tibet unternahmen. Ihre Berufsarmee konnte die an Waffen und Ausbildung haushoch unterlegene tibetische Armee trotz tapferen Widerstands ohne nennenswerte Probleme überwinden. Der Dalai Lama flüchtete in die Mongolei, während die Briten dem Land ihre Bedingungen diktierten – auch dem Vertreter des Kaiserreichs China. Die Briten (bzw. die britische Ostindien-Gesellschaft) hatten das chinesische Kaiserreich seit dem 19. Jahrhundert in seinem Inneren so zersetzt und geschwächt (Stichwort: Verbreitung von Opium), daß auch Peking nicht in der Lage war, den Briten Widerstand entgegenzusetzen. Zu den von den Briten diktierten Bedingungen gehörte, daß Tibet nur mehr Handel mit Britisch-Indien betreiben und nur dorthin Telefonleitungen oder neue Verkehrsverbindungen errichten durfte.
Im Great Game (das große Spiel), wie die Briten den Machtkampf mit Rußland in Zentralasien nannten, einigten sich Rußland und Großbritannien jedoch kurz darauf, den Status quo ante, vor der britischen Invasion, wiederherzustellen. Die britische Invasion hatte aber ein neues Element in die Tibet-Frage gebracht: einen geopolitischen Aspekt. Unter diesem Gesichtspunkt dürfte Tibet in naher Zukunft wieder eine Rolle spielen. Doch bleiben wir in der Geschichte:
China übernahm also 1910 erneut die Kontrolle in Lhasa, beendete diese jedoch ebenso schnell wieder, weil im folgenden Jahr in China die Revolution ausbrach, der Kaiser gestürzt und die Republik ausgerufen wurde. Tibet erklärte sich im modernen Sinn für unabhängig und souverän. China war in den folgenden Jahrzehnten durch Instabilität und wegen der japanische Invasion in der Abwehr eines äußeren Feindes gebunden. Nach dem Zweiten Weltkrieg versank es in einen Bürgerkrieg zwischen der nationalchinesischen Kuomintang und den Kommunisten. Als letztere 1949 siegten, die sozialistische Volksrepublik China ausriefen und Tabula rasa unter ihren Gegnern machten, fand China wieder Gelegenheit, sich an Tibet zu erinnern. Nur geschah dies nun unter ganz anderen Vorzeichen.
Ende 1950 marschierten chinesische Truppen in Tibet ein. Gegen die tibetische Armee hatten sie ebenso wenig Schwierigkeiten wie die Briten ein halbes Jahrhundert zuvor. Die Kommunistische Partei Chinas verkündete propagandistisch, daß Tibet vom „imperialistischen Joch befreit“ und mit dem „Mutterland“ wiedervereinigt werde. China war allerdings nie das „Mutterland“ Tibets. Einen solchen Anspruch konnte, wenn überhaupt, bestenfalls die Mongolei erheben.
In den ersten Jahren hielten sich die chinesischen Einmischungen noch einigermaßen in Grenzen. Trotz US-amerikanischer Versuche, Aufstände anzuzetteln, blieb das Verhältnis zwischen Lhasa und Peking leidlich. Dafür sorgte allerdings eine starke chinesische Militärpräsenz. In der tibetischen Hauptstadt waren zeitweise gleichviel chinesische Soldaten stationiert, wie die Stadt Einwohner zählte.
Ende der 50er Jahre verschlechterte sich das Verhältnis rapide. Die Kommunisten fühlten ihre Macht in China ausreichend gefestigt. Parallel zur Gründung einer von Rom losgelösten schismatischen katholischen Kirche begannen die kommunistischen Machthaber auch jede Zurückhaltung gegenüber dem religiösen System Tibets aufzugeben. Das zeigte sich besonders symbolträchtig an der rücksichtslosen Behandlung des Dalai Lama. Dies empörte die Tibeter so sehr, daß es 1959 zu einem Aufstand gegen die Besatzungsmacht kam. Die chinesische Armee schlug den Aufstand grausam nieder, und der Dalai Lama flüchtete nach Indien.
Im Zuge der kurz darauf begonnenen Kulturrevolution waren die Kommunisten bestrebt, die tibetische Kultur radikal auszulöschen. Da Tibet politisch und kulturell theokratisch geformt war, bedeutete das in erster Linie die Bekämpfung der Religion. Der Buddhismus wurde zurückgedrängt, Hunderte von buddhistischen Klöstern geschlossen und Mönche verschleppt. Viele Klöster und zahlreiche andere Kulturdenkmäler wurden zerstört. Parallel begann Peking mit der Ansiedlung von Chinesen in Tibet, um die einheimische Bevölkerung sozial aufzubrechen, eine fünfte Kolonne zu installieren und auch ethnisch im eigenen Haus unter Druck zu setzen. Tibet, territorial ein riesiges Gebiet, zählte damals nur knapp 1,2 Millionen Einwohner. China hingegen verfügte über ausreichend Bevölkerungsressourcen.
Die Ansiedlungspolitik erwies sich jedoch als wenig erfolgreich, da die Chinesen kaum Interesse zeigten, sich in das abgelegene, für sie auch klimatisch ungünstige „Dach der Welt“ verpflanzen zu lassen. Die Tibeter konnten die ethnische Homogenität weitgehend bewahren. Sie stellen heute im Autonomen Gebiet Tibet der Volksrepublik China (dem tibetischen Kernraum) noch 91–93 Prozent der Landesbevölkerung. Die Chinesen machen rund sechs bis acht Prozent aus.
Seit den 80er Jahren duldet das kommunistische Regime wieder eine Privatwirtschaft. Gab es mehr als 30 Jahre lang nur staatliche oder staatlich gelenkte genossenschaftliche Unternehmen, haben die privaten Unternehmen zahlenmäßig inzwischen die Oberhand zurückgewonnen. Auch gegenüber der tibetischen Sprache zeigt sich Peking seit Anfang des 21. Jahrhunderts entgegenkommender. Tibetisch und Chinesisch sind seither gleichberechtigte Landessprachen.
Der Dalai Lama findet in diesem von den chinesischen Kommunisten kontrollierten Tibet jedoch auch heute noch keinen Platz. Dabei geht es nicht nur um mögliche Bestrebungen, die staatliche Souveränität zurückzugewinnen. Vielmehr duldet die Kommunistische Partei keine Autorität neben sich.
So empfängt Papst Franziskus, wie vergangene Woche, hundert buddhistische Mönche aus Taiwan oder aus anderen Ländern, aber keine buddhistischen Mönche aus Tibet und schon gar nicht den Dalai Lama.
Die buddhistischen Vertreter, die am vergangenen Donnerstag den Weg in den Vatikan fanden, gehören der United Association of Humanist Buddhism (Vereinigten Organisation des humanistischen Buddhismus) an. Begleitet wurden sie von Vertretern der katholischen Kirche auf Taiwan.
Der Papst wünschte den taiwanesischen Buddhisten, daß „Sie diese Bildungsreise, geleitet von den Gedanken Ihres spirituellen Meisters Buddha, zu einer tieferen Begegnung mit Ihnen selbst und mit anderen, mit der christlichen Tradition und mit der Schönheit der Erde, die unser gemeinsames Haus ist, führen möge“.
Franziskus bedankte sich für den Besuch mit den Worten: „Möge Ihr Besuch in Rom reich an Momenten authentischer Begegnungen sein, die ihrerseits zu wertvollen Gelegenheiten werden, um in Wissen, Weisheit, Dialog und Verständnis zu wachsen.“
Der inzwischen 88jährige Dalai Lama, der als fünfjähriges Kind in sein Amt eingeführt wurde, lebt seit 1959 im indischen Exil. Dort gründete er eine Exilregierung, die noch heute existiert. Papst Franziskus hat ihn nie empfangen oder eine Einladung ausgesprochen, auch nicht indirekt, etwa zu einem in seinem Pontifikat durchaus beliebten interreligiösen Veranstaltungen. Santa Marta ist im Zuge seiner neuen Ostpolitik auf die kommunistischen Machthaber in Peking fokussiert.
Das letzte Treffen zwischen einem Papst und dem Dalai Lama fand 2006 statt, als das Oberhaupt Tibets mit Papst Benedikt XVI. zusammentraf.
- Empfohlener Artikel: Die verborgenen Katholiken Tibets
Text: Giuseppe Nardi
Bild: VaticanNews/Wikicommons/NIH Image Gallery (Screenshots)
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Der Dalai Lama zeigt nur die Hälfte von dem, was er ist … und auch diese warten auf einen „Messias“ … in diesem Buch wird auch sexueller Mißbrauch angesprochen. Auch in diesen Klöstern und Gemeinschaften gibt es genug Schmutz … und ist mitnichten das friedliche Miteinander, wie man das immer propagiert. Hier blendet man die fehlbare menschliche Natur noch mehr aus als sonst.
Warum verstehen wir nicht, dass wir in Christus Jesus das haben, was wir brauchen und er der Einzige ist, der uns echten wahren Frieden geben kann …
Und vielleicht ist Papst Franziskus, mit dem ich meine Probleme habe, bzw ihn zu verstehen, da klüger als man denkt?