
(Rom) Vatican News, die neue Nachrichtenplattform des Vatikans berichtete über das aufsehenerregende Glückwunschschreiben, das Papst Franziskus Gustavo Gutierrez, dem „Vater“ der marxistischen Befreiungstheologie, zu dessen 90. Geburtstag zukommen ließ. Die News-Seite des Papstes hat dies aber nach einer nicht weniger erstaunlichen Hauspolitik.
Der peruanische Dominikaner Gustavo Gutierrez wurde 1971 mit seinem Buch „Theologie der Befreiung“ zum Namensgeber für eine bereits ältere, marxistische Strömung in der katholischen Kirche. Hinter der Parole einer „Option für die Armen“ steht nicht nur ein soziales Engagement, sondern auch die Absicht einer Allianz zwischen Christentum und Sozialismus. Der Entstehen war auch eine Folge des Zweiten Weltkrieges, aus dem eine bipolare Welt mit einem konfliktgeladenen Gegensatz Kommunismus – Kapitalismus hervorgegangen war. Ein „Dritter Weg“, als den sich der Faschismus, aber davon getrennt auch die katholische Staats- und Soziallehre verstand, war entweder desavouiert oder durch den neuen, waffenstarrenden Dualismus marginalisiert.
Allianz zwischen Christentum und Sozialismus

Die Anhänger des „Dritten Weges“, ob Faschisten oder Katholiken, hatten sich zu entscheiden zwischen Moskau oder Washington. Nicht nur in Lateinamerika wechselten viele, obwohl keine Kommunisten, auf die Seite Moskaus über. Dafür steht als staatstragende politische Bewegung exemplarisch der Peronismus in Argentinien, als Einzelpersönlichkeit nicht minder exemplarisch der 1999 verstorbene Erzbischof Helder Camara, der „rote Bischof“, der bis Kriegsende ein führender Vertreter der faschistischen Bewegung in Brasilien war.
Moskau schien ihnen die bessere Option als Washington. Vor allem waren sie in ihrer Fortschrittsgläubigkeit von einer ständigen Höherentwicklung des Menschen überzeugt. Teil dieser Überzeugung war, daß in absehbarer Zukunft Moskau, also der reale Sozialismus siegen werde. Moskau selbst tat das Seine dazu, in vielen Ländern Sympathisanten zu sammeln, zu unterstützen und auch zu lenken.
Die Entkolonialisierungs- und Unabhängigkeitsbewegungen in der Dritten Welt waren ein von Moskau propagandistisch, finanziell, logistisch und auch militärisch unterstützter Teil dieses Machtkampfes um die Weltherrschaft. Ein weites Betätigungsfeld, das es vor allem auch den im Westen mit Moskau sympathisierenden Teilen der Gesellschaft erlaubte, ihr Bekenntnis mit einem gehörigen Schuß Sozialromantik konsensfähig auszuleben, was durch eine direkte Parteinahme für den totalitären Ostblock unmöglich gewesen wäre.

In diesem Anti-Gringo-Klima mit einem starken, kommunistischen Ostblock im Rücken entstand in Lateinamerika als spezifische Ausprägung dieser christlich-sozialistischen Allianz das, was Gutierrez griffig als Befreiungstheologie benannte. Das sozialistische Element wurde durch ein revolutionäres Element aufgerüstet und führte innerhalb der katholischen Kirche und auch ganzer katholischer Orden zu schweren Konflikten. Nicht wenige Priester und Seminaristen, nicht zuletzt des Jesuitenordens, gaben ihre Berufung auf, um sich den revolutionären Guerillabewegungen anzuschließen und den bewaffneten Kampf gegen „die Unterdrücker“ aufzunehmen. Um genau zu sein, sahen sie darin vielmehr die eigentlich Vollendung ihrer „Berufung“. Eine noch heute in Kolumbien operierende, marxistische Guerillabewegung, die Nationale Befreiungsarmee (ELN) wurde 1964 von Priestern gegründet und wird seither von (Ex-)Priestern geführt.
Die Priester, Seminaristen und Christen, die in den Untergrund gingen, waren keine christlich motivierten Sozialarbeiter, sondern bewaffnete Revolutionäre. Sie haben zerstört, verletzt, entführt und gemordet.
Die Glaubenskongregation unter Joseph Kardinal Ratzinger verurteilte auf Wunsch und Billigung von Papst Johannes Paul II. die Befreiungstheologie. Johannes Paul II. wußte im Gegensatz zu den meisten westlichen Moskau-Freunden als Pole genau, was die Herrschaft des „realen Sozialismus“ bedeutete.
Gutierrez, Brandstifter im Hintergrund
Gutierrez war ein Stichwortgeber und Denker aus dem Hintergrund. Er beteiligte sich weder am bewaffneten Kampf noch als Politiker, was seine Verantwortung als „Schreibtischtäter“ für die Irreleitung anderer nicht schmälert. Nicht zuletzt auch deshalb, weil er sich der „real sozialistischen“ und revolutionären Umsetzung der Befreiungstheologie nicht widersetzte.

Der Ostblock-Sozialismus gilt seit der Wende von 1989/1991 als erledigt. Tot ist aber weder der deutsche Hang zur Sozialromantik noch der Sozialismus. Es ist kein Zufall, daß es der ehemalige Regensburger Bischof und spätere Glaubenspräfekt Gerhard Müller war, der Gutierrez kurz nach dem Rücktritt von Papst Benedikt XVI. in Rom hoffähig machte. Er spielte damit wahrscheinlich unbewußt Papst Franziskus in die Hände, dem zwar keine besondere Nähe zu Gutierrez nachgesagt wurde, der aber im Gegensatz zum sozialromantischen Hang Müllers eine echte Sympathie für den Sozialismus hegt – natürlich einen christlich deklinierten Sozialismus. Das Rätsel, wie eine radikal atheistische Bewegung mit dem Christentum vereinbar sein sollte, wurde bisher allerdings ausgeklammert. Auch von Papst Franziskus.
Dieser empfing Gutierrez seit seinem Amtsantritt bereits dreimal und hob ihn mit seinem Glückwunschschreiben zum 90. Geburtstag auf den Sockel neuer „Säulenheiliger“, auf den Franziskus bereits andere Persönlichkeit von höchst zweifelhaftem Ruf stellte wie die Abtreibungs- und Euthanasieideologin Emma Bonino und den sozialdemokratisch gewandeten Ex-Kommunisten Giorgio Napolitano oder den Radikallibertären Marco Pannella.
Jede dieser informellen „Kanonisierungen“ ist ein Fingerzeig des Papstes an die Menschheit, in welche Richtung sie gehen sollte.
Vatican News und die vatikanische Informationspolitik

In der katholischen Kirche finden das nicht wenige ziemlich schrecklich. Mit gutem Grund. Nicht alle haben ein kurzes Gedächtnis. Viele haben die Zeit des Kalten Krieges noch selbst erlebt und kennen die Fakten. Die unter 40-Jährigen haben dieses Wissen aber nicht mehr. Das mag den Vorteil des Unbelastetseins haben, birgt aber auch Gefahren.
Teile der Kirche, auch des Vatikans, wollen das Wiederaufleben der Allianzpolitik zwischen Christentum und Sozialismus durch Papst Franziskus nicht wahrhaben. Sie verschleiern oder dementieren daher diese Bestrebungen. Verschleiert werden sie aber auch von papstnahen Kreisen aus taktischen Gründen. Ein solches Beispiel lieferte Vatican News, das Nachrichtenportal des Heiligen Stuhls.
Gestern berichtete Vatican News in seinen verschiedenen Sprachdiensten über das ungewöhnliche Schreiben des Papstes an Gustavo Gutierrez. In der deutschen Ausgabe lautete die Überschrift:
„Papst Franziskus dankt dem Vater der Theologie der Befreiung“.
Und weiter:
„Mit Lob und Anerkennung hat Papst Franziskus einem der Begründer der Befreiungstheologie zu seinem 90. Geburtstag gratuliert. Der Dominikanerpater Gustavo Gutiérrez gilt als Namensgeber der Befreiungstheologie“.
Die spanische Ausgabe von Vatican News berichtete es ganz anders:
„Der Papst an Gustavo Gutierrez: Sie haben zur Kirche und zur Menschheit beigetragen“.
Und weiter:
Franziskus grüßt P. Gustavo Gutierrez zu seinen 90 Jahren mit einem Brief, in dem er ihm seine Dankbarkeit zum Ausdruck bringt für seinen Beitrag für die Kirche und die Menschheit durch seinen theologischen Dienst und seine bevorzugte Liebe für die Armen und die Ausgegrenzten der Gesellschaft“.
Im ganzen Artikel findet sich weder eine Erwähnung noch sonst irgendein Hinweis auf die Befreiungstheologie, geschweige, daß Gutierrez ihr Namensgeber und „Vater“ ist.

Die englische Ausgabe von Vatican News verschweigt das Glückwunschschreiben des Papstes bisher sogar zur Gänze. Die „Gringos“, die alten Erzfeinde in Washington, sollen – so scheinen die Nachrichtenstrategen im Vatikan zu denken – am besten gar nichts davon erfahren.
Die Berichterstattung der verschiedenen Ausgaben von Vatican News unterscheiden sich eklatant, aber gezielt. Dabei wird seit der großen Reform der vatikanischen Medien in Rom betont, daß es nur mehr eine große, einheitliche Redaktion gibt. Diese „einheitliche“ Redaktion scheint jedoch die Meldungen je nach Sprachräumen und Adressaten zu dosieren.
Dem deutschsprachigen Raum wird – Vatican News geht primär von den innerkirchlichen Verhältnissen aus – ein Befreiungstheologe als eine Art moderner „Kirchenadel“ zugemutet. Dem spanischsprachigen Raum wollte man die Ehrung des Peruaners mitteilen, aber jeden Zusammenhang mit der Befreiungstheologie verschweigen. Immerhin kennt man in Lateinamerika die Befreiungstheologie aus erster Hand. Dem englischsprachigen Raum, besonders wohl den USA, will man das Techtelmechtel des Papstes mit dem Befreiungstheologen offenbar als Ganzes vertuschen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican News/Civilizacion socialista/OtraAndalusia/Youtube/Der Pfad des Kriegers (Screenshots)