Vorbemerkung: Die Autorin wandte sich im März alarmiert an einen Kontakt im deutschen Sprachraum, um auch die deutschsprachige Welt vor den Konsequenzen der „Hirntod“-Gesetzgebung zu warnen. Wenn der betreffende Vorstoß von Protagonisten des Hirntodes in den USA, Lewis/Pope u. a., zum Gesetz werde, dann würden sich die Folgen wie Covid-19 in der ganzen Welt ausbreiten. Gott möge das verhüten, wie die Autorin schrieb. Sie legt im folgenden Aufsatz die Problematik des „Hirntodes“, die – nicht immer klar zum Ausdruck kommende – Position der Kirche und den geplanten Gesetzesvorstoß dar.
Hirntod: Was Katholiken wissen sollten
Von Dr. Doyen Nguyen und Dr. Joseph M. Eble
Hirntod, die Bestätigung des Todes durch neurologische Kriterien, ist eine eingesessene gerichtsmedizinische Praxis in den USA und vielen Ländern der Erde. Das Ad-hoc-Komitee der Harvard Medical School führte 1968 den Hirntod durch die Definition „irreversibles Koma als neues Kriterium für den Tod“ (Einleitungsparagraph des Reports) ein. Hirntod ist seitdem eine kontroverse Frage. Daß hirntote Organspender die hauptsächliche Quelle für Organtransplantationen sind, hat die Kontroverse weiter befeuert, wie man an der zunehmenden Zahl von Gerichtsprozessen erkennen kann, die die Legitimität des Hirntodes in Frage stellen. Ein bekanntes Beispiel ist der Fall McMath.
Die Hirntodkontroverse ist aus zwei Gründen von großer Wichtigkeit. Erstens scheint es, daß die Kirche durch Papst Johannes Paul II. den Hirntod als gültiges Kriterium für die Bestimmung des Todes akzeptiert hat. Zweitens wird zugunsten einer Änderung des geltenden Gesetzes (Uniform Determination of Death Act) agitiert, sodaß Familien von einer Infragestellung der Gültigkeit des Hirntodkriteriums ausgeschlossen werden. Wir werden uns auf diese Aspekte des Hirntodes konzentrieren, die am meisten für Katholiken relevant sind, und unsere Erörterung auf der Evidenz der Fakten und den Prinzipien katholischer Anthropologie aufbauen.
Was ist der Tod und was ist Hirntod?
Obwohl man über den Hirntod gehört haben mag, haben viele kein klares Bild davon und glauben, daß Hirntod dasselbe ist wie Tod (das irreversible Ende aller vitalen Funktionen, wie es mittels traditioneller Kriterien im Bereich von Herz und Lunge bestimmt wird). Der direkteste Zugang, den Hirntod zu verstehen, ist ein Vergleich mit dem Tod selbst. Der Tod ist: (1) ein metaphysisches Ereignis – nämlich die Trennung der Seele vom Leib –, das, wie Johannes Paul II. aufwies, „keine wissenschaftliche Technik oder empirische Methode direkt identifizieren kann“, und (2) ein biologisches Phänomen, nämlich der natürliche Prozeß der körperlichen Auflösung des Leichnams. Dieser Prozeß, der sofort nach dem metaphysischen Ereignis des Todes beginnt, stellt die unaufhaltsame Entropie dar, die von keiner technologischen Intervention umgedreht werden kann.
- Es ist von der Spezies unabhängig und gilt für andere warmblütigen Säugetiere, so wenn wir sagen „unser Cousin starb“, meinen wir dieselbe Sache, wie wenn wir sagen „unser Haushund starb“.
- Es gibt mehrere erkennbare Zeichen, die den Tod eines warmblütigen Lebewesens anzeigen. Zusätzlich zum völligen Aufhören aller vitalen Körperfunktionen ohne Möglichkeit der Wiederbelebung ist eines der am frühesten erkennbaren Zeichen der Auflösung des Körpers der steile Fall der Temperatur des Leichnams auf das Niveau der Umgebungstemperatur. Das schnelle Abfließen des Blutes von den oberflächennahen Kapillaren in die tiefen Venen macht die Haut grau und leblos. Andere Anzeichen des Todes, nämlich livor mortis (Totenfleck) und rigor mortis (Totenstarre) setzen innerhalb weniger Stunden ein.
Indem der Harvard Report von 1968 irreversibles Koma als neues Kriterium für den Tod definierte, brachte er die folgenden diagnostischen Kriterien für Hirntod: (I) „völliges Ausbleiben von Reaktionen“ sogar bei den schmerzhaftesten Stimuli; (II) keine Spontanatmung, wie durch den Apnoe-Test dokumentiert; (III) „keine spontanen Muskelbewegungen“; (IV) keine Reflexe, d. h., Hirnstammreflexe sind abwesend, plus „als Regel, die Strecksehnenreflexe können nicht ausgelöst werden“; und (V) ein flaches Enzephalogramm (EEG). Man beachte, daß beim Hirntod der Tod nur auf der Basis der Abwesenheit jener Gehirnfunktionen, die klinisch getestet werden können, bestimmt wird und nicht auf der Basis der Beendigung aller vitalen Funktionen.
Im Jahr 1981 unterstützte die Präsidentenkommission für Studien zu ethischen Problemen in Medizin und Forschung in Biomedizin und Verhalten den Hirntod durch Promulgation des UDDA (Uniform Determination of Death Act, Gesetz über die einheitliche Bestimmung des Todes). Der UDDA macht den Hirntod legal und stellt ihn auf dieselbe Stufe mit dem traditionellen Herz-Lungen-Tod. Er definiert Hirntod als „unumkehrbare Beendigung aller Funktionen des gesamten Hirns, einschließlich des Hirnstammes.“
Im Lauf der Jahre wurden die originalen Diagnosekriterien für Hirntod modifiziert, sodaß gemäß den aktuellen Richtlinien der Amerikanischen Akademie für Neurologie (seit 1995 in Wirkung und 2010 aktualisiert)
- eine neurologische Untersuchung am Krankenbett ausreichend zur Bestimmung des Hirntodes ist; EEG und eine Untersuchung des Flusses des Gehirnblutes sind nicht erforderlich;
- normaler Blutdruck und Abwesenheit von Diabetes insipidus (die beides Anzeichen von weitergehender Absonderung des Antidiuretischen Hormons [ADH] durch die Hypothalamus-Hypophysen-Achse sind) Hirntod nicht ausschließen;
- spontane Bewegungen und Streckreflexe der Gliedmaßen, genauso wie Tränenabsonderung, Schwitzen, Erröten, Herzrasen und plötzliche Blutdruckerhöhung der Diagnose Hirntod nicht widersprechen. Für Vertreter der Hirntod-Theorie sind alle diese Zeichen unerheblich, weil sie vom Rückenmark kommen.
Conrado Estol, ein Neurowissenschaftler und Teilnehmer der Arbeitsgruppe Die Anzeichen des Todes (2006), die von der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften unterstützt wurde, bekräftigt, daß spontane Bewegungen und Reflexe
„bei etwa 80% der Patienten bis zu 200 Stunden nach der Hirntoddiagnose vorkommen. (…) Bewegungen werden am Operationstisch während der Organentnahme beobachtet. (…) In diesem Zusammenhang ist Tod nicht synonym für Bewegungslosigkeit und Bewegungen werden bei Patienten mit einer rezenten Diagnose Hirntod beobachtet.“
An diesem Punkt kann der Leser den Unterschied zwischen Tod und Hirntod erkennen und den Einwand erheben, daß ein Körper, der schwitzt, errötet und sich bewegt, in Wirklichkeit nicht tot ist. Es ist gar nicht unüblich, daß hirntote Organspender Narkose und Beruhigungsmittel erhalten, um Bewegungen während der Organentnahme zu verhindern. Wenn wir vergleichen (I) den hirntoten Leib eines Organspenders kurz vor der Organentnahme, (II) einen lebenden Patienten und (III) den Leichnam eines Patienten, dessen Tod mit dem traditionellen Herz-Lungen-Kriterium festgestellt wurde, dann ist es evident, daß der hirntote Patient, mit Ausnahme des tief komatösen, alle Züge mit dem Lebenden teilt, einschließlich ein schlagendes Herz, warme Haut und funktionierende vitale Organe, wie Leber und Nieren, neben anderen.
Darüber hinaus gibt es viele Berichte von Patienten, die für tot erklärt wurden, weil sie die Diagnosekriterien für Hirntod erfüllten, die aber lange weiterlebten. Zwei der am meisten publizierten Fälle sind TK und Jahi McMath. TK (nach dem Bericht in Alan Shewmons Serie über Patienten mit „chronischem Hirntod“) wurde im Alter von viereinhalb Jahren als Folge einer plötzlich ausbrechenden Haemophilus-influenzae-Gehirnhautentzündung als hirntot diagnostiziert. Er lebte aber noch zwanzigeinhalb Jahre. McMath wurde im Alter von 13 Jahren von zwei Neurologen und einem Intensivmediziner für hirntot erklärt, lebte aber bis zum Alter von 17 Jahren. Bei beiden ereignete sich normales körperliches Wachstum, bei McMath auch das Einsetzen der Pubertät, einschließlich Menstruation. Bei TK gab es keine Pubertät, da die Gehirnhautentzündung sein Gehirn komplett zerstört hatte. Bei der Autopsie war das, was man innerhalb des Schädels fand, kein Gehirn, sondern eine verkalkte kugelförmige Masse, etwa zehn Zentimeter im Durchmesser und ohne erkennbare Nervenstrukturen, weder grobe noch mikroskopische.
In Summe: Das biologische Phänomen der körperlichen Auflösung, die unvermeidlich dem metaphysischen Ereignis des Todes (Trennung der Seele vom Leib) folgt, fehlt regelmäßig beim Hirntod, bevor den Patienten Organe entnommen werden oder lebenserhaltende Maßnahmen ganz beendet werden. Man argumentiert immer wieder, daß hirntote Patienten wirklich tot seien und nur lebendig erschienen, weil der Tod durch medizinische Interventionen, besonders die Beatmung, verdeckt werde. Aber die Behauptung, daß ein technisches Gerät die Auflösung des Körpers tarnen könnte, widerspricht dem Prinzip von verhältnismäßigen Ursachen und Wirkungen, gemäß dem eine Ursache nichts hervorbringen könne, das sie nicht in sich selbst enthält. Das Beatmungsgerät kann nur Luft in die Lungen blasen und aus diesen absaugen. Es kann nicht den Austausch von Sauerstoff und Kohlendioxid in den Lungen auslösen, geschweige denn eine unermeßliche Zahl integrativer Körperfunktionen wie Blutkreislauf, Nierentätigkeit, Immunfunktion und verschiedene Selbstregulationen. Wenn das Beatmungsgerät wirklich den Tod verdecken könnte, dann würde es ja, wenn man es an einen kalten, grauen Leichnam einer soeben gemäß dem Herz-Lungen-Kriterium verstorbenen Person anschließt, den Leichnam warm und rosig erscheinen und vieler vegetativer Funktionen fähig erscheinen lassen. Wie der gesunde Menschenverstand sofort erkennt, würde das aber nicht eintreten.
Die Stellungnahme von Johannes Paul II. zu den neurologischen Kriterien zur Todesbestimmung
Die Ansprache von Johannes Paul II. an den 18. Internationalen Kongreß der Transplantationsgesellschaft im Jahr 2000 war das einzige Mal, daß das kirchliche Lehramt ausdrücklich zur Frage des Hirntodes sprach. Die erste Frage, die wir uns stellen müssen, ist: In welche Kategorie in der Hierarchie des ordentlichen Lehramtes gehört diese Ansprache? Wie in Donum Veritatis [Geschenk der Wahrheit] festgestellt, gibt es im ordentlichen Lehramt mehrere Abstufungen, von der höchsten (z. B. Enzykliken), „wenn das Lehramt ‚in definitiver Form‘ Wahrheiten zu Glauben und Moral vorlegt“, zu den niedrigsten, also „Interventionen in Fragen der klugen Vorgangsweise, [bei denen] manche lehramtlichen Dokumente nicht von jeglichem Mangel frei sein könnten“, weil die Komplexität der betreffenden Materie nicht ausreichend in Betracht gezogen wurde.
Um daher „den Autoritätsgrad der Interventionen des Lehramtes präzise zu bewerten“, muß man „die Natur der betreffenden Dokumente, die Intensität, mit der eine Lehre wiederholt wird, und die Art und Weise, in der sie ausgedrückt wird“ genau betrachten. In dieser Hinsicht gehört die Ansprache von Johannes Paul II. im Jahr 2000 zur Kategorie von Interventionen im Bereich der klugen Vorgangsweise. Es ist zu beachten, daß seine Stellungnahme zum Hirntod (Artikel 5 der Ansprache) das einzige Mal in den Lehren des Magisteriums vorkommt. Diese Stellungnahme wird weder in der Botschaft von Johannes Paul II. an die Teilnehmer der Konferenz Die Anzeichen des Todes (ausgerichtet von der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, 2005) noch in der Ansprache von Benedikt XVI. Eine Gabe für das Leben: Erwägungen zur Organspende (2008) erwähnt.
Die Schlüsselpassagen der Ansprache von Johannes Paul II. werden hier zu Diskussionszwecken wiedergegeben:
- Artikel 4: Lebenswichtige Organe, die als einzelne im Körper vorhanden sind, können nur nach dem Tod entfernt werden, d. h., vom Körper jemandes, der sicherlich tot ist. … Der Tod der Person ist ein einmaliges Ereignis, das in der völligen Auflösung des einheitlichen und integrierten Ganzen besteht, das das personale Selbst ist. Er ist die Folge der Trennung des Lebensprinzips (oder Seele) von der körperlichen Wirklichkeit der Person. … [Er] ist ein Ereignis, das keine wissenschaftliche Technik oder empirische Methode direkt identifizieren kann. … Sobald der Tod eintritt, folgen unvermeidlich bestimmte biologische Anzeichen … [die zeigen,] daß eine Person wirklich gestorben ist.
