
(Rom) Unter Papst Franziskus schweigt der Heilige Stuhl meist, wenn lebensfeindliche Kräfte in einem Staat ein Gesetz erlassen wollen, das den nicht verhandelbaren Werten widerspricht. Es gibt aber Ausnahmen.
Die Menschenfeinde treten als „Humanisten“ auf, worunter in erster Linie Kirchenfeinde zu verstehen sind, was durchaus einer inneren Logik entspricht, allerdings einer negativen. Wo sie im Gewand des Gesetzgebers in Staaten die Tötung ungeborener Kinder oder die Euthanasie einführen wollen, war in den vergangenen Jahren aus Rom meist nur ein lautes Schweigen zu hören. Laut, weil dieses Schweigen eine deutliche Sprache spricht, leider ebenso eine negative. Es gibt nicht nur „die Wirtschaft des Francesco“, wie die Tagung hieß, die am vergangenen Wochenende in Assisi dazu diente, die Aussagen des regierenden Papstes zur Wirtschaft herauszustreichen. Es gibt auch das Schweigen des Francesco.
Vatikanische Stellen rechtfertigen dieses Schweigen von Franziskus, indem sie betonen, daß innenpolitische Fragen in den Händen der jeweiligen Bischofskonferenzen liegen sollen. Die Praxis lehrt, daß das aber von Fall zu Fall verschieden sein kann. Franziskus intervenierte mehrfach und direkt im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016, im brasilianischen Präsidentschaftswahlkampf 2018 und bei Wahlen oder wichtigen politischen Entscheidungen in weiteren Ländern. Eine Ausnahme stellt auch seine Heimat Argentinien dar, die er aber nicht besuchen will. Auslandsreisen des Papstes soll es wegen des Coronavirus erst wieder 2022 geben.
Der indirekte Weg
Jüngst suchte Franziskus einen indirekten Weg, um sich doch in die Abtreibungsdebatte in Argentinien einzuschalten. Nach einem kurzen nicht-linken Zwischenspiel im argentinischen Präsidentenpalast sitzt dort seit Dezember 2019 mit Alberto Ángel Fernández wieder ein Linksperonist an den Schalthebeln der Macht. So hatte es sich Franziskus auch gewünscht, möchte man meinen. Schließlich brachte er seine Mißbilligung der Präsidentschaft des rechtsliberalen Mauricio Macri, der das Land von 2015–2019 regierte, mehr als deutlich zum Ausdruck.
Die Linksperonisten arbeiten aber schon seit Jahren an der Legalisierung der Abtreibung.
2012 wurde die Tötung eines ungeborenen Kindes bei Vergewaltigung erlaubt. Präsidentin war damals die Linksperonistin Cristina Fernández de Kirchner (2007–2015). Ihr Vorgänger war ihr eigener Ehemann Nestor Kirchner (2003–2007) und der heute amtierende Staatspräsident Alberto Fernández war ihr Kabinettschef. Sie selbst ist heute seine Vizepräsidentin.
Im Juni 2018 stimmte die Abgeordnetenkammer des Parlaments einer Fristenlösung bis zur 14. Schwangerschaftswoche zu, obwohl zwei Millionen Argentinier mit einem gigantischen Marsch für das Leben für das Lebensrecht und gegen die Tötung ungeborener Kinder auf die Straßen gegangen waren. Der Senat lehnte den Gesetzentwurf im August jedoch ab und verhinderte damit den Dammbruch gegen das Lebensrecht.
Papst Franziskus schwieg zum ganzen Geschehen.
Seine Freundin Elisabetta Piqué, Rom-Korrespondentin der argentinischen Tageszeitung La Nacion, verteidigte das Schweigen „im Sinne der Dezentralisierung“. Mehr noch überraschte, daß Piqué das päpstliche Schweigen auch damit rechtfertigte, daß der damalige Außenminister Jorge Faurie den Vatikan darüber informierte, daß das Abstimmungsergebnis in der Abgeordnetenkammer nicht sicher abgeschätzt werden konnte. Was wollte Piqué, die ihre Informationen direkt aus Santa Marta bezog, damit sagen?
Tatsächlich stimmten die Abgeordneten mit einer dünnen Mehrheit von nur vier Stimmen für die Abtreibung. Hätte der Hinweis von Außenminister Faurie Papst Franziskus nicht vielmehr alarmieren und anspornen müssen, sich direkt an die Abgeordneten zu wenden? Vertreter der argentinischen Lebensrechtsbewegung zeigten sich überzeugt, daß ein päpstlicher Appell die Mehrheit umgedreht hätte.
Was Piqué als Rechtfertigung verstand, ließ sich daher auch andersherum lesen. Wollte Franziskus sich die „Peinlichkeit“ einer Niederlage ersparen, falls die Abgeordneten trotz eines Appells für die Abtreibung gestimmt hätten? Wahrscheinlicher ist, daß Franziskus, was seiner Gesamthaltung entspricht, jeden politischen Konflikt mit der Linken meidet. Was wiederum nur mit seinen Prioritäten und natürlich auch persönlichen Präferenzen auf politischer Ebene erklärt werden kann.
Das ist nun zweieinhalb Jahre her. Inzwischen kontrollieren die Abtreibungsbefürworter auch den Präsidentenpalast. Die versöhnlichen Worte der Argentinischen Bischofskonferenz von 2018 konnten sie nicht umstimmen. Die Bischofskonferenz steht vielmehr vor dem Scherbenhaufen ihres eigenen Vorgehens, hatte sie doch im Gefolge von Franziskus selbst die Abwahl Macrìs und damit die Rückkehr der Linksperonisten an die Macht unterstützt.
Der Brief der Frauen aus den Villas
Eine Gruppe von Frauen aus Armenvierteln der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires wandten sich am 18. November an Papst Franziskus, um seine Hilfe gegen die Pläne zur Abtreibungslegalisierung zu erbitten. Die Frauen stammen aus den Villas Roddrigo Bueno, Villa 31 und Jose Leon Suárez. Auf der Internetseite der Pfarrei Corazón de Jesús der Villa Roddrigo Bueno wurde das Schreiben veröffentlicht. Dem Papst wurde es über die Parlamentsabgeordnete Victoria Morales Gorleri von der Partei Propuesta Republicana (PRO), der auch Mauricio Macri angehörte, übermittelt.
„Wir haben den Mut gefaßt, Ihnen wegen der Präsentation des Abtreibungs-Legalisierungsprojekts zu schreiben, die unser Präsident gestern durchgeführt hat und die uns erneut auf die Zukunft unserer Familien aufmerksam macht.“

In ihrem Schreiben an das Kirchenoberhaupt wehren sich die Frauen dagegen, als Grund für die Abtreibungslegalisierung mißbraucht zu werden. Um arme Frauen davon abzuhalten, Kinder zur Welt zu bringen, müsse die Abtreibung eingeführt werden, argumentiert die Abtreibungslobby, deren Ziel von Anfang an nicht nur „sexuelle Befreiung“, sondern vor allem Bevölkerungskontrolle war.
Stattdessen pflanzten die Frauen 2019 in den Villas für jedes geborene Kind einen Baum.
„Wir kennen die Gründe der Diskussion über die Abtreibungslegalisierung von 2018, weil wir in den Villas unsere Stimme erhoben, Treffen und Kundgebungen organisiert haben.“
Mehr als 80 Prozent haben sich damals für das Leben ausgesprochen, wie sie dem Papst mitteilten. Die Frauen erzählten Franziskus auch von ihren Erfahrungen im Einsatz für das Lebensrecht der ungeborenen Kinder. An den Papst wandten sie sich, weil es Kräfte in Argentinien gibt, die Abtreibung als Teil der Verhütungsmethoden anpreisen. Sie würden den armen Frauen einreden, daß es „verantwortungslos“ sei, Kinder in die Welt zu setzen. Der Gesetzentwurf der Linksperonisten sieht den freien Abtreibungszugang für Mädchen ab 13 Jahren vor. Die Frauen schrieben dem Papst, wie schockiert sie von dieser „horrenden“ Vorstellung sind.

Die Frauen führen auch Klage über Herrschaftsmechanismen, die jede Stimme für das Lebensrecht abwürgen und sich am Nachwuchs der Armen stoßen:
„Unsere Stimme wie auch die der ungeborenen Kinder wird nie gehört. Sie stufen uns als ‚Kinderfabrik des armen Mannes‘ ein. Unsere Realität als Frauen, die wir unsere Kinder aufziehen und mit unseren Kindern weiterkommen, wird verdunkelt, und es sind andere Frauen, denen niemand ein Vertretungsmandat gegeben hat, die unsere wirkliche Haltung für das Lebensrecht übertönen. Aber uns wird nicht zugehört. Sie wollen uns nicht zuhören, weder die Gesetzgeber noch die Journalisten. Wenn wir nicht die Priester der Villas hätten, die ihre Stimmen für uns erheben, wären wir noch mehr allein.
Deshalb wenden wir uns an Eure Heiligkeit mit dem Wunsch, Sie zu bitten, uns dabei zu helfen, der öffentlichen Meinung zu sagen, daß wir uns in einer Situation gefangen fühlen, in der unsere eigenen Familien, unsere Töchter und die zukünftigen Generationen gefährdet sind, wenn sie mit der Idee aufwachsen, daß unser Leben nicht erwünscht ist und daß wir nicht das Recht haben, Kinder zu haben, weil wir arm sind.“
Soweit nur ein Auszug des Schreibens. Am 22. November griff Papst Franziskus zur Feder und antwortete den Frauen mit einem handgeschriebenen Brief von neun Zeilen, der auf dem Twitterkanal der Pfarrei bekanntgemacht wurde. Der Brief ist an die Abgeordnete Gorleri gerichtet. Darin bedankt sich das Kirchenoberhaupt für das Schreiben und betont, daß diese Frauen „wirklich wissen, was das Leben ist“.
„„Bitte, sagen Sie ihnen meinerseits, daß ich ihre Arbeit und ihr Zeugnis bewundere; daß ich ihnen von Herzen danke für das, was sie tun, und daß sie weitermachen sollen.“
Und auch:
„Das Vaterland ist stolz, solche Frauen zu haben.“
Dann geht Franziskus auf das eigentliche Anliegen ein:
„Und zum Problem der Abtreibung ist festzuhalten, daß es nicht in erster Linie eine religiöse Angelegenheit ist, sondern der menschlichen Ethik, unabhängig von jedem religiösen Bekenntnis.
Und es ist gut, sich die beiden Fragen zu stellen: Ist es richtig, ein Menschenleben zu eliminieren, um ein Problem zu lösen? Ist es richtig, einen Killer anzuheuern, um ein Problem zu lösen?“
Es folgt ein Gruß an die Abgeordnete und deren Familie. Papst Franziskus hatte bereits am 10. Oktober 2018 gesagt, „Abtreiben ist, wie einen Killer anheuern“.
Ein sehr starkes Wort, das sich an die Verantwortung des Einzelnen richtet.
Mit keinem Wort ging Franziskus jedoch auf die Absicht der regierenden Linksperonisten ein, ein Gesetz zur Legalisierung der Abtreibung durchsetzen zu wollen. Diese Verantwortung des Gesetzgebers kommt noch vor jener der konkreten Abtreibung.
Doch dieser politischen Auseinandersetzung mit einer Linksregierung geht Franziskus aus dem Weg. Allerdings erfolgte das Schreiben noch vor dem 28. November, an dem Argentiniens Lebensrechtsbewegung unter dem Motto „Für zwei Leben“ mobilisiert, das Leben der Mutter und des ungeborenen Kindes.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Le Esperanze de Puerto Madero/Twitter (Screenshots)