Von Giuseppe Nardi
Für Ärger sorgt ein Kommentar zum Tod des kleinen Charlie Gard, der in der Tageszeitung der Bischofskonferenz erschienen ist und damit einen offiziösen Charakter hat. Er stellt zugleich ein Sittenbild dar und ist Ausdruck jener Bereitschaft in manchen Kirchenkreisen, beim kleinstem Widerstand des Zeitgeistes die weiße Fahne zu hissen und zu kapitulieren.
Am 27. Juli wurde der kleine Charlie Gard auf Anweisung eines Richters in ein geheimgehaltenes Kinderhospiz überführt. Am vergangenen Freitag, dem 28. Juli, ist Charlie im Alter von elf Monaten und 24 Tagen gestorben, nachdem ihm – ebenfalls auf richterliche Anweisung – die Sauerstoffzufuhr abgestellt worden war. Mit anderen Worten, man hat bewußt seinen Erstickungstod herbeigeführt.
Der Fall des kleinen Charlie, der an einer seltenen Erbkrankheit litt, hat viele unglaubliche Aspekte, der unglaublichste ist die Mißachtung der Heiligkeit eines Menschenlebens, gefolgt von der Mißachtung des Elternrechts, schließlich die Mißachtung elementarster Grundregeln eines zivilisierten Rechtsstaates. Was die Eltern durchgemacht haben, die mitansehen mußten, wie Fremde über Leben und Tod ihres Sohnes entschieden, läßt sich gar nicht ermessen. Was der kleine Charlie Gard durchgemacht hat … dafür fehlen ohnehin die Worte.
Ein Richter bestimmte, daß die Eltern ihren Sohn nicht zu einem Spezialisten in die USA, dem Neurologen Michio Hirano von der Columbia University und Primar am New York Presbyterian Hospital, Fachmann für Mitochondriopathien, bringen durften. Ein Richter bestimmte, daß die Eltern ihren Sohn überhaupt nirgendwohin bringen durften, nicht einmal nach Hause, damit er dort den Tod sterben könne, den andere für ihn bestimmt hatten. Ein Richter hatte nämlich entschieden, daß es für Charlie keine Hilfe mehr gebe und er daher zu sterben habe, indem man ihm die Sauerstoffzufuhr, auf die er angewiesen war, abdreht.
Natürlich sei das kein absichtlicher Mord, denn dergleichen gebe es durch einen Richter per definitionem nicht. Es sei auch kein absichtliches Töten, weil alles nur „aus humanitären“ Beweggründen und „zum Wohl“ des Kindes geschehe. Die Eltern seien uneinsichtig und würden nicht verstehen, daß der Tod „das Beste“ für das Kind sei, weshalb ein Richter die Entscheidung über die Köpfe der Eltern hinweg (und des kleinen Charlie ohnehin) zu treffen hatte. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fand nichts daran auszusetzen. Um genau zu sein, weigerte er sich überhaupt, sich mit dem Fall zu befassen.
Der Richter heißt Nicholas Francis. Zur Verteidigung der Rechte des kleinen Charlie berief er einen Rechtsbeistand, der einer Euthanasievereinigung nahesteht. Der Elefant wurde in den Porzellanladen gelassen, aber – natürlich – alles geschah ja im Namen der Humanität und – wir erinnern uns – „zum Wohl“ des Kindes.
Papst Franziskus und US-Präsident Donald Trump bemühten sich um das Leben des Kindes. Doch nützte alles nichts. Die Bürokratie, auch wenn sie Richterrobe trägt, ist unerbittlich und kalt.
Kardinal Carlo Caffarra warnte:
„Sie haben Gott zurückgewiesen, um sich der Bürokratie auszuliefern.“
Andere Kirchenvertreter machten so schnell einen Kniefall vor dem Zeitgeist, unfähig für ein Menschenleben die Stimme zu erheben, daß man sich gar nicht so schnell umschauen konnte. Die Eltern hielten unerschrocken stand und kämpften um das Leben ihres Kindes, nicht das eines Richters oder der Medien oder der Staatsanwaltschaft oder einer Euthanasieorganisation. Sie kämpften bis zum Schluß. Ihnen ist es zu verdanken, daß der Fall des kleine Charlie überhaupt bekannt wurde. Hätten sie nicht gehandelt, wie Eltern zu handeln haben, die das Beste – und zwar wirklich das Beste – für ihr Kind wollen, dann wäre klein Charlie stillschweigend euthanasiert worden, und niemand hätte davon erfahren. Die Kultur des Todes hat am Ende dennoch gesiegt, und das ist ein Warnsignal, das alle aufschrecken sollte, aber sie wurde enttarnt.
Traurig ist die Figur, die einige Kirchenvertreter in der Sache machten. Traurig ist der ständige Versuch, alles schönzureden, als sei es irgendwie gleichgültig, ob Charlie noch leben würde oder sterben mußte. Hauptsache alles „positiv“ sehen und nicht gegen den Strom schwimmen.
So scheint jedenfalls Marco Tarquinio, der Chefredakteur des Avvenire, der Tageszeitung der Italienischen Bischofskonferenz gedacht zu haben, als er am 29. Juli seinen Kommentar schrieb, um das Kapitel des kleinen Charlie Gard abzuschließen.
Hier der Kommentar:
„Der Weg und der irdische Kampf von Charlie Gard sind zu Ende, sein Leben geht weiter. Charlie ist von einem unerbittlichen Leiden getötet worden, und weder die Wissenschaft noch das Gesetz konnten oder wollten ihm vielleicht helfen. Dennoch ist dieses kleine und unendliche Kinderleben nun in den Armen des Vaters, der uns mit der „unendlicher Liebe“ der Mutter liebt. Das hat uns Johannes Paul I. gelehrt mit einem Lächeln und einer großen Weisheit. Die Mutter und der Vater des Kleinen, den die ganze Welt begonnen hat, als eigenen Sohn zu sehen, bezeugen es uns mit Würde und Leiden auf dem Weg einer Treue ohne Verbissenheit. Wir alle, die wir uns Christen und zivilisiert nennen, sollten das nie vergessen, nicht einmal im Schmerz und der Orientierungslosigkeit.“
Laut dem Chefredakteur der Zeitung der Bischöfe ist der kleine Charlie also an einer Krankheit gestorben. Was für eine Lüge! Charlie ist gestorben, weil ein Richter angeordnet hatte, ihn ersticken zu lassen, und weil ein Mensch ihm gezielt die Sauerstoffzufuhr abgedreht hat.
Zumindest zweideutig ist die Behauptung, die Eltern, deren Elternrecht vom britischen Rechtsstaat und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mit Füßen getreten wurde, seien Zeugen einer „Treue ohne Verbissenheit“ geworden. Was haben sie, laut der Wortwahl Tarquinios also bezeugt? Die Treue als Eltern ihrem Sohn gegenüber, die sein Leben retten wollten, oder will er sagen, daß am Ende Richter und Ärzte jenes Krankenhauses, indem sich Charlie befand, recht hatten, die es als „Verbissenheit“ sahen, das Kind noch länger am Leben zu lassen?
Da Tarquinio behauptet, Charlie sei an einer Krankheit gestorben, muß angenommen werden, daß der Chefredakteur der Zeitung der Bischöfe auch der Meinung ist, es sei „das Beste“ für das Kind, gewesen, daß es getötet wurde.
Bei solchen „Streitern“ für die Kultur des Lebens, darf man sich nicht wundern, wenn die Kultur des Todes immer virulenter wird.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: InfoVaticana
Die Frage, die sich hier stellt, ist nicht, ob ein Gericht den kleinen Charlie umgebracht hat. Die Frage ist, wie weit der Einsatz der modernen Mendizin gehen muss. Ist es moralisch geboten, alle dem Menschen möglichen Mittel zu ergreifen, die er hat, um den Tod zu verhindern und Leben länger zu gewähren als es die Natur ohne menschlich-technischen Einsatz sonst möglich macht. Muss man lebenserhaltende Maßnahmen ohne Betrachtung der Sinnhaftigkeit (natürlich nach menschlichem Ermessen – was sonst?) unbegrenzt lang aufrechterhalten? Oder sollte man ab einem gewissen (natürlich letztlich willkürlichen – was sonst?) Zeitpunkt die medizinische Behandlung einstellen können? Wenn das von der Kirche über Jahrhunderte hochgehaltene „Naturrecht“ gelten soll, wie ist das – wenn man es sehr eng auslegt – überhaupt mit medizinischer Behandlung vereinbar? Ist nicht eine Blinddarmoperation schon ein „widernatürlicher“ Eingriff?
Ich glaube, dass die nicht so enge Auslegung des Naturrechts richtig ist, da sie der intellektuellen Ausstattung des Menschen entspricht („Macht euch die Erde untertan!“). Folgerichtig muss aber auch das Ausmaß der Behandlung der Mensch mit seinen intellektuellen Fähigkeiten entscheiden. Die anzuprangern, die das in Intensivabteilungen täglich tun müssen, ist ungerecht und von nicht zu überbietender Selbstherrlichkeit!
Ein persönlich erlebter Fall: ein priesterlicher Freund hatte eine schwerste Gehirnblutung im Stammhirn erlitten, die auch den Neokortex zunehmend in Mitleidenschaft gezogen hat. Er lag in tiefem Koma, war aber nicht gehirntot. Es war allerdings abzusehen, dass das Atemzentrum innerhalb von wenigen Stunden die Tätigkeit einstellen wird. Die Frage, die der diensthabende Arzt an mich und seinen Ordensoberen stellte, war, ob man dann künstlich beatmen sollte. Nach intensiven Überlegungen unter Betrachtung aller Umstände haben wir entschieden, nicht zu beatmen. Damit haben wir ihn dem Erstickungstod ausgesetzt. Einige Stunden später ist er gestorben. Sind der Abt und ich seine Mörder?
Die Frage ist ob das Gericht gegen den Willen des Patienten/seiner Eltern die Beatmung einstellen darf (vor allem wenn es noch Hoffnung auf Behandlung gibt) und ob es die genauen Umstände des Todes bestimmen darf wiederum entgegen den Wuenschen der Eltern, wie es in diesem Fall geschehen ist.
Natürlich ist das auch eine Frage. Aber kann man den Einsatz von medizinischen Resourcen alleine den Eltern überlassen? Sind diese emotional überhaupt in der Lage, eine Entscheidung darüber zu treffen? Die medizinischen Resourcen sind öffentlich finanziert und nicht allein von den Eltern bezahlt.
Ja seit ihr kurz und knapp. Ein Priester der eine solche Entscheidung trifft ist eine Schande für die Kirche.
„Ja, seid ihr kurz und knapp. Ein Priester, der eine solche Entscheidung trifft, ist eine Schande für die Kirche.“
Welche Konsequenzen muss so eine Antwort jetzt für mich und den Abt haben? Beichten einer Todsünde, der ich mir selbst aber nicht bewusst bin? Selbstanzeige bei der Staatsanwaltschaft wegen Mordes? Rücktritt des Abtes und Suspendierung als Priester?
Bei der Staatsanwaltschaft und in unserem Staat wird man für eine solche Entscheidung noch Ausgezeichnet.
Aber Jesus Christus braucht das Leiden zur Sühne, allein deshalb sind wir verpflichtet menschliches Leben zu erhalten auch wenn das Leiden bedeutet.
Vorsicht @ Ludwig und @ Marzel
Es gibt einen Unterschied darin, ob Geräte in diesem Fall die Sauerstoffzufuhr abgestellt werden, oder ob Sie nie in Betrieb gnommen wurden. Es ist moralisch von der Kirche immer erlaubt gewesen auf medizinische Hilfe zu verzichten. Es ist jedoch nicht erlaubt aktiv Maßnahmen zu treffen, die unmittelbar zum Tod eines Menschen führen müssen. Falls also jemand an einer Herz-Lungen-Maschine hängt und diese ausgeschaltet wird, ist der Ausschaltende tatsächlich ein Mörder.
@ Ted, das ist Kasuistik in ihrer negativsten Ausprägung! Ob medizinische Behandlung durchgeführt wird, kann doch nicht davon abhängen, ob man sie überhaupt begonnen hat. Wenn ich moralisch gerechtfertigt auf die Behandlung verzichten kann, dann muss ich auch eine begonnene Behandlung mit der geleichen moralischen Begründung wieder beenden können, wenn ich zur Erkenntnis komme, dass ich sie gar nicht beginnen hätte sollen.
Wenn ich auf medizinische Hilfe verzichte ist es mein von der Kirche erlaubtes Recht. In diesem Falle haben jedoch Dritte über Leben und Tot entschieden, wenn sie von dem Betroffenen die Erlaubniss zur Versagung der Hilfe hatten in Ordnung. Was ist aber wenn nicht und sie eigenmächtig entschieden haben ?
Der Verstorbene Priester hat immer klar und deutlich dafür ausgesprochen, dass er keine Behandlung haben will, wenn nach menschlichem Ermessen die Sinnlosigkeit dieser Behandlung gegeben ist. Wir haben zu 100% im Sinn des Verstorbenen gehandelt.