Coronavirus: Die Kirche braucht keine Erlaubnis vom Staat

Das Verbot von öffentlichen Messen


Wie weit darf der Staat in die Dinge der Kirche eingreifen? Die Kirche hat sich in jüngerer Zeit selbst geschwächt.
Wie weit darf der Staat in die Dinge der Kirche eingreifen? Die Kirche hat sich in jüngerer Zeit selbst geschwächt.

(Rom) Seit Ita­li­ens Mini­ster­prä­si­dent Giu­sep­pe Con­te, trotz wochen­lan­ger anders­lau­ten­der Ankün­di­gun­gen, eine Wie­der­zu­las­sung öffent­li­cher Mes­sen am Sonn­tag­abend kate­go­risch ablehn­te, steigt die Span­nung zwi­schen Staat und Kir­che. In der Kir­che herrscht eine Kater­stim­mung. Der Phi­lo­soph und Exper­te für die kirch­li­che Sozi­al­leh­re Ste­fa­no Fon­ta­na for­dert dazu auf, daß die Katho­li­ken ein­fach wie­der zur Mes­se gehen und die Kir­che in die­ser Fra­ge nicht mehr mit dem Staat ver­han­deln sollte.

Trotzdem zur Messe gehen: Die Kirche soll nicht mehr mit dem Staat verhandeln

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Von Ste­fa­no Fontana*

In ihrer Pres­se­mit­tei­lung vom Sonn­tag, dem 26. April, reagier­te die Ita­lie­ni­sche Bischofs­kon­fe­renz (CEI) ver­är­gert dar­über, daß die Wie­der­auf­nah­me von öffent­li­chen Mes­sen in der „Pha­se 2“ der Coro­na­vi­rus-Poli­tik von der Regie­rung kate­go­risch aus­ge­schlos­sen wur­de. Nun gibt es ver­schie­de­ne Möglichkeiten:

Stefano Fontana
Ste­fa­no Fontana

Der CEI-Gene­ral­se­kre­tär wird wahr­schein­lich die Ver­hand­lun­gen mit der Regie­rung fort­set­zen, um eini­ge Zuge­ständ­nis­se zu erhal­ten. In der Zwi­schen­zeit suchen eini­ge nörd­li­che Regio­nen wie Fri­aul und die Lom­bar­dei nach regio­na­len Lösun­gen, die unwei­ger­lich zu einem Kon­flikt mit der Zen­tral­re­gie­rung füh­ren wer­den. Das Cen­tro Stu­di Livat­i­no hat die Beru­fung an den Ober­sten Ver­wal­tungs­ge­richts­hof gegen das Dekret des Mini­ster­prä­si­den­ten angekündigt.

Die bei­den erst­ge­nann­ten Wege sind nichts ande­res als ein Bet­teln um Zuge­ständ­nis­se bei der poli­ti­schen Macht. Der drit­te Weg ist akzep­ta­bel, aber nicht schlüs­sig, denn selbst wenn der Ober­ste Ver­wal­tungs­ge­richts­hof der Kir­che Recht geben wür­de, wür­de er das im Rah­men sei­ner Begrün­dun­gen tun und nicht jenen der Kirche.

Die Kir­che muß aber ihr eige­nes Recht zur Gel­tung brin­gen und auch die Begrün­dun­gen, die sie ihrem Recht zugrun­de­legt. Ent­we­der ist die Kir­che unab­hän­gig von der welt­li­chen Macht und ver­fügt daher über eine eigen­stän­di­ge Zustän­dig­keit in dem Bereich, der für sie wesent­lich ist, oder sie ist es nicht. Kei­ne poli­ti­sche Macht kann die Mes­se ver­hin­dern, selbst wenn sie das Ver­hal­ten der Bür­ger regeln kann, die zur Mes­se gehen.

Der Haupt­grund, den die Füh­rung der Bischofs­kon­fe­renz nennt, um die Zele­bra­ti­on von öffent­li­chen Mes­sen wie­der­her­zu­stel­len, ist das Recht auf Reli­gi­ons­frei­heit, die auch von der Ver­fas­sung garan­tiert wird. Auch Msgr. Gio­van­ni D’Er­co­le, Bischof von Asco­li Pice­no, sag­te, die­se Frei­heit sei ein unan­tast­ba­res Recht. 

Es ist aber erst zu sehen, ob die­ser Grund für eine sol­che For­de­rung aus­reicht. Ich kann mir vor­stel­len, daß es nicht genügt und daß die Schwä­che, die die ita­lie­ni­sche Kir­che in die­ser gan­zen Pha­se der Beschrän­kun­gen wegen des Coro­na­vi­rus gezeigt hat, genau dar­auf zurück­geht: Die bischöf­li­che Füh­rungs­ebe­ne weiß nicht immer, wor­auf sie ihre Ansprü­che stüt­zen soll, und des­halb ver­zich­tet sie auf ihre Ansprü­che oder schwächt sie zu blo­ßen Anfra­gen ab.

Die Kir­che hat den Staat nicht um Erlaub­nis zu fra­gen, um die Mes­se zu zele­brie­ren. Sie kann und muß den von den Behör­den ver­häng­ten gesund­heit­li­chen Sicher­heits­be­dürf­nis­sen Rech­nung tra­gen, wenn die­se dem All­ge­mein­wohl die­nen, aber sie hat die Behör­den nicht um deren Erlaub­nis zu fra­gen. Die Beru­fung auf das Recht auf Reli­gi­ons­frei­heit reicht aber nicht aus, um die­sen Anspruch der Kir­che zu stützen.

Gemäß der heu­ti­gen recht­li­chen und poli­ti­schen Kul­tur ist die Reli­gi­ons­frei­heit ein sub­jek­ti­ves Recht, das nicht auf dem Natur­recht beruht, son­dern ein Recht des ein­zel­nen Bür­gers dar­stellt, das der Staat zu garan­tie­ren hat, ohne sich zu fra­gen, ob es durch ein objek­ti­ves und natür­li­ches Recht gerecht­fer­tigt ist. Das Recht der [bar­bu­si­gen Polit­söld­ne­rin­nen, GN] Femen, Mes­sen zu unter­bre­chen und Kir­chen zu schän­den, wur­de auch als Recht auf Reli­gi­ons­frei­heit aner­kannt, und kei­ne von ihnen wur­de jemals bestraft. Heu­te kann man auf den Stra­ßen und Plät­zen Gott lästern, und nie­mand kann etwas dage­gen sagen. Es gibt das Recht auf die katho­li­sche Reli­gi­on, aber auch das Recht auf die nicht-katho­li­sche Reli­gi­on, auf die New-Age-Reli­gi­on und die Kir­che Satans, das Recht auf den vega­nen Kult der Mut­ter Erde und jenen des Horo­skops, genau­so wie es das Recht auf Athe­is­mus und Agno­sti­zis­mus gibt oder den Kult des Nichts jener, die aus irgend­ei­nem Grund oder eben grund­los die Lega­li­sie­rung der Eutha­na­sie for­dern. Wenn die Mes­se auf einem sub­jek­ti­ven Recht beruht, hät­te auch jede Ein­schrän­kung oder Behin­de­rung der Mes­se, die ihrer­seits auf einem sub­jek­ti­ven Recht beruht, für die poli­ti­sche Macht den glei­chen Rechtstitel.

Wenn alles auf sub­jek­ti­ven Rech­ten beruht, kann die poli­ti­sche Macht die Kir­che dar­an hin­dern, ihre Leh­ren öffent­lich zu ver­tre­ten, sofern die­se die vom Staat gemäß Ver­fas­sung aner­kann­ten sub­jek­ti­ven Rech­te nicht respek­tie­ren. Als Ratz­in­ger vor­aus­sag­te, daß die Kir­che dar­an gehin­dert wer­den wür­de, ihre Leh­re über die Homo­se­xua­li­tät zu leh­ren, mein­te er genau das: Da die Homo­se­xua­li­tät als sub­jek­ti­ves Recht gilt und als sol­ches gesetz­lich geschützt ist und von der Poli­tik ver­tei­digt wird, bedeu­tet das Ver­tre­ten ent­ge­gen­ge­setz­ter Sicht­wei­sen, ein sub­jek­ti­ves Recht nicht zu ach­ten. Auch die soge­nann­ten „neu­en Rech­te“ sind sub­jek­ti­ve Rech­te, und wenn die Zele­bra­ti­on der Mes­se mit einem sub­jek­ti­ven Recht auf Reli­gi­ons­frei­heit begrün­det wird, wird sie ande­ren sub­jek­ti­ven Rech­ten gleich­ge­setzt: Alles kann als sub­jek­ti­ves Recht gel­tend gemacht werden.

Der Anspruch der Kir­che, die Mes­se zu fei­ern und in die­sem Bereich über die höch­ste Juris­dik­ti­on zu ver­fü­gen, beruht nicht auf dem Recht des Bür­gers, son­dern auf dem Recht der Kir­che. Das Recht der Kir­che ist auto­nom und unter­schei­det sich von dem des Staa­tes, der kein Recht hat, sich dar­in ein­zu­mi­schen, was die Regie­rung der­zeit aber in gro­ßem Stil tut.

Die Kir­che soll dem Staat ins Gesicht schau­en und ihn nicht aus dem Blick­win­kel der Reli­gi­ons­frei­heit des Bür­gers betrach­ten. Selbst wenn alle Bür­ger nicht mehr zur Mes­se gin­gen, hät­te die Kir­che noch immer ihre glei­chen Rech­te auf die Messe. 

Wenn sie es aber akzep­tiert, daß ihre Aner­ken­nung durch den Staat durch das sub­jek­ti­ve Recht auf Reli­gi­ons­frei­heit erfolgt, wird die Kir­che nicht als sol­che akzep­tiert, son­dern tole­riert – wenn über­haupt. Aber für die Kir­che ist es zu wenig, tole­riert zu werden.

Die Bischofs­kon­fe­renz soll­te an die­ser Stel­le die Gläu­bi­gen auf­for­dern, trotz des Ver­bots zur Mes­se zu gehen, und die vor­ge­schrie­be­nen Sicher­heits­be­stim­mun­gen buch­sta­ben­ge­treu anwen­den. Aber um das zu tun, genügt es nicht, sich auf ein sub­jek­ti­ves Recht auf Reli­gi­ons­frei­heit zu beru­fen. Sie muß den Mut haben, wie­der das Recht der Kir­che gel­tend zu machen und der poli­ti­schen Macht das Recht der Kir­che ent­ge­gen­zu­set­zen, in hei­li­gen Din­gen abso­lu­ter Gesetz­ge­ber zu sein. Die Posi­ti­on der Bischofs­kon­fe­renz steckt gera­de wegen der Beru­fung auf die Reli­gi­ons­frei­heit in Schwie­rig­kei­ten: Sie wur­de für aus­rei­chend gehal­ten und könn­te sich statt­des­sen als Fal­le herausstellen.

*Ste­fa­no Fon­ta­na ist Direk­tor des Inter­na­tio­nal Obser­va­to­ry Car­di­nal Van Thu­an for the Social Doc­tri­ne of the Church (Kar­di­nal-Van-Thu­an-Beob­ach­tungs­stel­le für die Sozi­al­leh­re der Kir­che) und Chef­re­dak­teur der Kir­chen­zei­tung des Erz­bis­tums Tri­est, das von Erz­bi­schof Giam­pao­lo Cre­pal­di gelei­tet wird. Fon­ta­na pro­mo­vier­te in Poli­ti­scher Phi­lo­so­phie mit einer Arbeit über die Poli­ti­sche Theo­lo­gie. Ab 1980 lehr­te er Jour­na­li­sti­sche Deon­to­lo­gie und Geschich­te des Jour­na­lis­mus am Insti­tut für Sozi­al­wis­sen­schaf­ten der Uni­ver­si­tät Vicen­za, seit 2007 Phi­lo­so­phi­sche Anthro­po­lo­gie und Phi­lo­so­phie der Spra­che an der Hoch­schu­le für Erzie­hungs­wis­sen­schaf­ten (ISRE) von Vene­dig. Autor zahl­rei­cher Bücher. Zu den jüng­sten gehö­ren die Titel: „La nuo­va Chie­sa di Karl Rah­ner“ („Die neue Kir­che von Karl Rah­ner. Der Theo­lo­ge, der die Kapi­tu­la­ti­on vor der Welt lehr­te“, Fede & Cul­tu­ra, Vero­na 2017), „Chie­sa gno­sti­ca e seco­la­riz­za­zio­ne“ („Gno­sti­sche Kir­che und Säku­la­ri­sie­rung. Die alte Häre­sie und die Auf­lö­sung des Glau­bens“, Fede & Cul­tu­ra, Vero­na 2018) und gemein­sam mit Erz­bi­schof Cre­pal­di „Le chia­vi del­la que­stio­ne socia­le“ („Die Schlüs­sel der sozia­len Fra­ge. Gemein­wohl und Sub­si­dia­ri­tät: Die Geschich­te eines Miß­ver­ständ­nis­ses“, Fede & Cul­tu­ra, Vero­na 2019).

Bild: NBQ

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