Von Roberto de Mattei*
Die Osterwoche 2020 wird aufgrund der außergewöhnlichen Situation in die Geschichte eingehen, wie der Tag im Februar 2013, an dem Benedikt XVI. seinen Verzicht auf das Pontifikat ankündigte. Ein mysteriöser roter Faden scheint diese beiden Ereignisse zu verbinden. Das gleiche Gefühl der Leere verbindet sie.
Benedikt XVI. verzichtete formalrechtlich auf das Mandat des Petrus, ohne die legitimen moralischen Gründe zu erläutern, die seine extreme Geste erklären könnten. Papst Franziskus seinerseits hält an diesem Mandat formalrechtlich fest, übt es aber nicht aus und scheint sich sogar des höchsten, ihm zustehenden Titels entledigen zu wollen, jenes des Stellvertreters Christi, der in die jüngste Ausgabe des Annuario Pontificio (Päpstliches Jahrbuch) als „historischer Titel“, aber nicht als konstitutiver aufgenommen wurde. Während Benedikt XVI. auf die rechtliche Ausübung des Vikariats Christi verzichtet hat, scheint es fast so, als hätte Papst Franziskus auf die moralische Ausübung seines Auftrags verzichtet. Die Aussetzung der religiösen Zeremonien auf der ganzen Welt, die vom Coronavirus betroffen ist, scheint ein symbolischer, aber realer Ausdruck einer beispiellosen Situation zu sein, in der die Göttliche Vorsehung den Hirten das Volk entzieht, das sie im Stich gelassen haben.
Wir wissen nicht, welche politischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen das Coronavirus haben wird, aber wir ermessen in diesen Tagen seine Folgen für die Kirche. Ein Schleier scheint sich gelüftet zu haben: Es ist die Stunde der Leere, der Herde ohne ihre Hirten. Der am Palmsonntag leere Petersplatz wird auch am Ostersonntag leer bleiben.
„Der Heilige Vater“, wie der Vatikan mitteilte, „wird die Riten der Karwoche am Kathedra-Altar im Petersdom feiern, ohne Teilnahme des Volkes aufgrund der außergewöhnlichen Situation, die wegen der Ausbreitung der Covid-19-Pandemie entstanden ist.“
Laut der Philosophia perennis lehnt die Natur die Leere ab („natura abhorret a vacuo“). In der Stunde der geistigen Leere wendet sich die Seele derer, die Glauben haben, instinktiv an Sie, die niemals leer ist, weil sie voller Gnaden ist: die allerselige Jungfrau Maria. Nur in ihr kann die Seele die geistige und moralische Fülle finden, die der Petersplatz und die unzähligen Kirchen, die auf der ganzen Welt verriegelt sind, nicht mehr bieten. Eine gestreamte Messe kann die Augen befriedigen, aber nicht die Seele erfüllen. Papst Franziskus will, anstatt ihre Verehrung zu fördern, auch sie der Titel entkleiden, die ihr zukommen. Am 12. Dezember 2019 hatte der Papst die Möglichkeit neuer marianischer Dogmen wie den von Maria Miterlöserin abgelehnt und erklärt:
„Wenn sie uns mit Geschichten kommen, daß wir das zu verkündigen haben, dieses Dogma oder jenes… Verlieren wir uns nicht in Unsinnigkeiten.“
Und am 3. April 2020 wiederholte er, daß die Gottesmutter „nicht darum gebeten habe, ein Beinahe-Erlöserin oder eine Miterlöserin zu sein. Nein, der Erlöser ist einer allein. Nur Jüngerin und Mutter“.
Diese Worte wurden am Vorabend der Karwoche ausgesprochen, in der die Gottesmutter auf dem Kalvarienberg ihre Mission als Miterlöserin und Vermittlerin aller Gnaden erfüllt. Papst Benedikt XV. begründet das:
„So wie sie litt und fast mit ihrem leidenden und sterbenden Sohn starb, so verzichtete sie für die Rettung der Menschen auf ihre Rechte als Mutter auf diesen Sohn und opferte ihn, um die göttliche Gerechtigkeit zu besänftigen, sodaß gerechterweise behauptet werden kann, daß sie zusammen mit Christus das Menschengeschlecht erlöst hat. Aus diesem Grund werden offensichtlich all die verschiedenen Gnaden des Schatzes der Erlösung auch durch die Hände der Schmerzensmutter verteilt“ (Apostolisches Schreiben Inter sodalicia, 22. März 1918).
Nach Ansicht einiger Theologen absorbiert der Begriff Corredemptrix den der Mediatrix (Mittlerin). Anderen wie Manfred Hauke zufolge hat der Begriff der universalen Vermittlung Mariens eine umfassendere Bedeutung als der der Miterlösung, indem sie dessen Inhalt miteinschließt (Introduzione alla Mariologia, Eupress FTL, Lugano 2008, S. 275–277). Er integriert den „absteigenden“ Aspekt, durch den die Gnaden zu den Menschen gelangen, mit dem „aufsteigenden“ Aspekt, der in der Miterlösung ausgedrückt wird, durch die sich die Gottesmutter dem Opfer Christi anschließt. Die beiden Titel ergänzen sich auf jeden Fall, wie Msgr. Brunero Gherardini in seinem Buch „La corredentrice nel mistero di Cristo e della Chiesa“ („Die Corredemptrix im Geheimnis Christi und der Kirche“, VivereIn, Rom 1998) lehrt, und verbinden sich mit dem der Königin des Himmels und der Erde.
