Anmerkungen von Giuseppe Nardi
Die Deutsche Bischofskonferenz gab die erschreckend hohe Zahl der Kirchenaustritte im vergangenen Jahr bekannt. Der Bayerische Rundfunk berichtete gestern darüber – und tat dies betont tendenziös. Er ist dabei nur ein Beispiel von etlichen, die genannt werden könnten, einschließlich internationaler Presseagenturen wie AP.
Es wurden zunächst die Fakten berichtet. Eine halbe Million Katholiken hatten im Vorjahr den Austritt aus der Kirche erklärt, was in der Bundesrepublik Deutschland kirchenrechtswidrig mit der Kirchensteuer gekoppelt ist. In Bayern waren es über 150.000, was die Zahl der Katholiken im Freistaat erstmals unter sechs Millionen sinken ließ (Bayern zählt 13,5 Millionen Einwohner, davon 1,9 Millionen Ausländer).
Dann beginnt der Bericht auf BR24 (ex B5 aktuell) jedoch zu haken, denn es wird gleich mitgeliefert, was und wie die Bürger über die Rekordaustritte zu denken hätten. Die Austritte seien, so der Nachrichtenkanal des Bayerischen Rundfunks, wegen des sexuellen Mißbrauchsskandals und des Umgangs damit erfolgt und, weil der Synodale Weg ins Stottern geraten sei und die „Reformen“ zu langsam erfolgen würden. BR24 ist bisher allerdings nicht dadurch aufgefallen, das Hauptübel des sexuellen Mißbrauchsskandals, die pädophile Homosexualität, beim Namen zu nennen. Zudem wird er auch in der gestrigen Berichterstattung selbst zur Partei, wenn er rundweg behauptet, jedenfalls den Eindruck erweckt, daß es die Kirchenaustritte nicht gäbe, wenn die Kirche die progressive Agenda umsetzen würde. Hier wird der Bock zum Gärtner gemacht und BR24 erweist sich als schlechter Ratgeber.
Eine Quelle für die „Ursachenforschung“ von BR24 wurde im Hörfunkbericht nicht genannt. In der Onlineausgabe wird man etwas konkreter. Demnach darf sie in der Redaktion selbst vermutet werden: Die katholische Kirche wird seit Jahren allein unter dem nicht wohlwollenden Aspekt präsentiert, sich „in der Krise“ zu befinden. Dazu werden die passenden Stellungnahmen ausgewählter Kirchenvertreter gesucht. So etwas ist neudeutsch inzwischen als „Framing“ bekannt. Es wird eine Meldung verbreitet, mit der in Wirklichkeit Politik betrieben wird.
Die Manipulationsabsicht wird noch deutlicher, wenn im nächsten Satz nachgeschoben wird – vermeintlich in neutraler Objektivität verpackt –, daß die Zahl der Austritte in jenen drei bayerischen Bistümern besonders hoch sei, deren mutige Bischöfe vor wenigen Tagen erklärten, die Finanzierung des Synodalen Wegs einzustellen, nämlich Regensburg, Passau und Eichstätt. Dabei liegt es auf der Hand, daß aufgrund der zeitlichen Abfolge eine vor wenigen Tagen getroffene Entscheidung nicht die Ursache für die Kirchenaustritte im Vorjahr gewesen sein kann.
Das gilt erst recht bei näherer Betrachtung. Demnach weist das Erzbistum München-Freising mit einer Zunahme von „nur 38 Prozent“, den „geringsten“ Zuwachs an Kirchenaustritten auf. Die Zahlen geben nur eine Momentaufnahme wieder. In München fand der Niedergang bereits früher statt, was sich statistisch niederschlägt. Wer von einem geringeren Niveau aus startet, fällt weniger tief.
Für die gezielte Auswahl der zur Intention der Nachrichtenmacher passenden Stimmen spricht, daß nur die üblichen „Reformkatholiken“ zu Wort kommen, die ihre ebenso üblichen Sprechblasen absondern wie Landtagspräsidentin Ilse Aigner von der CSU. Im Hörfunkbeitrag kam ein progressiver Priester im O‑Ton zu Wort, der jammerte, daß er genau jene, die ausgetreten sind, „brauche“, um die Kirche „zu verändern“, wie dies gerade durch den Synodalen Weg geschehe.
Echt?
Der Gesamteindruck, der jedoch nicht zu Wort kommt, jedenfalls nicht bei BR24 – ob er vielleicht doch geäußert, aber herausgeschnitten wurde, kann nicht gesagt werden: Gründe und Ursachen stehen bereits vorab fest. Die Kirche ist in der Krise, was auch jeder gläubige Katholik unterschreiben würde, allerdings aus dem Mund der Nachrichtenmacher anders gemeint ist. Man will dort die Kirche offenbar in der Krise sehen, weil man die Kirche nicht will.
Und da sind wir bei dem mutmaßlichen Hauptgrund der hohen Austrittszahlen. Die Kirche, der Glauben, Gott werden von einem Teil der Menschen nicht mehr als relevant betrachtet. Das hat ursächlich weder mit dem Mißbrauchsskandal und schon gar nicht mit dem Synodalen Weg zu tun. Beide Phänomene sind nur Folgen der eigentlichen Krise. Da sind Ursache und Wirkung nicht zu verwechseln.
