
(Augsburg) Am gestrigen Dreifaltigkeitssonntag ist am Nachmittag der bekannte Augsburger Priester Ingo Dollinger im Alter von 88 Jahren verstorben. Zuletzt hatte sich sein Gesundheitszustand deutlich verschlechtert. In die Schlagzeilen geriet der Moraltheologe noch im hohen Alter wegen eines indirekten Ferndisputs mit dem Heiligen Stuhl zum sogenannten Dritten Geheimnis von Fatima.
In ihrem Nachruf schrieb Maike Hickson heute: „Sein Sekretär sagte mir: ‚Sein Gesicht strahlte, als er starb‘.“
Dollinger, Jahrgang 1929, wurde 1954 zum Priester geweiht, wirkte zunächst in der Pfarrseelsorge und war dann Sekretär des Augsburger Bischofs Josef Stimpfle (Bischof von Augsburg 1963–1992). Er suchte damals die Nähe eines großen Heiligen, Pater Pio von Pietrelcina (1887–1968), der sein Beichtvater wurde und als dessen geistlichen Sohn sich Dollinger verstand. Viele Male suchte er den stigmatisierten Kapuziner in San Giovanni Rotondo auf.
Verteidiger und Förderer der Tradition

In den 70er Jahren war er auf katholischer Seite führend an den Gesprächen der Deutschen Bischofskonferenz mit der Freimaurerei beteiligt und setzte sich entschieden für die Unvereinbarkeitserklärung von 1980 ein, die von der Deutschen Bischofskonferenz zur Frage der Mitgliedschaft von Katholiken in der Freimaurerei erlassen wurde. Die Glaubenskongregation bekräftigte diese Unvereinbarkeit 1983.
In den frühen 80er Jahren wurde er Rektor der Philosophisch-Theologischen Hochschule Institutum Sapientiae im brasilianischen Anapolis, an der der er selbst Moraltheologie lehrte. Die Hochschule dient dem Orden der Regularkanoniker vom Heiligen Kreuz als Ausbildungsstätte. Zur damaligen Zeit gab es im Westen noch keine der Tradition verbundene, kirchlich anerkannte Priesterausbildungsstätte.
Das Institutum Sapientae genoß im Vatikan unter allen theologischen Hochschulen Brasiliens, an denen sich Kandidaten auf das Priestertum vorbereiteten, den besten Ruf. Treue zum Papst in der Verwirrung der nachkonziliaren Krise war Dollingers „Markenzeichen“ nach der Wahl von Johannes Paul II. Bereits von Deutschland her, war er eng mit Joseph Kardinal Ratzinger bekannt. Eine Bekanntschaft, die durch den Aufbau der Hochschule noch enger wurde. Als Autor mehrerer Bücher trat Dollinger als Verteidiger der katholischen Glaubenslehre auf und bemühte sich um „Klarheit in einer sich ausbreitenden Orientierungslosigkeit“, wie er selbst betonte.
Später wurde er zum Förderer traditionsverbundener, altritueller Gemeinschaften wie der 1988 gegründeten Priesterbruderschaft St. Petrus (FSSP) und den im selben Jahr gegründeten Servi Jesu et Mariae (SJM). Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte Dollinger in Wigratzbad.
Ferndisput mit dem Vatikan zum Dritten Geheimnis von Fatima
Im Mai 2016 berichtete die deutsch-amerikanische, katholische Publizistin Maike Hickson bei OnePeterFive unter Berufung auf Ingo Dollinger, daß der Heilige Stuhl im Jahr 2000 das sogenannte Dritte Geheimnis von Fatima nicht vollständig veröffentlicht hatte. Für seine Aussage berief sich Dollinger auf Benedikt XVI., der ihm als damals zuständiger Präfekt der Glaubenskongregation, dies anvertraut hatte.
Hickson schrieb:
Nicht lange nach dem Juni 2000, der Veröffentlichung des dritten Geheimnisses von Fatima durch die Kongregation für die Glaubenslehre, sagte Kardinal Joseph Ratzinger Dollinger in einem persönlichen Gespräch, daß es noch einen Teil des dritten Geheimnisses gibt, den sie nicht veröffentlicht haben! „Es ist mehr als das, was wir veröffentlicht haben“, sagte Ratzinger. Er sagte Dollinger auch, daß der veröffentlichte Teil des Geheimnisses authentisch ist und daß der nicht veröffentlichte Teil des Geheimnisses von „einem schlechten Konzil und einer schlechten Messe“ spricht, „die in naher Zukunft kommen soll“.
Dann geschah das Ungewöhnliche. Das vatikanische Presseamt veröffentlichte eine Erklärung von Benedikt XVI., in der dieser Dollingers Aussage zum Geheimnis von Fatima dementierte und grundsätzlich bestritt, jemals mit Dollinger über Fatima gesprochen zu haben.
Die Presseerklärung des Vatikans im Wortlaut:
„Einige Artikel haben jüngst Erklärungen berichtet, die Ingo Dollinger zugeschrieben werden, laut denen Kardinal Ratzinger nach der Veröffentlichung des dritten Geheimnisses von Fatima, die im Juni 2000 erfolgte, ihm anvertraut hätte, daß diese Veröffentlichung nicht vollständig war.
Diesbezüglich teilt Benedikt XVI. mit, ‚nie mit Professor Dollinger über Fatima gesprochen zu haben‘, erklärt in aller Klarheit, daß die Dollinger zugeschriebenen Aussagen zu diesem Thema ‚reine Erfindungen sind und absolut nicht wahr‘, und bekräftigt mit Eindeutigkeit, daß ‚die Veröffentlichung des dritten Geheimnisses von Fatima vollständig ist‘.“
Der Vorfall ist auch deshalb ungewöhnlich, weil es sich um die einzige Presseerklärung von Benedikt XVI. handelt, seit dieser am 28. Februar 2013 auf sein Papsttum verzichtete. Warum wurde gerade dieser Nachricht eine solche Bedeutung beigemessen, die von einer Internet-Zeitung veröffentlicht wurde und nicht von einem „Leitmedium“? Unglaubwürdig erscheint vor allem die Aussage, Kardinal Ratzinger und Dollinger hätten in den vielen Jahren ihrer persönlichen Freundschaft und Zusammenarbeit nie über Fatima gesprochen.
Ungewöhnlich auch deshalb, weil der Vatikan unter dem Pontifikat von Papst Franziskus kaum dementiert, selbst dort nicht, wo ein Dementi dringend wünschenswert wäre.
Dollinger bestätigte nach der vatikanischen Presseerklärung seine Aussage:
„Ich kann mir das Dementi Roms nicht erklären.“
Katholisches.info bestätigte mit Hilfe des Zeugen Gottfried Kiniger, daß Dollinger nicht erst Jahre später, sondern bereits im Herbst 2000 gegenüber Dritten die von Hickson veröffentliche Schilderung berichtete. Kurz nach der Veröffentlichung des Dritten Geheimnisses durch den Vatikan, die im Juni 2000 erfolgte, erzählte Dollinger von einer Begegnung mit Kardinal Ratzinger, bei der sie auf Fatima und die Veröffentlichung zu sprechen kamen. Der Glaubenspräfekt habe Dollinger damals anvertraut, daß das Geheimnis nicht vollständig veröffentlicht wurde.
Gottfried Kiniger bezeugte:
„Das genau Datum weiß ich nicht mehr“, so Kiniger, „aber es war noch im Jahr 2000, dessen bin ich mir sicher. Ich sehe noch die Pressekonferenz in Rom vor mir, wie sie damals im Fernsehen gezeigt wurde. Im Herbst habe ich wie gewohnt Dollinger besucht, mit dem ich seit Jahren befreundet bin. Bei dieser Gelegenheit erzählte er, bald nach der Pressekonferenz mit Kardinal Ratzinger, damals Präfekt der Glaubenskongregation, zusammengetroffen zu sein. Er konzelebrierte damals sogar mit ihm, etwas was Dollinger normalerweise nicht tut, aber Ratzinger hatte ihn dazu eingeladen. Im Anschluß an die Zelebration hat Dollinger den Kardinal auf Fatima und das Dritte Geheimnis angesprochen. Ratzinger sagte zu ihm: ‚Was wir veröffentlicht haben, ist nicht das ganze Geheimnis‘. In der Sakristei waren noch weitere, teils hochrangige Priester anwesend, denen sich der Kardinal zwischendurch zuwenden mußte. Er kam dann aber auf Dollinger zurück und sagte ihm: ‚Es ist uns so aufgetragen worden‘. Diesen Satz hat Dollinger wiederholt. ‚Es ist uns so aufgetragen worden.‘
Er hat die Worte so gedeutet, daß Johannes Paul II. es so gewollt und angeordnet hatte. Bei dem Treffen, als mir Dollinger das erzählt hat, waren auch andere Personen zugegen, darunter auch meine Begleiter.
Diese Episode hat Dollinger in den Jahren danach noch mehrfach bei unseren Begegnungen wiederholt. Auch dabei waren meist weitere Personen anwesend. Es war kein Geheimnis, nichts was er geheimhielt. So hatte es ihm der Kardinal gesagt, so gab er es weiter. Manchmal saßen Priester und Seminaristen vom Seminar der Petrusbruderschaft in Wigratzbad am Tisch. Ich kenne ihre Namen nicht. Jedenfalls haben diese Schilderung im Laufe der Jahre zahlreiche Leute gehört. Ich persönlich kann die Schilderung seit dem Herbst 2000 bezeugen, als Dollinger sie mir das erste Mal erzählt hat. Und ich kann bezeugen, daß er sie mir genauso im Laufe der Jahre noch mehrere weitere Male erzählt hat. Es besteht für mich kein Zweifel, daß Prof. Dollinger, zu dem ich vollstes Vertrauen habe, die Sache wahrheitsgetreu wiedergegeben hat. Welchen Grund hätte er gehabt, so kurz nach der damaligen Pressekonferenz ein solches Gespräch und einen solchen Inhalt zu erfinden und ihn dann auch noch frei und offen jedem zu erzählen, der es hören wollte. Daß Benedikt es nach 16 Jahren plötzlich abstreitet, kann ich mir einfach nicht vorstellen. Das scheint mir vielmehr unglaubwürdig. Warum Rom das tut, weiß ich nicht. Ich kann es mir nicht erklären. Es scheint, als möchte man den Deckel auf Fatima daraufsetzen und die Sache abschließen. Aber das geht nicht. Ich weiß aber nicht, warum das Rom so getan hat.“
Das römische Dementi erfolgte ungewöhnlicherweise erst 2016, obwohl Dollinger seit 2000 dasselbe wiederholte und erstmals 2004 auch darüber geschrieben wurde. Die vatikanische Presseerklärung erschütterte den betagten Moraltheologen. Mit zunehmenden gesundheitlichen Problemen wollte er zuletzt nicht mehr über die Sache sprechen, wie Maike Hickson bestätigte.
Seit dem Dementi steht Aussage gegen Aussage und wirft zahlreiche Frage auf.
Am Sonntag ist ein in seiner ganzen Haltung demütiger und seinem ganzen Lebenswandel bescheidener, in der Verteidigung des katholischen Glaubens aber streitbarer Priester verstorben. Mit seinen entschiedenen und klaren Worten zur katholischen Morallehre gehört der Priester und Moraltheologe Ingo Dollinger im deutschen Sprachraum zu den großen Priestergestalten unserer Zeit.
Requiescat in pace.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: OnePeterFive/MiL (Screenshots)
Natürlich liest man diesen Bericht nicht ohne Interesse. Zugleich stimmt es nachdenklich, wenn die Aussagen einer wenig bekannten Journalistin, Dr. Maike Hickson, sowie einer der Öffentlichkeit völlig unbekannten Person, Gottfried Kiniger, gleich viel Gewicht haben sollen als eine offizielle Stellungnahme Benedikts XVI.? Warum hat Ingo Dollinger sich nicht selbst belegbar zu diesem durchaus bedeutsamen Sachverhalt geäußert, spätestens nach dem erfolgten Dementi? Was ist mit den anderen Gesprächszeugen von Wigratzbad?