Den Kirchenmännern, die eine Neubewertung der Lehre zu Homosexualität und anderen moralischen Fragen anstreben, ruft Don Nicola Bux, bekannter Liturgiker und langjähriger Freund von Benedikt XVI., in Erinnerung: Die Kirche hat keine Vollmacht, auch nur „ein Jota“ der geoffenbarten Wahrheit zu verändern. Der Katechismus kann sich weiterentwickeln – ja, aber nur im Sinn eines tieferen Verständnisses, nicht durch Verfälschung des Glaubensguts. Marino Pagano von La Nuova Bussola Quotidiana führte dazu ein Interview mit Don Bux, das wir in deutscher Übersetzung dokumentieren:
NBQ: Einige Hirten haben behauptet, der Katechismus könne geändert werden. Ist es theologisch und doktrinär möglich, die Lehre der Kirche – etwa über die Homosexualität oder andere moralische Fragen – zu verändern?
Don Nicola Bux: Die Kirche gründet ihre Lehre auf die Offenbarung Gottes, die in Christus vollendet und in der Heiligen Schrift enthalten ist. Man denke nur an Genesis 1,27: „Und Gott schuf den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn: als Mann und Frau schuf er sie“, sowie an Matthäus 19,4: „Habt ihr nicht gelesen, daß der Schöpfer sie am Anfang als Mann und Frau erschaffen hat?“ Die Kirche hat keine Autorität, „auch nur ein Jota oder ein Zeichen“ (Mt 5,18) dieser Worte zu verändern, sondern nur die Aufgabe, sie bekannt zu machen und zu bewahren: dem dient der Katechismus.
NBQ: Heute beeinflussen viele kulturelle Strömungen auch die kirchliche Sprache. Besteht eine Gefahr darin, sich von Ideologien leiten zu lassen, die der katholischen Tradition fremd sind?
Don Nicola Bux: Der heilige Paulus gibt ein immer gültiges Kriterium: „Prüft alles, und behaltet das Gute“ (1 Thess 5,21). Das bedeutet, daß jede Anregung, Idee oder jedes Verhalten geprüft und nur das Gute und Wahre bewahrt werden muß. Für den Christen ist Christus selbst das Kriterium der Wahrheit: Jeder Gedanke oder jede Theorie „steht oder fällt“ in Beziehung zu Ihm. Deshalb sprechen wir von einer „Anthropologie in Christus“ und nicht bloß von wandelbaren menschlichen Auffassungen.
NBQ: Wie unterscheidet man nach der katholischen Lehre zwischen der Annahme der Person und der Billigung des Verhaltens?
Don Nicola Bux: Der Begriff der Person, wie er im Konzil von Chalcedon zur Beschreibung des Geheimnisses Christi ausgearbeitet wurde, lehrt uns, daß der Mensch als Abbild und Gleichnis Gottes geschaffen ist (KKK, 362). Mannsein und Frausein sind eine gute, von Gott gewollte Wirklichkeit (KKK, 369). Die Annahme der Person bedeutet, diese ursprüngliche Wahrheit anzuerkennen. Doch Annahme kann nicht Billigung eines Verhaltens heißen, wenn dieses vom Guten abweicht: So wie die Medizin das Pathologische korrigiert, zielt die authentische Seelsorge auf Heilung, nicht auf Bestätigung des Irrtums. Die Gender-Ideologie, wie Papst Franziskus wiederholt betont hat, ist ein Irrtum des menschlichen Geistes: Annehmen heißt, auf dem Weg zur Wahrheit zu begleiten, nicht die Lüge zu rechtfertigen.
NBQ: Ist die Lehre über die Sexualität mit der von Papst Franziskus geforderten Pastoral der Barmherzigkeit vereinbar?
Don Nicola Bux: Wahre Barmherzigkeit besteht nicht darin, den Menschen in der Sünde zu belassen, sondern ihm zu helfen, sich zu bekehren und die Wahrheit wiederzufinden. Dort, wo die Gender-Denkweise Leid verursacht hat – etwa im Phänomen der Detransitioner [Menschen, die bereuen, den sogenannten „Geschlechtswechsel“ unternommen zu haben, Anm. d. Red.] –, zeigen sich die Wunden, die eine Lüge am Leib und an der Seele hinterläßt. Der Körper steht nicht zu unserer Verfügung, er ist eine Gabe Gottes. Gegen die Wirklichkeit des Körpers zu handeln, bedeutet, sich dem Schöpfer selbst zu widersetzen: Das ist eine Täuschung, die Züge des Antichristen annimmt, wenn sogar ein Hirte der Kirche sie billigt.
NBQ: Wie würden Sie jenen antworten, die der katholischen Lehre vorwerfen, „ausgrenzend“ oder „nicht inklusiv“ zu sein?
Don Nicola Bux: Ich würde antworten: Ja, in gewissem Sinn ist das so, weil sie Christus folgt, der sagte, Er sei gekommen, „um Zwietracht zu bringen“ (vgl. Lk 12,51). Christus sucht nicht den Konsens, sondern die Wahrheit: Seine „Inklusion“ ist die desjenigen, der das Heil in der Wahrheit annimmt. Die Lehre der Kirche ist kein Konformismus gegenüber Moden oder den Mächten der Welt, sondern Treue zu Dem, der sprach: „Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich“ (Mt 12,30). Christliche Freiheit besteht darin, der Wahrheit zu folgen, auch wenn sie trennt.
NBQ: Der Katechismus bezeichnet homosexuelle Handlungen als „in sich ungeordnet“. Handelt es sich hierbei um eine überholbare Ausdrucksweise oder um ein unumstößliches Urteil?
Don Nicola Bux: Gott ist der Schöpfer der Ordnung, und Ordnung ist das rechte Ausrichten von Personen und Dingen auf ein Ziel hin. Die Quelle jeder Ordnung ist die göttliche Weisheit. Moralische Unordnung ist daher eine Verneinung Gottes selbst. Der Katechismus verwendet hier keine überholbare Sprache, sondern drückt eine ontologische Wahrheit aus, die im Sein der Dinge verwurzelt ist. Wie Gustave Thibon erinnerte: „Freiheit ist die Tochter der Ordnung.“ Und Seneca schrieb: „Frei sein heißt, Gott zu gehorchen.“ Wo Ordnung fehlt, herrscht die Lüge des Bösen.
NBQ: Msgr. Francesco Savino, stellvertretender Vorsitzender der Italienischen Bischofskonferenz und Bischof in Kalabrien, hat kürzlich die Messe der Heiligjahr-Pilgerfahrt einiger LGBT-Gruppen gefeiert und von der Notwendigkeit einer „Kirche, die sich verändert“ gesprochen. Erlaubt die Tradition eine Neuinterpretation der Wahrheiten je nach den Zeiten?
Don Nicola Bux: Wie Johannes XXIII. bei der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils erinnerte, ist das Problem der Welt immer dasselbe: mit Christus oder gegen Ihn und Seine Kirche zu sein. Der Fortschritt der Lehre ist keine Wesensänderung, sondern eine organische Entwicklung – wie das Wachstum eines Leibes: Im Erwachsenwerden fügt man sich kein neues Glied hinzu, sondern läßt das, was schon vorhanden ist, reifen. Nicht die Kirche muß sich verändern, um sich der Welt anzupassen, sondern jeder Christ muß sich bekehren zur unveränderlichen Wahrheit, die Christus, der Herr, ist.
NBQ: Wie bindet die Autorität des Lehramtes die Bischöfe in der Unterweisung des Glaubens?
Don Nicola Bux: Weil ihre Autorität in persona Christi ausgeübt wird. Wie Papst Leo der Große erinnerte, muß der Bischof „vor Christus verschwinden“. Das Lehramt steht nicht über dem Wort Gottes, sondern dient ihm, indem es nur das lehrt, was überliefert wurde (Dei Verbum, 10; KKK, 86). Wenn ein Hirte ein „bequemes und flexibles Evangelium“ verkündet, hört er auf, Lehrer des Glaubens zu sein, und wird zum Echo der Welt. Die Treue zum Glaubensgut ist die wahre Liebe zu den Seelen.
Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: NBQ

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