
(Rom) Msgr. Luigi Negri, Erzbischof von Ferrara-Comacchio und Abt von Pomposa, gehört zu den markantesten Bischofsgestalten Italiens. Im vergangenen November vollendete er sein 75. Lebensjahr. Seither verdichten sich die Stimmen seiner bevorstehenden Emeritierung durch Papst Franziskus. Bereits im November 2015 wollten die Gegner des deutlich formulierenden Erzbischofs seinen Rücktritt mit einer Kampagne erzwingen, die behauptete, er habe „Papst Franziskus den Tod gewünscht“.
Erzbischof Luigi Negri, Ausnahmegestalt unter den Bischöfen
Seine Prägung erfuhr Msgr. Negri unter Don Luigi Giussani in der Gemeinschaft Comunione e Liberazione (CL). 1972 zum Priester geweiht, lehrte er an der Katholischen Universität vom Heiligen Herzen in Mailand Einführung in die Theologie und die Philosophiegeschichte. 2005 zum Bischof von San Marino-Montfeltro ernannt, scheute er es nicht, sich mit dem freimaurerischen Großorient von Italien anzulegen. 2010 gehörte er zusammen mit Riccardo Cascioli, der seither Chefredakteur ist, zu den Gründern der katholischen Online-Zeitung Nuova Bussola Quotidiana. Von Papst Benedikt XVI. gefördert, wurde er 2012 zum Erzbischof von Ferrara berufen. Unter Papst Franziskus wendete sich das Blatt. Negris Gegner witterten Aufwind. Die CL-Führung bemühte sich um Nähe zum neuen Papst und daher um Distanz zum Erzbischof aus den eigenen Reihen. Gerüchte über eine bevorstehende Absetzung wurden gestreut. Höhepunkt der Kampagne, den von progressiven Kreisen abgelehnten Erzbischof zum Schweigen zu bringen, waren italienweite Schlagzeilen, Msgr. Negri habe Franziskus den Tod gewünscht. Die klare Sprache des Erzbischofs ist im neuen Klima marginalisiert. Das italienische „Homophobie“-Gesetz verglich er mit dem Faschismus. Dialog, mahnte er, dürfe kein Synonym für „bedingunglose Kapitulation“ sein. Den traditionsverbundenen Katholiken fühlt er sich nahe.
Bischofsernennungen unter Bergoglio
„Bischofsernennungen sind das Hauptinstrument, mit dem Papst Franziskus die kirchliche Hierarchie ummodelt“, so der Vatikanist Sandro Magister. Der argentinische Papst bewies bei Ernennungen in allen Erdteilen, daß er die üblichen Ernennungsprozeduren problemlos und zur Gänze links liegenlassen kann „und alles ganz alleine macht“.
Bei Bischofsernennungen für Argentinien gilt das „fast immer“. Seit Franziskus Papst ist, „hat er praktisch alle neuen Bischofsernennungen“ für seine Heimatland „persönlich entschieden“, so Magister.
Für wichtige Erzbischofssitze wie Sydney, Chicago oder Palermo gilt dasselbe, in Italien sogar besonders. Der Papst behält sich Bischofsernennungen auch für mittelgroße Diözesen vor. Er Informiert sich nicht über die kirchlichen Informationskanäle und wartet die Empfehlungen der Bischofskongregation ab, sondern holt informell Vorschläge ein, meist aus dem engeren Mitarbeiterkreis, auf den er sich mehr verläßt als auf die Kurie.
Die Nachfolge von Erzbischof Negri
Erzbischof Negri wurde am 26. November 2016 75 Jahre alt und mußte gemäß Kirchenrecht dem Papst seinen Rücktritt anbieten. Der Papst kann das Mandat verlängern. Papst Benedikt XVI. verlängerte bei Erzbischöfen das Mandat praktisch automatisch um mindestens zwei Jahre.
