Bischof und Friedensnobelpreisträger Belo „ist bereits verurteilt“

Das unvollständige Narrativ des Vatikans


Bischof Carlos Ximenes Belo bei der Verleihung des Friedensnobelpreises 1996.
Bischof Carlos Ximenes Belo bei der Verleihung des Friedensnobelpreises 1996.

(Rom) Die Apo­sto­li­sche Nun­tia­tur in Ost­ti­mor gab bekannt, daß Bischof Car­los Xime­nes Belo bereits vor 20 Jah­ren wegen „schwe­rer Ver­bre­chen“ vom Hei­li­gen Stuhl bestraft wur­de. Der „Held von Ost­ti­mor“ ist damit offi­zi­ell ent­zau­bert. Ein Schock für die jun­ge Nati­on. Die offi­zi­el­le Ver­si­on ist aller­dings nicht vollständig.

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Bischof Belo spiel­te eine her­aus­ra­gen­de Rol­le im Unab­hän­gig­keits­kampf der katho­li­schen Ost­ti­mo­re­sen, als sich das ehe­ma­li­ge Por­tu­gie­sisch-Ost­ti­mor von Indo­ne­si­en befrei­te, einer mus­li­mi­schen Besat­zungs­macht, die das Land 1975 mili­tä­risch besetzt und annek­tiert hatte.

Bischof Belo war es, der erst­mals auf inter­na­tio­na­ler Ebe­ne den Vor­schlag mach­te, eine Volks­ab­stim­mung über die völ­ker­recht­li­che Zukunft sei­ner Hei­mat abzu­hal­ten. Er war es, der mit Unter­stüt­zung von Papst Johan­nes Paul II. das Land unter gro­ßen Schwie­rig­kei­ten und gegen indo­ne­si­sche Gewalt in die Selb­stän­dig­keit führte.

Als die­ses Ziel, den katho­li­schen Ost­ti­mo­re­sen den nöti­gen Schutz und eine freie Ent­wick­lung zu sichern, 2002 erreicht wur­de, kamen par­al­lel Anschul­di­gun­gen auf, die den Vati­kan erschüt­ter­ten. Mit­ten in die heik­le Pha­se der Ver­selb­stän­di­gung des ein­zi­gen mehr­heit­lich katho­li­schen Lan­des in Asi­en neben den Phil­ip­pi­nen, in der nie­mand wuß­te, ob Indo­ne­si­en nicht doch noch das Mili­tär schicken und alle Bestre­bun­gen zunich­te­ma­chen wür­de, platz­ten Infor­ma­tio­nen, Bischof Belo sei ein homo­se­xu­el­ler Päd­erast, der in den 90er Jah­ren, als er bereits Bischof war, min­der­jäh­ri­ge Jun­gen sexu­ell miß­braucht hatte.

Der Hei­li­ge Stuhl ent­schied sich wegen der poli­ti­schen Impli­ka­tio­nen, das Schick­sal eines gan­zen Lan­des nicht mit der einer Per­son zu ver­knüp­fen, son­dern ent­schlos­sen, aber still­schwei­gend zu han­deln. Sobald die Unab­hän­gig­keit Ost­ti­mors voll­zo­gen war, wur­de Bischof Belo, damals erst 54 Jah­re alt, noch im sel­ben Jahr 2002 aus sei­ner Hei­mat ent­fernt. Offi­zi­ell nann­te die Diö­ze­se Dili als Grund, was man heu­te „Burn­out“ nen­nen würde.

Seit 2004 wirkt der „Held von Ost­ti­mor“ und Frie­dens­no­bel­preis­trä­ger nur mehr als ein­fa­cher Hilfs­prie­ster im afri­ka­ni­schen Mosam­bik, einer ande­ren ehe­ma­li­gen por­tu­gie­si­schen Kolo­nie. Ande­re Grün­de für die­sen abrup­ten und auf­fäl­li­gen Abgang wur­den nie genannt. Bis jetzt. In den ver­gan­ge­nen Tagen griff eine nie­der­län­di­sche Zei­tung die homo-päd­era­sti­schen Anschul­di­gun­gen von 2002 wie­der auf und ent­fach­te einen Sturm der Empö­rung, der mit der aktu­el­len Wel­le sexu­el­ler Miß­brauchs­vor­wür­fe gegen Kle­ri­ker in Por­tu­gal zu tun hat. Sofort stimm­te eine Viel­zahl welt­li­cher Stim­men in den Chor ein, der Unter­su­chun­gen und Bestra­fun­gen forderte.

Die­se waren aber längst erfolgt. Er wur­de 2002 von Papst Johan­nes Paul II. sei­nes Amtes ent­ho­ben und als Bischof eme­ri­tiert. Zudem muß­te er das Land ver­las­sen, sich einer The­ra­pie unter­zie­hen und dann als ein­fa­cher Prie­ster unter Auf­sicht nach Mosam­bik zurück­zie­hen. Seit­her war vom ein­zi­gen Kir­chen­mann, der jemals mit dem Frie­dens­no­bel­preis geehrt wur­de, nichts mehr zu hören.

Der Geschäfts­trä­ger der Nun­tia­tur, Msgr. Mar­co Spriz­zi, ver­such­te in sei­ner Stel­lung­nah­me gegen­über dem ost­ti­mo­re­si­schen Fern­se­hen RTTL einen Spa­gat. Er hat­te die nach Rache rufen­de Welt zu befrie­di­gen, sogar UNO-Gene­ral­se­kre­tär Guter­res hat­te sich ein­ge­schal­tet, und zugleich den Ost­ti­mo­re­sen mög­lichst fein­füh­lig die Schock­nach­richt zu vermitteln.

Unvollständiges Narrativ

20 Jah­re sind seit dem Abgang von Bischof Belo ver­gan­gen, seit 20 Jah­ren ist Ost­ti­mor ein selb­stän­di­ger sou­ve­rä­ner Staat. Aus dem „Hel­den von Ost­ti­mor“ mach­ten eini­ge die „Schan­de von Dili“. Der Absturz von Car­los Xime­nes Belo kratzt an den Fun­da­men­ten der jun­gen Nati­on. Die Empö­rung nach den Berich­ten aus­län­di­scher Medi­en war groß.

Das vom Geschäfts­trä­ger der Nun­tia­tur vor­ge­tra­ge­ne Nar­ra­tiv ist aber nicht voll­stän­dig. Ost­ti­mor ver­füg­te drei Jah­re lang über kei­nen resi­die­ren­den Nun­ti­us. Papst Fran­zis­kus hat­te zwar schon 2020 einen pol­ni­schen Vati­kan­di­plo­ma­ten dazu ernannt, doch war die­ser wegen der Coro­na-Maß­nah­men erst im April 2022, und dann nur mit­tels Video­kon­fe­renz, akkre­di­tiert wor­den. In die­ser Zeit nahm Msgr. Spriz­zi als Geschäfts­trä­ger der Nun­tia­tur die Auf­ga­ben der­sel­ben wahr.

Der Vati­kan­di­plo­mat stell­te es so dar, daß Bischof Belo aus eige­ner Initia­ti­ve 2002 die Insel ver­las­sen und sich zurück­ge­zo­gen hat­te. 2019 sei­en diplo­ma­ti­schen Stel­len des Vati­kans Anschul­di­gun­gen gegen Belo bekannt gewor­den. Der Hei­li­ge Stuhl habe dar­auf umge­hend durch die zustän­di­ge Straf­ver­fol­gungs­be­hör­de reagiert und in den ver­gan­ge­nen Jah­ren Sank­tio­nen gegen den Bischof ver­hängt. Msgr. Spriz­zi ließ kei­nen Zwei­fel dar­an, daß sich Belo „schwe­rer Ver­ge­hen“ schul­dig gemacht hat­te. Sei­ne Bestra­fung sei drin­gend gebo­ten gewe­sen und sol­le von den Ost­ti­mo­re­sen „akzep­tiert“ werden.

Der Geschäfts­trä­ger der Nun­tia­tur hat­te zuvor klar­ge­stellt, daß es nicht um Anschul­di­gun­gen geht, nicht um eine bevor­ste­hen­de Ankla­ge gegen Belo, son­dern daß die­ser bereits ver­ur­teilt ist.

„Es wird kei­ne Straf­ver­fol­gung mehr geben. Auch nicht vom Staat, weil die Ver­bre­chen bereits ver­jährt sind, sie lie­gen mehr als 20 Jah­re zurück, und weil alles bereits vom Hei­li­gen Stuhl beur­teilt und ent­schie­den wor­den ist. Das sind Ent­schei­dun­gen, die bereits getrof­fen wur­den, und wir müs­sen sie nur respek­tie­ren, den Bischof respek­tie­ren und die Ent­schei­dun­gen des Vati­kans respektieren.“

Aller­dings erfolg­ten die Sank­tio­nen, wie römi­sche Quel­len ver­si­chern, nicht erst seit 2019, son­dern bereits 2002. Damals geschah dies aber auf infor­mel­ler Ebe­ne, eine wie­der­holt vom Hei­li­gen Stuhl ange­wand­te Metho­de. Den Betrof­fe­nen, kon­kret Bischof Belo, indi­rekt dem Sale­sia­ner­or­den, dem Belo ange­hört, wur­den die „Wün­sche“ des Hei­li­gen Stuhls mit­ge­teilt, sodaß ihnen die Mög­lich­keit gebo­ten wur­de, die­se frei­wil­lig zu akzeptieren. 

Die 2002 ver­häng­ten Maß­nah­men wur­den in den ver­gan­ge­nen zwei Jah­ren for­ma­li­siert, samt einer Ver­schär­fung. Dem Bischof sind seit 2002 Ein­schrän­kun­gen der Bewe­gungs­frei­heit und der Amts­aus­übung auf­er­legt. Er darf öffent­lich nicht als Bischof auf­tre­ten und han­deln. Zudem hat er sich von Min­der­jäh­ri­gen fernzuhalten.

Neben der For­ma­li­sie­rung der Stra­fen kam es 2020 auch zu einer Ver­schär­fung: Belo darf sei­ne Hei­mat Ost­ti­mor nicht mehr betre­ten. Zwi­schen 2004 und 2019 war er weni­ge Male zurück­ge­kehrt, zuletzt zu Weih­nach­ten 2019, um sei­ne Fami­lie zu besuchen. 

Die Erklärungen des Geschäftsträgers der Nuntiatur

Msgr. Spriz­zi, dem offen­sicht­lich kei­ne ande­ren Infor­ma­tio­nen aus Rom zugäng­lich gemacht wur­den, sag­te gegen­über RTTL:

„Das ist die offi­zi­el­le und siche­re Posi­ti­on des Hei­li­gen Stuhls in die­ser Ange­le­gen­heit. Das lag nicht an dem nie­der­län­di­schen Zei­tungs­ar­ti­kel. Das war im Jahr 2019. Und im Sep­tem­ber 2020, nach einem Jahr der Unter­su­chun­gen, wur­den die­se Sank­tio­nen, die­se Ein­schrän­kun­gen, beschlossen.“

Alle Ein­schrän­kun­gen wur­den von Bischof Belo „akzep­tiert“, so der Vatikandiplomat.

„Ich sage den timo­re­si­schen Katho­li­ken, die dem Papst und dem Vati­kan so treu sind, daß sie den Wei­sun­gen des Vati­kans fol­gen sol­len, so wie Dom Belo den Wei­sun­gen des Vati­kans folg­te. Er hat sie ange­nom­men. Es kann nicht sein, daß Msgr. Belo akzep­tiert und sei­ne Freun­de, die Gläu­bi­gen, nicht. Wir alle müs­sen akzep­tie­ren, weil wir alle Ange­hö­ri­ge der Kir­che sind, die dem Hei­li­gen Vater treu sind.“

Zugleich ersuch­te er, nach­dem es zu Pro­te­sten, Belei­di­gun­gen und Dro­hun­gen gekom­men war, nicht Kir­chen­ver­tre­ter oder Jour­na­li­sten anzu­grei­fen, weil sie die Ent­schei­dun­gen des Vati­kans bekannt­ge­macht haben.

„Es ist nicht gut, gegen die­je­ni­gen zu pro­te­stie­ren, die ein­fach nur das wei­ter­ge­ben, was der Vati­kan ver­öf­fent­licht hat. Wir müs­sen dies im Gei­ste des Ver­trau­ens und des Frie­dens akzeptieren.“

Zudem sag­te Msgr. Sprizzi:

„Spre­chen wir über die guten Din­ge in Ost­ti­mor: der erste Staat der Welt, der die Erklä­rung des Hei­li­gen Vaters über die Brü­der­lich­keit aller Men­schen ange­nom­men hat. Wir müs­sen die­se Geschwi­ster­lich­keit zei­gen. Die timo­re­si­schen Bischö­fe und die Bischofs­kon­fe­renz haben die Leit­li­ni­en für den Schutz von Min­der­jäh­ri­gen ange­nom­men, und das ist eine sehr gute Sache, sehr fort­schritt­lich, damit unse­re Kin­der, unse­re jun­gen Timo­re­sen einen siche­ren Platz im kirch­li­chen Umfeld und an kirch­li­chen Orten finden.“

„Wir respek­tie­ren Dom Belo. Wir haben gro­ßen Respekt vor ihm, vor sei­ner Geschich­te, vor sei­nem Bei­trag zum Befrei­ungs­kampf, vor sei­ner Nähe zu den Men­schen, vor allem zu denen, die an vor­der­ster Front für die Frei­heit, für die Befrei­ung Ost­ti­mors gekämpft haben. Nie­mand kann all dies leug­nen, nie­mand kann es rück­gän­gig machen. Das muß klar sein: Der Vati­kan ist nicht gegen Bischof Belo, den­ken Sie nur an die gro­ßen histo­ri­schen Ver­dien­ste von Dom Belo.“

Zugleich bekräf­tig­te der Geschäfts­trä­ger der Nuntiatur:

„Der Vati­kan steht immer auf der Sei­te der Wahr­heit, denn Jesus Chri­stus ist immer unse­re Wahr­heit. Was war, ist gewe­sen, und wir akzep­tie­ren es in Frieden.“

Zuvor war es in den sozia­len Netz­wer­ken zu hef­ti­gen Debat­ten gekom­men. Es waren Anschul­di­gun­gen gegen aus­län­di­sche Medi­en erho­ben wor­den, die dem Anse­hen Belos und Ost­ti­mors scha­den woll­ten. Zudem wur­de nach den Opfern gesucht, die den Bischof anschul­di­gen. Eini­ge Abge­ord­ne­te hat­ten sogar im Par­la­ment Stel­lung bezo­gen, wäh­rend ver­schie­de­ne Per­sön­lich­kei­ten des Lan­des sich mit Bischof Belo soli­da­ri­sier­ten. Dabei wur­den die aus­län­di­schen Medi­en­be­rich­te über die Ver­ge­hen des Bischofs in Zwei­fel gezogen.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: MiL

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