Von Roberto de Mattei*
Der schwarze Schwan (Cygnus atratus, im Deutschen als Schwarzschwan oder Trauerschwan bekannt) ist ein seltener Vogel, der ursprünglich aus Australien stammt und seinen Namen von der Farbe seines Gefieders hat. Nassim Nicholas Taleb, ein Finanzmathematiker und ehemaliger Derivatenhändler an der Wall Street, wählte diese Metapher, um in seinem Buch The Black Swan: The Impact of the Highly Improbable (Random House, New York 2007; deutsche Ausgabe „Der Schwarze Schwan: Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse, Knaus, München 2015) die Existenz von unerwarteten katastrophalen Ereignissen zu erklären, die das kollektive Leben erschüttern können.
Das Coronavirus ist der „Schwarze Schwan“ des Jahres 2020, schreibt Marta Dassù vom Aspen Institute und erklärt, daß die Epidemie die Wirtschaftstätigkeit der westlichen Nationen in eine Krise führt und „die Fragilität globaler Produktionsketten beweist; wenn ein Schock ein Glied der Kette trifft, wird der Aufprall systemisch“ (Aspenia, 88, 2020, S. 9). Federico Rampini schrieb am 22. März in La Repubblica :
„Die zweite Pandemie kommt, und wir müssen uns auch ihr stellen und sie behandeln. Sie heißt Weltwirtschaftskrise und wird eine Todesopferzahl haben, die der des Virus entspricht. In Amerika verwendet niemand mehr den Begriff Rezession, weil er zu sanft ist.“
Die vernetzte Wirtschaft der Welt entpuppt sich als prekäres System, doch die Auswirkungen des Coronavirus sind nicht nur wirtschaftlich und gesundheitlich, sondern auch religiös und ideologisch.
Die Utopie der Globalisierung, die bis September 2019 zu triumphieren schien, erleidet ein nicht wiedergutzumachendes Debakel. Am 12. September 2019 hatte Papst Franziskus die Führer der wichtigsten Religionen und die internationalen Vertreter von Wirtschaft, Politik und Kultur eingeladen, an einer feierlichen Veranstaltung teilzunehmen, die am 14. Mai 2020 im Vatikan stattfinden sollte: dem Global Compact on Education, dem Globalen Bildungspakt. Zur gleichen Zeit kam die „Prophetin“ der Tiefenökologie, Greta Thunberg, zum UN-Klimagipfel 2019 nach New York, und Papst Franziskus übermittelte ihr und den Teilnehmern des Gipfels am Vorabend der Amazonassynode eine Videobotschaft, um seine volle Übereinstimmung mit den globalistischen Zielen zu bekunden. Am 21. Januar 2020 richtete der Papst eine Botschaft an Klaus Schwab, den geschäftsführenden Vorsitzenden des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos, und betonte die Bedeutung einer „integralen Ökologie“, die „die Komplexität und Vernetzung unseres gemeinsamen Hauses“ berücksichtigt.
Doch ein mysteriöses Virus begann zur gleichen Zeit dem „Global Village“, dem „globalen Dorf“, bereits einen tödlichen Schlag zu versetzen.
Einige Monate später stehen wir vor einer völlig neuen Situation. Greta ist vergessen, die Amazonassynode ist gescheitert, die politischen Führer der Welt offenbaren ihre Unfähigkeit, mit dem Notfall fertig zu werden, der Global Compact ist geplatzt, der Petersplatz, das geistliche Zentrum der Welt, ist leer. Die kirchlichen Autoritäten passen sich an und manchmal nehmen sie die restriktiven Dekrete der Zivilbehörden sogar vorweg, die Messen und religiöse Zeremonien aller Art verbieten. Die symbolischste und paradoxeste Maßnahme ist wahrscheinlich die Schließung des Heiligtums von Lourdes, eines Ortes schlechthin für körperliche und geistliche Heilung, der die Türen schließt aus Angst, jemand könnte krank werden, indem er zu Gott für seine Gesundheit betet.
Ist das alles ein gelenkter Schachzug? Stehen wir einer totalitären Macht gegenüber, die die Freiheiten der Bürger einschränkt und die Christen verfolgt?
Es ist aber eine seltsame Verfolgung, in der jede Form von heroischem Widerstand bis zum Martyrium der Verfolgten zu fehlen scheint, im Gegensatz zu dem, was bei allen großen Verfolgungen in der Geschichte geschehen ist. In Wirklichkeit sollte man nicht von antichristlicher Verfolgung sprechen, sondern von „Selbstverfolgung“ durch die Männer der Kirche, die durch die Schließung der Kirchen und die Suspendierung der Messen einen Prozeß der Selbstzerstörung folgerichtig zum Äußersten treiben, der in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil begonnen hat. Und leider scheint mit nur wenigen Ausnahmen auch der traditionalistische Klerus, der sich in seinen Häusern einsperrt, Opfer dieser Selbstverfolgung zu sein.