Papst Franziskus hält weniger von Automatismen und Würde des Amtes. Er gewährt Verlängerungen, aber in der Regel nur nahestehenden Bischöfen oder aufgrund besonderer Notwendigkeiten. Erzbischof Negri gehörte weder in die erste noch in die zweite Gruppe. Die Emeritierung ist zwar noch nicht offiziell, doch werde es zu einer Verlängerung nicht kommen, so der Vatikanist Magister.

Im italienischen Episkopat läßt sich Erzbischof Negri am wenigsten in den „Bergoglio-Stil“ integrieren. Dazu ist seine Stimme zu deutlich zu hören. Ende Januar beendete der Apostolische Nuntius für Italien, Msgr. Adriano Bernardini, seine Konsultationen für die Nachfolgeregelung von Erzbischof Negri. Demnächst wird er der Bischofskongregation seinen Dreiervorschlag vorlegen.
Zu den vom Nuntius befragten Bischöfen stehen einige Erzbischof Negri nahe, darunter der Bischof von Reggio Emilia, Msgr. Massimo Camisasca, der ebenfalls CL angehört und bereits einigen progressiven Druck auszuhalten hatte. Zu den Befragten gehört auch Kardinal Carlo Caffarra, der emeritierte Erzbischof von Bologna und einer der vier Unterzeichner der bereits berühmten Dubia (Zweifel) zum umstrittenen nachsynodalen Schreiben Amoris laetitia, zu denen es Papst Franziskus vorzieht, sich seit Monaten auszuschweigen.
Andere befragte Bischöfe bewegen sich mehr auf Bergoglio-Linie oder haben sich schnell dem Bergoglio-Stil angepaßt, darunter der neue Erzbischof von Bologna, Msgr. Matteo Zuppi, der aus der Gemeinschaft von Sant’Egidio kommt. Auch der Bischof von Ravenna, Lorenzo Ghizzoni, wie Msgr Zuppi vor allem wegen seiner islam-freundlichen Aussagen und Aktionen bekanntgeworden, und Bischof Erio Castellucci von Modena.
Die „Mannschaft“ des Papstes für Bischofsernennungen
Angesichts einer solchen Polarisierung wäre in früheren Zeiten ein Kandidat „der Mitte“ bevorzugt worden, meint Magister. Doch wen bevorzugt Franziskus, von dem Alain Pronkin dem Journal de Montréal sagte, er sei auf der Suche nach den „progressivsten Kandidaten“?
Magister schließt nicht aus, daß Franziskus bereits eine Entscheidung über den Nachfolger von Erzbischof Negri getroffen haben könnte, obwohl die Bischofskongregation noch nicht einmal aktiv geworden ist.
„In der Bischofskongregation hat Papst Franziskus eine Mannschaft von sehr verbissenen Vollstreckern“ plaziert, „die gestärkt mit dem Mandat von Santa Marta den Kardinalpräfekten, den Kanadier Marc Ouellet, leicht aus dem Spiel werfen“.
Diese Mannschaft besteht aus der Nummer Zwei hinter Kardinal Ouellet, dem Sekretär der Kongregation Ilson de Jesus Montanari. Der brasilianische Monsignore wurde im Oktober 2013 von Franziskus zum Titularerzbischof ernannt und in sein Amt gesetzt. Drei Monate später, Ende Januar 2014, machte er ihn auch zum Sekretär des Kardinalskollegiums. Vorgänger in diesem Amt war der nunmehrige Kardinal Lorenzo Baldisseri. Während Franziskus einige „Ratzingerianer“ unter den Präfekten ihres Amtes enthob, beließ er andere, „neutralisierte“ sie jedoch, indem er sie durch eigene Mitarbeiter einhegt.
Ein weiteres Mitglied dieser Mannschaft ist der kaum öffentlich in Erscheinung tretende Fabián Pedacchio Leaniz. Der Argentinier war im ersten Jahr dieses Pontifikats zweiter Sekretär des Papstes. Im April 2014 übernahm er die Rolle, die Msgr. Georg Gänswein, unter Benedikt XVI. ausübte.
Und schließlich ist da noch der 52 Jahre alte Monsignore Fabio Dal Cin. Der Italiener arbeitet seit 2007 an der Bischofskongregation und hat engen Kontakt mit dem persönlichen Sekretär des Papstes, den er im November 2014 in seine Heimat Treviso brachte (Diözese Vittorio Veneto).
Auf der Suche nach dem „progressivsten Kandidaten“?
Dal Cin wird zugleich derzeit als aussichtsreicher Kandidat für die Nachfolge von Erzbischof Negri gehandelt. Das bestätigt auch Magister. Das Gerede setzte kurz nach Dreikönig ein und gelangte schnell in die Medien.
Für den derzeitigen Leiter des Büros für die Migrantenpastoral der Italienischen Bischofskonferenz, Msgr. Giancarlo Perego, wirbt hingegen ein anderer Papst-Vertrauter, Bischof Nunzio Galantino, den Franziskus zum Generalsekretär der Bischofskonferenz machte. Für Perego, so Magister, trete auch der ehemalige Caritas-Direktor von Bologna, Giovanni Nicolini, ein. Ein richtig progressives Milieu.

Nicolini ist Gründer der „Familien der Heimsuchung“, einer Gemeinschaft, die sich auf Don Giuseppe Dossetti beruft. Der Jurist Dossetti gehörte nach dem Krieg dem linken Flügel der Christdemokraten an, gehörte zu Italiens „Verfassungsvätern“, war Parlamentsabgeordneter und suchte mit der damaligen Volksfront aus Sozialisten und Kommunisten einen Ausgleich für eine breite Nachkriegsallianz zu erzielen. Damit ist bereits alles zu seinen politischen Präferenzen gesagt. 1959 weihte ihn Kardinal Lercaro von Bologna zum Priester. Dank seiner politischen Erfahrung verschaffte er beim Zweiten Vatikanischen Konzil der progressiven Rheinischen Allianz mit Hilfe der Geschäftsordnung jene dominante Stellung, die ihr zahlenmäßig nicht zukam. Dossetti hatte die Geschäftsordnung umformuliert und so zur Waffe einer Parteiung gemacht. Schließlich wurde es sogar Papst Paul VI. zu bunt, der Kardinal Lercaro die Anweisung erteilte, Dossetti aus Rom zu entfernen. Dennoch blieb Dossetti bis zu seinem Tod 1996 ein Bezugspunkt progressiver Kreise, vor allem der politischen Linkskatholiken.
Nicolini steht der progressiven Schule von Bologna nahe, die von Dossetti gegründet wurde, „und deren derzeitige Regenten und Gurus die beiden Ultra-Bergoglianer, der Kirchenhistoriker Alberto Melloni und der Gründer des Kloster von Bose, Enzo Bianchi, sind.
Progressives Triumphgeheul: „Das Land gehört uns“
Magister verweist auf Stimmen aus diesen Kreisen, die bereits triumphierend erklären: „Die Emilia-Romagna ist unser“. Auch das Erzbistum Ferrara gehört zur „roten“ Romagna mit der Hauptstadt Bologna, wo Kardinal Lercaro wirkte, Dossetti zu Hause war und die Schule von Bologna ihren Sitz hat. Das Triumphgeheul steht in direktem Zusammenhang mit der bevorstehenden Besetzung des Erzbistums Ferrara und der Nachbardiözese Rimini. Der dortige Bischof hat mit einer hohen Verschuldung zu kämpfen. Eine solche müßte nicht zwangsläufig zu seiner Absetzung führen, wie der Fall Bistum Terni zeigt. Dort hatte Bischof Vincenzo Paglia, Aushängeschild und damals noch einziger Bischof der Gemeinschaft von Sant’Egidio, ein enormes Loch in der Diözesankasse zustande gebracht.
Als er von Papst Benedikt XVI. im Juni 2012 zum Vorsitzenden des Päpstlichen Familienrates nach Rom berufen wurde, wußte man davon noch nichts. Die Schulden in der Höhe von 35 Millionen Euro wurden 2014 unter Papst Franziskus bekannt. Der Dikasterienleiter wurde aber nicht abgesetzt, sondern die Schulden der Vatikanbank aufgelastet.
Als im vergangenen Sommer durch Kurienumbauten der Familienrat aufgelöst wurde und Msgr. Paglia seinen Posten verlor, erhielt er den Auftrag, zwei dem Papst nicht genehme Kurieneinrichtungen auf Bergoglio-Kurs zu bringen. Eine ist das Päpstliche Institut Johannes Paul II. für Studien zu Ehe und Familie, das sich gegen den Kasper-Kurs stellte und von Franziskus bereits bei den Bischofssynoden über die Familie übergangen wurde. Obwohl das Institut die Experten zum Thema Ehe und Familie bereitstellen konnte, wurde niemand zu den Synodenarbeiten hinzugezogen. Die andere Einrichtung ist die Päpstliche Akademie für das Leben, deren Anti-Abtreibungs-Haltung und generell die Linie zu bioethischen Fragen offenbar nicht mehr zum Grundtenor der päpstlichen Annäherung an die UNO und andere politische Institutionen paßt.
Vorgänger Negris spricht bei Nachfolge mit
Ferrara weist auch eine Parallele zum Erzbistum Mecheln-Brüssel auf, wo der von Papst Benedikt XVI. ernannte Erzbischof Leonard nur ein kurzes Zwischenspiel blieb. Dessen Vorgänger, Kardinal Danneels, konnte ein entscheidendes Wort bei dessen Nachfolge mitreden. Inzwischen gilt das Episkopat Leonard in progressiven belgischen Kirchenkreisen als korrigierter „Betriebsunfall“. So könnte es auch in Ferrara bald heißen. Dazu schrieb Magister: „Unter die Kardinäle und Bischöfe, die Mitglieder der Bischofskongregation sind und die Kandidatenvorschläge für Ernennungen zu prüfen haben, hat Bergoglio Negris Vorgänger als Erzbischof von Ferrara, Paolo Rabitti, berufen. Das war sogar eine seiner ersten Amtshandlungen als Papst. Dieser hinterließ Negri Ende 2012 eine Diözese in desaströsem Zustand, mit Unordnung in den Konten und – als würde das nicht reichen – mit einem Häuflein unzuverlässiger Seminaristen, die da und dort aus anderen Diözesen, wo sie abgelehnt worden waren, zusammengesammelt worden waren.“
Letzteres wird in der Ära Bergoglio, meist ungeprüft, traditionsverbundenen Bischöfen unterstellt, siehe in den Bistümern Ciudad del Este und Albenga-Imperia. Die Absicht ist es, deren Seminare schlechtzureden, die deutlich besser gefüllt sind, als die Seminare der anderen Diözesen. Traditionsverbundenen Bischöfen wird durch Desinformation, teils auch durch Intrigen ein Strick gedreht („Der nimmt ja jeden“). Wo dies ein progressiver oder „anpassungsfähiger“ Bischof tatsächlich mit Defiziten praktiziert ist es hingegen gleichgültig.
Für das Erzbistum Ferrara scheint eine kurze, aber wertvolle Phase der Erneuerung, zu früh zu Ende zu gehen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL/Diocesi Ferrara/FQ (Screenshot)
„Unter Papst Franziskus wendete sich das Blatt. Negris Gegner witterten Aufwind. Die CL-Führung bemühte sich um Nähe zum neuen Papst und daher um Distanz zum Erzbischof aus den eigenen Reihen.“
Leider hat sich CL, wie auch andere movimenti, als unzuverlässig erwiesen.
Es ist für mich nicht zu sagen, ob das an der Doktrin ihres Gründes Don Giussani liegt oder am Opportunismus, allenfalls der Karriereabsichten, seiner geistigen Söhne (einiger, mehrerer, vieler, aller?) – oder an beidem.
Jedenfalls fiel mir in diesem Milieu (bei allem guten Willen, den es auch gibt), eine gewisse Gruppendynamik, die mir übertrieben schien, als auch eine gewisse vage Qualität der inhaltlichen Überzeugungen und eine geradezu naiv optimistische Haltung zur Welt (Medien, Kultur, Universität, Politik…) auf. Kein gutes Fundament.