- Artikel 5: Seit einiger Zeit verlegte der wissenschaftliche Zugang zur Bestimmung des Todes den Schwerpunkt von den traditionellen Herz-Lungen-Anzeichen zum sogenannten „neurologischen“ Kriterium. Dieses besteht spezifisch darin, das völlige und irreversible Aussetzen aller Gehirnaktivitäten gemäß klar definierter Parameter, die von der internationalen Gemeinschaft der Wissenschaftler übereinstimmend akzeptiert werden, festzustellen. … Man kann sagen, daß das Kriterium, das in jüngerer Zeit zur Bestimmung des Todes übernommen wurde, nämlich das völlige und irreversible Aussetzen aller Gehirnaktivitäten, wenn richtig angewendet, nicht im Widerspruch zu den wesentlichen Elementen einer gesunden Anthropologie steht.
Viele katholische Wissenschaftler konzentrieren sich nur auf Artikel 5, vor allem auf die kurze und künstliche Stellungnahme „das völlige und irreversible Aussetzen aller Gehirnaktivitäten, wenn richtig angewendet, steht nicht im Widerspruch zu den wesentlichen Elementen einer gesunden Anthropologie“, und interpretieren sie als die definitive Zustimmung des Lehramts zum neurologischen Kriterium für die Bestimmung des Todes.
Der Artikel 5 muß jedoch im Kontext der gesamten Ansprache gelesen werden. Im Artikel 3 behandelt der Papst die Würde des Menschen und hält fest, daß der Leib nicht als Rohstoff behandelt werden darf („lediglich ein Komplex von Gewebe, Organen und Funktionen“). Im Artikel 4 betont der Papst die Notwendigkeit der Versicherung, daß die Person wirklich tot ist (erkennbar durch die biologischen Zeichen körperlicher Auflösung), bevor man zur Entfernung von Organen übergeht, da ja die Entfernung nicht paarweise angelegter vitaler Organe (konkret des Herzens) den Tod nach sich zieht.
Eine kritische Überprüfung der Stellungnahme von Johannes Paul II. zum Hirntod offenbart, daß die angebliche definitive Zustimmung eigentlich eine bedingungsweise Zustimmung ist. Das wird klar durch (I) den Gebrauch der Konjunktion „wenn“, zuzüglich zum Verb „scheinen“, was ein bestimmtes Maß an Vorsicht ausdrückt, und (II) die drei in der Stellungnahme genannten Voraussetzungen oder Bedingungen, die für die Schlußfolgerung (also die Zustimmung zum Hirntodkriterium) alle wahr bzw. erfüllt sein müssen. Erstens setzt der Papst voraus, daß der Hirntodstandard durch „klar definierte Parameter, die von der internationalen Gemeinschaft der Wissenschaftler übereinstimmend akzeptiert werden“, etabliert wurde, wobei der Ausdruck „Parameter“ sich auf die diagnostischen Tests, die für die Feststellung des Hirntods gebraucht werden, bezieht. Diese Parameter wären nur dann klar definiert, wenn man sie einer strengen wissenschaftlichen Überprüfung unterzogen hätte. Eine solche Untersuchung hat aber niemals stattgefunden, weder vor noch nach der Einführung des Hirntodes in die klinische Praxis. Die Parameter werden auch nicht allgemein anerkannt: Es gibt keinen Konsens bezüglich der diagnostischen Tests, sondern eher eine Verwirrung in den Praktiken bei signifikanten Unterschieden auf allen Gebieten, besonders bezüglich des Apnoe-Tests, des wichtigsten Tests für die Feststellung des Hirntodes. Die Publikationen der Pro-Hirntod-Wissenschaftler anerkennen dieses Fehlen des Konsenses, z. B. „Brain Death Worldwide: Accepted Fact but No Global Consensus in Diagnostic Criteria” (Wijdicks, Neurology, 2002); “Variability of Brain Death Determination Guidelines in Leading US Neurologic Institutions” (Greer et al., Neurology, 2008); und, ganz aktuell, “Worldwide Variance in Brain Death/Death by Neurologic Criteria” (supplement 1 to Greer et al., JAMA, 2020).
Zweitens beruht die Zustimmung von Johannes Paul II. zum Hirntod auf der Bedingung, daß das neurologische Kriterium streng angewandt wird. Ohne Überprüfung und Konsens bezüglich der diagnostischen Parameter kann man aber nicht zu einer strengen Anwendung gelangen. Darüber hinaus sind die üblichen Parameter (gemäß den Richtlinien der AAN, American Association of Neurologists) ungeeignet für die Bestimmung des irreversiblen Verlustes von allen Gehirnfunktionen, weil sie aus klinischen Tests am Krankenbett bestehen, die nur die Stammhirnfunktion anzielen. Es ist daher gar nicht so selten, daß Patienten, die die Hirntod-Parameter gemäß der Krankenbett-Tests erfüllten, das Antidiuretische Hormon (ADH) produzierten und/oder beim EEG elektrische Gehirnaktivitäten zeigten.
Auf der Bedingung der strengen Anwendung ist die dritte und wichtigste Voraussetzung des Papstes aufgebaut, nämlich, daß das Hirntodkriterium „nicht mit den wesentlichen Elementen einer gesunden Anthropologie im Widerstreit liegt“. Die in Frage stehende Anthropologie ist die christliche Anthropologie, die auf der aristotelisch-thomistischen Lehre vom Hylemorphismus (die Sicht der menschlichen Person als Substanz) aufbaut, gemäß der der Mensch eine substantielle Union von Stoff (Körper) und Form (Seele) ist. In der Summa theologiae I, q. 76., a. 1, heißt es:
„Nun ist offenbar das Erste, vermittelst dessen der Körper Leben hat, die Seele. Und da das Leben verschiedenen Stufen gemäß sich offenbart, so ist die Seele jenes Moment, wodurch in erster Linie das lebende Wesen gemäß der ihm eigenen Seinsstufe thätig ist. Denn die Seele ist für uns das Princip, wodurch wir uns nähren, empfinden, von Ort zu Ort uns bewegen und zu allererst, wodurch wir geistig erkennen“ [dt. Version nach BKV).
Diese verschiedenen Tätigkeiten des Lebens manifestieren die drei fundamentalen Fähigkeiten (Kräfte) der menschlichen Seele – vegetativ, sensitiv (sensorisch-motorisch) und rational –, die untereinander in einer strengen ontologischen Hierarchie stehen, in der die „niedrigere“ Kraft die Vorbedingung für die höhere Kraft ist.
Daraus folgt: Wenn es keine feststellbaren Manifestationen der höchsten (also der rationalen) Fähigkeit gibt, kann die Gegenwart der Seele doch durch Manifestationen ihrer niedrigsten, aber grundlegendsten Kraft festgestellt werden, nämlich der vegetativen Kraft, die in und durch zahlreiche integrative vegetative Funktionen, die zusammenwirken, um den Leib als Einheit zu erhalten, ausgedrückt wird.
Daß die Seele das erste Prinzip ist, durch das der Leib lebt, bedeutet, daß die Seele den Leib zu dem macht, was er ist, und ihn als Einheit erhält. Die substantielle Einheit von Seele und Leib bedeutet, daß die Seele „notwendigerweise im ganzen Leib und in jedem seiner Teile ist“. Daraus folgt:
„Nach dem Weggang der Seele behält kein Teil des Leibes seine ihm eigene Handlung“ (S. th. I, q. 76, a. 8).
Johannes Paul II. bestätigt diesen Punkt, indem er sagt:
„Der Tod ist ein einmaliges Ereignis, das in der Auflösung jenes einheitlichen und integrierten Ganzen, das das personale Selbst ist, besteht.“
Anstatt jedoch der Auflösung zu unterliegen, zeigen hirntote Patienten viele integrative vegetative Funktionen, einschließlich des Kreislaufes, der Erhaltung der Körpertemperatur, der Aufnahme von Nährstoffen, der Ausscheidung u. a. Sind das nicht Anzeichen der vegetativen Kraft der menschlichen Seele? Viele hirntote Patienten zeigen auch spontane Bewegungen und Reflexe. Sind das nicht Anzeichen der sensorisch-motorischen Kraft der menschlichen Seele? Die Wirklichkeit beim Hirntod widerlegt die Behauptung, daß das neurologische Kriterium mit der kirchlichen Anthropologie übereinstimmen würde.
Da keine der drei Voraussetzungen in der Stellungnahme des Papstes zutrifft, kann man eben nicht sagen, daß das Lehramt dem Hirntodkriterium die Zustimmung erteilte. Es zeigt sich, daß der Papst zur Zeit seiner Ansprache Schlüsselinformationen über den Hirntod nicht besaß, besonders diese: (I) die Richtlinien der American Association of Neurologists (seit 1995 bekannt), gemäß denen trotz spontaner Bewegungen, weitergehender ADH-Produktion und weiterer Körperaktivitäten der Tod festgestellt werden kann; und (II) die dem Hirntod zugrundeliegende philosophische Meinung (seit 1981 bekannt), gemäß der das Gehirn der entscheidende Haupt-Organintegrator des Leibes sei, ohne den die menschliche Person tot ist.
