
(Rom) Nach der weltweiten Kritik an der Ernennung der Ökonomin Mariana Mazzucato zum Mitglied der Päpstlichen Akademie für das Leben ging diese in die Gegenoffensive und zeigte sich nicht einsichtig, sondern verteidigte die Ernennung der Italoamerikanerin.
Verantwortlich für die Gegenkampagne ist Fabrizio Mastrofini, Journalist und Buchautor, der für das vatikanische Kommunikationsdikasterium tätig ist und im konkreten Fall als Sprecher der Päpstlichen Akademie für das Leben handelt. Am meisten überraschte sein Argument zugunsten Mazzucatos: „Sie ist nicht für die Abtreibung“. Mariana Mazzucato selbst befindet sich derzeit in Lateinamerika. Vielleicht wird sie in Kolumbien, Chile oder Argentinien ein Journalist darauf ansprechen, ob sie für oder gegen Abtreibung ist, bzw. welche Position sie zur Abtreibung vertritt. Bis dahin sind die vorhandenen Fakten aufzuzeigen.
Anstoß für Fabrizio Mastrofinis Reaktion war die Kolumne „Verteidiger des Lebens, aber Abtreibungsbefürworter: verwirrte Ideen im Vatikan“ von Riccardo Cascioli, dem Chefredakteur der katholischen Online-Tageszeitung Nuova Bussola Quotidina, vom 19. Oktober 2022, die auf italienisch, englisch und spanisch veröffentlicht wurde. Mastrofini reagierte auf einen Tweet des angesehenen US-amerikanischen Vatikanisten Edward Pentin, der Casciolis Kommentar geteilt hatte. Der Mitarbeiter des vatikanischen Kommunikationsdikasteriums schrieb dazu:
„La Nuova Bussola Quotidiana ist nicht gut informiert. Ein Artikel (sic) mit vielen Fehlern. Bitte lesen Sie die Statuten und Regeln der Päpstlichen Akademie für das Leben noch einmal – es ist ganz einfach: Lesen Sie einfach!“

Die Argumentation der Päpstlichen Akademie für das Leben
In einer Pressemitteilung der Päpstlichen Akademie für das Leben an ausgewählte Journalisten trat Mastrofini noch am Mittwoch auch offiziell in Erscheinung und „erklärt die Kontroverse über die jüngsten Ernennungen“. Die Pressemitteilung wurde inzwischen von verschiedenen Medien zitiert, darunter auch vom Vatikan-Korrespondenten der Tageszeitung ABC in ihrer gestrigen Ausgabe. Javier Martínez-Brocal schreibt dort:
„Die Antwort der Päpstlichen Akademie für das Leben ist kategorisch: ‚Sie ist nicht für die Abtreibung‘. Es handelt sich um die italienisch-amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin Mariana Mazzucato, die der Papst am 15. Oktober zu den Mitgliedern dieses Beratungsgremiums zählte. In der Vergangenheit hat Mazzucato auf Twitter ‚Likes‘ zu Nachrichten anderer Personen gepostet, die sich für Abtreibung aussprachen, aber sie hat sich nicht ausdrücklich zu diesem Thema geäußert.“
ABC lenkt, der Erklärung folgend, gleich auf Papst Franziskus um, der „die Abtreibung sehr energisch verurteilt“, und zitiert dessen Worte auf dem Rückflug aus der Slowakei im September 2021:
„Abtreibung ist mehr als ein Problem, Abtreibung ist Mord. Um es klar zu sagen: Wer eine Abtreibung vornimmt, tötet, denn (der Fötus) ist ein menschliches Leben, Punkt.“
Leider hat es Papst Franziskus bisher versäumt, die Regierenden in den einzelnen Staaten zu ermahnen, ihre Gesetzgebung entsprechend zu gestalten.
Nach dem Statut der Päpstlichen Akademie für das Leben müssen ihre Mitglieder Fachleute sein, die sich „durch Seriosität und fachliche Kompetenz im treuen Dienst der Verteidigung und Förderung des Rechts auf Leben eines jeden Menschen auszeichnen“.
ABC schreibt dazu: „Wie Fabrizio Mastrofini, Sprecher der Akademie, erklärt, hat der Vatikan vor der Ernennung von Mariana Mazzucato den Nuntius im Vereinigten Königreich, Claudio Gugerotti, und den Sekretär der Bischofskonferenz von England und Wales, Christopher Thomas, konsultiert, die nichts gefunden haben, was sie von der Ernennung abgehalten hätte.“ England wurde deshalb konsultiert, weil Mazzucato einen Lehrstuhl für Economics of Innovation and Public Value am University College London hat.
Laut Mastrofini habe sich Mazzucato „in ihren Veröffentlichungen nicht ausdrücklich für die Abtreibung ausgesprochen“. Und das genügt, um die erforderlichen Kriterien für die Päpstliche Akademie zu erfüllen? Laut Papst Franziskus offensichtlich schon.
Mazzucatos politischer und gesellschaftspolitischer Konnex
Mazzucato twitterte im Juni 2022 die Worte „So gut“, um ein Video zu retweeten, in dem die linke Kommentatorin Ana Kasparian die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA, daß Abtreibung kein verfassungsmäßiges Recht ist, scharf kritisierte.
„Es ist wie eine Clownshow, hier zu sitzen und darüber zu diskutieren, was in Ihrem mythischen Buch (gemeint ist die Bibel) über Abtreibung steht“, sagte Ana Kasparian. „Ich werde dafür kämpfen, daß Sie Religionsfreiheit haben und das Christentum praktizieren können. Aber Sie haben nicht das Recht, mir vorzuschreiben, was ich mit meinem Körper tun darf.“
Grausame Worte, die Mazzucato „so gut“ findet. Kasparians arrogante und lebensfeindliche Botschaft an die Frauen (und implizit an die Kindesväter) ist eindeutig: Über das Leben eines ungeborenen Kindes herrscht Verfügungsgewalt. Das Kind, typisch für Abtreibungslobbyisten, wird dabei nie erwähnt.

Die Amerikanerin Ana Kasparian ist armenischer Herkunft. Sie bezeichnet sich selbst als Atheistin und ist eine bekannte Linksaktivistin, die u. a. einen wöchentlichen Kommentar für den Youtube-Kanal des linksradikalen sozialistischen Magazins Jacobin für eine marxistische Gegenwartsanalyse veröffentlicht. Und nomen est omen: Der Name des Magazins ist eine Anspielung auf die radikalen Jakobiner in der Französischen Revolution.
Die Wirtschaftswissenschaftlerin Mazzucato liest und teilt linksradikale Medien? Ist darin der Grund zu suchen, weshalb sich für sie die Türen zum Vatikan öffneten?
Eine Klärung, die keine ist
Mastrofini schreibt davon nichts, dafür aber, daß Mazzucato laut Statuten der Päpstlichen Akademie mit der Annahme ihrer Ernennung, „die Grundsätze bezüglich des Wertes des Lebens und der Würde der menschlichen Person zu fördern und zu verteidigen, die in Übereinstimmung mit dem Lehramt der Kirche ausgelegt werden“, akzeptiert habe. Von einem speziellen Akt dieser Art schreibt er nichts – ein solcher findet sich auch nicht in den neuen, von Franziskus erlassenen Statuten der Akademie –, weshalb nur eine implizite Anerkennung angenommen werden kann.
Mastrofini, um Abwieglung bemüht, schreibt dazu: „Der Status des Akademikers kann im Falle einer öffentlichen und bewußten Handlung oder Erklärung, die diesen Grundsätzen offenkundig zuwiderläuft oder die Würde und Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche und der Akademie selbst schwer verletzt, entzogen werden.“
Warum diese Umständlichkeit? Sollten diese Fragen nicht vor einer Ernennung geklärt werden? Mazzucatos Zustimmung zu Kasparians Angriff auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA ist unmißverständlich. Mastrofini entschuldigt dies jedoch mit dem schwachen Hinweis, Mazzucato habe „nicht ausdrücklich“ die Abtreibung gutgeheißen. Wie feinsinnig. Man könnte es auch haarspalterisch nennen. Die Frage wäre ausgeräumt, wenn Mastrofini mitgeteilt hätte, daß mit Mazzucato diese Frage konkret und direkt besprochen und ausgeräumt werden konnte. Doch dergleichen findet sich nicht in seiner Verteidigung.
