Seit Jahren hört man aus bestimmten Kreisen dasselbe Lied: Was einmal von Papst Franziskus festgelegt wurde, – das gelte auch unter Leo XIV., wenn es vom „verehrten Vorgänger“ stammt – sei sakrosankt, für alle Zeiten in Stein gemeißelt, geradezu mit göttlicher Unterschrift versehen. Jede Änderung, jede Rücknahme, jede Korrektur? Undenkbar! Wer so spricht, präsentiert sich gern als unerschütterlicher Hüter des bergoglianischen Erbes – doch das ist ein Trugbild. Es trifft allenfalls insofern zu, als Papst Franziskus den Anspruch erhob, „irreversible Prozesse“ in Gang zu setzen. Doch Leo XIV. zeigte gestern, daß ein einziger Federstrich genügt, um das vermeintlich „Unumkehrbare“ umzukehren.
Denn disziplinarische kirchliche Normen sind keine Steintafeln vom Sinai, und wer sie so behandelt, sollte vielleicht tief durchatmen und vom moralischen Sockel steigen und die Realität auf sich wirken lassen. Diese Realität lautet: Was von Gott erlassen, kann von Menschen nicht geändert werden; was aber von Menschen erlassen, kann von Menschen geändert werden. Immer vorausgesetzt, der Wille dazu besteht.
Im vergangenen Pontifikat schien der eiserne Grundsatz oxydiert zu sein. Ein besonders anschauliches Beispiel dafür liefert die jüngste Entscheidung von Papst Leo XIV., der keinerlei Hemmung zeigt, eine gewichtige Maßnahme seines unmittelbaren Vorgängers zu revidieren.

Am 26. November 2025 veröffentlichte der Heilige Stuhl das Motu proprio Immota manet, das die von Franziskus eingeführte Neuordnung der Diözese Rom rückgängig macht. Das Motu proprio La vera bellezza (Die wahre Schönheit) aus dem Jahr 2024, das den historischen Zentrumssektor, die Stadt Rom innerhalb der Aurelianischen Mauern, mit ihren fünf Präfekturen auflöste. Doch nicht nur das: Er teilte das Gebiet der Altstadt, also des historischen Rom, auf die vier übrigen Sektoren auf, die so erst 1966 von Paul VI. geschaffen worden waren. Das Ältere wurde vom Jüngeren verschlungen – von den Peripheriesektoren, den von Franziskus so betonten „Rändern“. Ja, es wurde regelrecht ausgelöscht, indem die über Jahrtausende gewachsene Einheit zerschlagen wurde.

Jeder Sektor der Diözese Rom wird von einem Weihbischof geleitet. Papst Franziskus wies noch im Januar 2023 mit einem Dekret diese Aufgaben so zu, berief dann aber 2024 römische Weihbischöfe auf Bischofsstühle oder an die Römische Kurie, sodaß derzeit nur zwei Sektoren einen Weihbischof haben.
Mit Immota manet neutralisiert Leo XIV. nun den bergoglianischen Eingriff.
Leo XIV. betont ausdrücklich, er respektiere die damaligen Beweggründe – doch zugleich stellt er klar, daß sich die Situation im Verlauf des Heiligen Jahres grundlegend anders dargestellt habe: Nicht die Besonderheit des Zentralbereichs sei hervorgetreten, aber seine innere Einheit und Homogenität. Folgerichtig ordnet er an, daß die fünf Präfekturen wieder zu einem einzigen Zentralbezirk zusammengeführt werden und dieser in die Gesamtstruktur der Diözese integriert wird.
Das Dekret tritt unmittelbar mit der Veröffentlichung im Osservatore Romano in Kraft und setzt alle entgegenstehenden Bestimmungen außer Kraft, gleichgültig, wie gewichtig sie einst erschienen sein mögen.
Damit wird ein Wunsch des römischen Klerus erfüllt. Die Intervention von Franziskus hatte im Klerus starken Unmut ausgelöst.
Die wichtigere Botschaft ist jedoch unüberhörbar: Es gibt keine „unumkehrbaren“ Verwaltungsakte, und schon gar keine, die aus reiner Ehrfurcht vor einer früheren Autorität unangetastet bleiben müßten. Leo XIV. demonstriert eindrucksvoll, daß selbst gewichtige Entscheidungen überdacht, korrigiert oder verworfen werden können. Im konkreten Fall revidierte Leo XIV. mit einem Motu proprio ein Motu proprio seines Vorgängers, das erst Anfang Oktober 2024 erlassen worden war. Die Haltbarkeitsdauer der bergoglianischen Maßnahme belief sich auf weniger als zwölf Monate.
Es spricht also nichts dagegen, daß Leo XIV. ebenso entschlossen das Motu proprio Traditionis custodes von Juli 2021 durch ein eigenes Motu proprio neutralisiert. Was für die Diözese Rom gilt, sollte für die Tradition noch weit mehr gelten.
Manch einer mag darüber schockiert sein. Aber vielleicht zeigt sich hier schlicht, was mancher nicht wahrhaben will: Tradition ist kein Stillstand – sie ist Bewegung. Und manchmal bedeutet Bewegung eben, das jüngst Gesetzte wieder zu lösen.
So einfach ist das. Und so unübersehbar. Wenn man es denn sehen will. Und wenn der Gesetzgeber Willen zeigt.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Diocesi di Roma/MiL (Screenshots)

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