Kardinal Joseph Zen, emeritierter Bischof von Hongkong und graue Eminenz der chinesischen Untergrundkirche, wird von chinesischen Katholiken als „lebender Heiliger“ verehrt. Er selbst weist das entschieden von sich. Im kommunistischen China droht dem Kardinal, der die Kirchenverfolgung und die neue vatikanische Ostpolitik kritisiert, lebenslange Haft. Den 91jährigen scheint das nicht zu beeindrucken. Im Mai 2022 wurde er verhaftet, kam dann auf Kaution wieder frei, doch wurde sein Reisepaß eingezogen. Um an der Totenmesse für Benedikt XVI. teilnehmen zu können, bedurfte er einer Sondererlaubnis der Justizbehörde. In einem ersten Prozeß wurde er im vergangenen September zu einer Geldstrafe verurteilt, doch das eigentliche Strafverfahren steht ihm noch bevor. In einem Interview mit der Tageszeitung Il Giornale sprach er über Papst Franziskus, das Motu proprio Traditionis custodes und China.
Il Giornale: Anläßlich der Beerdigung von Benedikt XVI. haben Sie sich mit dem Papst getroffen. Worüber haben Sie gesprochen?
Kardinal Zen: Es war ein wunderbares Treffen, sehr herzlich. Ich habe dem Papst für den guten Bischof gedankt, der 2021 für Hongkong ernannt wurde. Er antwortete: „Das weiß ich, er ist ein Jesuit!“ Dann erzählte ich von meinen seelsorgerischen Erfahrungen in den Gefängnissen von Hongkong. In diesen zehn Jahren habe ich mehrere Gefangene getauft. Franziskus sagte, er sei sehr glücklich über diesen Dienst von mir.
Il Giornale: Der Tod von Benedikt XVI. hat die Gegensätze zwischen Traditionalisten und Progressisten wieder aufleben lassen. Was halten Sie von den Aussagen von Monsignore Gänswein in seinem neuesten Buch?
Kardinal Zen: Ich habe das Buch noch nicht gelesen, aber ich denke, es wird interessant sein. Ich stimme Monsignore Gänswein zu, was die lateinische Messe betrifft. Die tendenziösen Verallgemeinerungen in Traditionis custodes von Franziskus haben die Herzen vieler Menschen verletzt. Bei der Lektüre des Motu proprio und des Papstschreibens an die Bischöfe fällt eine „Leichtigkeit“ und eine „Tendenziösität“ auf, der Wunsch, die außerordentliche Form der Messe zu verwenden, mit einem negativen Urteil über die ordentliche Form der Messe zu verbinden, oder eine Tendenz, die Ablehnung der Liturgiereform mit einer totalen und tiefgreifenden Ablehnung des Zweiten Vatikanischen Konzils zu verbinden. Können die Anti-Ratzinger des Vatikans nicht einmal geduldig warten, daß die tridentinische Messe mit dem Tod von Benedikt XVI. stirbt, anstatt ihn auf diese Weise zu demütigen?
Il Giornale: Wird Franziskus seine Linie ändern?
Kardinal Zen: Ich weiß es nicht, aber ich hoffe, daß es eine Veränderung geben wird. Wir sind sehr besorgt darüber, was mit der Bischofssynode [über die Synodalität] geschehen könnte. Und ich befürchte, daß die Synode denselben Fehler der niederländischen Kirche vor 50 Jahren wiederholt, als die Bischöfe den Rückmarsch antraten und akzeptierten, daß die Gläubigen die Kirche leiten; dann ging ihre Zahl zurück. Beten wir, daß unser Papst mehr Weisheit besitzt.
Il Giornale: Könnte auch Bergoglio zurücktreten?
Kardinal Zen: Ich denke schon, wenn der Papst ernsthafte gesundheitliche Probleme hat, sollte er seinen Rücktritt in Betracht ziehen. Benedikt XVI. hat ein sehr gutes Beispiel gegeben.
Il Giornale: Die Gläubigen fordern die sofortige Heiligsprechung Ratzingers. Was meinen Sie dazu?
Kardinal Zen: Während der Beerdigung hörte auch ich, wie die Gläubigen und Priester „Santo subito“ riefen. Diesen Wunsch teile ich voll und ganz. Jetzt betet Benedikt XVI. und legt Fürsprache für uns alle ein.
Il Giornale: Wie leben die Katholiken in China?
Kardinal Zen: Es ist eine schwierige Situation, wir dürfen in diesen schweren Zeiten nie vergessen zu beten. Viele Gläubige bezeugen ihren Glauben, aber wir wissen, daß manche, wenn die Situation schwierig wird, nur an ihre eigenen Interessen denken. Lassen Sie uns weiterhin für Wahrheit, Gerechtigkeit und Nächstenliebe eintreten. Die Finsternis wird nicht über das Licht triumphieren.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Kardinal Zen/Twitter (Screenshots)