(Rom) Am 11. Januar verteidigte Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin in einem Videointerview von Vatican News das umstrittene nachsynodale Schreiben von Papst Franziskus Amoris laetitia als „Paradigmenwechsel“. Dieser zeichnet sich tatsächlich ab, allerdings etwas anders, als es die Verfechter des Schreibens behauptet hatten.
Die Konflikte, die durch Amoris laetitia weltweit entstanden sind, tat der Kardinalstaatssekretär mit der Bemerkung ab, daß dies eben so sei, wo Veränderungen stattfinden.
Wörtlich sagte der Kardinal, daß Amoris latitia „die Folge eines neuen Paradigmas ist“.
Und weiter:
„Im Text selbst wird von uns ein Paradigmenwechsel gefordert: dieser neue Geist, dieser neue Ansatz!“
Was andere unter diesem „neuen Geist“ und „neuen Ansatz“ verstehen, zeigen zwei Beispiele, die am selben Tag in zwei ganz verschiedenen Tageszeitungen veröffentlicht wurden.
Paradigmenwechsel: Beispiel 1
Gestern titelte der Giornale di Monza in Norditalien:
„Von der Kirche diskriminiert, bittet sie Papst Franziskus um Hilfe“.
„Als Geschiedener wurde ihr nicht erlaubt, die Taufpatin ihrer Nichte zu sein.“
Maria Lucia Schiavone, 58 Jahre alt, wohnt in Arcore, einem berühmten Ort, weil dort Silvio Berlusconis Villa steht. Sie sei wegen „erlittener Gewalt gezwungen gewesen“, ihre Ehe zu beenden.
Vor wenigen Tagen verweigerte ihr ein Priester des Erzbistums Neapel, Taufpatin ihrer Nichte zu sein. Das beklagt die Frau in einem Brief an Papst Franziskus, den sie der Presse übergab. Ihre Anklage richtet sich gegen den Priester, weil er „das Kirchenrecht buchstabengetreu“ befolgt hatte.
Aus der Ehe mit ihrem Mann „habe ich zwei wunderbare Töchter“. Ihr Mann aber habe eine zunehmend bedrohliche Haltung eingenommen und sei so weit gegangen, „mich und auch eine meiner Töchter mit dem Tod zu bedrohen“. Sie habe rebelliert und sich scheiden lassen.
„Ich weiß, daß in der Kirche eine große Diskussion zu diesem Thema im Gange ist, die immer wichtiger wird. Im Brief wollte ich meinen ganzen Zorn gegen jene zum Ausdruck bringen, die Barmherzigkeit predigen und dann ausgrenzen und ausschließen.“
Paradigmenwechsel: Beispiel 2
Der Giornale di Sicilia titelte ebenfalls gestern:
„Priester verweigert ihm seit 10 Jahren die Kommunion, weil er wiederverheiratet ist. Der Protest eines Gemeinderates von Licata“.
Seit zehn Jahre werde ihm die Eucharistie verweigert. „Seine Schuld ist: Er hat sich scheiden lassen und hat wieder geheiratet“.
„Zum wiederholten Male“ wurde Angelo Vincenti, Gemeinderat von Licata und ehemaliger Vorsitzender des Gemeinderates, von Don Tobias Kuzeza, Pfarrer der Kirche zum heiligen Augustinus verweigert. Seine Lage klagte er nun der Tageszeitung.
„Zum wiederholten Male habe ich gesehen, daß es nicht Jesus war, der sich von mir entfernte, sondern es der Wille eines Mannes war, der aufgrund seines Urteils und des Talars, den er trägt, entschieden hatte, daß ich es nicht wert bin, den Leib Christi zu empfangen. Ich habe die Tränen zurückgehalten, weil mir mein Heil an Seele und Geist verweigert wurde. Es gibt nichts Schlimmeres, als zu sehen, wie die konsekrierte Hostie in das Blut Christi eingetaucht und dem Mund zugeführt wird, aber dann wieder in den Kelch zurückgelegt wird.“
Vincenti verweist auf Papst Franziskus. Dieser habe 2016 mit Amoris laetitia die Kirche auch für die wiederverheirateten Geschiedenen geöffnet, „die den Wunsch haben, die Eucharistie zu empfangen“, so der Giornale di Sicilia.
Der Papst habe geschrieben: „Es ist wichtig, die Geschiedenen, die in einer neuen Verbindung leben, spüren zu lassen, daß sie Teil der Kirche sind“.
Zu den Weisheiten der Kirche gehört die Kenntnis, daß oben gemachte, feinsäuberliche Differenzierungen unter ganz anders ankommen, weshalb bereits oben die Dinge einfach und klar formuliert sein sollten.
Doch wie sagte es Kardinalstaatssekretär Parolin: Amoris laetitia ist ein „Paradigmenwechsel“, ein „neuer Geist“ und ein „neuer Ansatz“.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Giornale di Sicilia (Screenshot)