Diese Kirche wird aus der Sicht zahlreicher Zeitgenossen nicht mehr gebraucht. Eine progressive, dem Zeitgeist hinterher laufende Kirche, ob „synodal“ oder nicht, braucht niemand. Das ist die Antwort, die die Menschen mit ihrem Austritt signalisieren. Es gibt einen Glaubensabfall größten Ausmaßes. Dabei ist es bestenfalls von relativer Bedeutung, ob ein glaubensloser Neuheide seinen Austritt mit dem Hinweis auf sexuellen Mißbrauch schmückt. Die Zahl jener, die ausgetreten sind, weil ihnen der Synodale Weg „zu langsam“ geht, oder gar jene wirklich gläubigen Katholiken, die es aus Protest gegen den kirchlichen Verfall aus dem „Kirchensteuerverein“ taten, sind statistisch ohnehin vernachlässigbare Größen. Da sollte niemand Dinge aufblasen, um sein eigenes Süppchen zu kochen, schon gar nicht BR24.
Was braucht die Kirche? Den Synodalen Weg? Nein. Die Kirche braucht ihre Ernsthaftigkeit zurück. Sie muß vom leeren Apparat wegkommen, mit dem sie heute identifiziert wird. Kein Urteil ist vernichtender als jenes, das sich dieser Kirchenapparat selbst spricht, indem in der Bundesrepublik Deutschland die Kirche direkt oder indirekt mehr Angestellte hat als am Sonntag Meßbesucher.
Die Kirchenmänner müssen zum vollständigen und unverkürzten apostolischen Glauben zurückkehren. Schluß mit Homo-Segnungen, Schluß mit dem 68er-Revoluzzertum, Schluß mit Abstrichen in der Glaubenslehre, Schluß mit der künstlichen Dekonstruktion.
Die Kirche braucht glaubwürdige Zeugen, nicht Zeitgeisttiefflieger, für die das Ordensgewand nur ein übergestülptes Teilzeitgewand über der weltlichen Alltagskleidung ist, für die das Priestertum nur eine „Lebensabschnittspartnerschaft“ ist, die morgen schon gegen Frau/Mann/divers eingetauscht wird, für die Gelübde, ob zeitlich oder ewig, nur unverbindliche Worte sind und kirchliche Sanktionen nichts besagen, weil man nicht wirklich glaubt oder eben nur glaubt, was man will. Die Rechnung, einer Konfrontation mit dem Zeitgeist aus dem Weg zu gehen, kann nicht aufgehen. Da hilft es nichts, sich Augen, Mund und Ohren noch so fest zuzuhalten. Wer das Unvermeidliche doch zu vermeiden sucht, indem er ins gegnerische Lage wechselt, etwa durch Homo-Segnungen, wird zum Apostaten.
Gleiches gilt für die Laien und ihr Tauf- und ihr Eheversprechen. Glaubwürdige Zeugen, davon reden die progressiven Apparatschik-Kleriker und ‑Laien zwar viel, doch es sind häufig nur Formen von Rhetorikübungen. Und die Menschen spüren das. Sie merken das. Und die Antworten, die von progressiver Seite darauf gegeben werden, sind nicht die Lösung des Problems, sondern selbst Teil des Problems.
Der Verzicht, die Menschen zu lehren, ist eine Kapitulation, ohne überhaupt den Kampf versucht zu haben. Der Herr hat der Kirche aber keinen Auftrag erteilt, den Menschen nur zuzuhören und sich von diesen belehren zu lassen, sondern sie zu lehren.
Die Kirchenaustritte sind die Folge des kirchlichen Niedergangs, der vor 60 Jahren ohne jede Not losgetreten wurde. Das erinnert an das heutige Handeln politischer Akteure und zeugt von innerer Unruhe. Knapp vorbei ist bekanntlich auch daneben, weshalb es letztlich fruchtlos ist, zu betonen, daß dieses Lostreten doch wohl mutmaßlich in guter Absicht geschehen sei.
In Klerikerkreisen nagte natürlich schon früher der Wurm. Die Kirche ist hierarchisch verfaßt, weshalb es der Klerus ist, der sie aufbaut, trägt oder eben zersetzt. Alles Gerede von den Laien, die „jetzt“, „nun“, „heute“, „in dieser neuen Phase“, „in unserer Zeit“ die Hauptaufgabe übernehmen müßten, sind Augenwischerei, die – so gut gemeint sie auch sein mag – auf Abwege führt oder zumindest ablenkt.
Die Kirche wurde von Jesus Christus auf eine ganz bestimmte, eindeutige Weise verfaßt, klerikal und hierarchisch. Die Erneuerung kommt durch gute Bischöfe und Priester, auf die die Gläubigen antworten. Die Aufgabe der Gläubigen gibt es natürlich, aber eben als Antwort darauf in einer ganz eigenen, nur geistlich zu verstehenden Wechselwirkung.
Die erste Aufgabe der Gläubigen heute ist es also, für gute Bischöfe und Priester zu beten und diese, wo es sie gibt, nach Kräften zu unterstützen und sich von ihnen leiten zu lassen. Daraus kann dann allerlei an guten Initiativen entstehen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: BR24 (Screenshot)