Diese Meinung widerspricht der kirchlichen Anthropologie, nach der die Seele (und nicht das Gehirn) das Prinzip ist, das den Leib mit Leben erfüllt, ihn zusammenhält und ohne die die Person tot ist. Sie widerspricht auch dem bekannten Doppelaxiom vom „Ganzen und den Teilen“, nach dem das organische Ganze größer ist als die Summe seiner Teile und diesen ontologisch vorausgeht. Daher kann kein Teil für sich selbst geradestehen, geschweige denn für das organische Ganze. Da jede menschliche Person ihr Leben als einzellige Zygote beginnt und sich zum Embryo entwickelt, bevor sie ein Gehirn erwirbt, ist die Beziehung des Gehirns zum Leib (zur menschlichen Person) diejenige eines Teils zu dessen größerem Ganzen, weil das Gehirn, wie jedes andere Organ oder Teil, erst dann zu existieren beginnt, nachdem die Person zu existieren begonnen hat.
Kurz gesagt, das Gehirn kann nicht für die Integration und das Leben des organischen Ganzen, aus dem es sich entwickelt, verantwortlich sein.
Der Vorstoß, die Richtlinien der AAN zur Hirntod-Gesetzgebung zu machen
Der Tod betrifft jedes Mitglied der Gesellschaft. Dennoch war die große Öffentlichkeit vom Entscheidungsprozeß, der zum Inkrafttreten des UDDA führte und damit den Hirntod als legale Todesdefinition gemeinsam mit dem traditionellen Herz-Lungen-Tod einführte, ausgeschlossen. Angesichts eines steigenden öffentlichen Bewußtseins zum Hirntod und seiner Verbindung zur Organtransplantation steigt jedoch der Widerstand gegen die Hirntod-Definition auf Seiten der Familien der jeweiligen Patienten, Gerichtsprozesse zum legalen Status des Hirntodes nehmen zu. Die Beschwerden der Familien teilen sich in drei Kategorien auf:
- Die Bestimmung des Hirntodes (die den Diagnoserichtlinien der AAN folgen) erfüllt nicht die rechtlichen Anforderungen im UDDA. Der UDDA definiert den Hirntod als „das irreversible Aussetzen aller Funktionen des gesamten Gehirns“; aber die Richtlinien der AAN bestehen darauf, daß die Produktion von ADH durch das Gehirn mit dem Hirntod kompatibel sei. Darüber hinaus zeigen Studien, daß bei einigen Patienten, die die klinischen Kriterien für den Hirntod erfüllt haben, das EEG beständige Gehirnaktivität anzeigte. Dennoch bezeichnen die Richtlinien der AAN den EEG-Test als optional oder unnotwendig, was die Sicherheit in der Feststellung des irreversiblen Aufhörens aller Funktionen des gesamten Gehirns ja wohl nur mindern kann.
- Konsens ist vor der Durchführung von Hirntodtests verlangt, besonders beim Apnoe-Test, bei dem der Patient für eine bestimmte Zeit vom Beatmungsgerät getrennt wird: Wenn keine Spontanatmung einsetzt, besteht der Patient den Apnoe-Test nicht. Dieses Testverfahren kann den Komapatienten schaden, weil es verschiedene Komplikationen verursachen kann: Herzstillstand, Blutdruckabfall und starke Hirnschwellungen. Dennoch argumentieren Hirntod-Vertreter, daß Konsens nicht verlangt sei, denn: (a) Das hirntote Individuum sei tot und keinerlei Konsens solle für eine Maßnahme an einem Leichnam verlangt sein. Und (b) Konsens zu verlangen laufe auf eine Erlaubnis für die betreffenden Familien hinaus, eine Hirntoddiagnose nicht anzuerkennen.
- Religiöser Einwand gegen eine Todesfeststellung auf der Basis einer Hirntoddiagnose.
Der Hauptgrund für den Widerstand von Familien gegen das Hirntodkriterium ist die Tatsache, daß ihre lieben Angehörigen immer noch viele Lebenszeichen zeigen, obwohl sie tot erklärt worden sind. Aber die Vertreter des Hirntodes bestehen darauf, daß solch ein Widerstand durch Unterschiede in den Hirntodgesetzen unter den US-Bundesstaaten verursacht werde (aber alle 50 Staaten haben den UDDA anerkannt) und daß die Ursache für solche Unterschiede der UDDA selbst sei. Daher schlugen im Jänner 2020 führende Mitglieder der AAN einen „revidierten UDDA“ vor (Lewis et al., “It’s Time to Revise the Uniform Determination of Death,” Annals of Internal Medicine). Eine detaillierte Kritik dieses Vorschlags findet sich in „Does the Uniform Determination of Death Act Need to Be Revised?” (Nguyen, The Linacre Quarterly, 2020).
Die drei wichtigsten Punkte des Vorschlags sind: (I) Die Hirntoddefinition im UDDA wird so geändert, daß sie den Richtlinien der AAN genau entspricht, (II) Konsens ist für die Durchführung von Hirntod-Tests nicht verlangt, und (III) Vorkehrungen werden für die Akzeptanz künftiger Änderungen der Richtlinien der AAN getroffen. Kurz gesagt, die Strategie im vorgeschlagenen „revidierten UDDA“ besteht darin, daß das Gesetz zum Hirntod zugunsten der Richtlinien der AAN manipuliert werden kann. Dieser Vorschlag wurde offiziellen Autoritäten für weitere Beratungen übermittelt. Wenn er zum Gesetz werden sollte, wird er die Familien von Einwänden gegen Hirntod-Testungen oder Hirntod-Diagnosen ausschließen und dadurch alle möglichen Gerichtsprozesse vereiteln.
Schlußfolgerung
Dieser Aufsatz präsentierte die relevantesten Informationen zum Hirntod, von denen die meisten nach unserem Kenntnisstand der allgemeinen Öffentlichkeit, einschließlich Katholiken, nicht zugänglich gemacht wurden. Wir haben ausführlich dargelegt, sowohl empirisch als auch philosophisch, daß der Hirntod nicht dasselbe ist wie der Tod an sich (Tod als Trennung der Seele vom Leib mit den folgenden biologischen Anzeichen körperlicher Auflösung verstanden).
Die Frage nach dem Hirntod ist von praktischer Bedeutung, da die meisten Leute einen Führerschein besitzen. Wenn sie diesen Schein erwerben, können sie wählen, ob sie ein Organspender werden möchten oder nicht. Sie werden aber nicht darüber informiert, daß sie im Fall der Zustimmung einschlußweise akzeptieren, daß sie auf der Basis des neurologischen Kriteriums für tot erklärt werden können.
Wegen der engen Verbindung zwischen Hirntod und Organtransplantation ist die Tatsache, daß Hirntod nicht dasselbe wie Tod an sich ist, von ethischer Bedeutung. Wie nobel auch die Absicht bei der Organtransplantation sein mag, sie darf nicht das Leben einer sterbenden Person im irreversiblen Koma (das der Harvard Report als neues Todeskriterium definiert) beeinträchtigen.
Es hilft uns, wenn wir uns sowohl die Lehre von Röm 3,8, daß wir nicht Böses tun können, um gute Ziele zu erreichen, als auch die Lehre von Papst Pius XII. vor Augen führen. Pius XII. hielt im Jahr 1957 fest, daß „das menschliche Leben so lange dauert, wie dessen vitale Funktionen … sich spontan oder mit Hilfe künstlicher Prozesse manifestieren.“ Deswegen ermahnte Johannes Paul II. in seiner Ansprache im Jahr 2000, daß „was technisch möglich ist, nicht schon moralisch erlaubt ist“ (Artikel 2). Benedikt XVI. bekräftigte danach im Jahr 2008, daß „einzelne Organe nicht entnommen werden dürfen, außer ‚ex cadavere‘ [und] das Hauptkriterium des Respekts für das Leben des Spenders immer überwiegen muß, sodaß die Organentnahme nur im Fall seines/ihres wirklichen Todes erfolgen darf.“
Die Stellungnahme von Benedikt XVI., damals noch Kardinal Ratzinger, in seiner Erörterung von 1991, Die Probleme der Bedrohungen des menschlichen Lebens, ist noch expliziter:
„Heute sind wir Zeugen eines wirklichen Krieges der Mächtigen gegen die Schwachen, eines Krieges, der die Elimination der Behinderten … in allen Phasen ihrer Existenz anzielt. Mit der Komplizenschaft der Staaten werden gewaltige Mittel gegen Menschen am Abend ihres Lebens eingesetzt, oder wenn ihr Leben durch Unfall oder Krankheit geschwächt wurde, … [besonders] jene, die durch Krankheit oder Unfall in ein ‚irreversibles‘ Koma fallen, werden häufig getötet, um der Nachfrage für transplantierbare Organe nachzukommen, sogar für medizinische Experimente benützt (‚warme Leichen‘).“
Johannes Paul II. wies darauf hin, daß „die Kirche keine technischen Entscheidungen trifft“. Nichtsdestotrotz hat sie „die Pflicht, die von der medizinischen Wissenschaft bereitgestellten Daten mit dem christlichen Verständnis der Einheit der Person abzugleichen“ (Artikel 5). Es wäre sehr hilfreich, wenn die US-Bischofskonferenz und letztlich das Lehramt eine Präzisierung dieser Ansprache veröffentlichen könnte. Diese müßte auf einer sorgfältigen Untersuchung der medizinischen Aspekte des Hirntodes (besonders die Richtlinien der AAN) im Licht der wesentlichen Elemente der kirchlichen Anthropologie beruhen. Solch eine Präzisierung würde helfen, die Verwirrung unter Katholiken bezüglich des Hirntodes zu beheben. In der Zwischenzeit hoffen wir, daß dieser Aufsatz Katholiken helfen wird, eine wohlinformierte Entscheidung zur Organspende/Transplantation von hirntoten Spendern zu treffen, wie auch sie dabei unterstützen wird, proaktiv gegen die drohende Wahrscheinlichkeit der Promulgation eines „revidierten UDDA“ vorzugehen, der das Recht, Hirntod-Tests zu verweigern und eine Hirntod-Diagnose zu bestreiten, aufheben wird.