Bewegend ist der Aufbruch an Großzügigkeit, mit dem 8000 Ärzte in Italien auf den Aufruf der Regierung nach 300 Freiwilligen für die Krankenhäuser in der Lombardei reagiert haben. Wie erbaulich wäre ein Aufruf des Vorsitzenden der Bischofskonferenz an die Priester gewesen, es die Gläubigen niemals an den Sakramenten in den Kirchen, den Häusern und den Krankenanstalten mangeln zu lassen! Viele laden zum Beten ein, aber wer erinnert an die Möglichkeit, daß wir uns am Anfang einer großen Bestrafung befinden? Doch genau das ist die Vorhersage von Fatima, an die sich 2017 viele zum hundertsten Jahrestag erinnerten.
Am 25. März erneuerte Kardinal Antonio Augusto dos Santos Marto, Bischof von Leiria-Fatima, die Weihezeremonie zum Unbefleckten Herzen Mariens der gesamten iberischen Halbinsel. Das ist sicherlich eine verdienstvolle Tat, aber die Muttergottes bat um etwas mehr: die spezifische Weihe Rußlands durch den Papst in Vereinigung mit allen Bischöfen der Welt. Dies ist die bis heute nicht vollzogene Handlung, auf die alle warten, bevor es zu spät ist.
In Fatima kündigte die Muttergottes an, daß mehrere Nationen ausgelöscht werden, wenn die Welt sich nicht bekehrt. Welche Nationen werden das sein? Und auf welche Art wird die Vernichtung erfolgen?
Sicher ist, daß die Hauptstrafe nicht die Zerstörung der Körper sein wird, sondern die Verdunkelung der Seelen. In der Heiligen Schrift lesen wir, daß „jeder durch die Dinge bestraft wird, mit denen er sündigt“ (Weisheit 11,16). Selbst das heidnische Denken erinnert uns aus dem Mund Senecas daran: „Die Strafe für ein Verbrechen ist im Verbrechen selbst“ (Epistulae morales 97,14).
Die Bestrafung beginnt in dem Augenblick, in dem man die Idee eines gerechten und belohnenden Gottes verliert, um sich auf ein falsches Bild von Gott zu verlassen, der, wie Papst Franziskus sagte, „die Tragödien nicht zuläßt, um aufgrund einer Schuld zu bestrafen“ (Angelus, 28. Februar 2016). „Wie oft denken wir, daß Gott gut ist, wenn wir gut sind, und daß er uns straft, wenn wir böse sind. So ist es nicht“, wiederholte Franziskus in der Christmette vom 24. Dezember 2019. Doch selbst der „gute Papst“ Johannes XXIII. erinnerte daran, daß „der Mann, der Schuld sät, Strafe sammelt. Die Strafe Gottes ist seine Antwort auf die Sünden der Menschen“, deshalb:
„Er (Jesus) sagt Euch, die Sünde, die Hauptursache für die großen Strafen, zu fliehen“ (Radiobotschaft vom 28. Dezember 1958).
Die Idee, die Bestrafung auszulöschen, bedeutet nicht, sie zu vermeiden. Die Bestrafung ist die Folge der Sünde, und nur Reue und Buße für die eigenen Sünden kann die Bestrafung vermeiden, die diese Sünden unvermeidlich mit sich bringen, weil sie die Ordnung des Universums verletzen. Wenn Sünden kollektiv sind, sind auch die Strafen kollektiv.
Wie kann man sich über den Tod eines Volkes wundern, wenn Regierungen sich mit mörderischen Gesetzen wie der Abtreibung beflecken und das Massaker während der Epidemie weiter begünstigen wie in Großbritannien, wo die Regierung sogar die Abtreibung „zu Hause“ erlaubt hat, um das Gemetzel trotz Coronavirus ja nicht zu stoppen! Und wenn anstelle der Körper die Seelen betroffen sind, wie kann man sich wundern, daß der Glaubensverlust eine Strafe für die Verantwortlichen ist? Die Weigerung, die Hand Gottes hinter den großen Katastrophen der Geschichte zu sehen, ist ein Symptom für diesen Mangel an Glauben.
Die kollektive Bestrafung kommt überraschend wie ein „Schwarzer Schwan“, der plötzlich auf dem Wasser erscheint. Diese Vision verblüfft uns, denn wir können nicht erklären, woher er kommt und was er ankündigt. Der Mensch kann die „Schwarzen Schwäne“, die sein Leben von einem Tag auf den anderen verändern, nicht vorhersehen. Aber diese Ereignisse sind nicht das Ergebnis des Zufalls, wie Herr Taleb und all jene meinen, die Ereignisse nur aus menschlicher und weltlicher Sicht analysieren, aber vergessen, daß es keinen Zufall gibt, und daß die Bewegungen und Manöver der Menschen immer dem Willen Gottes unterliegen. Alles hängt von Gott ab und Gott geht den ganzen Weg zu Ende, wenn Er Sein Werk beginnt.
„Er ist der einzige, dessen Absichten niemand irreführen kann, und was auch immer er für seinen Willen entschieden hat, dies wird geschehen“ (Hiob 23, 13).
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017 und Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte, 2. erw. Ausgabe, Bobingen 2011.
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Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana