Wie plural darf die Kirche nicht mehr sein?

Progressives Grundrauschen


Die altrituellen Karmeliten von Wyoming bauen inmitten der Berge ihren Karmel im gotischen Stil
Die altrituellen Karmeliten von Wyoming bauen inmitten der Berge ihren Karmel im gotischen Stil

Spon­ta­ne Gedan­ken von Giu­sep­pe Nardi

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Der soeben ein­ge­lang­te Bei­trag der Lin­zer Kir­chen­zei­tung samt Inter­view mit dem Poli­tik­wis­sen­schaft­ler Tho­mas Schmi­din­ger lie­fert ein Para­de­bei­spiel für jene eigen­tüm­li­che kirch­li­che Aku­stik moder­ner Bau­art, in der jede gre­go­ria­ni­sche Note wie ein bedroh­li­cher Marsch­tritt ver­nom­men wird. Schon der Ein­stieg – ein Orden, der in den Rocky Moun­ta­ins ein Klo­ster im Stil der Gotik errich­tet – wird mit einem sub­ti­len, unge­wollt amü­san­ten Unter­ton geschil­dert, als hät­te im Jah­re 2025 jemand beschlos­sen, hor­ri­bi­le dic­tu, wie­der Brot zu backen, statt Pro­te­in­drinks zu schlür­fen. Kurz: In der Kir­chen­zei­tung zeigt man sich erstaunt, daß die Tra­di­ti­on sich wei­gert, brav auf dem Dach­bo­den zu blei­ben, wohin man sie ver­ban­nen möchte.

Tradition als Verdachtsmoment

Kaum fällt das Wort „goti­sches Klo­ster“, schon weht der Wind der Über­nah­me­phan­ta­sien: Die Tra­di­tio­na­li­sten „über­neh­men“ in Euro­pa die Kir­che – man hört die Orgel­pfei­fen schon bedroh­lich schnauben. 

Bei dem im Kir­chen­zei­tungs-Bei­trag unge­nannt blei­ben­den Orden han­delt es sich übri­gens um den alt­ri­tu­el­len Orden der Aller­se­lig­sten Jung­frau Maria vom Ber­ge Kar­mel, die soge­nann­ten Kar­me­li­ten von Wyo­ming, die von sich selbst sagen, sie sind die Navy Seals und Green Berets der katho­li­schen Kir­che. In der Ein­sam­keit der Ber­ge erbau­en sie den Kar­mel vom Unbe­fleck­ten Her­zens Mari­ens. Sie pfle­gen den kar­me­li­ti­schen Eigen­ri­tus in der über­lie­fer­ten Form.

Inter­es­sant ist, daß Schmi­din­ger selbst zugibt, Tra­di­tio­na­lis­mus sei vor allem ein Selbst­be­griff, Extre­mis­mus dage­gen ein Fremd­be­griff – den­noch rutscht er per­ma­nent in ein Nar­ra­tiv ab, in der die genann­ten Grup­pen gefähr­lich nahe an der apo­ka­lyp­ti­schen Glocke stehen.

Was Pro­gres­si­ven und Lin­ken die Schweiß­per­len auf die Stirn treibt

Der Tra­di­tio­na­list erscheint als eine Art kirch­li­cher Prep­per: Er hor­tet Rosen­krän­ze statt Ravio­li-Dosen und war­tet auf den „Nie­der­gang des Main­stream-Katho­li­zis­mus“, um dann mit Weih­rauch­gra­na­ten das Feld zu übernehmen.

Wenn Gläu­bi­ge schlicht den Glau­ben, die Lit­ur­gie und die meta­phy­si­sche Schwer­kraft des Chri­sten­tums ernst neh­men wol­len, löst dies heu­te in Main­stream-Tei­len der Kir­che auto­ma­tisch Befürch­tun­gen über einen Master­plan zur Macht­über­nah­me aus. Dem ist zunächst das Offen­sicht­li­che ent­ge­gen­zu­hal­ten: Viel­leicht wol­len die­se Gläu­bi­gen ein­fach katho­lisch sein – was im Jahr 2025 offen­bar bereits das revo­lu­tio­när­ste aller Pro­gram­me ist.

Der neue Dualismus: Liberalismus gut – Tradition gefährlich

Schmi­din­ger argu­men­tiert, gut orga­ni­sier­te tra­di­tio­na­li­stisch-kon­ser­va­ti­ve Grup­pen stell­ten „lang­fri­stig eine Gefahr für den gesell­schaft­li­chen Libe­ra­lis­mus“ dar.
Man kennt die­se Logik. Es ist die des lin­ken Spek­trums im welt­li­chen Bereich:

  • Wer tra­di­tio­nel­le Moral ver­tritt ist poten­ti­ell illiberal.
  • Wer pro­gres­si­ve Moral ver­tritt ist pluralismusfreundlich.