Doyen Nguyen, OP, MD, STD, ist eine Drittordensdominikanerin, pensionierte akademische Hämatopathologin, katholische Moraltheologin und Bioethikerin. Sie verfaßte Bücher und Artikel auf dem Gebiet der Medizin wie auch der Moraltheologie und Bioethik. Unter ihren jüngeren Publikationen findet sich die 600-Seiten Monographie „Die neuen Definitionen des Todes für die Organspende: eine interdisziplinäre Analyse aus der Perspektive christlicher Ethik“ (The New Definitions of Death for Organ Donation: A Multidisciplinary Analysis from the Perspective of Christian Ethics [Peter Lang, April 2018. ISBN 978–3‑0343–3277‑4] und ein Artikel zum Thema Hirntod “Does the Uniform Determination of Death Act Need to Be Revised?” [The Linacre Quarterly, 87(3):317–333, 2020].)
Joseph M. Eble, MD, ist Präsident der Tulsa Guild of the Catholic Medical Association, Mitglied des Tulsa Chapter of Legatus und geschäftsführender Teilhaber von Fidelis Radiology. Themen, die er mit Leidenschaft behandelt, sind u. a. Hirntod, Adoption und Brückenbau zwischen Personen verschiedener Volkszugehörigkeit. Sein jüngster Artikel zum Hirntod ist “Implications of John Kavanaugh’s Philosophy of the Human Person as Embodied Reflexive Consciousness for Conscientious Decision-making in Brain Death” (The Linacre Quarterly, 88(1):71–81, 2021).
Erstveröffentlichung: Homiletic & Pastoral Review
Übersetzung: Wolfram Schrems
Bild: HPR
Wenn man die organspende ausdrücklich ausschließt (Ausweis) kann man das doch umgehen, oder?
Ist ein Mensch alleine wegen nicht feststellbarer Hirnfunktion schon Tod? Ist es richtig, eine Frau für Tod zu erklären , welche ein
kin weiter austragen, gebären und nach der Geburt auch noch ernähren kann. Daran wird die Fragwürdigkeit einer Diskussion, welche einen Menschen für tot und als Ersatzteillager für Organe nur deswegen erklärt, weil er keine messbaren Hirnströme hat. Dahinter steht die nahezu 2500 Jahre alte medizinische Frage nach einem oder dem menschlichen Zentralorgan. Platon sah das Gehirn als das Zentralorgan an und für Aristoteles war das Herz das Zentralorgan. Lukas übernahm die aristotelische Naturphilosophie und beschrieb in seinem Evangelium das Herz als Zentralorgen. Ich verweise dazu auf Luk 2,51 Maria bewahrte alle seine Worte in ihrem Herzen.
Danach war nach Lukas das Herz das Organ der Erinnerungsleistung und nicht – wie wir heute wissen – das Gehirn.
Evangelium das das Herz als Zentralorgan an. Hier sollten dieselben Theologen, welch sich so schnell der medizinischen Forderungen nach hirntod gleich tod anschließen, ihre Position überprüfen. Sie sollten auch sich unter Berücksichtigúng der Würde des Menschen
die Praxis der Organentnahme bei „bei medizinisch bei medizinisch für hirntot Erklärten“ ansehen und dann mit voller Objektivität
ausgestattet die Fragen neu beantworten. Als Einführung in die Thematik empfehle ich die Schriften des Kölner Rechtsanwaltes für Medizinrecht Dr. Meinecke senior.
Ich gehöre meinen Gott und alles was er mir gegeben hat und kein Pharisäer dieser Welt hat ein Recht auf mich und das was mein Gott gegeben hat. Grundsätzlich brennen mir alle Alarmsignale wenn die Sprachrohre dieser Welt mir sagen „Du sollst Gut sein und was Gutes tun“.
Per Mariam ad Christum,
Weil wir sowieso nicht ewig leben, sollten wir zwar nicht nur, aber bei schwerer Erkrankung uns verstärkt auf den Tod vorbereiten. Ich möchte nicht so wie mein Bruder sterben, umfallen und tot sein.
Die Bitte um Schutz vor einem jähen und unversehenen Tod ist ja leider ganz aus dem Gebrauch verschwunden.