(Rom) Am kommenden 11. Mai tritt in Rom die Generalversammlung der Caritas Internationalis zusammen, um eine neue Führungsspitze zu wählen. Zurück liegen einige problematische Jahre, ein sexueller Mißbrauchsskandal in Zentralafrika und eine wenig transparente Entlassung der gesamten römischen Führungsspitze durch Papst Franziskus.
In der Caritas Internationalis sind 162 nationale Caritas-Verbände zusammengeschlossen. Sie ist das pulsierende karitative Herzstück der katholischen Kirche. In der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt die Caritas allein fast mehr Angestellte, als das Land am Sonntag Meßbesucher hat. Weltweit ist die Caritas die bekannteste Hilfsorganisation.
In einer für sein Pontifikat typischen Machtdemonstrationen setzte Franziskus im vergangenen November den Generalsekretär Aloysius John, den Vorsitzenden Kardinal Luis Antonio Tagle sowie dessen Stellvertreter, den Schatzmeister Alexander Bodmann, Generalsekretär der Caritas der Erzdiözese Wien, und den geistlichen Assistenten der Caritas Internationalis, Msgr. Pierre Cibambo Ntakobajira aus der Demokratischen Republik Kongo, ab. Die Gründe für den aufsehenerregenden Schritt sind undurchsichtig. Immerhin galt Kardinal Tagle lange als bevorzugter Kronprinz von Franziskus.
Nur so viel wurde bekannt: Nach einer „unabhängigen externen Prüfung“ seien „echte Mängel im Management“ festgestellt worden, welche die Moral der Mitarbeiter der römischen Geschäftsstelle des internationalen Dachverbandes beeinträchtigt hätten. Seither wurde viel über Veruntreuung oder sexuelle Übergriffigkeit spekuliert. Mehr Licht in die Sache konnte aber nicht gebracht werden.
Finanzielle Unregelmäßigkeiten oder sexuelles Fehlverhalten wurden vielmehr ausgeschlossen. Ehemalige Mitarbeiter hatten jedoch über ein „toxisches Arbeitsumfeld“ geklagt, für das Generalsekretär Aloysius John verantwortlich gemacht wurde. Mitarbeiter seien eingeschüchtert, belästigt und gedemütigt worden. Obwohl ein Arbeitsplatz im Vatikan aufgrund der Steuerbefreiung sehr begehrt ist, zogen mehrere Mitarbeiter es vor zu kündigen. 2021 gingen Beschwerden ein, die im Auftrag von Kardinal Tagle auch untersucht worden seien. Maßnahmen ergriff der ehemalige Erzbischof von Manila aber keine. Die Klagen wurden schließlich bis nach Santa Marta getragen und eine externe Überprüfung des Generalsekretariats angeordnet. Das Ergebnis dieser Prüfung ist nicht bekannt. Bekannt ist aber, wie Franziskus darauf reagierte: Am 22. November 2022 setzte er die gesamte Führungsspitze der Caritas Internationalis ab und ernannte einen Sonderkommissar, um die Neuwahlen vorzubereiten.
Diese beginnen am kommenden Donnerstag. Die Generalversammlung des Dachverbandes, die bis zum 16. Mai dauert, wird nun durch ein achtseitiges Schreiben des entlassenen Generalsekretärs überschattet.
Aloysius John, der aus Indien stammt, aber französischer Staatsbürger ist, war 2013 Direktor für Organisationsentwicklung und 2019 Generalsekretär der Caritas Internationalis geworden. Sechs Monate hatte er geschwiegen. Nun meldete er sich mit einem langen offenen Brief zu Wort, den er allen Mitgliedsverbänden zukommen ließ. Darin spricht er von einem „brutalen Machtkampf“ und einer „kolonialistischen“ Haltung. Er selbst habe nach den Beschwerden um eine unabhängige externe Untersuchung gebeten. Die Caritas Internationalis habe unter seiner Führung funktioniert und auch die finanzielle Lage sei gut gewesen.
Die radikale Maßnahme von Santa Marta – Aloysius John spricht nur allgemein von „Vatikan“ –, die zur Entlassung der Führungsspitze führte, sei „übereilt“ erfolgt und mit „unglaublicher Gewalt“ durchgezogen und von einer „sehr schlechten öffentlichen Kommunikation“ flankiert worden. Dadurch sei die Caritas Internationalis, die er als „Juwel“ der Kirche bezeichnet, „in Verruf geraten“. Es habe sich um eine „brutale Machtübernahme“ gehandelt. Schwere Vorwürfe, zu deren Begründung John allerdings sehr vage bleibt und, anstatt Roß und Reiter zu nennen, sogar rassistische Muster bemüht. Caritas-Verantwortliche aus wohlhabenderen Ländern des Nordens hätten einen „südlichen“ Leiter nie akzeptiert.
Der Kontext ist zweifelhaft und wirft insgesamt kein sehr glaubwürdiges Licht auf den entlassenen Generalsekretär.
Zusammen mit seinem Eingriff verordnete Franziskus der Caritas Internationalis eine „Reise der Erneuerung und der Gemeinschaft“ und ließ neue Statuten ausarbeiten, die er vor kurzem billigte. Am Donnerstag werden sie den Delegierten der 162 Mitgliedsverbände vorgelegt werden.
Johns offener Brief wird den Ablauf der Generalversammlung nicht weiter beeinträchtigen. Die provisorische Leitung des Dachverbandes will ein Treffen „des aufrichtigen Dialogs und des gegenseitigen Zuhörens für einen künftigen gemeinsamen Weg der brüderlichen Zusammenarbeit im Dienste der Armen und Schwächsten“, wie die Presseabteilung gegenüber Nicole Winfield von der Presseagentur AP erklärte.
Papst Franziskus setzte im vergangenen Herbst Pier Francesco Pinelli, einen Manager im Energiesektor und zuletzt außerordentlicher Kommissar im Dienst der italienischen Regierung, als Sonderkommissar der Caritas Internationalis ein, was erstaunte, da Pinelli selbst an der externen Überprüfung teilgenommen hatte.
Es hatte vor zwölf Jahren schon einmal einen päpstlichen Eingriff gegeben, allerdings war der anderer Art. 2011 wurde der damaligen Generalsekretärin der Caritas Internationalis Lesley-Anne Knight aus Großbritannien von Papst Benedikt XVI. die Bestätigung im Amt verweigert, weil sie es daran fehlen hatte lassen, die „katholische Identität“ des Dachverbandes zu fördern. Die Generalsekretärin war eine Art feindliches U‑Boot. Benedikt XVI. hatte kurz vor Knights Entlassung scharfe Kritik an der Caritas geübt und ein „eindeutiges katholisches Profil“ gefordert. Knight selbst wurde nach ihrem Rauswurf aus dem Vatikan mit einem goldenen Posten aufgefangen als Generaldirektorin des internationalen Abtreibungslobbyisten The Elders.
Als gesichert gilt, daß der Eingriff von Papst Franziskus nicht aus demselben Grund wie jener von Benedikt XVI. erfolgte.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL