
(Rom) Die Apostolische Nuntiatur in Osttimor gab bekannt, daß Bischof Carlos Ximenes Belo bereits vor 20 Jahren wegen „schwerer Verbrechen“ vom Heiligen Stuhl bestraft wurde. Der „Held von Osttimor“ ist damit offiziell entzaubert. Ein Schock für die junge Nation. Die offizielle Version ist allerdings nicht vollständig.
Bischof Belo spielte eine herausragende Rolle im Unabhängigkeitskampf der katholischen Osttimoresen, als sich das ehemalige Portugiesisch-Osttimor von Indonesien befreite, einer muslimischen Besatzungsmacht, die das Land 1975 militärisch besetzt und annektiert hatte.
Bischof Belo war es, der erstmals auf internationaler Ebene den Vorschlag machte, eine Volksabstimmung über die völkerrechtliche Zukunft seiner Heimat abzuhalten. Er war es, der mit Unterstützung von Papst Johannes Paul II. das Land unter großen Schwierigkeiten und gegen indonesische Gewalt in die Selbständigkeit führte.
Als dieses Ziel, den katholischen Osttimoresen den nötigen Schutz und eine freie Entwicklung zu sichern, 2002 erreicht wurde, kamen parallel Anschuldigungen auf, die den Vatikan erschütterten. Mitten in die heikle Phase der Verselbständigung des einzigen mehrheitlich katholischen Landes in Asien neben den Philippinen, in der niemand wußte, ob Indonesien nicht doch noch das Militär schicken und alle Bestrebungen zunichtemachen würde, platzten Informationen, Bischof Belo sei ein homosexueller Päderast, der in den 90er Jahren, als er bereits Bischof war, minderjährige Jungen sexuell mißbraucht hatte.
Der Heilige Stuhl entschied sich wegen der politischen Implikationen, das Schicksal eines ganzen Landes nicht mit der einer Person zu verknüpfen, sondern entschlossen, aber stillschweigend zu handeln. Sobald die Unabhängigkeit Osttimors vollzogen war, wurde Bischof Belo, damals erst 54 Jahre alt, noch im selben Jahr 2002 aus seiner Heimat entfernt. Offiziell nannte die Diözese Dili als Grund, was man heute „Burnout“ nennen würde.
Seit 2004 wirkt der „Held von Osttimor“ und Friedensnobelpreisträger nur mehr als einfacher Hilfspriester im afrikanischen Mosambik, einer anderen ehemaligen portugiesischen Kolonie. Andere Gründe für diesen abrupten und auffälligen Abgang wurden nie genannt. Bis jetzt. In den vergangenen Tagen griff eine niederländische Zeitung die homo-päderastischen Anschuldigungen von 2002 wieder auf und entfachte einen Sturm der Empörung, der mit der aktuellen Welle sexueller Mißbrauchsvorwürfe gegen Kleriker in Portugal zu tun hat. Sofort stimmte eine Vielzahl weltlicher Stimmen in den Chor ein, der Untersuchungen und Bestrafungen forderte.
Diese waren aber längst erfolgt. Er wurde 2002 von Papst Johannes Paul II. seines Amtes enthoben und als Bischof emeritiert. Zudem mußte er das Land verlassen, sich einer Therapie unterziehen und dann als einfacher Priester unter Aufsicht nach Mosambik zurückziehen. Seither war vom einzigen Kirchenmann, der jemals mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde, nichts mehr zu hören.
Der Geschäftsträger der Nuntiatur, Msgr. Marco Sprizzi, versuchte in seiner Stellungnahme gegenüber dem osttimoresischen Fernsehen RTTL einen Spagat. Er hatte die nach Rache rufende Welt zu befriedigen, sogar UNO-Generalsekretär Guterres hatte sich eingeschaltet, und zugleich den Osttimoresen möglichst feinfühlig die Schocknachricht zu vermitteln.
Unvollständiges Narrativ
20 Jahre sind seit dem Abgang von Bischof Belo vergangen, seit 20 Jahren ist Osttimor ein selbständiger souveräner Staat. Aus dem „Helden von Osttimor“ machten einige die „Schande von Dili“. Der Absturz von Carlos Ximenes Belo kratzt an den Fundamenten der jungen Nation. Die Empörung nach den Berichten ausländischer Medien war groß.
Das vom Geschäftsträger der Nuntiatur vorgetragene Narrativ ist aber nicht vollständig. Osttimor verfügte drei Jahre lang über keinen residierenden Nuntius. Papst Franziskus hatte zwar schon 2020 einen polnischen Vatikandiplomaten dazu ernannt, doch war dieser wegen der Corona-Maßnahmen erst im April 2022, und dann nur mittels Videokonferenz, akkreditiert worden. In dieser Zeit nahm Msgr. Sprizzi als Geschäftsträger der Nuntiatur die Aufgaben derselben wahr.
Der Vatikandiplomat stellte es so dar, daß Bischof Belo aus eigener Initiative 2002 die Insel verlassen und sich zurückgezogen hatte. 2019 seien diplomatischen Stellen des Vatikans Anschuldigungen gegen Belo bekannt geworden. Der Heilige Stuhl habe darauf umgehend durch die zuständige Strafverfolgungsbehörde reagiert und in den vergangenen Jahren Sanktionen gegen den Bischof verhängt. Msgr. Sprizzi ließ keinen Zweifel daran, daß sich Belo „schwerer Vergehen“ schuldig gemacht hatte. Seine Bestrafung sei dringend geboten gewesen und solle von den Osttimoresen „akzeptiert“ werden.
