
(Rom) Die fliegende Pressekonferenz von Kanada nach Rom erbrachte nicht nur zur Distanzierung vom deutschen Synodalen Weg seltsame Richtigstellungen. Auch zur Empfängnisverhütung und seinem Feindbild „Traditionalisten“ äußerte sich Papst Franziskus.
Die Frage stellte Claire Giangrave von Religion News Service, einer Presseagentur, die Geld von einer Homo-Stiftung nahm, aber bestreitet, daß das Geld geflossen sei, um die Agentur personell und inhaltlich auf Homo-Kurs zu bringen. Dabei hat die geldgebende Stiftung nur zwei Ziele, die Förderung der Homosexualisierung und den Erhalt von Menschenaffen. An dieser Stelle interessiert jedoch nicht, wer aller den Papst im Flugzeug begleiten durfte, sondern was Franziskus zu Theologie, Kontrazeptiva und Traditionalisten äußerte:dClaire Giangrave (RNS): Viele Katholiken, aber auch viele Theologen, halten eine Weiterentwicklung der kirchlichen Lehre zur Empfängnisverhütung für notwendig. Offenbar war Ihr Vorgänger Johannes Paul I. sogar der Meinung, daß das totale Verbot vielleicht noch einmal überdacht werden sollte. Was ist Ihre Meinung dazu, d. h., sind Sie offen für eine Neubewertung in dieser Hinsicht? Oder gibt es eine Möglichkeit für ein Paar, Verhütungsmittel in Betracht zu ziehen?
Papst Franziskus: Ich habe verstanden, das ist eine sehr spezifische Frage. Ihr müßt wissen, daß das Dogma, die Moral, immer auf dem Weg der Entwicklung ist, aber Entwicklung in dieselbe Richtung. Um etwas zu verwenden, das klar ist – ich glaube, ich habe es hier schon andere Male gesagt: Für die Entwicklung einer moralischen Frage, einer theologischen, sagen wir so, oder einer dogmatischen gibt es eine Regel, die sehr klar und erhellend ist: das, was Vinzenz von Lérins im fünften Jahrhundert getan hat, er war ein Franzose. Er sagt, daß die wahre Lehre, um voranzukommen, sich zu entwickeln, nicht stillstehen darf, sie entwickelt sich ut annis consolidetur, dilatetur tempore, sublimetur aetate. Das heißt, sie festigt, verbreitet und vertieft sich mit der Zeit, aber sie schreitet immer weiter voran. Deshalb ist die Aufgabe der Theologen die Forschung, die theologische Reflexion. Man kann nicht Theologie betreiben, wenn man ein „Nein“ vor sich hat. Es wird dann das Lehramt sein, das sagt: „Nein, du bist zu weit gegangen, geh zurück“. Die theologische Entwicklung aber muß offen sein, dafür sind die Theologen da. Und das Lehramt muß helfen, die Grenzen zu erkennen.
Was die Frage der Verhütungsmittel anbelangt, so weiß ich, daß eine Publikation zu diesem Thema und zu anderen Fragen der Ehe herausgegeben wurde. Es handelt sich dabei um den Tagungsband eines Kongresses, und auf einem Kongreß gibt es Referate, dann diskutieren sie untereinander und machen Vorschläge. Es muß klar sein: Diejenigen, die diesen Kongreß durchgeführt haben, haben ihre Pflicht getan, weil sie versucht haben, in der Lehre voranzukommen, aber in einem kirchlichen Sinn, nicht außerhalb, wie ich mit der Regel des heiligen Vinzenz von Lérins sagte. Dann wird das Lehramt sagen: „Ja, es ist gut oder nicht gut.“
Aber viele Dinge werden angeführt. Denken Sie zum Beispiel an die Atomwaffen: Ich habe heute offiziell erklärt, daß der Einsatz und der Besitz von Atomwaffen unmoralisch ist. Denken Sie an die Todesstrafe: Zuerst ja zur Todesstrafe… Heute kann ich sagen, daß wir dort nahe an der Unmoral sind, weil sich das moralische Gewissen gut entwickelt hat…
Um es klar zu sagen: Wenn sich ein Dogma oder eine Moral entwickelt, ist das in Ordnung, aber in diese Richtung, mit den drei Regeln des Vinzenz von Lérins. Ich denke, das ist ganz klar: Eine Kirche, die ihr Denken nicht im kirchlichen Sinne weiterentwickelt, ist eine Kirche, die sich zurückentwickelt, und das ist heute das Problem so vieler, die sich „Traditionelle“ nennen. Nein, nein, sie sind nicht traditionell, sie sind „Indietristen“, sie gehen rückwärts, ohne Wurzeln. Es wurde schon immer so gemacht, im vergangenen Jahrhundert wurde es so gemacht. Und der „Indietrismus“ ist eine Sünde, weil er nicht mit der Kirche vorwärts geht. Die Tradition hingegen, wie jemand sagte – ich glaube, ich habe es in einer der Reden gesagt –, die Tradition ist der lebendige Glaube der Toten, während es für diese „Indietristen“, die sich Traditionalisten nennen, der tote Glaube der Lebenden ist. Die Tradition ist eben die Wurzel, die Inspiration, um in der Kirche voranzukommen, und das ist immer vertikal. Der „Indietrismus“ ist rückwärts gewandt, er ist immer geschlossen. Es ist wichtig, die Rolle der Tradition gut zu verstehen, die immer offen ist, wie die Wurzeln des Baumes, und der Baum wächst… Ein Musiker hat einen sehr schönen Satz, Gustav Mahler sagte, Die Tradition in diesem Sinne ist die Garantie für die Zukunft, sie ist die Garantie, sie ist kein Museumsstück. Wenn man Tradition als etwas Geschlossenes versteht, dann ist das keine christliche Tradition… Es ist immer der Saft der Wurzeln, der uns vorwärts bringt, vorwärts, vorwärts… Deshalb, für das, was du sagst, gilt es zu denken und den Glauben und die Moral voranzubringen, und solange es in Richtung der Wurzeln, des Saftes geht, ist es in Ordnung… mit diesen drei Regeln des Vinzenz von Lérins, die ich erwähnt habe.
Papst Franziskus spielte in seiner Antwort auf eine Tagung der Päpstlichen Akademie für das Leben an, deren Ausrichtung unter Kurienerzbischof Vincenzo Paglia im Auftrag von Franziskus fast zur Unkenntlichkeit verzerrt wurde. Der Tagungsband „Theologische Ethik des Lebens“ („Etica teologica della vita“) wurde Mitte Juli im Vatikanverlag veröffentlicht und wird auf der Internetseite der Akademie bereits in fünf Sprachen mit dem von Papst Franziskus auf der Pressekonferenz geäußerten Satz beworben:
„Die Aufgabe der Theologen ist die Forschung, man kann keine Theologie betreiben, wenn man ein ‚Nein‘ vor sich hat.“
Den Rest muß sich der Betrachter zusammenreimen: Die Päpstliche Akademie für das Leben stellt in dem Tagungsband das Verbot künstlicher Verhütungsmittel, wie es ihr Gründer Papst Johannes Paul II. verteidigte, in Frage. Franziskus verteidigt das, denn die Theologen hätten damit nur „ihre Pflicht getan“. Das Lehramt sei es, das, wenn schon, „Nein“ sagen müsse. Soweit die Theorie, denn Franziskus setzt diesen nächsten Schritt nicht. Er sagt nicht „Nein“ zum umstrittenen Wirken der Akademie unter Kurienerzbischof Paglia.
Freie Fahrt also den Theologen? Das Lehramt werde „Nein“ sagen, so Franziskus, doch mit einem „Nein“ könne keine Theologie betrieben werden, so ebenfalls Franziskus, denn das bedeute Stillstand, und der sei eine „Sünde“, so wiederum Franziskus. Offenbar ist das „Nein“ sogar die einzige „Sünde“, jedenfalls die einzige, die Franziskus zu erwähnen wichtig ist. Die Neudefinition von Sünde durch das Ignorieren der überlieferten Sündenlehre durch die Einführung „neuer Sünden“ wie „theologischer Stillstand“, wie „Mafia“ …
Präsentierte Franziskus hier nur ein dialektisches Wortspiel oder erklärte er ein „Nein“ zum Tabu, da die Theologie davor geschützt werden müsse. Der Widerspruch, der sich darin zeigt, wurde von Franziskus nicht thematisiert, denn auch das „Nein“ des Lehramtes ist ein „Nein“, also implizit eine potentielle „Sünde“, da es zum möglichen „Stillstand“ führen kann. Oder ist alles ganz anders zu verstehen?
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va (Screenshot)