
Von Wolfram Schrems*
In einem offenkundigen Zusammenhang mit den sich rapide beschleunigenden Verirrungen des gegenwärtigen Pontifikats entfernt sich auch die Politik von Kardinal Schönborn immer schneller von jedem Glaubenssinn. Analog zur diktatorischen Politik und zu den absurden Aussagen des Papstes, für die neuerdings auch ein „authentisches Lehramt“ beansprucht wird, setzt der Wiener Kardinal Handlungen, die man zu Zeiten von Johannes Paul II. für nicht möglich gehalten hätte, ebenso unter Benedikt XVI.
Oder etwa doch?
Es gibt Grund zur Annahme, daß das Abgleiten Kardinal Schönborns nicht erst mit der Wahl von Papst Franziskus begonnen hat (besonders deutlich zeigt sich das im „Masterplan“-Hirtenbrief vom 15.05.2011).
Wie auch immer.
Der vorläufige Höhepunkt der Verwirrungen des Kardinals war der „HIV-Gottesdienst“ am Freitag, 1. Dezember, am späten Abend im Stephansdom. Man findet im Internet dazu einen Zusammenschnitt (siehe auch am Ende des Beitrags).
Zu diesem Skandal gibt es eine Vorgeschichte:
Der Kardinal und das „Rote Band“
In Kontinuität mit der Skandalentscheidung von Stützenhofen 2012, die angeblich keinen Präzedenzfall konstituiert hätte, und im Zusammenhang mit inakzeptablen Aussagen zu Moraltheologie, Sexualmoral und Homosexualität in den vergangenen Jahren entschloß sich der Kardinal, am Freitag, 10. Juni 2016, beim Red Ribbon Celebration Concert im Wiener Burgtheater teilzunehmen.

Veranstalter war der Gründer und Organisator des für seine homosexuelle Propaganda notorischen und zu Unrecht so genannten „Life-Ball“ (Lebensball) Gerald („Gery“) Keszler, der 2015 seine Infektion mit HIV publik gemacht hatte. Der Name der Veranstaltung „Red Ribbon“, also „rotes Band“, erklärt sich daraus, daß die Teilnehmer sich ein solches rotes Band an die Kleidung stecken.
Die Onlineausgabe des Kurier schrieb unter dem Titel „Red Ribbon hat den Segen der Kirche“ zum Auftritt des Kardinals wörtlich:
Bisher hatte sich die katholische Kirche kritisch gegenüber Homosexualität geäußert. Die Erklärung dafür gab der Erzbischof von Wien wenig später selbst ab: „Ich gestehe es. Ich hatte Vorurteile gegen Gery Keszler und den Life Ball, aber sie sind geschmolzen.“ Bei mehreren Abendessen wäre ein „Dialog für das echte Gespräch entstanden“, der den Boden für das gegenseitige Verständnis geebnet hätte. „In erster Linie sind wir Menschen“, betonte Schönborn, der als Zeichen der Anerkennung eine „Red Ribbon“-Schleife am Revers trug.
„Benefizkonzert“ – Sammeln für den Tod?
Die Onlineausgabe der Presse berichtete in diesem Zusammenhang, daß 500.000 Euro an Spendengeldern zusammengekommen seien:
Mit dem Geld werden neben nationalen Initiativen auch die Clinton Health Access Initiative, das Charlize Theron African Outreach Project und amfAR [American Foundation for Aids Research] unterstützt.
Unter „nationalen Initiativen“ ist vermutlich Gery Keszler (Verein Aids Life) selbst zu verstehen. Bekanntlich war für das laufende Jahr kein „Life Ball“ vorgesehen. „Zur Aufrechterhaltung der Büro-Organisation“, stimmte übrigens der Finanzausschuß der Stadt Wien mit den Stimmen aller Fraktionen außer der FPÖ für eine Subvention von 450.000 Euro.
Die genannte Clinton Health Access Initiative („Initiative Gesundheitszugang“) hilft gemäß Eigendarstellung HIV-Infizierten in Afrika durch Impfungen und die Entwicklung von Impfstoffen – und ist tief in die Verhütungsindustrie involviert (Verbreitung von Verhütungsimplantaten). Die beiden anderen Organisationen sind ebenfalls laut Eigendarstellung in den „Kampf gegen HIV“ involviert.
Aber es geht auch um Ideologie und Politik, meist im Zusammenhang mit Bevölkerungskontrolle und Akzeptanz von Homosexualität. Die Verhütungsideologie ist bei der Clinton-Initiative schon bei einer ersten Recherche sichtbar. Dabei bleibt schleierhaft, wie die genannten Verhütungsimplantate die Infektion mit Aids verhindern sollen.
Wurde also hier für den Tod gesammelt?
„Mission possible“? – Charismatische Selbsttäuschung
Sinnbildlich ist auch, daß auf dem Pressephoto, das in der Online-Ausgabe des Kurier publiziert worden ist, neben Kardinal Schönborn und Gery Keszler auch Otto Neubauer, Leiter der Akademie für Dialog & Evangelisation der charismatischen Gemeinschaft Emmanuel in Österreich und Autor des Buches Mission possible – Das Handbuch für die neue Evangelisation (Vorwort von Kardinal Schönborn), ebenfalls mit dem roten Band geschmückt, zu sehen ist.

Wer die Politik der Gemeinschaft Emmanuel seit Jahren mitverfolgt, wird feststellen, daß dort eine geradezu sträflich naive Einstellung zur Welt herrscht. Man meint dort offenbar allen Ernstes, durch „Talks“ mit Prominenten „missionarisch“ wirken zu können.
Bei den Prominenten wiederum handelt es sich fast ausnahmslos um die übliche Hautevolee aus Politik, staatsnaher Kultur und Hauptstrommedien (um nicht zu sagen Lügenpresse). Eine starke Schlagseite gibt es in Richtung bedingungsloser Unterwerfung unter die Politik der Europäischen Union und den Zeitgeist (illustriert – nicht nur – durch den „Talk“ mit Romano Prodi vor einigen Jahren und durch die aktuelle politische Ausrichtung, einschließlich Beratung durch Lothar Lockl, Kampagnenleiter von Alexander van der Bellen).
Sinnbildlich ist auch, daß man dort im Dezember 2010 ein Gespräch zwischen Kardinal Schönborn und Alexander van der Bellen zum Thema „Nationalismus heute in Europa – Zuflucht, Sünde oder…?“ durchgeführt hat. (Es ist daher wenig verwunderlich, daß im vergangenen Bundespräsidentschaftswahlkampf der Kardinal eine mehr oder weniger deutliche Wahlempfehlung für den jetzt amtierenden Präsidenten Österreichs abgegeben hat.)
Man muß sich fragen: Wo sind die Früchte? Wer hat sich bekehrt? Ist die Politik christlicher geworden? Konnte man schlechte politische Weichenstellungen abwenden?
Fehlanzeige. Und dazu das Ärgernis. Sollte man nach zehn oder zwanzig Jahren das eigene Tun nicht evaluieren und sich gegebenenfalls fragen, ob man sich getäuscht hat?
Es paßt alles in das düstere Bild einer verwirrten Kirchenhierarchie, die Menschen guten Willens verwirrt. Besonders tragisch ist, daß sich im Umfeld neuer Gemeinschaften (movimenti) viele Menschen guten Willens sammelten und sammeln, besonders junge, die in doktrinäre Irrtümer und eine verfehlte Kirchenpolitik hineingezogen werden.
Nur eine Nebenbemerkung aus aktuellem Anlaß: Der neue Innsbrucker Diözesanbischof Hermann Glettler stammt ebenfalls aus der Gemeinschaft Emmanuel. Offenbar hat man dort kein Problem mit einer geradezu blasphemischen Verschandelung der eigenen Pfarrkirche, die übrigens ganz und gar nicht des Pfarrers „eigene“ Kirche ist, und mit kirchenpolitischen Forderungen, die längst lehramtlich abgelehnt sind, z. B. der Priesterweihe von Frauen (Dass Frauen in der katholischen Kirche irgendwann einmal Priester werden dürfen, sei „so utopisch nicht“).
Damit zum eingangs erwähnten Skandal vom 1. Dezember:
Homosexuellenpropaganda und doktrinäre Verwirrung im Stephansdom
Die offizielle Seite der Erzdiözese Wien schreibt dazu:
Kardinal Christoph Schönborn hat am Freitagabend, 1. Dezember 2017, im Wiener Stephansdom ein leidenschaftliches Plädoyer gegen die Stigmatisierung von Menschen mit HIV/Aids gehalten. Gott wolle die Menschen nicht richten, sondern retten, sagte er bei einem konfessionsübergreifenden Gedenkgottesdienst aus Anlass des Welt-Aids-Tages. „Was heißt das für uns? Nicht zu urteilen, nicht auszugrenzen, nicht andere ausrichten.“ Sich danach zu halten, könne die Gesellschaft nachhaltig verändern, so der Wiener Erzbischof. Zu der erstmals ausgerichteten Veranstaltung hatten die Erzdiözese Wien und der Verein „Life+“ von Lifeball-Organisator Gery Keszler eingeladen.
Und:
Beim Gedenkgottesdienst wurde der rund 36 Millionen Menschen gedacht, die bisher weltweit an Aids verstorben sind, insbesondere auch der Opfer der Krankheit in Österreich. Gott sei ein „Gott des Lebens“, formulierte Schönborn in einem Gebet. „Bei dir gibt es keine Toten. Keiner ist vergessen, keiner ist abgeschrieben. Alle dürfen bei dir einmal Heimat finden.“ Wenn man der an HIV/Aids Verstorbenen gedenke, so gebe der Glaube das Bewusstsein, „dass sie nicht für immer verloren sind“. Die Vorausgegangenen und die noch Lebenden seien „gemeinsam auf dem Weg“.
Abgesehen von der mit dem Auftritt von Gerald Keszler (dessen „Life-Ball“ im übrigen genau denjenigen Lebensstil zelebriert, der die explosionsartige Ausbreitung von HIV fördert) und von Thomas Neuwirth („Conchita Wurst“) an sich schon gegebenen Propaganda, predigte der Kardinal Zweideutigkeiten und Häresien, die ganz nach Papst Bergoglio klingen. Daß Gott nämlich die Menschen „nicht richten, sondern retten“ will, stimmt zwar im Hinblick auf 1 Tim 2,4 , ist aber bekanntlich nicht die volle Wahrheit. Gott wird am Jüngsten Tag die Menschen richten.

Und daß keiner „vergessen“ und „abgeschrieben“ ist, ist nicht wahr. Wer in der Auflehnung gegen Gott stirbt, ist verloren und sozusagen „abgeschrieben“. Wer als Hirte der Kirche mit Formulierungen wie „nicht für immer verloren“ spielt, setzt seine Adressaten einem gefährlichen Irrtum aus. Die Hölle existiert. Der Kardinal weiß das nur allzu gut, wie man ab und zu von frommen Leuten hören kann, die er ums Gebet ersucht.
Nichts gesagt hat der Kardinal von der Verantwortung für das eigene Handeln angesichts des Gerichts Gottes. Er hat nicht zur Bekehrung aufgerufen. Er hat sich der Propaganda der Homosexuellenlobby angeschlossen und dafür den Dom mißbraucht. Er hat damit den Kulturkampf gegen Ehe und Familie verstärkt.
Da der Kardinal eigens einen Gottesdienst für die HIV-Opfer zelebrierte, ließ er diese Opfer als bedeutsamer erscheinen als die Opfer der islamischen Gewalt im In- und Ausland, als die Opfer der Christenverfolgungen weltweit und als die Opfer der Abtreibung. Für diese zelebriert der Kardinal keine Gottesdienste. Zudem ließ er die HIV-Erkrankung gleichsam als schicksalshaftes Ereignis erscheinen – gerade so, als ob der Lebensstil der allermeisten Erkrankten nichts damit zu tun hätte (und als ob diejenigen, die HIV verbreiten, unschuldig wären an der Infektion von denen, die es tatsächlich schuldlos getroffen hat).
Der Kardinal hat nicht gesagt, daß die Homosexualität im Neuen Testament ausdrücklich verurteilt wird (1 Kor 6,9).
Schließlich entwertete der Kardinal die Sequenz Dies irae, die bei dem Spektakel mißbräuchlich aufgeführt wurde. Für solche Ereignisse wurde sie nicht geschaffen. Mit dem „Tag des Zorns“ soll man keine Scherze treiben.
Im Licht von Fatima
Kardinal Schönborn zeigt im 100. Jahr nach Fatima, wie weit die Apostasie der Hierarchie fortgeschritten ist. Heuer wurde weder Österreich dem Unbefleckten Herzen der Gottesmutter geweiht, noch wurden die Sühnesamstage verbreitet, noch zum Rosenkranzgebet analog zur polnischen Initiative aufgerufen. Das Wort „Bekehrung“ ist in bischöflichen Verlautbarungen ein Fremdwort. Die Höllenvision der Seherkinder wurde nicht bekannt gemacht. Keiner der Hirten hat die Gefährdeten gewarnt. Dafür wurde ausgerechnet am Herz-Jesu-Freitag ein Greuel an heiliger Stätte begangen. Man hat gesungen:
Quantus tremor est futurus,
Quando iudex est venturus,
Cuncta stricte discussurus!
Aber man hat es nicht verstanden. Man hat keine Konsequenzen gezogen. Das ist grauenhaft. Es wird an der Initiative von Laien und Priestern liegen, Sühne zu leisten.
*MMag. Wolfram Schrems, Wien, katholischer Theologe, Philosoph, Katechist, Pro-Lifer
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