
(Rom/Brüssel) Die belgische Zeitung La Libre Belgique veröffentlichte am 8. November einen in mehrerlei Hinsicht außergewöhnlichen Artikel, auf den der Vatikanist Marco Tosatti aufmerksam machte. Eine Besonderheit ist bereits der Autor: Jean-Baptiste Douville de Franssu, derzeitiger Präsident der Vatikanbank IOR. Eine weitere Besonderheit ist der Adressat: Jozef Kardinal De Kesel, der Erzbischof von Mecheln-Brüssel und Primas von Belgien.
Bankpräsidenten sind wortkarg
Es ist eine absolute Seltenheit, daß ein amtierender Präsident der Vatikanbank öffentliche Stellungnahmen abgibt. Noch bemerkenswerter ist, daß der Artikel subtile, aber eindeutige Kritik am amtierenden Erzbischof von Brüssel übt. Der Bischofssitz war in den vergangenen zehn Jahren Schauplatz eines harten innerkirchlichen Machtkampfes. Obwohl seit Jahrzehnten fest in progressiver Hand versuchte Papst Benedikt XVI. 2010 einen Befreiungsschlag, um die Kirche in Belgien aus dem Würgegriff des Zeitgeistes zu befreien. Er machte gegen alle progressiven Widerstände André-Joseph Léonard zum Erzbischof. Eine Ernennung, die der erste Stein zur Wiedergewinnung der Kirche sein sollte.

Benedikt XVI. ging aber zögerlich vor. Er erhob Léonard aus Rücksicht auf dessen progressiven Vorgänger, Kardinal Danneels, nicht zum Kardinal. Eine Rücksichtnahme, die in der Sache nichts brachte, denn der unversöhnliche Zorn des progressiven Lagers überschattete dennoch sein ganzes Pontifikat (Stichwort: Geheimzirkel von Sankt Gallen, dem Danneels angehörte).
Danneels wirkte im Team Bergoglio maßgeblich an der Wahl von Papst Franziskus mit. Damit war eine Revanche in Brüssel verbunden, die Franziskus prompt in die Tat umsetzte. Léonard wurde 2015 trotz bester Gesundheit emeritiert. Die Kardinalswürde blieb ihm bis heute verwehrt und der Versuch Benedikts nur eine kurze Episode.
Franziskus ernannte Jozef De Kesel, den Wunschkandidaten Danneels, zum neuen Erzbischof und machte ihn, anders als Benedikt XVI., sofort zum Kardinal. Im Gegensatz zu Léonard dürfte es De Kesel schwerfallen, Verdienste vorzuweisen, die eine solche Rangerhebung rechtfertigen könnten.
Brüssel kommt auch deshalb eine besondere Bedeutung zu, weil sich dort das Machtzentrum der Europäischen Union (EU) befindet.
Douville de Franssus Gastbeitrag im Libre Belgique
Franssu läßt seine Kritik bereits im Titel anklingen: „Bruxelles, qu’as-tu fait de ‚Jérusalem‘?“ (Brüssel, was hast du aus Jerusalem gemacht?). Die Kritik trifft automatisch Kardinal De Kesel, der den Bischofsstuhl innehat. Er bildet die Speerspitze des belgischen Progressismus und ist über den umstrittenen Danneels, der Freund und Vertrauter von Papst Franziskus ist, direkt mit Rom vernetzt.
Aufgefallen ist Kardinal De Kesel bisher durch zwei Dinge: durch progressive Wortmeldungen und den Rauswurf glaubenstreuer Gemeinschaften aus seinem Bistum. Der Grund? „Zu konservativ“.
Mit einer fadenscheinigen Begründung schob er die Priesterbruderschaft der Heiligen Apostel nach Frankreich ab, weil deren Gründer, Abbé Michel-Marie Zanotti, ein französischer Priester ist. Frankreich brauche ja auch Priester, man wolle mit dem Nachbarland „solidarisch“ sein, heuchelte man in Brüssel.
Erzbischof Leonard hatte die Priesterbruderschaft nach Brüssel geholt. Sie brachte innerhalb von nur drei Jahren 27 Priester und Seminaristen in das berufungsarme Brüssel. Zu viele, nach Meinung der dortigen Kirchenleitung. Das traditionelle Priesterbild der Bruderschaft und die zahlreichen Priesterberufungen, die von der Bruderschaft angezogen werden, galten in progressiven Kreisen als nicht erwünscht. Das mußte erst recht für einen Erzbischof und Kardinal gelten, der sich gleich nach seiner Amtseinführung für die Abschaffung des Priesterzölibats aussprach. Priesterberufungen stehen solchen Wünschen im Wege.
Die Gemeinschaften von Jerusalem

Im vergangenen Februar traf es dann die Brüder und Schwestern der Gemeinschaften von Jerusalem, die ihre Koffer packen mußten.
Dabei wurde den 1975, ebenfalls in Frankreich, gegründeten Fraternités monastiques de Jérusalem 2001 von Kardinal Danneels die Niederlassung im Erzbistum erlaubt. Die monastischen Gemeinschaften haben zwei Niederlassung in Rom in Trinità dei Monti und in San Sebastiano al Palatino. Ihr Charisma besteht unter anderem darin, die monastische Einsamkeit inmitten großer Städte zu leben. Die Gemeinschaften haben die berühmte Abtei Mont Saint Michel in der Normandie wiederbesiedelt und ebenso die Abtei mit der berühmten Kathedrale der heiligen Maria Magdalena von Vezelay. Im deutschen Sprachraum gibt es Niederlassungen in Groß Sankt Martin in Köln und in Straßburg.
Die belgische Niederlassung befand sich in Saint-Gilles, flämisch Sint Gillis, in der Region Brüssel, einer stark multikulturell geprägten Gegend mit sozialen Problemzonen, was im Klartext heißt: hoher muslimischer Bevölkerungsanteil. In der Pfarrei gab es Erwachsenenkatechumenat, zahlreiche missionarische und apostolische Initiativen, Bibelkreise und eine Gemeinschaft der eucharistischen Anbetung. Mit der Begründung mehrere Pfarreien zusammenzulegen, wurde die Gemeinschaft „verabschiedet“.
IOR-Präsident Franssu geht es um diese Gemeinschaften von Jerusalem. Die Pfarrei Saint-Gilles/Sint Gillis gehöre zu „den prophetischen Rändern von Papst Franziskus“, so der Bankchef. In den 16 Jahren ihrer Anwesenheit habe die Gemeinschaft eine große Nähe zu den Schwächsten gezeigt. Es seien Vernetzungen entstanden und Freundschaften geknüpft worden. Drei tägliche Gebetszeiten der Gemeinschaft „sind für alle offen“. „Die sind Teil der Landschaft geworden“, so Franssu.
Das Erzbistum unter De Kesel hat jedoch anders entscheiden. „Um auf den Priestermangel zu reagieren und den Immobilienbesitz besser zu verwalten“, werden neue Pfarrverbände geschaffen.
„Was für ein Verlust“, so Franssu, sei der Abzug der monastischen Gemeinschaft aus diesen „Rändern“ Brüssels. Der Bankpräsident läßt auch anklingen, was Tosatti deutlicher ausspricht: Brüssel ist eine „der entchristlichsten Städte Europas“. Franssu schreibt: „Die Zukunft des Glaubens und der christlichen Kultur im Westen entscheidet sich in erster Linie in der Stadt und muß unterschiedlichen, aber komplementären Wegen folgen“.
Priesterberufungen nicht erwünscht
Aus der Vorgehensweise von Kardinal De Kesel, die sogar vom amtierenden IOR-Präsident kritisiert wird, geht eines hervor: Priesterberufungen sind offenbar nicht erwünscht. Progressive Kirchenvertreter wie De Kesel begründen mit dem Priestermangel die Abschaffung des Priesterzölibats und die Schaffung großer Pfarrverbände. Der Gedanke könnte noch weitergesponnen werden. In Wirklichkeit scheint dieser Priestermangel nur zu gut ins Konzept zu passen. Mehr noch, er wirkt gewollt.

Tosatti erwähnt dazu eine Randnotiz der jüngsten Vollversammlung der römischen Kleruskongregation, bei der über die „viri probati“ gesprochen wurde, die man lieber als das bezeichnen sollte, was sie sind: verheiratete Diakone. Er erwähnt nicht, von wem folgende Aussage stammt, was hier ergänzt werden soll. Es handelt sich um einen Auszug aus dem zusammenfassenden Bericht von Kardinal Beniamino Stella, dem Präfekten der Kleruskongregation, vom 1. Juni 2017 zum Abschluß der Vollversammlung seines Dikasteriums, die im Saal der Generalkongregation am Hauptsitz des Jesuitenordens stattfand:
„Ich möchte auch die Situation der ‚traditionalistischen‘ Seminaristen betonen, die uns nicht wenige Schwierigkeiten bereiten, vor allem den Ausbildnern, und dann, nach der Weihe, den Bischöfen.
Ein Thema, das Gegenstand einer aufmerksamen Unterscheidung sein sollte, ist die ‚Starrheit‘, über die der Heilige Vater heute morgen gesprochen hat: das Abgleiten in ein vergangenes Kirchenbild und in Schein und Äußerlichkeiten, die häufig im liturgischen Bereich sichtbar werden. Dahinter können sich nicht selten narzißtische und eitle Persönlichkeiten enthüllen, die geneigt sind, vor den wirklichen, pastoralen Herausforderungen zu fliehen, um sich in Formen der Vergangenheit zu flüchten, die sie nicht erlebt haben und die nicht zu ihrem Leben gehören.“
Dazu Tosatti:
„Wir haben also eine singuläre Situation, besonders in Ländern wie Deutschland, Belgien, Niederlande und Frankreich. Die Verantwortlichen der Kirche wollen keine Berufungen von Personen, die die Tradition der Kirche lieben. Ist es dann erstaunlich, daß die Seminare leer sind?“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Clerus.va
Der letzte Satz von Kardinal Stella ist sehr interessant. … um sich in Formen der Vergangenheit zu flüchten, die sie nicht erlebt haben und die nicht zu ihrem Leben gehören. Ich habe die Zeiten bis 1970 auch nicht erlebt und dennoch bin ich fähig neues, mir unbekanntes zu entdecken und beispielsweise den überlieferten Ritus als sehr hilfreich zu empfinden , gerade weil ich eben nicht so gläubig und religiös bin. Dieser Ritus hat sich über Jahrhunderte hinweg als aüßerst sinnvoll erwiesen. Deshalb wird er von Menschen aus allen Kulturen und allen Ländern weltweit nach wie vor wert geschätzt und anerkannt . Dieser Ritus ist zeitlos,richtig und wichtig.
Wer soll dann die Tradition der Kirche aufbewahren? Die Jugend von Heute weiss schon gar nichts mehr.
Beim Lesen des Satzteiles „der [=Erzbischof und Kardinal] sich gleich nach seiner Amtseinführung für die Abschaffung des Priesterzölibats aussprach“ erinnerte ich mich sofort an Ex-Erzbischof Zollitsch aus Freiburg, der einst gleich nach seiner Wahl zum Vorsitzenden der Dt. Bischofskonferenz in einem Fernsehinterview den Zölibat der Priester als wichtigen Punkt nannte, den es zu überdenken gelte. War das ein Stichwort für den Chor der „progressiven“ Kräfte in der katholischen Kirche, um denen zu zeigen, in welche Richtung er wirken werde?
Mit Kardinal Stellas Verweis auf die “ ‚Starrheit‘, über die der Heilige Vater heute morgen gesprochen hat: das Abgleiten in ein vergangenes Kirchenbild und in Schein und Äußerlichkeiten, die häufig im liturgischen Bereich sichtbar werden. Dahinter können sich nicht selten narzißtische und eitle Persönlichkeiten enthüllen, die geneigt sind, vor den wirklichen, pastoralen Herausforderungen zu fliehen, um sich in Formen der Vergangenheit zu flüchten…“ verhält es sich wie mit vielem anderen. Es kann so sein, es kann auch nicht so sein. Jemand, der im sozialen Bereich arbeitet, kann diese Arbeit leisten, weil ihm die Linderung von Leid ein echtes persönliches Anliegen ist; es kann auch sein, dass er durch diese Tätigkeit aus narzißtischen Gründen anderen zeigen will, wie gut und hilfsbereit er doch ist.…
Wenn sich Kardinal Stella veranlasst, um nicht zu sagen „gezwungen“, sieht, zur Ablehnung von „traditionalistischen Seminaristen“ betonen zu müssen, dass deren Zuneigung zur Tradition der Kirche „nicht selten narzißtische und eitle Persönlichkeiten“ enthüllt, wenn Kardinal Stella diesen traditionsverbundenen Menschen „nicht selten“ negative Charakterzüge unterstellt, dann offenbart er damit meines Erachtens erstens das Fehlen eines echten Ablehnungsgrundes im Hinblick auf die Tradition der kirchlichen Liturgie und zweitens eine ganz gehörige Portion Angst der „progressiven“ Kräfte vor eben dieser Tradition der katholischen Kirche.
Deshalb klingt die von G. Nardi am Schluss seines Textes zitierte Überlegung des Vatikanisten Marco Tosatti durchaus logisch; traurig (!), aber durchaus einsichtig!
Tröstlich, dass nicht die Menschen das letzte Wort haben, sondern dass der Herrgott das letzte Wort spricht! –> Beten und hoffen!
Zum Hintergrund: die französischsprachigen Katholiken in Belgien haben für die beispiellose Verlotterung und Häretisierung in Flandern unter Kard. Danneels wenig Interesse gezeigt; spätestens ab 1995 (Affäre Roeach3, Pädo- und Homoskandale, totale Imbezilisierung) waren die Französischsprachigen froh, daß diese Pest hautsächlich bei den Nachbarn im Norden auftrat.
Mit Bauchschmerzen aber schweigend duckten sie sich und blieben in ihrem Reservat- nicht zuletzt bei einigen tapferen Hirten- weitgehend unbehelligt. (80% des pädophilen Mißbrauchs spielt sich übrigens in Flandern ab).
Die Ablehnung v. Msgr. Léonard, teils äusserst gehässig, wurde größtenteils von niederländischsprachigen Modernisten getragen. Die Frankophonen haben das sehr genau registriert.
Gerettet wurde Msgr. Léonard übrigens durch die intense Verflechtung der niederländischsprachigen Modernisten mit pädo- und homophilen Netzwerken, mit parteipolitischer Inplikationen und mit moralischen und finanziellen Skandalen.
Daß DeKesel als Protégé von Danneels und seit Jahrzehnten in dem modernistisch-häretischen Netzwerk eingebunden, wenig Gutes versprach für das französischsprachige Renouveau in Belgien, war jedem objektiven Beobachter klar.
Anfang 2016 reagierten einige Frankophonen noch sehr unwirsch, wenn dazu Tacheles geredet wurde.
Die Fraternités Monastiques de Jérusalem waren übrigens schon 2010 vom belgischen Episkopat mißbraucht (bzw.ihre Kandidheit und Naivität mit Nichtinformiertseinausgenutzt), wenn der pädophile Bischof von Brügge Roger VanGheluwe bei einer kleinen Niederlassung in Zentralfrankreich untergebracht wurde.
Spätestens seit seinem öffentlichen Auftreten dort (vor dem Fernsehen) waren die Beziehungen der Fraternité mit Danneels und DeKesel (Bischof v. Brügge) stark unterkühlt. Beflügelt vom Beispiel von Franziskus/Bergoglio meuchelt DeKesel jetzt was geht.
Inzwischen formiert sich bei den frankophonen Katholiken jedoch breiter Widerstand oben und unten (z.B. belgicatho.hautetfort.be) Der Artikel in „La Libre Belgique“ ist ein sehr gutes Beispiel.
Die Tatsache, dass Kardinal Beniamino Stella, Präfekt der Kleruskongregation, am 1. Juni 2017 die Tradition der Kirche als „…Formen der Vergangenheit“ bezeichnet, „die sie nicht erlebt haben und die nicht zu ihrem Leben gehören…“ ist der schriftliche Beweis dafür, dass das 2. vat. Konzil mit der Tradition gebrochen hat und eine neue Kirche formen wollte.
Die „alte“, von Jesus gegründete Kirche gilt es nun auszulöschen, aus den Köpfen und Erinnerungen der Menschen zu entfernen und durch eine neue Kirche zu ersetzen. Diese neue Kirche ist nicht mehr die von Jesus Christus gegründete.
Machen wir uns nichts vor, es gibt keine „Hermeneutik der Kontinuität“.