Das Gan­ze wirkt, als habe man das klas­si­sche Frei­heits­ver­ständ­nis durch eine Art mora­lisch-poli­ti­sche TÜV-Prü­fung ersetzt, deren Prüf­kri­te­ri­en libe­ral, nicht katho­lisch sind. Tra­di­ti­on wird da zwangs­läu­fig zum Mängelbericht.

Die Klo­ster­kir­che in den Rocky Mountains

Die katho­li­sche Kir­che war zwei Jahr­tau­sen­de lang nicht die Jugend-forscht-Abtei­lung des Libe­ra­lis­mus – und trotz­dem funk­tio­nier­te Euro­pa über­ra­schend gut und die mei­ste Zeit ganz ohne Libe­ra­lis­mus. Die Vor­stel­lung, der Libe­ra­lis­mus müs­se vor der Kir­che geschützt wer­den, klingt etwa so plau­si­bel, wie wenn man den Boden­see vor einem nas­sen Wasch­lap­pen ret­ten wollte.

Identität statt Religion – außer, wenn es progressiv ist

Schmi­din­ger sieht bei jun­gen Men­schen „Kul­tur­chri­sten­tum“ statt ech­ter Reli­gio­si­tät.
Da fragt man sich: War­um ist „iden­ti­tä­rer Zugang“ bei Chri­sten pro­ble­ma­tisch, wäh­rend „reli­giö­se Iden­ti­tät“ bei ande­ren reli­giö­sen Grup­pen als wert­vol­le Res­sour­ce kul­tu­rel­ler Selbst­be­haup­tung gefei­ert wird?

Hier zeigt sich ein gän­gi­ges Schief­la­gen-Muster, typisch für ein linkes/​progressives Spektrum:

  • Christ­li­che Iden­ti­tät wird als gefähr­li­cher Tri­ba­lis­mus diskreditiert;
  • nicht­christ­li­che Iden­ti­tät als legi­ti­me kul­tu­rel­le Selbst­be­haup­tung präsentiert.

Ein ande­rer Blick­win­kel bie­tet Gele­gen­heit zum Nachdenken:

  • Wenn Glau­be gelebt wird ist das Traditionalismus.
  • Wenn er nicht gelebt wird ist er iden­ti­tär und problematisch.
  • Wenn er pro­gres­siv gedacht und vor allem gelebt wird ist er akzep­ta­bel, da zeitgeistkompatibel.

Der ein­zig gül­ti­ge Glau­be ist jener, der unge­fähr so viel Tran­szen­denz ent­hält wie das Was­ser im Plansch­becken nach einem Kin­der­fa­sching. Die plu­ra­li­stisch-demo­kra­ti­sche Ord­nung ist das eigent­li­che Aller­hei­lig­ste. Gott hat sich zu fügen. Sei­ne Ord­nung muß sich anpas­sen oder mit der Här­te des Geset­zes rech­nen. Oder was?

„Wie plural wird die Kirche sein?“ – oder: Wie viel Einheit verträgt die Vielfalt?

Die abschlie­ßen­de Fra­ge des Inter­views lau­tet: Wie plu­ral darf die Kir­che sein? Schmi­din­ger for­mu­liert ein bemer­kens­wert offe­nes Ein­ge­ständ­nis: Die Libe­ra­len wol­len Plu­ra­lis­mus auch für die Kon­ser­va­ti­ven, die Kon­ser­va­ti­ven aber wol­len kei­nen Pluralismus.

Der goti­sche Bau­stil macht schon verdächtig

Auch hier wür­de ein Per­spek­ti­ven­wech­sel viel­leicht gut tun: Kon­ser­va­ti­ven geht es nicht um die­se dua­li­sti­sche Welt­sicht. Sie wol­len ein­zig, daß die Kir­che katho­lisch bleibt – und nicht zu einer Art spi­ri­tu­el­lem Cowor­king-Space wird, in dem jede Welt­an­schau­ung ihr eige­nes Baum­haus erhält und jeder wie Tar­zan von einem zum näch­sten schwingt, wäh­rend alle übri­gen artig Bei­fall zu spen­den haben.

Und hier zeigt sich der grund­le­gen­de Unter­schied zur Tra­di­ti­on. Für die­se bedeu­tet Plu­ra­lis­mus nicht, daß jeder machen kann, was er will, son­dern Viel­heit inner­halb eines Rah­mens, der durch das gött­li­che und natür­li­che Gesetz bestimmt ist.

Wenn aber der Rah­men – Lit­ur­gie, Dog­ma, Moral – selbst zur Dis­po­si­ti­on steht, schlägt die Viel­falt um in Belie­big­keit. Und Belie­big­keit ist die eigent­li­che Nicht-Form von Tra­di­ti­on, der syste­ma­ti­sche Aus­schluß der Ver­gan­gen­heit. Sie ist wie eine heils­ge­schicht­li­che Amnesie.

Ein letztes Detail: Burke & die „Rückkehr“ der Tradition

Daß die über­lie­fer­te Form des Römi­schen Ritus wie­der im Peters­dom zele­briert wur­de – wor­an der Ver­fas­ser die­ser Zei­len in vol­ler Ehr­furcht und Ergrif­fen­heit die Gna­de hat­te teil­zu­neh­men – ist weder eine gefähr­li­che Fuß­no­te noch das Auf­tre­ten eines Kome­ten, der den Anbruch einer neu­en Eis­zeit ankün­digt, so sehr eine gewis­se Kli­ma­hy­ste­rie, die der Komik nicht ent­behrt, auch ein­zel­ne Kir­chen­tei­le erfaßt haben mag. Gott ist offen­bar in den Augen gewis­ser Kir­chen­funk­tio­nä­re nicht mehr Herr über Sei­ne Schöp­fung. Aber das hat­ten wir ja schon: In der unsäg­li­chen Coro­na-Zeit wur­den Weih­was­ser, Hei­li­ge Mes­sen und sogar der Leib Chri­sti zur angeb­lich lebens­ge­fähr­li­chen Bedro­hung. Die Diö­ze­se Linz bil­de­te kei­ne Aus­nah­me. Es war erbärmlich.

Das Pon­ti­fi­kal­amt im Peters­dom, das am 25. Okto­ber 2025 zele­briert wer­den konn­te, ist ein Atem­ho­len der Tra­di­ti­on. Die­se Rück­kehr nach dem berg­o­glia­ni­schen Ver­bot spie­gelt im Klei­nen wider, was durch die Lit­ur­gie­re­form von 1969 geschah und wie das Motu pro­prio Sum­morum Pon­ti­fi­cum die­se zu berei­ni­gen ver­such­te. Zen­tral ist: Die Tra­di­ti­on war nie weg – sie war nur nicht modisch. Um prä­zi­se zu sein: Sie wur­de für nicht mehr modisch erklärt, von oben herab.

Eini­ge bereits fer­tig­ge­stell­te Tei­le des neu­en alt­ri­tu­el­len Kar­mels in den Bergen

Apro­pos Ver­bo­te und Zwangs­be­glückung. Wenn „rechts“ sich auf Recht und rich­tig reimt und „links“ auf „lin­kisch“ und falsch, dann wird im eben Gesag­ten der gro­ße Unter­schied bestä­tigt. Auf der rech­ten Sei­te mag es auch manch­mal Ver­bo­te und Zwangs­be­glückung, auf der lin­ken aber zwin­gend und immer. Auch das soll­te zum Nach­den­ken anre­gen. Der ein­fa­che Blick in das Buch der Geschich­te genügt.

Fazit: Wer Tradition kritisiert, kritisiert oft die Erinnerung

Der Arti­kel und das Inter­view repro­du­zie­ren eine ver­brei­te­te Denk­fi­gur; ver­brei­tet des­halb, weil der Main­stream, selbst der kirch­li­che, sie ein­sei­tig in den Köp­fen ver­an­kern will:

  • Tra­di­tio­nel­le Grup­pen bedro­hen die Moderne.
  • Die Moder­ne ret­tet die Kir­che, indem sie sie weni­ger kirch­lich macht.

Die Kir­che sei dem­nach nur mit der Moder­ne kom­pa­ti­bel und damit zukunfts­fä­hig, wenn sie weni­ger Kir­che ist – sich also selbst redu­ziert, pro­gram­ma­tisch mini­miert und sich von der Offen­ba­rung absen­tiert; kurz­um, wenn sie sich zu blo­ßem Men­schen­werk macht.

Mit einer Pri­se Humor lie­ße sich sagen: Die größ­te Angst man­cher Kir­chen­obe­ren und ‑medi­en besteht offen­bar dar­in, daß aus­ge­rech­net jene, die glau­ben, was die Kir­che lehrt, die Kir­che prä­gen könnten.

Aber viel­leicht ist es gar kei­ne Angst. Viel­leicht ist es nur das alte, ehr­li­che Stau­nen dar­über, daß das Chri­sten­tum schon wie­der christ­lich sein will. Das wäre die rich­ti­ge Vor­aus­set­zung für den Schritt zur Bekehrung.

Also laßt uns schon ein­mal den Weih­rauch bereit­le­gen…, denn – was man­che ver­ges­sen haben: Jeder, der sich zum Herrn bekehrt, ent­facht Jubel im Himmel.

Bild: kir​chen​zei​tung​.at/​c​a​r​m​e​l​i​t​e​m​o​n​k​s​.​org (Screen­shots)

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