Von Giuseppe Nardi
Im Jahr 326, während des dritten und letzten Aufenthalts von Kaiser Konstantin dem Großen in Rom, kam es zu dem berühmten Skandal, der so schwerwiegend war, daß er laut dem heidnischen Geschichtsschreiber Zosimos den Kaiser veranlaßte, am Bosporus mit Konstantinopel ein Gegengewicht zu Rom zu schaffen.
Die konkreten Ereignisse sind uns nur von dem genannten Heiden Zosimos überliefert, der sie Anfang des 6. Jahrhunderts niederschrieb und sich in der Sache als Partei verstand. Der Geschichtsschreiber berichtet, daß Konstantin nach Rom kam und in dieser Zeit „festa patria“ stattfanden, ein Staatsfest, das laut Überlieferung den Aufmarsch des Heeres am Kapitol und den Vollzug der dort üblichen Opferriten erforderlich gemacht hätte. Laut Zosimos, der den christlichen Kaiser in jeder denkbaren Weise herabsetzen wollte, habe Konstantin zunächst, aus Furcht vor den Soldaten, das Kapitol aufsuchen wollen. Nachdem ihn ein „Ägypter“ mit „magischen Künsten“ beeinflußt habe, hielt sich der Kaiser von der heidnischen Zeremonie jedoch fern, was ihm den heftigen Haß des römischen Senats und Volkes einbrachte. Wie polemisch Zosimos berichtet, verdeutlichen die abschätzigen Pfeile, die er gegen die Christen abschoß. Bei dem „Ägypter“, offenbar eine Spitze gegen die christliche Religion, handelte es sich in Wirklichkeit um Bischof Osio von Cordova, der aus römischem Haus stammte. Er war kaiserlicher Ratgeber und wird von der Kirche als Kirchenlehrer verehrt.
Konstantin der Große war den Feinden der Kirche und des Christentums stets ein Dorn im Auge. Er wurde diskreditiert, wie es Zosimos tat, sein Christsein wurde in Abrede gestellt, seine Taufe angezweifelt. Entgegen der Absicht Zosimos‘ tritt der Nachwelt aus dem von ihm geschilderten Ereignis jedoch ein Kaiser entgegen, der bewußt als Christ handelt.
Der Kontext
Die führenden Althistoriker haben Episode und Überlieferung bis in Details diskutiert. Dennoch konnten in den vergangenen Jahren neue Elemente hinzugefügt werden.
Koryphäen des römischen Altertums wie Theodor Mommsen, Jacques Godefroy und André Piganiol gingen davon aus, daß es sich bei den erwähnten Festa patria, bei denen es zum Skandal kam, um die Transvectio equitum, die jährlich am 15. Juli stattfindende Ritterparade handeln mußte. Diese sei im genannten Jahr 326 vom 15. auf den 18. Juli verschoben worden, um die Anwesenheit des Kaisers zu ermöglichen. Die Ritterparade berührte den Quirinal und das Kapitol und führte über das Forum Romanum. Sie fand erstmals 304 vor Christus statt. Die Verschiebung wurde von den Historikern gemutmaßt, da Kaiser Konstantin erst am 18. Juli in Rom eintraf.
Wegen der langen Tradition dieses Festes und des sehr strengen römischen Kalendersystems scheint eine solche Verschiebung jedoch schwer vorstellbar, die zudem allein den Zweck gehabt hätte, dem Augustus die Teilnahme zu ermöglichen, dessen Anwesenheit für das Fest nicht vorgeschrieben war.
Das gilt umso mehr, als die Verschiebung dazu geführt hätte, am 18. Juli zwei ganz unterschiedliche Zeremonien zusammenfallen zu lassen: die Transvectio equitum und den Adventus des Kaisers, den Philocalus für den 18. Juli überliefert. Eine Verschiebung hätte geradezu paradoxe Folgen nach sich gezogen. Der Adventus, die Ankunft des Kaisers in Rom, war ein großes Ereignis, das einem Zeremoniell folgte und mit der Begrüßung des Augustus durch den Senat und das Volk vor den Stadtmauern eröffnet wurde. Darauf folgte ein Triumphzug durch die Stadt.
