
(Rom) In den vergangenen Wochen erhöhte sich die Frequenz, mit der Papst Franziskus das Wort ergriff, um gegen die „Rigiden“, „Starren“ und „Strengen“ anzugehen. Das tat er auch gestern in seiner Predigt zum Hochfest der Apostelfürsten Petrus und Paulus, einem Tag, der im Leben der Kirche von besonderer Bedeutung ist, wie es durch die Priesterweihen unterstrichen wird, die traditionell weltweit an diesem Tag stattfinden, und durch die Überreichung der Pallien an die Metropoliten.
„Befreiung“, „befreit“, „frei sein“, „freisetzen“, ganze 40 Male gebrauchte Franziskus diese Wörter. Die marxistischen Theologen, geprägt in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts, fanden sich im Begriff „Befreiungstheologie“ wieder, der 1971 vom peruanischen Dominikaner Gustavo Gutiérrez geprägt wurde. Von dieser sprach Franziskus nicht, dennoch werden die Anhänger dieser 1984 vom Heiligen Stuhl in der Instruktion Libertatis nuntius verurteilten Strömung Genugtuung darüber empfinden.
Vielmehr sprach Franziskus über ein Thema, das sein Pontifikat wie ein roter Faden durchzieht und in jüngster Zeit von ihm verstärkt aufgegriffen wird. Er predigte über den „starren“ und „fundamentalistischen“ Saulus, der zum Apostel Paulus wurde. Bemerkenswert ist weniger diese bekannte, durch Christus gewirkte Wandlung, sondern die Art der Darstellung durch das Kirchenoberhaupt und die dazu genutzte Wortwahl. Sie offenbart eine Übertragung und die Gleichsetzung mit der aktuellen Situation.
Eine statistische Erfassung der Ansprachen von Papst Franziskus würde unschwer ein Feindbild erkennbar werden lassen, dem er auch gestern einen ganzen Absatz seiner Predigt widmete:
„Auch der Apostel Paulus erlebte diese Befreiung durch Christus. Er wurde von der bedrückendsten Sklaverei befreit, nämlich der seines eigenen Ichs, und aus Saulus, das ist der Name des ersten Königs von Israel, wurde Paulus, was „Kleiner“ bedeutet. Er wurde auch von dem religiösen Eifer befreit, der ihn zu einem glühenden Verfechter der überkommenen Traditionen gemacht hatte (vgl. Gal 1,14) und zu einem gewalttätigen Verfolger der Christen. Er wurde befreit. Die formale Befolgung der Religion und die verbissene Verteidigung der Tradition hatten ihn starr werden lassen, anstatt ihn für die Liebe zu Gott und zu seinen Brüdern und Schwestern zu öffnen: Er war ein Fundamentalist. Davon hat Gott ihn befreit; zugleich aber verschonte er ihn nicht vor vielen Schwächen und Schwierigkeiten, die seinen Evangelisierungsauftrag fruchtbarer machten: vor den Mühen des Apostolats, vor körperlichen Gebrechen (vgl. Gal 4,13–14), vor Gewalt, Verfolgung, Schiffbruch, Hunger und Durst und, wie er selbst erzählt, vor einem Stachel im Fleisch, der ihn plagte (vgl. 2 Kor 12,7–10).“
Das Feindbild ist der „Verfechter der überkommenen Traditionen“, der durch eine „verbissene Verteidigung der Tradition“ sich nicht „für die Liebe“ zu Gott uns seinen Brüdern „öffnen“ kann und „starr“ wird. Laut Franziskus wird so jemand zum „Verfolger“ (der Christen) samt der Totschlagvokabel vom „Fundamentalisten“, um den es sich dabei handle.
Apropos „gewalttätige Verfolger der Christen“: Die marxistischen Befreiungstheologen wie der Schweizer Kapuziner P. Walbert Bühlmann rechtfertigten in den 80er Jahren die Kirchenverfolgung durch sozialistische Regime wie zum Beispiel in Mosambik und Nikaragua. Der exkommunizierte spanische Priester Manuel Perez Martinez, der Oberkommandant der marxistischen Guerillaorganisation ELN, ist verantwortlich für die Ermordung von Bischof Jesus Emilio Jaramillo Monsalve in Kolumbien 1989. Das tödliche Attentat auf den Rechtsphilosophen Carlos Alberto Sacheri in Buenos Aires 1974 war mit großer Wahrscheinlichkeit ein Racheakt für Sacheris Buch „Iglesia Clandestina“ über die marxistische Infiltration der Kirche. Die Kritik Sacheris traf vor allem die Priesterbewegung für die Dritte Welt, die ein Vorläufer der Befreiungstheologie war.
Neben der vordergründigen Darstellung gibt es noch eine andere Botschaft von Papst Franziskus, die sich durch die Wortwahl ergibt, die er gebrauchte. Der Beleg ist durch einen einfachen Vergleich zu erbringen. Beim anschließenden Angelus auf dem Petersplatz übermittelte das Kirchenoberhaupt seinem Vorgänger Grüße zu dessen 70. Priesterjubiläum. Hätte Benedikt XVI. in einer Predigt die Bekehrung des Saulus so dargestellt?
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va (Screenshot)
Da steht einem doch glatt der Mund offen. Saulus wurde von Gott vom Fundamentalismus befreit und wurde so zum Paulus. Da muss Franziskus doch glatt einiges durchgegangen sein beim Lesen der Paulus-Briefe. Zu denken wäre beispielsweise an diverse Feststellungen des hl. Paulus zur Unzucht, etwa zwischen Männern, also zu homosexuellen Handlungen. Diese Aussagen sind ja extrem eindeutig. Rigide, starr, streng? Fundamentalismus? Nicht wenige sagen: ja.
So ein Schwachsinnn – noch schlimmer: eine Verleumdung! – Bruder Walbert als Marxisten zu bezeichnen.…
Die Aussage ist leider weder „Schwachsinn“ noch „Verleumdung“: Der Autor dieser Zeilen machte 1986 persönlich in einer öffentlichen Diskussion P. Walbert Bühlmann auf die Kirchenverfolgung durch die von ihm gelobten sozialistischen Regime in der damals sogenannten Dritten Welt aufmerksam. Er antwortete dreist, daß der Vorwurf an diese Regime nicht stimme, denn jene, die verfolgt werden, seien keine wahren Christen, denn die wahren Christen stünden auf der Seite der Regime. Ich denke, das genügt.
Aus heutiger Sicht schwer vorstellbar, doch so war das Denken bestimmter katholischer Kreise, damals, vor dem Zusammenbruch des kommunistischen Ostblocks und dem Ende der Sowjetunion. Und ich fürchte, daß es heute (P. Walbert R.I.P.) leider nicht anders ist: Die Verpackung hat sich geändert, aber nicht der Inhalt.