Der angekündigte Rücktritt

Ein Brief von Martha Alegria Reichmann zum begonnenen Abschied von Kardinal Maradiaga


Kardinal Maradiaga mit Papst Franziskus. Der honduranische Purpurträger sah sich bereits als Nachfolger auf dem Stuhl Petri, doch nun beginnt sein Abschied vor dem des Papstes.
Kardinal Maradiaga mit Papst Franziskus. Der honduranische Purpurträger sah sich bereits als Nachfolger auf dem Stuhl Petri, doch nun beginnt sein Abschied vor dem des Papstes.

(Tegu­ci­gal­pa) Kar­di­nal Oscar Rodrí­guez Mara­dia­ga, Sale­sia­ner und Erz­bi­schof von Tegu­ci­gal­pa, gehört zum enge­ren Umfeld von San­ta Mar­ta. Sich selbst sah der Hon­du­ra­ner eine Zeit­lang schon als Nach­fol­ger von Papst Fran­zis­kus. Statt­des­sen wur­den Skan­da­le ent­hüllt und zum Jah­res­en­de wird der Kar­di­nal bereits 80 und muß sich auf den Rück­zug vorbereiten.

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Bis 2015 war Kar­di­nal Mara­dia­ga Vor­sit­zen­der der Cari­tas Inter­na­tio­na­lis, der welt­wei­ten Dach­or­ga­ni­sa­ti­on aller Cari­tas­ver­bän­de. Nach wie vor ver­tritt er Mit­tel­ame­ri­ka im Kar­di­nals­rat, der Papst Fran­zis­kus berät, und ist des­sen Koordinator.

Zu den schärf­sten Kri­ti­kern des Kar­di­nals in sei­ner Hei­mat zählt Mar­tha Ale­gria Reich­mann, die Wit­we des ehe­ma­li­gen hon­du­ra­ni­schen Bot­schaf­ters beim Hei­li­gen Stuhl und Autorin des Buches „Hei­li­ger Ver­rat“. In dem Buch ver­öf­fent­lich­te sie ihre Vor­wür­fe gegen Mara­dia­ga, der einst ein gern gese­he­ner Freund der Fami­lie war.

Bei der Chri­sam-Mes­se in sei­nem Erz­bis­tum kün­dig­te Mara­dia­ga am 14. April sei­nen bevor­ste­hen­den Rück­tritt als Erz­bi­schof von Tegu­ci­gal­pa an. Dar­auf reagier­te Ale­gria Reich­mann mit einem offe­nen Brief.

Die Rück­tritts­an­kün­di­gung füh­re zu einer „Explo­si­on von Kom­men­ta­ren gegen den Kar­di­nal, der von der Bevöl­ke­rung weit­ge­hend abge­lehnt wird“, so Ale­gria Reich­mann. „Das Inter­net ist voll von Arti­keln, Vide­os, Inter­views und Kari­ka­tu­ren. Sie betref­fen die Gegen­wart, aber auch die Ver­gan­gen­heit. Die gan­ze Schlech­tig­keit die­ses Kar­di­nals, die seit Anfang der 1980er Jah­re ver­bor­gen blieb, kommt nun ans Licht.“

Staatspräsident Hernández hat den Kardinal ohne Schutz zurückgelassen

Kar­di­nal Mara­dia­ga hat sei­nen Rück­tritt genau zu dem Zeit­punkt ange­kün­digt, an dem der ehe­ma­li­ge Prä­si­dent Juan Orlan­do Hernán­dez an die Ver­ei­nig­ten Staa­ten aus­ge­lie­fert wird, um sich dort wegen Dro­gen­han­dels und ande­rer Ver­bre­chen, die wäh­rend einer von abso­lu­ter Kor­rup­ti­on gepräg­ten Dik­ta­tur began­gen wur­den, zu verantworten.

Rodrí­guez Mara­dia­ga habe, so die Bot­schaf­ters­wit­we, „offen­sicht­lich mit dem Regime kol­la­bo­riert, das Hon­du­ras in einen ‚Dro­gen­staat‘ ver­wan­delt hat.“ Als Vor­sit­zen­der der Bischofs­kon­fe­renz unter­zeich­ne­te er ein Schrei­ben zur Unter­stüt­zung des Staats­streichs von 2009. In Rom lehn­te er dann des­sen Unter­stüt­zung ab, „weil das Regime von der inter­na­tio­na­len Gemein­schaft abge­lehnt wur­de und Rodrí­guez Ambi­tio­nen auf das Papst­tum hatte“.

Der Zeit­punkt für Mara­dia­gas Abschied sei kein Zufall, so Ale­gria Reich­mann. Der Kar­di­nal ver­las­se das Schiff, weil „sein Freund und Kom­pli­ze“ Juan Orlan­do Hernán­dez „nach zwölf Jah­ren dik­ta­to­ri­scher Regie­rung“ abtritt „und ihn ohne Schutz zurückläßt“.

Juan Orlan­do Hernán­dez wur­de 2014 mit knapp 37 Pro­zent der Stim­men zum Staats- und Regie­rungs­chef gewählt. Obwohl die Ver­fas­sung kei­ne direk­te Wie­der­wahl vor­sieht, kan­di­dier­te er erneut und wur­de mit fast 43 Pro­zent wie­der­ge­wählt. Es folg­ten Vor­wür­fe der Wahl­fäl­schung und eine poli­ti­sche Kri­se. Zu die­sen kamen noch Fäl­le tat­säch­li­cher oder ver­meint­li­cher Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen hin­zu. 2018 setz­te er auf Wunsch des Inter­na­tio­na­len Wäh­rungs­fonds (IWF) eine Rei­he von Pri­va­ti­sie­run­gen durch, die als Höhe­punkt einer Poli­tik gese­hen wur­de, die es einer klei­nen Grup­pe von Rei­chen ermög­lich­te, sich auf Kosten der All­ge­mein­heit zu berei­chern, und zu Unru­hen führ­te, die mit Gewalt nie­der­ge­schla­gen wur­den. Eine erneu­te Wie­der­wahl für eine drit­te Amts­zeit war dadurch nicht mehr durchsetzbar.

Am ver­gan­ge­nen 27. Janu­ar ende­te sei­ne Amts­zeit. Seit­her geht es Schlag auf Schlag. 2018 war sein Bru­der wegen orga­ni­sier­ten Koka­in­schmug­gels und Mor­des in den USA fest­ge­nom­men und 2021 zu einer lebens­lan­gen Haft­stra­fe ver­ur­teilt wor­den. Kaum zwei Wochen nach dem Ende sei­nes Man­dats wur­de Mit­te Febru­ar auch Juan Orlan­do Hernán­dez auf Antrag der US-Antidro­gen­be­hör­de ver­haf­tet. Am 16. März 2022 stimm­te der Ober­ste Gerichts­hof von Hon­du­ras sei­ner Aus­lie­fe­rung an die USA zu.

Das Netzwerk

Laut Ale­gria Reich­mann, die Kar­di­nal Mara­dia­ga beschul­digt, ihre Fami­lie um ihre Erspar­nis­se gebracht zu haben, beschul­di­ge das Volk Mara­dia­ga mit den glei­chen Begrif­fen, mit denen es auch Hernán­dez anklagt. Sie sei­en „kor­rupt, unehr­lich, Ver­rä­ter“. Der Kar­di­nal habe zwan­zig Jah­re lang „das schreck­li­che unmo­ra­li­sche Netz­werk geschützt, auch in finan­zi­el­ler Hin­sicht, das von sei­nem ehe­ma­li­gen Weih­bi­schof Juan José Pine­da gelei­tet wur­de“. Dazu gehö­re auch, daß er einen costa­ri­ca­ni­schen Prie­ster in Hon­du­ras ver­steckt habe, der vor der costa­ri­ca­ni­schen Justiz auf der Flucht war, die ihn wegen sexu­el­len Kin­des­miß­brauchs belan­gen wollte.

Mara­dia­ga wer­de, so Ale­gria Reich­mann, auch vom eige­nen Kle­rus abge­lehnt. Die­ser sei aber wei­ter­hin „zum Schwei­gen gezwun­gen“, weil Papst Fran­zis­kus dem Kar­di­nal „offe­nen Schutz gewährt“. Mit Hil­fe der päpst­li­chen Unter­stüt­zung sei­en alle Anschul­di­gun­gen gegen Mara­dia­ga ins Lee­re gegan­gen, viel­mehr sei eine „fik­ti­ve Visi­ta­ti­on“ im Erz­bis­tum Tegu­ci­gal­pa insze­niert und Weih­bi­schof Pine­da damals sogar bestä­tigt wor­den. Andert­halb Jah­re spä­ter war Pine­da auf­grund von Ent­hül­lun­gen, unter ande­rem durch den US-Vati­ka­ni­sten Edward Pen­tin, dann doch zum Rück­tritt gezwun­gen. Der Schutz durch Fran­zis­kus war jedoch so groß, daß Mara­dia­ga sich trotz die­ses Sturms im Amt hal­ten konn­te. Dabei wur­de berich­tet, daß Rodrí­guez Mara­dia­ga seit Jah­ren monat­lich einen auf ihn aus­ge­stell­ten Scheck von 35.000 Euro ver­un­treut, Geld der Katho­li­schen Uni­ver­si­tät von Hon­du­ras. Der Kar­di­nal recht­fer­tig­te sich damit, daß er das Geld für kirch­li­che Pro­jek­te aus­ge­ge­ben habe“, ohne zu sagen, für wel­che, so Ale­gria Reich­mann. Die Sum­me, die der Kar­di­nal „bei­sei­te­leg­te“, habe nach den Ent­hül­lun­gen, die in Hon­du­ras bereits 2016 began­nen, nicht etwa abge­nom­men, son­dern bis 2022 ste­tig zugenommen.

Auf Kar­di­nal Mara­dia­ga konn­te sich Fran­zis­kus stets ver­las­sen, ob es dar­um ging, Kar­di­nal Bur­ke öffent­lich zu knüp­peln oder die Dubia zu Amo­ris lae­ti­tia lächer­lich zu machen. Mara­dia­ga war es auch, der 600.000 Dol­lar bei Geor­ge Sor­os locker mach­te, um 2015 den Papst­be­such bei Barack Oba­ma in den USA zu sponsern.

Laut der Wit­we des ehe­ma­li­gen hon­du­ra­ni­schen Bot­schaf­ters beim Hei­li­gen Stuhl sei der Rück­tritt Pine­das abge­spro­chen gewe­sen, um des­sen Netz­werk am Leben und Mara­dia­ga in Amt und Wür­den zu hal­ten. Der Kar­di­nal erklär­te, von nichts gewußt zu haben. Der Beleg dafür sei, daß Pine­da kei­ne wei­te­ren Kon­se­quen­zen droh­ten.

„Rodrí­guez Mara­dia­ga beging schänd­li­che Miß­bräu­che, indem er meh­re­re Prie­ster absetz­te, nur weil sie sich nicht den Lau­nen sei­nes gelieb­ten Bischofs Pine­da fügten.“

Statt­des­sen hol­te er wie­der­holt zum Rund­um­schlag gegen sei­ne Kri­ti­ker aus und sprach von „fäka­len Netz­wer­ken“. Er ver­tei­dig­te sich wie­der­holt durch Ver­weis auf Papst Fran­zis­kus. So sag­te er zu von ihm kon­trol­lier­ten katho­li­schen Medi­en, der Papst habe sich mit ihm soli­da­ri­siert und gesagt: „Ich bin ver­letzt über all das Böse, das man Ihnen ange­tan hat. Machen Sie sich kei­ne Sorgen.“

Für Ale­gria Reich­mann ist die Wirk­lich­keit eine ande­re: „In dem Inter­view erzähl­te Mara­dia­ga eine Rei­he von Lügen, Belei­di­gun­gen und sogar Ver­leum­dun­gen gegen­über Drit­ten, um sich zu recht­fer­ti­gen. All dies mit einem Kreuz auf der Brust und in der Rol­le des Opfers, und so hat er es geschafft, so vie­le nai­ve Gläu­bi­ge zu täuschen.“

Nun gehe er in den Ruhe­stand, „nach­dem er sein Leben damit ver­bracht hat­te, heim­lich obsku­re Taten zu bege­hen, von denen vie­le von uns nichts wuß­ten oder nur das wuß­ten, was er uns wis­sen las­sen woll­te. Er hat Gutes getan, das läßt sich nicht leug­nen, aber jetzt, da ich das Wesen sei­nes Han­delns ken­ne, kann ich sagen, daß das Gute, das er getan hat, viel­leicht dar­auf abziel­te, Ver­dien­ste für sei­nen Traum anzu­häu­fen, Papst zu wer­den.“ Die­ser Traum hat sich aller­dings zer­schla­gen, nicht nur wegen der Skan­da­le, son­dern wegen der Lang­le­big­keit von Papst Fran­zis­kus. Am kom­men­den 29. Dezem­ber voll­endet Kar­di­nal Mara­dia­ga sein 80. Lebens­jahr und wird aus dem Kreis der Papst­wäh­ler ausscheiden.

Nun set­ze er sich „völ­lig unge­straft“ zur Ruhe, denn an sei­ner Sei­te „bleibt sein wich­tig­ster Freund und Beschüt­zer: Papst Franziskus“.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: MiL/​VaticanNews (Screen­shot)

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