
Von Roberto de Mattei*
Die Nachricht, daß Elon Musk Twitter, die weltweit führende Social-Media-Plattform, für 44 Milliarden Dollar gekauft hat, kam nur wenige Tage, nachdem der in Südafrika geborene „Business Tycoon“ eine Lösung des russisch-ukrainischen Konflikts vorgeschlagen hatte, die eher den Interessen Moskaus als denen Kiews entspricht. In Kreisen der konservativen Rechten hat dies das Bild des ikonoklastischen Visionärs Musk verstärkt, der den globalistischen „Eliten“, die die Welt regieren, feindlich gegenübersteht. Aber ist dem wirklich so?
Musk, Gründer von Unternehmen wie Tesla, Hersteller von Elektroautos, und Space X, das den Weltraum erobern will, ist laut „Forbes“ mit einem geschätzten Vermögen von 223,8 Milliarden Dollar der reichste Mensch der Welt. Er ist Vorsitzender der Musk Foundation und präsentiert sich wie Bill Gates als Philanthrop, dessen Ziel es ist, die Welt zu verbessern. Zu seinen Zielen gehören die Verringerung der globalen Erwärmung durch den Einsatz erneuerbarer Energien und die Errichtung einer menschlichen Kolonie auf dem Mars.
Am 10. März 2018 sagte Musk bei einer Podiumsdiskussion zur Science-Fiction-Serie Westworld: „Wir brauchen etwas, das uns inspiriert, das uns morgens mit Freude aufstehen lässt und uns glücklich macht, zur Menschheit zu gehören“. Um diese Idee zu unterstreichen und seinen Plan zur Eroberung des Weltraums zu erläutern, fügte er hinzu: „Konstantin Ziolkowski sagte: ‚Die Erde ist die Wiege der Menschheit, aber man kann nicht ewig in der Wiege leben.‘ Es ist an der Zeit, sich auf den Weg zu machen, die Sterne zu erobern und das Spektrum des menschlichen Bewußtseins zu erweitern. All dies erscheint mir unglaublich aufregend und macht mich glücklich, am Leben zu sein, und ich hoffe, daß es Ihnen allen genauso geht.“
Konstantin Ziolkowski (1857–1935)1, der Vater der russischen „Kosmonautik“, auf den sich Musk bezieht, war nicht nur Wissenschaftler und Erfinder von Raketen und Satelliten, sondern auch ein panpsychistischer Philosoph, demzufolge alle lebenden und nicht lebenden Wesen psychische Fähigkeiten besitzen und die Materie selbst „denkend“ ist. Seine Weltanschauung wird von Wissenschaftlern wie Swetlana Semenowa (1941–2014) und George Young dem Kosmismus zugeordnet, einer Bewegung, deren Begründer der russische Philosoph Nikolai Fjodorow (1828–1903) ist.
Fjodorow erklärte selbst, Christ zu sein, leugnete aber die Glaubenswahrheit der Auferstehung der Toten, die nach dem Evangelium „am letzten Tag“ (Joh 6,39–40, 44, 54; 11,24), am Ende der Welt, stattfinden wird. Er war davon überzeugt, daß der menschliche Erfindungsreichtum, ohne die Notwendigkeit eines göttlichen Eingriffs, die Auferstehung der Toten vorwegnehmen könnte, indem er ihre in der Natur verstreute Asche durch die Fähigkeit der Wissenschaft wieder zusammensetzt. Das Verfahren zur Wiederauferstehung der Toten, das den Wissenschaftlern anvertraut wird, würde darin bestehen, alle Moleküle und Atome, aus denen die Asche der Toten besteht, wiederzugewinnen und zu synthetisieren, um ihre menschlichen Körper wiederherzustellen. Fjodorows Vorschlag lautet, die Leichen direkt auf Friedhöfen zu exhumieren, in deren Nähe wissenschaftliche und technologische Zentren eingerichtet werden, in denen die Prozesse der Molekülsynthese und der genetischen Erforschung stattfinden sollten. Auf die Auferstehung der Toten, die zu einer Überbevölkerung der Erde führen wird, folgt ihre notwendig gewordene Verbringung mit Hilfe von Raumschiffen auf andere Planeten im Universum. In seinem posthum veröffentlichten Buch Philosophie der Gemeinsamen Aufgabe (1906/1913) prophezeite Fjodorow eine Ära, in der die Wissenschaft die Menschheit in die Lage versetzen würde, die Grenzen der Natur zu überwinden, die Toten auferstehen zu lassen und die Sterne zu besiedeln, um sie aufzunehmen.2
Die erste Generation der bolschewistischen Führer, die sogenannten „Gottesmacher“, war von den Ideen Fjodorows beeinflußt. Michel Eltchaninoff, der dem „Kosmismus“ ein schönes Buch gewidmet hat, erinnert an die Namen des Philosophen Aleksander Bogdanow, des Kunsttheoretikers Anatoli Lunatscharski, des Schriftstellers Maxim Gorki und des Ingenieurs Leonid Krasin, die alle an hoher Stelle an der bolschewistischen Bewegung beteiligt waren.3 Der Kosmismus war nicht nur eine revolutionäre Träumerei der 1920er Jahre, sondern schlug die Erschaffung des „neuen Menschen“ vor, der sich von Gott und der Natur emanzipieren sollte, wie es bereits die Französische Revolution getan hatte.
In der Sowjetära versuchte der Wissenschaftler Konstantin Ziolkowski, der Schöpfer der „Kosmonautik“, den zweiten Teil des Fjodorow-Programms umzusetzen: die Eroberung des Weltraums, um die wiederauferstandenen Toten aufzunehmen. Ziolkowski war im Gegensatz zu Fjodorow ein bekennender Atheist und Materialist, glaubte aber wie Fjodorow an die physische Unsterblichkeit des Menschen, der dank des wissenschaftlichen Fortschritts dazu bestimmt sei, ewig zu leben und den gesamten Kosmos zu bevölkern. Zu den Namen Fjodorow und Ziolkowski muß der des russischen Philosophen und Wissenschaftlers Wladimir Wernadski (1863–1945) hinzugefügt werden, der zwar nicht die Absicht hatte, die Toten wiederzubeleben, der aber den Menschen in ein Wesen verwandeln wollte, das von der „Biosphäre“, d. h. der lebenden Materie, in die er eingebettet ist, abhängig ist. Wernadski wird auch die Verbreitung des Konzepts der „Noosphäre“ zugeschrieben, das dem evolutionistischen Theologen Pierre Teilhard de Chardin (1881–1955) am Herzen lag. Wernadski gilt als Vorreiter des radikalen Ökologismus und der „Gaia-Hypothese“, einer kosmologischen Vision, die von der Verflechtung aller (belebten und unbelebten) Wesen in der Natur und der Auflösung aller Grenzen zwischen Mensch und Welt ausgeht. Die Erde bildet mit ihrer Biosphäre jenes komplexe und allumfassende System, von dem die Amazonassynode 2019 inspiriert zu sein schien.
Der Kosmismus ist eine dem Transhumanismus verwandte Ideologie, mit der er die evolutionistische Sicht des Universums und die Idee einer Selbstüberwindung der menschlichen Natur teilt. Dieses philosophische System, das gleichzeitig atheistisch und pantheistisch ist, ist in Amerika ebenso verwurzelt wie in Rußland. Wladimir Putin, der Fjodorow nie erwähnt hat, ließ 2013 eine kleine Stadt in der Nähe des Kosmodroms Wostotschny nach Ziolkowski benennen und ordnete im selben Jahr große Feierlichkeiten zum 150. Geburtstag von Wladimir Wernadski an. Eltchaninoff zufolge hat der Kosmismus in den letzten Jahrzehnten jedoch seine zweite Heimat im Silicon Valley gefunden, mit Erben wie Elon Musk und dem russischstämmigen Unternehmer Sergey Brin, Mitbegründer von Google. „Eine andere Figur des Transhumanismus, Peter Thiel, einer der Gründer von PayPal, verurteilt ‚die Ideologie der Unvermeidbarkeit des Todes‘. Jeff Bezos, Gründer von Amazon, investiert in Black Missiles und in Unternehmen, die sich mit der Verzögerung des Alterns beschäftigen (…). Die Suche nach dem ewigen Leben und die Eroberung des Weltraums sind miteinander verbunden.“ 4 Elon Musks Verweis auf Ziolkowski bestätigt diese These und ist beunruhigend. Die politische Vision des Tesla-Patrons ist die eines Anarcho-Konservativen, der Twitter zu einem freien, unzensierten sozialen Netzwerk machen will, in dem jeder seine Meinung äußern kann. Diese Position hat die Feindseligkeit von Globalisten wie Bill Gates geweckt, der Musk in einer vom Wall Street Journal am 4. Mai 2022 organisierten Diskussionsrunde angriff.
Im Grunde aber glauben sowohl Musk als auch Gates an die Utopie der Regeneration der Menschheit durch die Wissenschaft und lehnen die christliche Kosmologie ab, die die Existenz einer Werteordnung bejaht, die auf der unveränderlichen Natur des Menschen und einem transzendenten Gott beruht, der das Universum erschaffen hat und auf seinen Zweck hin ordnet. Sind die beiden „verfeindeten Brüder“ Teil der gleichen planetarischen Verschwörung? Es gibt keine Verschwörung, wenn alles erklärt wird, sondern es gibt einen revolutionären Prozeß, der der Neuen Weltordnung der Globalisten die falsche antiglobalistische Alternative der Neuen Weltunordnung entgegensetzt. Ein Prozeß mit mehreren Seelen, die im Kampf gegen einen einzigen Feind übereinstimmen: die Kirche und das, was vom christlichen Abendland übrig geblieben ist.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017 und Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte, 2. erw. Ausgabe, Bobingen 2011.
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Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana/Wikicommons/MiL
1 Konstantin Ziolkowski wurde am 17. September 1857 im Gouvernement Rjasan des Russischen Kaiserreichs geboren, das von 1796 bis 1929 bestand (heute Oblast Moskau). Er war der Sohn eines russischen Polen adeliger Abstammung, der staatlicher Forstbeamter war, und einer kleinadeligen wolgatatarischen Russin. Der katholische Vater Eduard Ziolkowski wurde vom Sohn als „nicht religiös“ beschrieben. Konstantin Ziolkowski heiratete 1880 Barbara Sokolow, die Tochter eines russisch-orthodoxen Priesters. Mit ihr hatte er sieben Kinder. Von den vier Söhnen begingen die beiden ältesten 1902 bzw. 1923 Selbstmord, die Tochter Ljubow wurde vor dem Ersten Weltkrieg wegen revolutionärer Aktivitäten verhaftet, die Tochter Anna war Anfang der 20er Jahre Mitglied der Kommunistischen Partei Rußlands (Bolschewiki), der späteren Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU). Ziolkowski vermachte 1935 seinen wissenschaftlichen Nachlaß „der bolschewistischen Partei und der russischen Regierung“, die er als „Führer des Fortschritts der menschlichen Kultur“ bezeichnete und von denen er überzeugt war, daß sie das von ihm begonnene Werk „erfolgreich“ zu Ende bringen würden. Stalin bedankte sich persönlich für diese Verfügung Ziolkowskis, für den die KPdSU in Kaluga ein Denkmal errichtete und darauf sein Lebensmotto anbrachte: „Die Menschheit wird nicht ewig auf der Erde bleiben“ [Ergänzung durch den Übersetzer].
2 George Young: The Russian Cosmists: The Esoteric Futurism of Nikolai Fedorov and His Followers (Der esoterische Futurismus von Nikolai Fjodorow und seiner Anhänger), Oxford University Press, Rom 2012
3 Michel Eltchaninoff: Lénine a marché sur la Lune. La folle histoire des cosmistes et transhumanistes russes (Lenin spazierte auf dem Mond. Die verrückte Geschichte der russischen Kosmisten und Transhumanisten), Actes Sud, Arles 2022
4 Eltchaninoff: Lénine a marché sur la Lune, ital. Ausgabe: Edizioni e/o, Rom 2022, S. 15