Papst Franziskus und die Päpstliche Akademie mit geändertem Auftrag
In dem Gesprächsbuch „Let’s Dream Together“ des britischen Journalisten Austen Ivereigh mit Papst Franziskus, das im Dezember 2020 in den Buchhandel kam, lobte Franziskus Mazzucatos Ideen zur Gesellschaft: „Sie hat eine Denkweise, die nicht ideologisch ist, die über die Polarisierung von freiem Marktkapitalismus und Staatssozialismus hinausgeht und der im Kern das Anliegen zugrunde liegt, daß alle Menschen Zugang zu Land, Wohnraum und Arbeit haben sollten.“
Warum wurde sie nicht zum korrespondierenden Mitglied der Päpstlichen Akademie für Sozialwissenschaften ernannt? Die Ernennung Mazzucatos ruft in Erinnerung, daß der von Franziskus 2016 gewollte Umbau der Päpstlichen Akademie für das Leben eine Erweiterung ihres Auftrags von der Bioethik zur „Humanökologie“ zum Ziel hatte. Die Akademie beruft sich dabei auf Papst Franziskus, der in Gaudete et exsultate neben dem Einsatz für die Ungeborenen einen gleichwertigen Einsatz für die Armen fordert. Das aber war nicht die Intention von Papst Johannes Paul II., dem Gründer der Päpstlichen Akademie für das Leben. Seither ist die Liste lang von zweifelhaften Ernennungen und Positionierungen, welche die von Paglia geführte Akademie an vielen Fronten zeigt, die aber selten hörbar ihre Stimme zum Lebensrecht der Ungeborenen erhebt.
Zu den neuen Mitgliedern der Päpstlichen Akademie für das Leben, die Franziskus zusammen mit Mazzucato ernannte, gehören auch der Spanier Federico de Montalvo, Vorsitzender des spanischen Bioethikausschusses, außerdem zwei Rabbiner, ein Muslim, ein anglikanischer Theologe und ein Shintoist. Erzbischof Vincenzo Paglia, der Präsident der Päpstlichen Akademie für das Leben, den Franziskus 2016 mit einem radikalen Umbau der Akademie beauftragte, freut sich über die Teilnahme von „Frauen und Männern mit Fachkenntnissen in verschiedenen Disziplinen und aus unterschiedlichen Kontexten, für einen konstanten und fruchtbaren interdisziplinären, interkulturellen und interreligiösen Dialog“.
Nur am Rande sei erwähnt, daß Mariana Mazzucato mit ihrem Institute for Innovation and Public Purpose (IIPP) an ihrer Londoner Universität mit den Open Society Foundations (OSF) von George Soros zusammenarbeitet. Mit der Soros-Stiftung unterzeichnete sie 2020 einen dreijährigen Kooperationsvertrag. Das IIPP wurde von Mazzucato 2017 gegründet, und „seit 2017 finanziert die OSF auch die Arbeit von Professor Mazzucato“.
Um die Klärung von Mazzucatos Position zur Abtreibung, die keine Klärung ist, abzurunden, veröffentlichte die Päpstliche Akademie für das Leben auf ihrem Twitter-Account einen Screenshot von Mazzucatos Internetseite mit Link. Dort ist ein lobendes Zitat von Papst Franziskus über Mariana Mazzucato zu finden. Das Motto scheint zu lauten: Wen der Papst lobt, der muß in Ordnung sein.
Eine Klärung von Mazzucatos Position zum Lebensrecht ungeborener Kinder und zur Abtreibung ist das aber nicht. Es bleibt zu hoffen, daß eine solche bald erfolgt und Mazzucato sich auch öffentlich dazu bekennt.

Text: Giuseppe Nardi
Bild: academyforlife.va/Twitter/marianamazzucato.com (Screenshots)