Der Geschäftsträger der Nuntiatur hatte zuvor klargestellt, daß es nicht um Anschuldigungen geht, nicht um eine bevorstehende Anklage gegen Belo, sondern daß dieser bereits verurteilt ist.
„Es wird keine Strafverfolgung mehr geben. Auch nicht vom Staat, weil die Verbrechen bereits verjährt sind, sie liegen mehr als 20 Jahre zurück, und weil alles bereits vom Heiligen Stuhl beurteilt und entschieden worden ist. Das sind Entscheidungen, die bereits getroffen wurden, und wir müssen sie nur respektieren, den Bischof respektieren und die Entscheidungen des Vatikans respektieren.“
Allerdings erfolgten die Sanktionen, wie römische Quellen versichern, nicht erst seit 2019, sondern bereits 2002. Damals geschah dies aber auf informeller Ebene, eine wiederholt vom Heiligen Stuhl angewandte Methode. Den Betroffenen, konkret Bischof Belo, indirekt dem Salesianerorden, dem Belo angehört, wurden die „Wünsche“ des Heiligen Stuhls mitgeteilt, sodaß ihnen die Möglichkeit geboten wurde, diese freiwillig zu akzeptieren.
Die 2002 verhängten Maßnahmen wurden in den vergangenen zwei Jahren formalisiert, samt einer Verschärfung. Dem Bischof sind seit 2002 Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und der Amtsausübung auferlegt. Er darf öffentlich nicht als Bischof auftreten und handeln. Zudem hat er sich von Minderjährigen fernzuhalten.
Neben der Formalisierung der Strafen kam es 2020 auch zu einer Verschärfung: Belo darf seine Heimat Osttimor nicht mehr betreten. Zwischen 2004 und 2019 war er wenige Male zurückgekehrt, zuletzt zu Weihnachten 2019, um seine Familie zu besuchen.
Die Erklärungen des Geschäftsträgers der Nuntiatur
Msgr. Sprizzi, dem offensichtlich keine anderen Informationen aus Rom zugänglich gemacht wurden, sagte gegenüber RTTL:
„Das ist die offizielle und sichere Position des Heiligen Stuhls in dieser Angelegenheit. Das lag nicht an dem niederländischen Zeitungsartikel. Das war im Jahr 2019. Und im September 2020, nach einem Jahr der Untersuchungen, wurden diese Sanktionen, diese Einschränkungen, beschlossen.“
Alle Einschränkungen wurden von Bischof Belo „akzeptiert“, so der Vatikandiplomat.
„Ich sage den timoresischen Katholiken, die dem Papst und dem Vatikan so treu sind, daß sie den Weisungen des Vatikans folgen sollen, so wie Dom Belo den Weisungen des Vatikans folgte. Er hat sie angenommen. Es kann nicht sein, daß Msgr. Belo akzeptiert und seine Freunde, die Gläubigen, nicht. Wir alle müssen akzeptieren, weil wir alle Angehörige der Kirche sind, die dem Heiligen Vater treu sind.“
Zugleich ersuchte er, nachdem es zu Protesten, Beleidigungen und Drohungen gekommen war, nicht Kirchenvertreter oder Journalisten anzugreifen, weil sie die Entscheidungen des Vatikans bekanntgemacht haben.
„Es ist nicht gut, gegen diejenigen zu protestieren, die einfach nur das weitergeben, was der Vatikan veröffentlicht hat. Wir müssen dies im Geiste des Vertrauens und des Friedens akzeptieren.“
Zudem sagte Msgr. Sprizzi:
„Sprechen wir über die guten Dinge in Osttimor: der erste Staat der Welt, der die Erklärung des Heiligen Vaters über die Brüderlichkeit aller Menschen angenommen hat. Wir müssen diese Geschwisterlichkeit zeigen. Die timoresischen Bischöfe und die Bischofskonferenz haben die Leitlinien für den Schutz von Minderjährigen angenommen, und das ist eine sehr gute Sache, sehr fortschrittlich, damit unsere Kinder, unsere jungen Timoresen einen sicheren Platz im kirchlichen Umfeld und an kirchlichen Orten finden.“
„Wir respektieren Dom Belo. Wir haben großen Respekt vor ihm, vor seiner Geschichte, vor seinem Beitrag zum Befreiungskampf, vor seiner Nähe zu den Menschen, vor allem zu denen, die an vorderster Front für die Freiheit, für die Befreiung Osttimors gekämpft haben. Niemand kann all dies leugnen, niemand kann es rückgängig machen. Das muß klar sein: Der Vatikan ist nicht gegen Bischof Belo, denken Sie nur an die großen historischen Verdienste von Dom Belo.“
Zugleich bekräftigte der Geschäftsträger der Nuntiatur:
„Der Vatikan steht immer auf der Seite der Wahrheit, denn Jesus Christus ist immer unsere Wahrheit. Was war, ist gewesen, und wir akzeptieren es in Frieden.“
Zuvor war es in den sozialen Netzwerken zu heftigen Debatten gekommen. Es waren Anschuldigungen gegen ausländische Medien erhoben worden, die dem Ansehen Belos und Osttimors schaden wollten. Zudem wurde nach den Opfern gesucht, die den Bischof anschuldigen. Einige Abgeordnete hatten sogar im Parlament Stellung bezogen, während verschiedene Persönlichkeiten des Landes sich mit Bischof Belo solidarisierten. Dabei wurden die ausländischen Medienberichte über die Vergehen des Bischofs in Zweifel gezogen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL