Von Wolfram Schrems
Manchmal wird darüber diskutiert, was Europa ausmacht und worauf es gegründet ist. Die Rede kommt dann auf den „Einfluß“ des Christentums, auf die „drei Hügel“ Golgotha, Akropolis und Kapitol und auf die „Leitkultur“. Aber das alles ist müßig. Wir wären als Völker und als Individuen schlicht nicht vorhanden ohne das Wirken der Katholischen Kirche.
Zu diesem Thema einige grundsätzliche Gedanken aus österreichischer Perspektive:
Während der Landnahme durch so genannte „Flüchtlinge“ im Herbst 2015 sprach ich mit einem ungarischen Diplomaten über die Rolle des Christentums für die Entwicklung der Völker Europas. Ich äußerte die Hypothese, daß ohne Christentum die Ungarn ein primitives und räuberisches Nomadenvolk geblieben wären. Die Antwort meines Gesprächspartners überraschte mich, im Nachhinein erweist sie sich aber klüger als meine nur halb durchdachte Mutmaßung. Er sagte: Ohne Christentum gäbe es überhaupt keine Ungarn mehr, sie wären aus der Geschichte verschwunden.
Offenbar hatte der geschichtsbewußte Ungar etwas erkannt, das das Radar des heutigen Alltagsbewußtseins unterfliegt. Allerdings herrscht heutzutage nicht nur eine gewisse Trägheit im Wahrnehmen (und Aussprechen) von Selbstverständlichkeiten sondern auch eine Art von Zensur:
Die Frage, inwiefern das Christentum „Fundament“ Österreichs und Europas darstelle, wird ja manchmal aufgebracht. Sehr kenntnisreich wird die Diskussion aber nicht geführt. Das ist auch deswegen so, weil sich sogar Kirchenführer den Ausdruck „christliches Abendland“ verbitten und jede sinnvolle Erörterung zumindest im kirchlichen Bereich unterbinden. Kommt man daher tatsächlich einmal zur Behandlung dieser Frage unter zeitgeistig geprägten Katholiken, stößt man auf himmelschreiende Ignoranz.
Die These dieses Aufsatzes lehnt sich an die Überzeugung des Diplomaten an: Ohne die motivierende Kraft des katholischen Glaubens gäbe es keine europäische Zivilisation, mithin keine europäischen Völker. Es gäbe „uns“ als Individuen nicht, da unsere Vorfahren nicht gezeugt worden wären. Es gäbe „uns“ als Nation nicht, weil es ohne Glauben keine ausreichende Kohäsion und Selbstbehauptung gegeben hätte.
Denn Katholiken und besonders das Mönchtum, das eine intensivere Verwirklichung des Glaubens ist, haben unter gewaltigen Opfern erst die Strukturen geschaffen, auf denen unsere Kultur und unsere Existenz als europäische Völker aufbauen. Von dem, was noch übrig ist, zehren wir noch immer. Damit ist das katholische Christentum nicht nur ein „Beitrag“ zur europäischen Zivilisation unter anderen, sondern deren Ermöglichungsgrund und eigentliches Fundament.
Damit zu den einzelnen Punkten zur Belegung dieser These:
Klöster als strukturbildende Zentren
Die Existenz der Klöster hierzulande ist vielen so selbstverständlich geworden, daß sie über deren Entstehung und Bedeutung nicht weiter nachdenken. Allenfalls stoßen sich manche an deren „Reichtum“. Aber schon hier wird nicht weiter nachgedacht: Die Klöster sind deswegen „reich“, weil Generationen von Mönchen unbezahlt und für karge Kost und bescheidene Logis enorme Arbeitsleistungen erbracht haben. Diese reichen von Pioniertätigkeiten wie Roden und Bauen über die Landwirtschaft bis zur Wohlfahrtspflege, Wissenschaft, Medizin, bildenden Kunst und Musik. Klosterschule und Hospital sind katholische Erfindungen. Sie sind eine Antwort auf die Gerichtsrede Christi, deren Kernsatz lautet: Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.
Schließlich haben die Mönchsritter die islamische Aggression über einige Jahrhunderte eingedämmt und dadurch die Entwicklung des christlichen Europas überhaupt erst ermöglicht.
Auch eine andere Tatsache bedenken viele zu wenig:
Arbeit als Quelle der Wertschöpfung
Durch das benediktinische Ora et labora wurde der Aufruf zur Arbeit kulturprägend. Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen, wie es der Völkerapostel Paulus sagt, und: Der Dieb soll nicht mehr stehlen, sondern arbeiten und sich mit seinen Händen etwas verdienen, damit er den Notleidenden davon geben kann.
Dieser Zugang zur Arbeit hat solide und dauerhafte ökonomische Strukturen, einschließlich der Wohlfahrtspflege, hervorgebracht. Dieser Ansatz unterscheidet sich von einer Ökonomie, die auf Zinswucher, Bettelei, Schutzgelderpressung oder Karawanenüberfall beruht und daher weder etwas produziert noch Arbeitsplätze schafft noch sich um die Notleidenden kümmert, diese im Gegenteil hervorbringt.
Das griechische und römische Heidentum verachtete bekanntlich die körperliche Arbeit und hielt sich deswegen Sklaven. Auch der Islam hat diese Einstellung. Aber das Christentum ist bestrebt, die Arbeit zu heiligen, auch die „niedrigen“ Arbeiten, und sich selbst durch die Arbeit. Die Benediktsregel schreibt die körperliche Arbeit vor und keiner hat sich zu gut dafür zu sein.
Unter frühmittelalterlichen Bedingungen kann man das als eine gesellschaftliche Umwälzung zum Positiven hin verstehen.
Mit der dauerhaften Arbeit ist noch etwas verbunden:
Stabilitas loci: Voraussetzung für Stabilität
Das benediktinische Mönchtum verwirklicht in seiner Regel die (normalerweise) lebenslange Bindung an ein bestimmtes Kloster. Damit unterscheidet es sich von der Missionstätigkeit der angelsächsischen und irischen Wandermönche und von den im 13. Jahrhundert gegründeten Bettelorden. Beiden Gruppen verdanken wir in Europa ebenfalls sehr viel. Der Focus soll hier aber dieser sein: Die stabilitas loci war in der Zeit der Völkerwanderung Hort und Verankerung. Sie war ein alternativer Lebensstil – und ist es selbstverständlich auch in einer Zeit, die die „Migration“ gleichsam als Wert an sich feiert.
Über das Leben des einzelnen Mönches hinaus erzielten die Klöster gewaltige zeitliche Kontinuitäten. Diese Tatsache ist ebenfalls wenig im kollektiven Bewußtsein verankert: Auch nur relativ kurz existierende Klöster, also etwa die, die hierzulande dem josephinischen Klostersturm zum Opfer fielen, wirkten über einen Zeitraum, der alle derzeitigen politischen Kontinuitäten, Existenz der Republik, der EU, der USA u. a., bei weitem in den Schatten stellt. Als Beispiel möge die Kartause Gaming dienen, die nur gut vierhundert Jahre einen klösterlichen Betrieb führte. Das ist mehr als fünfmal so lang als die Existenz der zweiten österreichischen Republik.
Im übrigen hat man im 14. Jahrhundert so solide gebaut, daß in Gaming alle vorhandenen Teile des ehemaligen Klosters immer noch brauchbar sind – das nur, um den Kontrast zur „modernen“ Bauweise zu illustrieren. (Und, weil wir schon bei den Kontinuitäten sind: Als Gaming gegründet wurde, hatte das Benediktinerkloster Kremsmünster bereits etwa sechshundert Jahre [!] bestanden. Aber daran denkt man normalerweise nicht. Und es ist nicht Thema der veröffentlichten Meinung in den fake news Medien.)
Die Kontinuität und Verläßlichkeit der Mönchsklöster trugen daher als Kristallisationspunkte zur Ausbildung kultureller und politischer Kontinuitäten bei.
Damit hängt folgendes zusammen:
Bildung: Theologie und Überlieferung der antiken Kultur
Die Klöster waren und sind Horte der Bildung. Der vollständige benediktinische Imperativ lautet ja: Ora et labora et lege. Jeder Vorwurf der „Wissenschaftsfeindlichkeit“ gegenüber dem katholischen Glauben ist angesichts der Fakten absurd. Die Theologie hält zudem als Schlußstein das Gebäude der Wissenschaften zusammen, beleuchtet die natürlich erkennbare Wirklichkeit mit dem übernatürlichen Licht und hindert die Wissenschaft Treibenden am Mißbrauch ihrer Erkenntnisse, wie es eine prometheische, ja satanische Alchemie und Magie tun.
Innerhalb dieses Rahmens konnte sich Wissenschaft im Dienst an den menschlichen Bedürfnissen entfalten. Man denke nur an die für viele lebensrettende Klostermedizin.
Für unsere Frage nach der Fundierung der europäischen Kultur ist es zudem wichtig zu sehen, daß das Beste der antiken Weisheit über die Klöster auf uns gekommen ist. Nach katholischem Glauben hat alles Wahre, Gute und Schöne Anteil am ewigen Logos und stammt von ihm. Das Johannesevangelium sagt, daß „im Anfang“, in principio, also „im Prinzip“, der Logos war, das Wort, der Sinn, die Bedeutsamkeit, nicht das Absurde.
Hinweise auf diesen Logos finden sich bei antiken Denkern wie Sokrates, Platon, Aristoteles und Cicero. Auf ihre eigenen Tradenten gestützt wäre die antike Philosophie, die ja de facto kaum das politische Leben und die Kultur ihrer Zeitgenossen geprägt hat, jedoch spurlos untergegangen. Man darf nicht glauben, daß ein Platon auf großes Interesse im gesellschaftlichen Maßstab gestoßen wäre. Zu klein war der Zirkel der Akademie. Politisch war Platon erfolglos. Seine Dialoge wären wohl verloren gegangen. Es waren aber die Mönche, die die Zeugnisse antiker Weisheit abschrieben und daher bewahrten und für die christliche Philosophie und Theologie, mithin für den Aufbau der Kultur, fruchtbar machten.
Von daher ist es offenkundig, daß Athen und Rom, also die Akropolis und das Kapitol, die beiden „Hügel“ neben dem Golgotha (nach einem Dictum des deutschen Bundespräsidenten Theodor Heuss), nur deswegen Europa mitgeprägt haben, weil die Kirche das Beste von deren Philosophie und Jurisprudenz bewahrt und tradiert hat. Die drei Hügel sind also nicht „gleichberechtigt“, wenn man das so sagen will, weil eben nicht gleich geschichtswirksam.
Im Rahmen des geoffenbarten Glaubens haben die antiken Denker, Staatstheoretiker und Juristen dann ihren Platz gefunden. Dieser reicht natürlich nicht an den der Träger der ausdrücklichen Offenbarung heran, ist also keine heilige Schrift, er darf aber auch nicht verachtet werden.
Resümee
Die Motivation des Mönches, wie auch sonst des Katholiken, ist es nicht, Kulturleistungen als Selbstzweck zu erbringen, sondern Gott die Ehre zu geben und das ewige Leben zu erlangen. Dieses ist eben nur über einen steilen und engen Weg zu erreichen. Per Umwegrentabilität gleichsam wurden dann die genannten materiellen und immateriellen Werte geschaffen. Die Weisung der Bergpredigt bewahrheitete sich im großen Maßstab: Sucht zuerst das Reich Gottes, alles andere wird euch dazugegeben. Damit konnte sich erst eine wahre „Kultur“ herausbilden, wie sie von colere kommt: bebauen, pflegen, veredeln, kultivieren und den wahren Gott verehren. Um die Kirchen und Klöster herum wuchsen die Dörfer und Städte. Was die Gemeinwesen zusammenhielt, war der gemeinsame Glaube.
Gleichzeitig gewannen die Völker ihr Profil. Im Missionsauftrag Christi heißt es bekanntlich: Macht alle Völker zu meinen Jüngern. Nicht nur die Einzelpersonen, sondern die Völker als ganze sollen die Lehre Christi umsetzen. Damit wurde die Kirche praktisch zur Erfinderin des „Ethnopluralismus“, wenn man das so sagen will. Ganz offensichtlich war die uniforme lateinische Liturgie- und Wissenschaftssprache kein Hindernis für die Herausbildung der nationalen Besonderheiten innerhalb der Christenheit. So wurden Deutsche, Franzosen, Engländer, Polen, Kroaten, Ungarn und alle anderen zu christlichen Völkern, in der Kirche unter dem römischen Papst und durch die lateinische Sprache in unkomplizierter Verständigung untereinander vereint.
Die Inhalte des katholischen Glaubens erwiesen sich im Tun als einleuchtend, die Moralvorschriften als förderlich, das zentrale Gebot der Gottes- und Nächstenliebe als befreiend. Der Glaube eröffnete Lebenssinn und Gewissensfrieden und ließ seine Bekenner mit sich ins Reine kommen. Das Grauen des Heidentums mit seinen Götzen und Menschenopfern verschwand.
Paradiesische Zustände wurden weder erreicht noch angestrebt, weil der kirchliche Glaube jegliche Vorstellung solcher Zustände auf Erden ausschließt. Die angebliche „Vertröstung“ auf das Jenseits hat sich für die Menschen der Völkerwanderungszeit und des „Mittelalters“ als echter Trost erwiesen und zu den genannten kulturellen Leistungen geführt.
Von daher ist es auch unerheblich, ob die vorliegenden Gedanken möglicherweise als „romantisch“ oder „idealisierend“ empfunden werden: Wir sind als Individuen und als Nation nur deswegen überhaupt vorhanden und können nur deswegen auf 1500 Jahre katholische Kulturprägung in unserer Heimat zurückblicken, weil unsere Ahnen Schöpfer lebensfördernder und gemeinschaftsbildender Strukturen waren. Wir sind vorhanden, weil unzählige unserer Vorfahren medizinische Hilfe in katholischen Hospitälern und Waisenhäusern erhalten haben und deswegen länger am Leben blieben und eine Familie gründen konnten. Die Umstände führten, wie sie eben waren, zur Zeugung unserer Vorfahren, von denen wir konkret abstammen.
Das sollte uns immer bewußt sein.
Hätte die Kirche in Europa nicht Fuß gefaßt, wäre Europa eine eurasische Halbinsel ohne Bedeutung geblieben. Es hätten sich keine Völker herausgebildet, die der Geschichtsschreibung wert wären. Ein Konglomerat von Nachkommen aus immer neu eindringenden und Massaker anrichtenden heidnischen Horden hätte weder nationale Kontinuität noch kulturelle und menschliche Entwicklung ermöglichen können.
Der ungarische Diplomat hatte also recht.
In einer Zeit, in der Kirchen und Klöster aufgrund der Apostasie von Hierarchen und Gottgeweihten oft kaum noch mehr als leere Hüllen sind, wird die Zerstörung des Glaubens eben auch die Zerstörung der aus ihm entstandenen Kulturen und Völker nach sich ziehen. In Fatima hieß es, daß Völker, die sich nicht bekehren, vom Angesicht der Erde verschwinden werden. Nun, wie man sieht, braucht es dafür keine Atombomben.
Text: MMag. Wolfram Schrems, Wien
- (Dieser Aufsatz ist die überarbeitete Version eines Artikels, der zuerst im Attersee-Report, der Publikation des Attersee-Kreises innerhalb der Freiheitlichen Partei Österreichs, Nr. 21, 2019, S. 14, erschien. Es ist eine erfreuliche Überraschung, daß es in der FPÖ Verantwortungsträger gibt, die sich zumindest für katholische Positionen interessieren und einem sich solcherart artikulierenden Autor immer wieder ein Podium bieten. WS)