Ist es aber notwendig weiterzugehen? Der heilige Bernhard sagt: „De Maria numquam satis“ („Von Maria nie genug“, Sermo de Nativitate Mariae, Lateinische Patrologie, Bd. 183, Spalte 437D), und der heilige Alfons Maria von Liguori sagt: „Wenn eine Meinung irgendwie die heilige Jungfrau ehrt, hat sie eine bestimmte Grundlage und hat nichts, was dem Glauben oder den Verordnungen der Kirche oder der Wahrheit widerspricht. Sie nicht zu akzeptieren und ihr zu widersprechen, weil auch die gegenteilige Meinung wahr sein könnte, bedeutet wenig Hingabe an die Muttergottes zu haben. Ich will nicht zu diesen weniger hingebungsvollen Geistern gezählt werden, noch möchte auch ich, daß mein Leser es wird, sondern ich möchte zu denen gezählt werden, die voll und ganz an alles glauben, was ohne Irrtum von der Größe Mariens geglaubt werden kann“ (Le glorie di Maria, Kap V, § 1).
Die Marienverehrer sind eine geistliche Familie, die ihren Prototyp und Schutzpatron in Johannes dem Evangelisten hat, dem Lieblingsapostel, der von Jesus auf Golgatha ein immenses Erbe erhalten hat. Alles ist in den Worten Jesu zusammengefaßt, als er am Kreuz sagte:
„Als Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebte, sagte er zu seiner Mutter: ‚Frau, siehe, dein Sohn!‘.
Dann sagte er zu dem Jünger: ‚Siehe, deine Mutter!‘ Und von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich“ (Joh 19, 26–27).
Mit diesen Worten stellte Jesus eine göttliche und unauflösliche Verbindung her, nicht nur zwischen Maria der Allerseligsten und dem heiligen Johannes, der das Menschengeschlecht vertritt, sondern auch zwischen ihr und allen Seelen, die dem Beispiel des Glaubens und der Treue des heiligen Johannes folgen würden.
Der heilige Johannes ist das Vorbild derer, die in der Stunde des Verrats und der Abkehr Jesus durch Maria treu bleiben. „Gott der Heilige Geist will in und durch Maria sich Auserwählte bilden und spricht zu ihr: ‚In electis meis mitte radices‘ (Sir 24, 12), „Laß, meine vielgeliebte Braut, alle Deine Tugenden in meinen Auserwählten Wurzeln schlagen, damit sie wachsen von Tugend zu Tugend und von Gnade zu Gnade“, schreibt der heilige Ludwig Maria Grignion von Montfort (Abhandlung über die wahre Hingabe an die Heilige Jungfrau, Nr. 34) und versichert uns, daß ihre Verehrer einen festen und unerschütterlichen Glauben erhalten werden, der sie inmitten aller Stürme standhaft und beständig machen wird (ebd., Nr. 214). Plinio Corrêa de Oliveira hat gezeigt, wie die Marienverehrung – nicht äußerlich und unbeständig, sondern fest und ausdauernd – ein entscheidender Faktor im Kampf zwischen der Revolution und der Gegenrevolution ist, der immer akuter wird in den dunklen Zeiten, die uns erwarten. Maria, die Mittlerin aller Gnaden, ist in der Tat der Kanal, durch den alle Gnaden fließen, und die Gnaden für diejenigen, die sie anrufen und für sie kämpfen, werden im Überfluß herabregnen (Revolution und Gegenrevolution, TFP, Frankfurt am Main 1996).
Der große Erzdiakon von Évreux, Henri-Marie Boudon, dessen Spiritualität vom heiligen Ludwig Maria von Montfort geformt wurde, schrieb, daß wir in öffentlichen Katastrophen wie Kriegen oder Epidemien auf andere zeigen, während wir bei uns selbst und unseren Sünden suchen sollten:
„Gott schlägt uns, um betrachtet zu werden, und wir erheben stattdessen unsere Augen nicht von den Kreaturen“ (La dévotion aux saints anges, Clovis, Condé-sur-Noireau 1998, S. 265).
In diesen beunruhigenden Tagen wollen wir nicht nach der Hand der Menschen hinter der Pandemie suchen. Begnügen wir uns damit, die Hand Gottes darin zu sehen. Und da die Gottesmutter neben Miterlöserin und Mittlerin auch Königin des Weltalls (Leo XIII.) ist, dürfen wir nicht vergessen, daß Gott ihr die Aufgabe übertragen hat, in die Geschichte einzugreifen und sich dem Handeln des Teufels zu widersetzen. Deshalb ist Maria die einzige Zuflucht, wenn der Herr die Menschheit geißelt. Aus ihr schöpft Kraft, wer seinen Platz nicht aufgibt, sondern auf dem Feld bleibt, um die letzte Schlacht zu kämpfen: die für den Triumph ihres Unbefleckten Herzens.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017 und Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte, 2. erw. Ausgabe, Bobingen2011.
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Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana