
(Rom) Im vergangenen Mai verdichteten sich in Rom Gerüchte über eine bevorstehende Entfernung von Kardinal Robert Sarah aus seinem Amt als Präfekt der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung. Es blieb jedoch ruhig. Heute tat sich plötzlich Ungewöhnliches.
Kardinal Sarah vollendete am 15. Juni sein 75. Lebensjahr und erreichte damit jene kanonische Altersgrenze, die vorsieht, dem Papst den Rücktritt anzubieten. Der aus Guinea stammende Kardinal war von Franziskus selbst am Beginn seines Pontifikats zum Dikasterienleiter ernannt worden, als dieser einen „Ratzingerianer” aus der Römischen Kurie entfernte. Die Berufung Sarahs gilt seither als „Betriebsunfall”. Seine fünfjährige Amtszeit lief 2019 aus, ohne daß sein Mandat verlängert wurde. Zusammen mit der erreichten Altersgrenze kann Franziskus Sarah jederzeit das Amt entziehen, ganz ohne eine gewagte Auslegung der Rechtsnormen bemühen zu müssen.
Die Abneigung, die Santa Marta gegen den ranghöchsten afrikanischen Kardinal in Rom hegt, gilt als sprichwörtlich. Wann immer der Papst seinen wichtigsten Mitarbeitern eine Audienz gewährte, wußte man, daß Kardinal Sarah nicht unter den Geladenen sein wird. Obwohl Franziskus die Dikasterienleiter fast wöchentlich zu sich ruft, um sich informieren zu lassen und Aufträge zu erteilen, gilt das für Kardinal Sarah schon lange nicht mehr.
Katholisches.info berichtete 2016, wie Kardinal Sarah von Papst Franziskus geschnitten und im eigenen Dikasterium isoliert wurde. Kurz zuvor hatte der Kardinal sein Buch „Die Kraft der Stille” vorgestellt. Darin bekräftigte er „gegen das vatikanische Dementi, ob nun Ankündigung, Wunsch oder Prophezeiung, daß die ‚Reform der Reform‘ stattfinden werde”. Stattdessen folgte eine weitere Phase im Umbau der Gottesdienstkongregation. Der Kardinalpräfekt wurde zwar im Amt belassen, was von Bergoglianern als „die Toleranz von Franziskus“ hervorgehoben wird, aber innerhalb seiner Kongregation an den Rand gedrängt.
Der Kardinal, der seiner Stimme vor allem durch Bücher Gehör zu verschaffen sucht, blieb trotz der eingeschränkten Möglichkeiten nicht untätig. Er forderte den Weltklerus auf, zur Zelebrationsrichtung Osten zurückzukehren, was einen heftigen Schlagabtausch mit dem Heiligen Stuhl zur Folge hatte, an dem sich Franziskus persönlich beteiligte.
Anfang 2020 legte sich der Kardinal in Zusammenarbeit mit Benedikt XVI. mit dem Buch „Aus der Tiefe des Herzens“, einem Plädoyer für das sakramentale Priestertum, den „amazonischen” Bestrebungen einer Zölibatsaufweichung erfolgreich in den Weg. Kurienerzbischof Georg Gänswein kostete es allerdings seinen Posten als Präfekt des Päpstlichen Hauses.
Die letzte Audienz, die Franziskus seinem Minister Sarah gewährte, liegt lange zurück. So lange, daß sich auf Anhieb niemand mehr genau daran erinnern kann. Heute plötzlich änderte sich das. Das Tagesbulletin des vatikanischen Presseamtes verzeichnete den Kardinal in der Rubrik „Audienzen”. Am heutigen Vormittag wurde er von Franziskus empfangen.
Es darf bezweifelt werden, daß Kardinal Sarah zum Papst vorgelassen wurde, um mit ihm Maßnahmen zu besprechen, wie die vielen Bischöfe zur Ordnung gerufen werden könnten, die unter Verweis auf das Coronavirus ein Verbot der Mundkommunion erlassen und den Gläubigen die Handkommunion aufgezwungen haben.
Es gibt vielmehr die Befürchtung, Papst Franziskus habe dem Kardinal mitgeteilt, dessen kirchenrechtlich vorgeschriebenes Rücktrittsgesuch anzunehmen, sich bei ihm bedankt und ihm alles Gute gewünscht. Das wäre zwar die höflichere Entlassungsvariante als jene, die Kardinal Gerhard Müller oder Kardinal Raymond Burke zu spüren bekamen, doch Entlassung bleibt Entlassung. Vorerst liegt aber keine Bestätigung für einen solchen Schritt vor.
Tatsache ist, daß Kardinal Sarah nach langer Zeit erstmals wieder von Papst Franziskus in Audienz empfangen wurde. Über den Inhalt des Gesprächs wurde offiziell noch nichts bekanntgegeben.
Kardinal Sarah gilt als „Papabile“ für die Nachfolge von Papst Franziskus.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va (Screenshot)