Mauro Faverzani analysiert den verstärkten Drang der EU-Kommission und der Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten, die private Korrespondenz der Bürger zu überwachen, um die öffentliche Meinung kontrollieren zu können. Während der klassische Mediensektor ein Instrument der Meinungskontrolle geworden ist, ist das Internet den Etablierten ein Dorn im Auge. Die Bestrebungen, das Internet unter Kontrolle zu bringen, setzten im November 2016 am Tag nach dem für das Establishment so unerwarteten Wahlsieg von Donald Trump ein. Dabei geht es nicht nur um Überwachung, sondern auch um Lenkung der öffentlichen Meinung. 2020 wurde von BigTech die nächste Stufe aktiviert, die der Zensur, als mitten im Präsidentschaftswahlkampf die einflußreichsten sozialen Netzwerke Inhalte und Botschaften von Trump sperrten. Seither nimmt die Zensur unliebsamer Meinungen immer größere Ausmaße an. Die Zensur wird dabei von privaten Konzernen übernommen, die den Staat entlasten, entbinden und die Rechte der Betroffenen begrenzen. Ob als Begründung für die Verschärfungen in den vergangenen 30 Jahren Steuerhinterziehung, islamischer Terrorismus, Kinderpornographie und nun das Coronavirus herangezogen wird, spielt bestenfalls eine sekundäre Rolle, denn primär dienten und dienen sie als Vorwand für eine generelle Form von Überwachung und Zensur. Es wird ein Instrumentarium geschaffen, das in den falschen Händen verheerend wirken muß.
Von Mauro Faverzani*
In der öffentlichen Meinung wird dies nur unterschwellig wahrgenommen, aber in Wirklichkeit sind unsere Online‑, Telefon- und sozialen Gespräche „überfüllter“, als wir denken. Sender und Empfänger sind nicht allein, auch wenn sie es glauben. Es gibt viele, zu viele Augen und zu viele Ohren, die beobachten und hören, was wir sagen, was wir schreiben, was wir austauschen. Und noch mehr möchten sich hinzugesellen.
Die Entscheidung der EU-Innenminister, die am 12. November in Brdo (Egg bei Krainburg) in der slowenischen Oberkrain zusammentrafen, eine obligatorische Filterung unserer privaten Kommunikation einzuführen, wurde mit einiger Unruhe aufgenommen. Damit wurde der Vorschlag der Europäischen Kommission akzeptiert, die darum gebeten hat, bereits Anfang 2022 einen speziellen Gesetzentwurf zu diesem Thema vorzulegen. Das ist keine politische Fiktion, sondern steht schwarz auf weiß in der Abschlußerklärung des Treffens, das von der slowenischen Ratspräsidentschaft einberufen wurde.
Was würde sich ändern, sollte dieser Gesetzentwurf angenommen werden?
Die Betreiber von Messaging-Diensten wie WhatsApp und anderen wären verpflichtet, einen speziellen Algorithmus zu verwenden, um unsere gesamte Kommunikation, ob verschlüsselt oder unverschlüsselt, automatisch nach privaten Nachrichten und Fotos mit verdächtigem Inhalt zu durchsuchen, insbesondere im Hinblick auf die Bekämpfung der Kinderpornografie, und diese automatisch der Polizei zu melden. Aber wer garantiert, daß neugierige Augen und Ohren nur diese Art von Inhalten überwachen und nicht auch andere?
Patrick Breyer, Europaabgeordneter der Piratenpartei Deutschland, sprach von einem:
„Überwachungswahn: Unsere Smartphones sollen zu Spionen werden und gegen uns verwendet werden. Diese Suche im Nebel wird dem Mißbrauch niemals ein Ende setzen, sondern die Kriminellen nur weiter ins Darknet treiben, was die Strafverfolgung noch schwieriger macht. Ich rufe nun alle Europäer auf, sich diesem beispiellosen Plan zu widersetzen. Daß wir das bisher getan haben, auch durch öffentliche Proteste in der ganzen Welt, hat sich ausgezahlt, wie die Tatsache beweist, daß die Kommission ihre totalitären Pläne bereits mehrmals verschieben mußte. Aber es wird in jeder Hinsicht weitergehen, wenn wir es zulassen.“
Die Haltung der Europäischen Union ist nicht improvisiert und kommt auch nicht von ungefähr: Bereits am 27. Oktober 2020 erschien der Bericht Technology and Democracy: Understanding the Influence of Online Technologies on Political Behaviour and Decision-Making, der von der Gemeinsamen Forschungsstelle (GFS) der Europäischen Kommission veröffentlicht wurde. Der Text zeigt deutlich, wie und in welchem Ausmaß Soziale Netzwerke „die Art und Weise, wie wir Politik erleben, revolutioniert haben, indem sie mehr Bürger in den politischen Prozess einbeziehen und es ermöglichen, daß die Stimmen von Minderheiten gehört werden“. Also alles gut? Nicht ganz.
Der Bericht besagt auch, daß in den Sozialen Netzwerken auch „leicht polarisierende Botschaften und unzuverlässige Informationen“ Verbreitung fänden, was die „Fähigkeit, fundierte politische Entscheidungen zu treffen“, beeinträchtigen würde und „gefährliche Folgen für unsere demokratischen Gesellschaften“ hätte. Sie hätten sogar „ein erhebliches Potenzial, die demokratische Konfrontation zu untergraben“, so der GFS-Bericht.
Es ist klar, dass dieser Happen zu lecker ist, um ihn zu verpassen. So sehr, daß die Studie bereits die Absicht der Europäischen Kommission ankündigte, „einen neuen Aktionsplan für die europäische Demokratie“ zu erstellen: ein Plan, für den die Zeit offensichtlich reif zu sein scheint.
Auch Bruno Breton, CEO von Bloom, einem der führenden Experten für digitale Medien, ist der Meinung, daß „die sozialen Netzwerke – wie er kürzlich gegenüber der Wochenzeitung L’Express erklärte – die Demokratie tiefgreifend verändern“.1
Mit Hilfe der Technologie der „sozialen und semantischen Schlußfolgerung“ analysiert Bloom ständig die Unterhaltungen auf 90 Prozent der weltweiten Plattformen, von Facebook, TikTok und Twitter bis hin zu chinesischen Plattformen wie Weibo, WeChat und Kuaishou, unter „qualitativen, prädiktiven und strategischen“ Gesichtspunkten, um ihren Einfluß auf das tägliche Leben zu überprüfen und auch die Verbrauchergewohnheiten zu beobachten. 97 Prozent der Online-Inhalte bestehen aus ruhigen, friedlichen Gesprächen zwischen Familie, Freunden oder Arbeitskollegen, 80 Prozent der Zeit ohne Verbindung zu Influencern. Aber auch die Sitten, die Sprache und die Werte selbst verändern sich langsam und unaufhaltsam, so wie es beim Fernsehen der Fall war, als das traditionelle europäische Familienmodell allmählich durch das verheerende Modell der „erweiterten“ amerikanischen Familie ersetzt wurde. Heute findet eine neue moralische Revolution statt. In Anbetracht der Präzedenzfälle wäre es ratsam, ihr die nötige Aufmerksamkeit zu schenken, um zu vermeiden, daß der Stall erst dann geschlossen wird, wenn die Ochsen bereits durchgebrannt sind.
*Mauro Faverzani, promovierter Psychologe und Lebensschützer
Übersetzung/Einleitung/Fußnote: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana
1 Bruno Breton hat die Analysetechnologie namens Bloom entwickelt. Sie analysiert Gespräche in sozialen Netzwerken, um neue Trends, Community-Bewegungen und Einflüsse zu erfassen, um zu antizipieren, was in der Welt passieren könnte. Die dadurch gewonnenen Informationen bedeuten Macht und können als Teil der Herrschaftsausübung genützt werden. 2021 unterzeichnete Breton eine Partnerschaft mit Dassault Systèmes, einem französischen Softwarehersteller, der Teil des Industriekonzerns Marcel Dassault mit einem Jahresumsatz von über 40 Mrd. Euro ist. Die beiden Hauptsäulen der Holding sind der Flugzeugbau für die zivile wie die militärische Luftfahrt und die Softwareentwicklung.