Von Amand Timmermans
Vier Jahrhunderte lang war der Jesuitenorden führend bei Unterricht und Bildung der männlichen katholischen Jugend. Er setzte weltweit pädagogische und didaktische Maßstäbe. Dies wird bei dem heutigen desolaten Zustand des Jesuitenordens, bei seiner Verwirrung und Zerrüttung und bei seinem quasi totalen Rückzug aus dem Unterricht in Westeuropa weitgehend vergessen.
Gerade in den südlichen Niederlanden, zuerst unter spanischer und österreichischer Herrschaft, dann mit fast nahtlosem Übergang zu Belgien, war der Jesuitenorden mit seinen großen Kollegien die Kaderschmiede für die Jugend.
1876 wurde Adhemar Geerebaert in einer bürgerlichen Familie in Gent geboren. Er ging zur Schule in das Sint-Barbaracollege der Jesuiten in Gent, damals mit einem sehr strengen Ruf, wo er sich schon für die klassischen Sprachen Latein und Altgriechisch begeisterte.
17 Jahre alt und wegen seiner flämischen Gesinnung bekannt, trat er im Ausland, in Valkenburg (Süd-Limburg) in den Niederlanden, in das Noviziat ein. Im Anschluß daran studierte er dann zwei Jahre klassische Philologie an den von den Jesuiten geführten Facultés de Notre Dame in Namur, wo er die Kandidatenprüfungen für klassische Philologie mit großer Auszeichnung bestand.
Wegen seiner flämischen Überzeugung, und „um präventiv Bescheidenheit zu lernen“, wurde Geerebaert weitergeschickt nach Oña (Spanien) und dann in den belgischen Jesuitenkollegien Sint-Jozefcollege Turnholt, Sint-Jozefscollege Aalst und Sacré-Coeur zu Charleroi nur noch als „Surveillant“ (Aufseher und Erzieher) eingesetzt.
Geerebaert bekam nicht mehr die Gelegenheit, das Lizenziat in klassischer Philologie an der Universität Löwen zu erwerben. Persona non grata.
Als jedoch ab 1907 als erster schüchterner Versuch, etwas Niederländischsprachiges in das damals völlig französischsprachige akademische Milieu in Belgien zu bringen, im Hochsommer in Löwen sogenannte „Niederländische Ferienlehrgänge“ eingerichtet wurden, war P. Geerebaert sofort dabei und hielt diesen sehr lange mit Vorträgen die Treue.
Ab 1908 startete er mit der Publikation von besonders Textkommentaren, Hilfsbüchlein und Schultextausgaben von klassischen Autoren.
P. Geerebaert war höchst gelehrt und enorm fleißig: Bis 1926 (viereinhalb Kriegsjahre eingerechnet) erschienen 100 Veröffentlichungen und Nachdrucke; bis 1936 waren es mehr als 300!
Die Ausgaben waren im saubersten Niederländisch geschrieben, didaktisch hervorragend und äußerst präzise. Sie wurden auch in Holland gerne benutzt und wurden im nördlichen Belgien sofort zum Maßstab. Dort wurde bis 1931 der Unterricht an der Sekundärstufe noch auf französisch erteilt. Die Lehrer (meist flämischer Herkunft) unterrichteten die ebenfalls meist flämische Jugend auf französisch, aber mit den niederländischsprachigen Ausgaben von Pater Geerebaert. Eine typisch jesuitische Leistung: toujours en vedette.
Als 1932 dann der Unterricht im Norden niederländischsprachig wurde, waren die gediegenen Schulbücher schon in bester Qualität vorhanden.
Zeitgleich entstanden die lateinische und altgriechische Grammatik, gekennzeichnet durch Klarheit und Schönheit. Die Grammatikregeln wurden, subsumiert in kurzen prägnanten Sätzen aus den großen Autoren, Paradigmata genannt.
Sie wurden von Generationen von Flamen auswendig gelernt und waren nicht selten der kirchlichen Literatur entnommen.
1932 erschien das Kurzgefaßte Lateinisch-Niederländische Wörterbuch (5 Ausgaben bis 1954) und 1943, kurz vor seinem Tod, das Kurzgefaßte Griechisch-Niederländische Wörterbuch (3 Ausgaben bis 1964), letzteres ausgezeichnet mit dem Preis der Königlichen Akademie der Wissenschaften.
1944 starb P. Geerebaert still, mitten in den Endwirren des Zweiten Weltkriegs und der Repression.
Jesuiten-Confratres führten seine Arbeit weiter.
70 Jahre lang wurde die flämische Jugend mit den Büchern und Hilfsheften von P. Geerebaert unterrichtet. Sie bekam damit das so wichtige Fundament einer gründlichen klassischen Bildung, die Eintrittspforte für höhere Studien und die damit verbundenen Berufe, und nicht zuletzt einen Schatz an christlicher und klassischer Bildung und Kultur.
Das flämische Volk war sich dessen damals sehr bewußt: Die flämische katholische Presse berichtete ausführlich, mit Stolz und Dankbarkeit, anläßlich der 100. Ausgabe (1926) und seines 60. Geburtstags (1936).
Kriegsbedingt wurde sein Tod hingegen nur kurz gemeldet.
Typisch: Es war der große Spezialist für Altgriechisch, der Jesuit Emile De Strycker SJ, der in der inzwischen schon lange eingestellten Jesuitenmonatsschrift Streven („Streben“) 1945 einen sehr schönen und leider auch letzten Nachruf auf diesen bescheidenen Jesuitengelehrten verfaßte.
Der Einfluß von P. Geerebaert SJ auf die flämische Jugend vor 1980 war enorm.
Eine echte Seltenheit im Gymnasialunterricht: Unter den Autoren der Nachdrucke finden sich der hl. Johannes Chrysostomus, der hl. Gregor von Nyssa und der hl. Gregor von Nazianz, womit P. Geerebaert das herrliche klassische Altgriechisch der großen Kappadozier den Schülern vor Augen führte.
Genauso selten: Ein besonders kritischer flämischer Classicus, vom Zweiten Vatikanischen Konzil und den modernen Jesuiten stark enttäuscht, sagte einmal zu P. Geerebaerts Werk: „Ich habe in 35 Jahren (und bei ca. 10.000 Seiten) nur einmal einen Druckfehler gefunden“. Ein gewaltiges Kompliment.
Die große Leistung von P. Geerebaert wurde im Geiste weitergeführt von Dom Egidius Dekkers OSB in der St. Petersabtei in Steenbrugge, wo die berühmte Textausgabenserie Corpus Christianorum (CC) begründet wurde.
Ab 1980 wurde in Flandern flächendeckend der „moderne Sekundärunterricht“ eingeführt, die Jesuitenschulen voran. Der bescheidene P. Geerebaert SJ wurde vergessen, an erster Stelle von seinem eigenen Orden.
Aber Qualität bleibt und die Geschichte vergißt nicht: Die Wörterbücher von Pater Geerebaert SJ sind seit den frühen 70er Jahren eifrig begehrt und erreichen inzwischen hohe Preise im antiquarischen Buchhandel (soweit etwas angeboten wird, ist es meistens sehr schnell verkauft).
Und nicht zu Unrecht: Am Ende des Vorworts seines lateinischen Wörterbuchs wünscht Pater Geerebaert SJ den Schülern und Studenten viel Ausdauer, Mut und Nicht-Versagen bei schwieriger Arbeit.
Da zitiert er Juvenal, den lateinischen Autor aus dem römischen Kaiserreich, und verweist auf die (inzwischen etwas verblaßte) Golddruckabbildung auf dem Bucheinband mit einer Öllampe aus Pompeji:
Petit hic (opus) laboris atque olei plus.
„Diese Aufgabe braucht mehr schwere Arbeit und mehr Öl (Licht)“
Spätestens hier blitzt der verschmitzte Humor der alten Jesuiten auf.
Das gilt gerade in diesen schwierigen kirchlichen Zeiten auch für jeden von uns.
Bild: MiL
Literatur:
NEVB online: Adhemar Geerebaert.
E. de Strycker: Een groot classicus, E.P. Geerebaert SJ, in Streven (maart 1945), S. 51–61.
Wikipedia Nederlands: Adhemar Geerebaert.
Die flämische Jesuiten haben in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts eine enorme Leistung für den niederländischsprachigen Unterricht in Belgien ( Flanden) gemacht.
Neben Pater Adhemar Geeerebaert SJ sei hier verwiesen nach:
– Pater Evarist Bauwens SJ, Herausgeber von „Zuid en Noord“, der großen Anthologie der niederländischsprachigen Literatur und stil- und leitkulturbildend bis 1970
– P. Lodewijk Brouwers SJ, Autor des „Het juiste Woord“, Thesaurus und Wortfindungsbuch mit 70 000 Eintragungen, mehr dann 10 Auflagen, seit 25 jaar verschwunden aus dem Primärbuchhandel und heißbegehrt im Internethandel mit Preisen bis 250 euro.
Die nachfrage ist viel größer als das Angebot.
– Pater Jozef Verschueren SJ, mit seinen Schulatlanten; viel wichtiger noch mit seinem „Groot geîllusteerd Woordenboek“, niederländischsprachigem Pendant zum französischem Larousse Illustré,und gerade für das flämische Selbstbewußtsein äußerst wichtig.
Verschuerenbesprach viele Worte apart sehr ausführlich und stark profiliert- gerade in den 60er Jahren sehr hellsichtig die modern revolutionäre Strömungen und geisteshaltungen („Nozems“) beschreibend und verurteilend.
Er fürchtete sich nicht, trotz Einwönde seiner Ordensführung und des belgischen modernistisch-belgizistischen Episkopats politisch Flagge zu zeigen: der christlich-demokratische Politiker Theo Lefevre wurde nicht in die Aktuaisierung aufgenommen, weil P. Verschueren „ihn nicht flämisch genug und zu freidenkerisch“ fand (das traf de facto auch zu)
Summa summarum: die flämische Jesuiten bildeten das flämische Volk eingehend im 20. Jhdt und formten mit die flämisch-katholische Identität.
Ab 1966 gerät das Ganze dann durch politischen Wirrwarr und (beabsichtigtes) Stümpern,Untätigkeit der Hirten, totale Verwahrlosung und wenig später fundamental durch Danneel’sches Gutmenschentum und Homo- und Pädosexualisierung total unter die Räder.