Kardinal Zen: „Tendenziöse Verallgemeinerungen von Franziskus haben viele Menschen verletzt“

Interview der grauen Eminenz der chinesischen Untergrundkirche


Kardinal Joseph Zen, nachdem er am Morgen des 5. Januar persönlich Abschied von Benedikt XVI. genommen hatte.
Kardinal Joseph Zen, nachdem er am Morgen des 5. Januar persönlich Abschied von Benedikt XVI. genommen hatte.

Kar­di­nal Joseph Zen, eme­ri­tier­ter Bischof von Hong­kong und graue Emi­nenz der chi­ne­si­schen Unter­grund­kir­che, wird von chi­ne­si­schen Katho­li­ken als „leben­der Hei­li­ger“ ver­ehrt. Er selbst weist das ent­schie­den von sich. Im kom­mu­ni­sti­schen Chi­na droht dem Kar­di­nal, der die Kir­chen­ver­fol­gung und die neue vati­ka­ni­sche Ost­po­li­tik kri­ti­siert, lebens­lan­ge Haft. Den 91jährigen scheint das nicht zu beein­drucken. Im Mai 2022 wur­de er ver­haf­tet, kam dann auf Kau­ti­on wie­der frei, doch wur­de sein Rei­se­paß ein­ge­zo­gen. Um an der Toten­mes­se für Bene­dikt XVI. teil­neh­men zu kön­nen, bedurf­te er einer Son­der­er­laub­nis der Justiz­be­hör­de. In einem ersten Pro­zeß wur­de er im ver­gan­ge­nen Sep­tem­ber zu einer Geld­stra­fe ver­ur­teilt, doch das eigent­li­che Straf­ver­fah­ren steht ihm noch bevor. In einem Inter­view mit der Tages­zei­tung Il Giorn­a­le sprach er über Papst Fran­zis­kus, das Motu pro­prio Tra­di­tio­nis cus­to­des und China.

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Il Giorn­a­le: Anläß­lich der Beer­di­gung von Bene­dikt XVI. haben Sie sich mit dem Papst getrof­fen. Wor­über haben Sie gesprochen?

Kar­di­nal Zen: Es war ein wun­der­ba­res Tref­fen, sehr herz­lich. Ich habe dem Papst für den guten Bischof gedankt, der 2021 für Hong­kong ernannt wur­de. Er ant­wor­te­te: „Das weiß ich, er ist ein Jesu­it!“ Dann erzähl­te ich von mei­nen seel­sor­ge­ri­schen Erfah­run­gen in den Gefäng­nis­sen von Hong­kong. In die­sen zehn Jah­ren habe ich meh­re­re Gefan­ge­ne getauft. Fran­zis­kus sag­te, er sei sehr glück­lich über die­sen Dienst von mir.

Il Giorn­a­le: Der Tod von Bene­dikt XVI. hat die Gegen­sät­ze zwi­schen Tra­di­tio­na­li­sten und Pro­gres­si­sten wie­der auf­le­ben las­sen. Was hal­ten Sie von den Aus­sa­gen von Mon­si­gno­re Gäns­wein in sei­nem neue­sten Buch?

Kar­di­nal Zen wur­de am 13. Janu­ar 91 Jah­re alt

Kar­di­nal Zen: Ich habe das Buch noch nicht gele­sen, aber ich den­ke, es wird inter­es­sant sein. Ich stim­me Mon­si­gno­re Gäns­wein zu, was die latei­ni­sche Mes­se betrifft. Die ten­den­ziö­sen Ver­all­ge­mei­ne­run­gen in Tra­di­tio­nis cus­to­des von Fran­zis­kus haben die Her­zen vie­ler Men­schen ver­letzt. Bei der Lek­tü­re des Motu pro­prio und des Papst­schrei­bens an die Bischö­fe fällt eine „Leich­tig­keit“ und eine „Ten­den­ziö­si­tät“ auf, der Wunsch, die außer­or­dent­li­che Form der Mes­se zu ver­wen­den, mit einem nega­ti­ven Urteil über die ordent­li­che Form der Mes­se zu ver­bin­den, oder eine Ten­denz, die Ableh­nung der Lit­ur­gie­re­form mit einer tota­len und tief­grei­fen­den Ableh­nung des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils zu ver­bin­den. Kön­nen die Anti-Ratz­in­ger des Vati­kans nicht ein­mal gedul­dig war­ten, daß die triden­ti­ni­sche Mes­se mit dem Tod von Bene­dikt XVI. stirbt, anstatt ihn auf die­se Wei­se zu demütigen?

Il Giorn­a­le: Wird Fran­zis­kus sei­ne Linie ändern?

Kar­di­nal Zen: Ich weiß es nicht, aber ich hof­fe, daß es eine Ver­än­de­rung geben wird. Wir sind sehr besorgt dar­über, was mit der Bischofs­syn­ode [über die Syn­oda­li­tät] gesche­hen könn­te. Und ich befürch­te, daß die Syn­ode den­sel­ben Feh­ler der nie­der­län­di­schen Kir­che vor 50 Jah­ren wie­der­holt, als die Bischö­fe den Rück­marsch antra­ten und akzep­tier­ten, daß die Gläu­bi­gen die Kir­che lei­ten; dann ging ihre Zahl zurück. Beten wir, daß unser Papst mehr Weis­heit besitzt.

Il Giorn­a­le: Könn­te auch Berg­o­glio zurücktreten?

Kar­di­nal Zen: Ich den­ke schon, wenn der Papst ernst­haf­te gesund­heit­li­che Pro­ble­me hat, soll­te er sei­nen Rück­tritt in Betracht zie­hen. Bene­dikt XVI. hat ein sehr gutes Bei­spiel gegeben.

Il Giorn­a­le: Die Gläu­bi­gen for­dern die sofor­ti­ge Hei­lig­spre­chung Ratz­in­gers. Was mei­nen Sie dazu?

Kar­di­nal Zen: Wäh­rend der Beer­di­gung hör­te auch ich, wie die Gläu­bi­gen und Prie­ster „San­to subi­to“ rie­fen. Die­sen Wunsch tei­le ich voll und ganz. Jetzt betet Bene­dikt XVI. und legt Für­spra­che für uns alle ein.

Il Giorn­a­le: Wie leben die Katho­li­ken in China?

Kar­di­nal Zen: Es ist eine schwie­ri­ge Situa­ti­on, wir dür­fen in die­sen schwe­ren Zei­ten nie ver­ges­sen zu beten. Vie­le Gläu­bi­ge bezeu­gen ihren Glau­ben, aber wir wis­sen, daß man­che, wenn die Situa­ti­on schwie­rig wird, nur an ihre eige­nen Inter­es­sen den­ken. Las­sen Sie uns wei­ter­hin für Wahr­heit, Gerech­tig­keit und Näch­sten­lie­be ein­tre­ten. Die Fin­ster­nis wird nicht über das Licht triumphieren.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Kar­di­nal Zen/​Twitter (Screen­shots)

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