

(Rom/Asuncion) Bei der Pressekonferenz auf dem Rückflug von der Reise nach Ecuador, Bolivien und Paraguay gebrauchte Papst Franziskus ein für ihn unübliches Wort: „Hermeneutik“. Innerhalb weniger Minuten verwendete er dieses Wort elfmal und bat, es auch im Zusammenhang mit seinen Worten anzuwenden, „die sich tatsächlich häufig für zwei- und mehrdeutige Auslegungen eignen“, so der Vatikanist Sandro Magister. Prompt zwei Tage später versuchte sich im Osservatore Romano der erste in einer Auslegung der päpstlichen Worte. Der kapitale Bock, den Papst Franziskus mit seinem Hang zur ungezwungenen freien Rede in Asuncion geschossen hat, wurde stillschweigend übergangen.
An die Analyse des freien Redestils von Franziskus wagte sich der brasilianische Msgr. Dario Viganò. Er widmete seine erste öffentliche Stellungnahme als erster Präfekt des neuerrichteten Sekretariats für die Kommunikation ganz dem „kommunikativen Stil von Bergoglio zwischen mündlicher Form und Konkretheit“. Der eigentliche Titel des Aufsatzes lautet: „Franziskus im globalen Dorf“.
Einäugige Analyse des päpstlichen Kommunikationsstils
Msgr. Viganò ist der erste Dikasterienleiter an der Römischen Kurie, der weder Bischof ist noch mit seiner Ernennung zum Bischof erhoben wurde. Viganò übernahm 2014 von Vatikansprecher Pater Federico Lombardi die Leitung des Vatikanischen Fernsehzentrums CTV, eine Aufgabe, die er beibehält, und trägt seit 2004 den Titel eines Päpstlichen Ehrenkaplans.
Es scheint, als habe Msgr. Viganò sich zufällig die Ansprache von Papst Franziskus an die Jugend von Paraguay für seine Thesen ausgesucht. Die Rede am Abend des 12. Juli wurde vom Papst frei gehalten, nachdem er das vorbereitete Manuskript abgelehnt hatte.
Viganò schreibt dazu: „Ich glaube, daß der Schlüssel, um die kommunikative Praxis von Papst Franziskus zu verstehen, in den inzwischen klassischen Studien über das Verhältnis zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit zu suchen ist. Eine vorbereitete Rede ist langweilig, weil es sich um einen Text handelt, der in schriftlicher Form konzipiert ist. Wir wissen, wie die schriftliche Kultur gegenüber der mündlichen Prägnanz, analytisches Denken, Objektivität, eben das abstrakte Denken privilegiert hat.“
„Schnelles Voranschreiten im Zickzackstil“
„Der Stil des Papstes ist hingegen ein überreichlicher Stil, imstande, die entscheidende Stärke des Kontextes – der Verweis auf die Hermeneutik während der Pressekonferenz auf dem Rückflug von Südamerika war eindeutig – und der Konkretheit zu erfassen. Keineswegs negativ erscheint die Redundanz vielmehr als intrinsische Notwendigkeit für den, der mündlich kommuniziert, indem er einerseits schnelles Schrittes auf den Pfaden des Wortes voraneilt und gleichzeitig in Zickzack-Form durch häufige Wiederholungen dessen einherschreitet, was er bereits gesagt hat.“
Viganò folgert daraus:
„Das Reden von Papst Franziskus ist eine Wiederbelebung der alten Praxis der Mundpropaganda, Kommunikation, die ihrerseits eine Erkennbarkeit und Stabilität beim Gegenüber schafft, tatsächliche Gemeinschaft, indem sie eine Vernetzung auslöst, die auf dem Gefallen einer wiedergefundenen Umarmung zwischen Menschheit und Evangelium beruht.“
Beispielloser öffentlicher Affront eines Staatsoberhauptes
„Redundanz, Wiederholungen, zickzackhaftes Einherschreiten … Hätte Msgr. Viganò nicht die Rede von Franziskus an die Jugend Paraguays zur Grundlage für seine Studie genommen, sondern die Rede, die der Papst am Tag zuvor an die Vertreter der Zivilgesellschaft in Asuncion gehalten hat, hätte er nicht nur die Vorteile, sondern auch die Grenzen einer zu unbefangenen ‚Mündlichkeit‘ der Kommunikation erkannt“, so Sandro Magister.
Dort sagte Franziskus in seiner freien Ansprache wörtlich:
„Es gibt Dinge, auf die ich noch Bezug nehmen möchte, bevor ich schließe. Und da hier Politiker anwesend sind – auch der Präsident der Republik –, sage ich es in brüderlicher Form. Jemand hat mir gesagt: ‚Hören Sie, der Herr Soundso ist durch das Heer entführt worden. Tun Sie etwas!‘ Ich sage nicht, ob es wahr ist oder nicht, ob es gerecht ist oder nicht, aber eine der Methoden, welche die diktatorischen Ideologien des vergangenen Jahrhunderts anwendeten, von denen ich eben sprach, bestand darin, die Leute zu entfernen, entweder durch Exil oder durch Gefangenschaft, oder – im Fall der nazistischen und stalinistischen Vernichtungslager – sie entfernten sie durch den Tod. Damit es eine wirkliche Kultur in einem Volk gibt, eine politische Kultur und eine Kultur des Gemeinwohls, braucht es zügig klare Prozesse, transparente Prozesse. Eine andere Art von Winkelzug ist nicht dienlich. Eine transparente, klare Justiz. Das wird uns allen helfen. Ich weiß nicht, ob es so etwas hier gibt oder nicht; ich sage es mit allem Respekt. Man hat es mir gesagt, als ich eintrat, man sagte es mir hier. Und ich möge für – ich weiß nicht wen – bitten; ich habe den Namen nicht gut verstanden.“
Papst verwechselt reguläre Armee mit kommunistischer Terrororganisation

Den Namen, den Franziskus „nicht gut verstanden“ hat, ist der von Edelio Morinigo, Unteroffizier der paraguayischen Polizei (Policia Paraguayo). Morinigo wurde vor einem Jahr entführt, aber nicht von der regulären Armee, der er selbst angehört, sondern von einer selbsternannten Paraguayischen Volksarmee (Ejército del Pueblo Paraguayo, EPP), einer marxistisch-leninistischen Terrororganisation, die 2008 gegründet wurde, um die paraguayische Regierung zu stürzen und eine kommunistische Republik zu errichten.
Obwohl Papst Franziskus selbst zugab, nichts über den Fall zu wissen und noch nicht einmal den Namen des Betroffenen verstanden zu haben, schreckte er nicht davor zurück, in völliger Unkenntnis der Sachlage „brüderlich“ und öffentlich die paraguayische Regierung und ausdrücklich den Staatspräsidenten eines Verbrechens zu bezichtigen, das er in einen Zusammenhang mit den schlimmsten Untaten von Nationalsozialisten und Kommunisten stellte.
„Hut ab, vor der Haltung des paraguayischen Staatspräsidenten Horacio Cartes, der ohne jede Reaktion den beeindruckenden öffentlichen Affront an sich abprallen ließ“, so Magister.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Settimo Cielo