Zosimos behauptete ein einzigartiges und skandalöses Ereignis, indem der Kaiser durch „magische Künste“ dem Kapitol fernblieb. In Wirklichkeit hatte Konstantin bereits bei seinen beiden vorherigen Besuchen in Rom in den Jahren 312 und 315 (öfter hielt sich der Kaiser nicht dort auf) das Kapitol gemieden und damit eine klare Abneigung gegen das Kultzentrum des heidnischen Roms gezeigt.
Konstantin hatte zudem im Januar 325 mit dem Senator und vormaligen Konsul Acilius Severus den ersten Christen als Praefectus urbi (Stadtpräfekt) von Rom eingesetzt. Das war nach dem Prätorianerpräfekten (Praefectus praetorii), dem Befehlshaber der kaiserlichen Garde, das höchste und angesehenste Amt in der Staatsverwaltung. Eine Verschiebung der Ritterparade, um die Anwesenheit des Kaisers zu ermöglichen, hätte die Zustimmung und Mitwirkung des christlichen Praefectus urbi vorausgesetzt. Das aber erscheint undenkbar.
Acilius Severus hätte mitwirken müssen, daß die Festa patria am selben Tag wie der Adventus des Kaisers begangen werden, diesen geschmälert und die Zeremonien durcheinandergebracht. Konstantin kam schließlich wegen eines besonderen Ereignisses nach Rom: wegen seines 20. Herrscherjubiläums. Vor allem aber hätte der Praefectus urbi mitwirken müssen, seinen Kaiser und Glaubensbruder durch die Verschiebung heimtückisch zur Teilnahme an heidnischen Kulten auf dem Kapitol zu zwingen. Damit wird jedoch das Denkbare überstrapaziert.
Konstantin selbst hatte die heidnischen Kulte in zwei Proklamationen des Jahres 324 als aliena superstitio (unangemessenen Aberglauben) zurückgewiesen. Er hatte 312 und erneut 315 genau darauf geachtet, den Aufstieg zum Tempel des Jupiter Optimus Maximus auf dem Kapitol, dem bedeutendsten heidnischen Kultort der Stadt, zu meiden. Und nun sollte er sich 326 genau dazu nötigen lassen, wie Zosimos‘ Schilderung interpretiert wurde, obwohl ein solcher Besuch des Heidentempels im Zuge der Ritterparade gar nicht notwendig war? Diese Parade führte zwar über das Kapitol, endete jedoch nach ältester Tradition und den glaubwürdigsten Überlieferungen bei den Aedes Castoris auf dem Forum Romanum.
Eine neue Datierung
Der 2007 verstorbene Historiker Augusto Fraschetti schlug 2000 (deutsch 2002) eine andere Lesart der vieldiskutierten Frage vor, indem er die Zuordnung von Zosimos‘ „festa patria“, wie sie die Geschichtswissenschaft bis dahin vornahm, infrage stellte. Es gibt in der Schilderung des antiken Geschichtsschreibers keinen Hinweis, der ein Zusammenfallen der Festa mit dem Adventus des Konstantin belegt. Zosimos schildert den Skandal um das Staatsfest vielmehr als Abschluß des kaiserlichen Aufenthaltes in Rom und als Überleitung zur Gründung Konstantinopels.
Laut Fraschetti verlangt die Erwähnung als Festa patria, daß es sich um ein Fest der Stadt Rom handelte, einen jener Festtage also, die laut Gaius Fannius, der 122 vor Christus Konsul war, in spätrepublikanischer Epoche einen wesentlichen Moment der Bürgerpflichten und der ludischen Unterhaltung darstellten und denen sich die Römer noch in spätantiker Zeit verbunden fühlten. Diese Dies festi blieben bis in die ersten Jahrzehnte des 4. Jahrhunderts bestehen, die Spiele teilweise sogar bis ins 5. Jahrhundert.
Konstantin hielt sich bei seinem dritten und letzten Besuch gesichert vom 18. Juli bis 3. August in Rom auf. Das wäre eine bemerkenswert kurzer Aufenthalt von nur 15 Tagen gewesen. Tatsächlich ist kein Abreisedatum bekannt. Gesichert ist als nächster Termin, daß sich der Kaiser am 26. September in Spoletium (Spoleto), also unweit von Rom, aufhielt.
Daraus ergibt sich für Fraschetti, daß sich die Suche nach dem von Zosimos genannten Fest nicht zwangsläufig auf die wenigen Tage vom 18. Juli bis 3. August beschränken muß, sondern auf die Zeit bis kurz vor den 26. September auszuweiten ist. Tatsächlich wurden in dieser Zeit einige der traditionsreichsten und bedeutendsten römischen Festlichkeiten begangen, die im Kalender des Philocalus noch für die Zeit von Kaiser Constantius II., dem Sohn und Nachfolger Konstantins, verzeichnet sind und vom 12. bis 15. September gefeiert wurden: die Ludi Romani oder Ludi Magni (Römische Spiele oder Große Spiele).
Es ist nicht überliefert, wie diese Spiele der Römer genau stattfanden. Von den ursprünglich sechzehn Tagen, die sie in spätrepublikanischer Zeit dauerten, waren in konstantinischer Zeit noch vier Tage übriggeblieben. Sie umfaßten auch das sehr alte Epulum Iovis (Jupitermahl), das am 13. September auf dem Kapitol begangen wurde. Am 14. September fand in spätrepublikanischer und frühkaiserlicher Zeit der Tag der Pferdeparade statt. Sowohl das Jupitermahl, so Fraschetti, das anläßlich der Gründung des Tempels des Jupiter Optimus Maximus stattfand, als auch die Pompa (Festzug), mit denen im Verlauf der Ludi Romani die Circenses (Zirkusspiele) eröffnet wurden, erforderten einen Aufstieg auf das Kapitol. Es ist gesichert, daß die Pompa auf dem Kapitol begann und über das Forum Romanum zum Circus Maximus führte. Umgekehrt ist eine feierliche Prozession zum Fest des Jupitertempels auf das Kapitol anzunehmen, da das Fest jedenfalls dort stattfand.
Kaiser Konstantin konnte sich in der Zeit des 12. bis 15. September, während der Ludi Romani, noch problemlos in Rom aufhalten, da sein nächster Aufenthalt außerhalb Roms erst für den 26. September im nahen Spoleto gesichert ist. Da es in der Zeitspanne vom 18. Juli, der Ankunft des Kaisers in Rom, und den Römischen Spielen im September kein Fest gab, das den Aufstieg auf das Kapitol erforderlich machte, ist mit Fraschetti anzunehmen, daß es sich bei den von Zosimos genannten Festa patria in Wirklichkeit um die Ludi Romani handelte. In ihrem Rahmen wurde der Dies natalis (Jahrestag) des heidnischen Haupttempels der Stadt zu Ehren des Jupiter Optimus Maximus gefeiert. Da dieses uralte und tiefverwurzelte Fest religiös aufgeladen war, paßt es weit besser zu den vom antiken Geschichtsschreiber erwähnten Festa patria. Vor allem macht diese Identifizierung keine akrobatische und unwahrscheinliche Verschiebung eines anderen Festes notwendig, wie es frühere Historiker annahmen.
Die Weigerung des Kaisers
Wenn es sich um die Ludi Romani handelte, die Zosimos mit seinen diskreditierenden Spitzen schildert, ist es noch weit verständlicher, daß sich der Kaiser davon fernhielt. Der Christ Konstantin konnte nicht an heidnischen Opfern teilnehmen, auch wenn er nominell Pontifex Maximus des Staatskultes war. Der Kaiser konnte am 13. September nicht einmal zusammen mit den heidnischen Senatoren am Mahl Ludorum epulare sacrificium teilnehmen, das mit den Jupiteropfern verbunden war, da bei diesem Opferspeisen kredenzt wurden. Als Christ konnte er auch nicht an der grandiosen Pompa zur Eröffnung der Zirkusspiele teilnehmen, die vom Kapitol zum Circus Maximus führte, denn bei diesem Festzug wurden die Darstellungen der heidnischen Götter mitgeführt, was einem Christen „als regelrechte pompa diaboli“ erscheinen mußte, so Fraschetti.
„Das festliche und ludische Leben Roms erweist sich für den Christen Konstantin als nicht praktikabel“ so der Althistoriker. Konstantins christliche Sensibilität war, wie schon sein Verhalten bei seinen vorherigen Rom-Besuchen erkennen ließ, soweit entwickelt, sich bewußt zu sein, daß die Römischen Spiele nicht nur ein unterhaltsames Spektakel waren, als das sie für viele Stadtbewohner einen wichtigen Platz einnahmen, sondern ein Fest zu Ehren der heidnischen Götter und damit unvereinbar mit dem christlichen Bekenntnis zu dem einen wahren Gott.
Die Weigerung des Kaisers, das Kapitol, das Zentrum des Heidenkultes, aufzusuchen, wird auch von christlicher Seite, wenn auch in anderem Kleid und Kontext, aber im Kern deckungsgleich, in der Vita seu Actus Sancti Silvestri papae et confessoris (Leben und Taten des heiligen Papstes und Bekenners Silvester) überliefert.
Einher ging damit eine von Konstantin vollzogene Achsenverschiebung. Durch die von ihm und seiner Familie vollzogene Gründung des Laterans, des Sitzes des Bischofs von Rom, wurde die Topographie der Stadt grundlegend verändert. Das Kapitol verlor schrittweise seine Bedeutung, wenn die Heiden auch noch eine Zeitlang daran festhielten. Das neue Kultzentrum verlagerte sich an die Stadtmauern in den Lateran. Der Petersdom mit dem Grab des Apostelfürsten Petrus und auch das Grab des Apostels Paulus lagen sogar außerhalb der Stadtmauern. Insgesamt beantwortete Konstantin das Festhalten der römischen Oberschicht am Heidentum mit der Verlegung des kaiserlichen Machtzentrums in das neue Konstantinopel (Byzanz) am Bosporus. Für die Überwindung des Heidentums in Rom hatte faktisch der Papst zu sorgen.
Die Christen mieden das Kapitol, um nicht durch die heidnischen Götzen unrein zu werden und Gott zu beleidigen. Erst als das Heidentum abgestorben war, ergriffen sie auch vom siebten Hügel der Stadt Besitz. Unter Papst Gregor dem Großen wurde im 6. Jahrhundert auf der höchsten Erhebung, der Arx, die Marienkirche Santa Maria in Aracoeli mit einem griechischen Mönchskloster errichtet. Davor befand sich dort ein Junotempel, der 344 vor Christus zum Dank errichtet worden war, nachdem die Kapitolinischen Gänse die Römer durch ihr Schnattern vor einem Angriff der Gallier (Kelten) gewarnt hatten.
Den Jupitertempel ließ man zur Ruine verfallen, um den Sieg über das Heidentum und dessen Vergänglichkeit vor Augen zu stellen. Erst zur Zeit Kaiser Karls V. wurden dessen Reste überbaut und darüber der Palazzo Caffarelli errichtet, der von 1824 bis 1915 Sitz der diplomatischen Vertretung Preußens und ab 1871 des Deutschen Reichs war und heute Teil der Kapitolinischen Museen ist.
Weiterführende Literatur: Augusto Fraschetti: Dal Campidoglio alla basilica di Pietro. Aspetti del paesaggio urbano di Roma in epoca tardoantica, in: Andalo, Maria/Romano, Serena (Hg.): Arte e iconografia a Roma. Da Costantino a Cola di Rienzo, Mailand 2000; deutsch: Augusto Fraschetti: Vom Kapitol zur Peterskirche. Aspekte der römischen Stadtlandschaft in der Spätantike, in: Andalo, Maria/Romano, Serena (Hg.): Römisches Mittelalter. Kunst und Kultur in Rom von der Spätantike bis Giotto, Regensburg 2002.
Bild: GoogleMaps/Wikicommons/De Sacris Ædificiis A Constantino Magno Constructis, Rom 1693 (Screenshots)