
Am Fest des heiligen Franz von Assisi wird Papst Leo XIV. seine erste Exhortatio veröffentlichen. Dabei handelt es sich um eine Idee, die noch auf seinen Vorgänger Franziskus zurückgeht. Ähnlich, wenn auch in der Kirchengeschichte in der Form unüblich, war bereits Papst Franzikus vorgegangen, indem er die von Benedikt XVI. verfaßte, aber noch nicht promulgierte Enzyklika Lumen fidei – offenbar auf Wunsch seines Vorgängers – sich zu eigen machte und unter seinem Namen veröffentlichte. Ähnlich verfährt nun Leo XIV.
Von den unterschiedlichen Begriffen sollte sich niemand verwirren lassen. Es wird sich nicht um eine Enzyklika handeln. Leo XIV. bewegt sich mit dem ihm von Franziskus hinterlassenen Text niederschwelliger, als es Franziskus mit jenem von Benedikt XVI. tat. Wahrscheinlich hatte ihn Franziskus schon so niederschwellig geplant. Der Unterschied zwischen Franziskus-Benedikt XVI. und Leo XIV.-Franziskus besteht darin, daß Benedikt, da vom Papsttum zurückgetreten, seinen Nachfolger direkt um die Übernahme des vorbereiteten Textes gebeten hatte. Lumen fidei war der dritte und letzte Teil einer Enzykliken-Trilogie.
Die Hinterlassenschaft von Franziskus übernimmt Leo XIV. ohne diese Aufforderung oder Bitte. Er tut es auf freien Stücken.
Eine Apostolische Exhortation entspricht zunächst wie eine Enzyklika oder andere Dokumentenformen einem päpstlichen Schreiben. Während der Rang einer Enzyklika hoch ist, weil sie Teil des ordentlichen Lehramtes ist, ist die Exhortation rangmäßig niedriger eingestuft und nimmt nur eine nachgeordnete Rolle im Lehramt ein. Während das Ziel einer Enzyklika es ist, die theologische und moralische Lehre für die Weltkirche klar darzulegen, will eine Exhortation mehr seelsorgliche Orientierung bieten und die Gläubigen ermutigen. Daraus folgt, daß eine Enzyklika verbindlich ist, auch wenn sie keine neuen Gesetze oder Dogmen verkündet. Sollte dies der Fall sein, wäre ihre Verbindlichkeit sogar sehr hoch. Eine Exhortation hat eine geringere Verbindlichkeit, wenngleich sie nicht unverbindlich ist. Sie ist weniger normativ. Eine Enzyklika kann, wie angedeutet, in Ausnahmefällen unfehlbar sein. Sie kann also einen dogmatischen Anspruch geltend machen. Die Exhortation ist hingegen nie unfehlbar, da sie keine Form darstellt, mit der dogmatische Definitionen erfolgen. Nachsynodale Schreiben wie Amoris laetitia sind Exhortationen.
Für seine grundlegenden Aussagen wählte Franziskus hingegen die Form einer Enzyklika, so die Öko-Enzyklika Laudato si‘, mit der er die Kirche an die Klima-Agenda anschließen wollte und die ökologische „Umkehr“ forderte, oder die Brüderlichkeits-Enzyklika Fratelli tutti, mit der er die Kirche mit der Parole „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ auf den Kurs der Französischen Revolution von 1789 und zur Versöhnung mit den aus ihr hervorgegangenen geistesgeschichtlich und politisch wirkmächtigen Großströmungen von Liberalismus und Sozialismus bringen wollte.
Wie gesagt: Die Idee für das Projekt geht auf Papst Franziskus zurück. Die Ausarbeitung der Exhortation hatte bereits unter ihm begonnen. Seltsamerweise, doch typisch bergoglianisch, hatte Franziskus mit der Erstellung eines Entwurfs ausgerechnet Kurienerzbischof Vincenzo Paglia von der Gemeinschaft von Sant’Egidio beauftragt. Dieser habe, wie Silere non possum, ein Nachrichtenportal, das von römischen Priestern betrieben wird, nun schreibt, „weite Passagen aus einem seiner Bücher nahezu unverändert in den Entwurf übernommen“.
Am Samstag wird man sehen, warum Leo XIV. das Vorhaben seines Vorgängers fortführen wollte. Gesichert ist, daß er allerdings das Glaubensdikasterium und das Staatssekretariat mit einer „umfassenden Überarbeitung des Textes“ beauftragte, so Silere non possum.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL
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