Emeritierter Papst, verhinderter Papst – braucht die Kirche neue Normen?

Online-Plattform von Kanonisten vorgestellt


Die Anomalie zweier Päpste veranlaßt Kanonisten, auf die Schließung von Lücken in der Rechtsordnung zu drängen.
Die Anomalie zweier Päpste veranlaßt Kanonisten, auf die Schließung von Lücken in der Rechtsordnung zu drängen.

(Rom) Der zu Ende gehen­de Som­mer war von teils hart­näcki­gen Gerüch­ten über einen mög­li­chen Rück­tritt von Papst Fran­zis­kus geprägt. Grund dafür war auch ein Auf­satz von Geral­di­na Boni, Pro­fes­so­rin für Kir­chen­recht an der Uni­ver­si­tät Bolo­gna und Con­sult­orin des Päpst­li­chen Rates für Geset­zes­tex­te, in der juri­sti­schen Online-Fach­zeit­schrift Sta­to, Chie­se e plu­ra­lis­mo con­fes­sio­na­le (Staat, Kir­chen und kon­fes­sio­nel­ler Plu­ra­lis­mus), die vom Lehr­stuhl für Kir­chen­recht an der Juri­sti­schen Fakul­tät der Uni­ver­si­tät Mai­land her­aus­ge­ge­ben wird.

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In die­sem Auf­satz, der im Juli erschie­nen ist, wid­met sich Boni einem Geset­zes­vor­schlag, der zwei „Lücken“ in der der­zei­ti­gen kirch­li­chen Rechts­ord­nung schlie­ßen soll, die den Hei­li­gen Stuhl für den Fall einer „völ­li­gen Behin­de­rung“ und des „Amts­ver­zichts“ eines Pap­stes betreffen.

Die Stel­lung der Autorin als Bera­te­rin im Vati­kan reich­te aus, um Rück­tritts­ge­rüch­te glaub­wür­dig erschei­nen zu las­sen, da der Vati­kan Nor­men für eine nicht fer­ne Situa­ti­on vor­be­rei­te. Doch Papst Fran­zis­kus demen­tier­te per­sön­lich. Der Gedan­ke eines Amts­ver­zichts habe ihn noch nicht ein­mal gestreift. In der Tat rührt sich in die­se Rich­tung nichts, schon gar nicht durch Fran­zis­kus selbst, wie jüngst auch der Vati­ka­nist San­dro Magi­ster bestätigte.

Die Über­le­gun­gen sind eine Initia­ti­ve der Juri­stin im fer­nen Bolo­gna und nicht des Vati­kans. Immer­hin hat Boni mit ihrem Kol­le­gen Andrea Zanot­ti den heu­te dop­pelt besetz­ten Lehr­stuhl des Kamald­u­len­ser­mönchs Gra­ti­an an der Uni­ver­si­tät Bolo­gna inne, der mit dem Decre­tum Gra­tia­ni vor bald 900 Jah­ren zum Vater des Kir­chen­rechts wurde.

Hin­ter ihrem Vor­stoß steht eine frei zugäng­li­che Online-Platt­form mit der etwas sper­ri­gen Bezeich­nung: „For­schungs­grup­pe – Völ­li­ge Behin­de­rung des Römi­schen Stuhls und Rechts­sta­tus des Bischofs von Rom, der auf sein Amt ver­zich­tet hat“. Dabei han­delt es sich um „eine Grup­pe von Kano­ni­sten ver­schie­de­ner Län­der“, die zwei Geset­zes­ent­wür­fe aus­ge­ar­bei­tet hat, um nach eige­nem Dafür­hal­ten „Lücken im gel­ten­den Kir­chen­recht“ zu schlie­ßen. Ange­führt wird die Grup­pe von Boni und Zanotti.

Geral­di­na Boni hat­te Anfang 2015 die Gül­tig­keit der Wahl von Papst Fran­zis­kus gegen die Ungül­tig­keits­the­se von Anto­nio Soc­ci ver­tei­digt. Damals schrieb sie:

„Selbst wenn alles so vor­ge­fal­len wäre, wie es geschil­dert wird, ist der Wahl­vor­gang voll­kom­men ad normam iuris. Die Wahl von Papst Fran­zis­kus hat beim fünf­ten Wahl­gang die vor­ge­schrie­be­ne Mehr­heit erreicht (der erste Wahl­gang erfolg­te am 12. März, vier am 13. März). Die Fra­ge der Gül­tig­keit stellt sich nicht.
Ange­sichts der völ­li­gen Halt­lo­sig­keit der Mut­ma­ßun­gen löst sich auch die von man­chen geäu­ßer­te Sor­ge im Nichts auf, daß ein zwei­fel­haf­ter Papst auf dem Stuhl Petri sit­zen könn­te. Das Kir­chen­recht hat bestän­dig und ein­hel­lig erklärt, daß die paci­fi­ca uni­ver­sa­lis eccle­siae adhae­sio untrüg­li­ches Zei­chen einer gül­ti­gen Wahl und eines recht­mä­ßi­gen Pap­stes ist. Die Anhäng­lich­keit des Volks Got­tes an Papst Fran­zis­kus kann in kei­ner Wei­se bezwei­felt werden.“

Wie es auf der Platt­form heißt, erar­bei­tet die Grup­pe Geset­zes­pro­jek­te, die, sobald sie ange­mes­sen erschei­nen, „dem ober­sten Gesetz­ge­ber“, das ist Papst Fran­zis­kus, über­mit­telt wer­den, damit die­ser ent­schei­den kön­ne, was mit die­sem Anstoß gesche­hen soll.

Deut­sche Fas­sung des Arbeitsentwurfs

Amtsunfähiger Papst

Mit ihrem Auf­satz in der Fach­zeit­schrift prä­sen­tier­te Boni den Stand der Aus­ar­bei­tung. Mit einem neu­en Bei­trag für den Blog Set­ti­mo Cie­lo des Vati­ka­ni­sten San­dro Magi­ster stell­te sie nun die Grup­pe und deren Tätig­keit erst­mals der brei­te­ren Öffent­lich­keit vor. Aus­gangs­punkt für deren Ent­ste­hung, so die Kir­chen­recht­le­rin, war der Rück­tritt von Papst Bene­dikt XVI., der „zu einer noch nie dage­we­se­nen Koexi­stenz des amtie­ren­den mit dem ‚eme­ri­tier­ten‘ Papst“ führte.

„Außer­dem wird immer deut­li­cher, daß Umstän­de ein­tre­ten kön­nen, in denen ein Papst auf­grund sei­nes fort­ge­schrit­te­nen Alters oder schwe­rer gesund­heit­li­cher Pro­ble­me mit Hil­fe von Medi­zin und Tech­nik am Leben bleibt, aber nicht in der Lage ist, das ‚munus petrinum‘ auszuüben.“

Die „völ­li­ge Behin­de­rung“ des Römi­schen Stuhls wer­de im Codex des kano­ni­schen Rechts nur erwähnt, aber nicht gere­gelt, obwohl canon 335 für die­sen Fall auf ein Son­der­ge­setz ver­weist, „das nie erlas­sen wur­de“. Es gebe „kei­ne juri­sti­sche Lösung, um der Welt­kir­che ihr Ober­haupt sicher­zu­stel­len, wenn der Papst sie auf­grund einer tota­len, dau­er­haf­ten und irrever­si­blen Behin­de­rung nicht mehr lei­ten kann“. Die­ser Fall bedeu­te näm­lich einen schwe­ren Scha­den für den Kirchenkörper.

„Dies sind zwei wich­ti­ge Rechts­lücken, die geschlos­sen wer­den sollten.“

Die Grup­pe von Kano­ni­sten hat ihre Vor­ar­bei­ten zur Schlie­ßung die­ser Lücken in meh­re­ren Spra­chen zur Ver­fü­gung gestellt, dar­un­ter auch auf deutsch, um die Dis­kus­si­on dar­über anzu­re­gen. Refe­renz­tex­te sind dabei die ita­lie­ni­sche und die spa­ni­sche Fassung.

„Die wich­tig­ste Neue­rung in dem Pro­jekt über den behin­der­ten Römi­schen Stuhl betrifft die Ein­füh­rung (auch durch eine Ände­rung des Codex Iuris Cano­ni­ci) der tota­len Behin­de­rung auf­grund der irrepa­ra­blen ‚inha­bi­li­tas‘ des Pap­stes als drit­ten Grund für die Been­di­gung des Petrus­am­tes, der zu Tod und Ver­zicht hin­zu­kom­men würde.“

Boni schreibt dazu:

„Für den Fall, daß der Römi­sche Stuhl auf­grund einer irrepa­ra­blen ‚inha­bi­li­tas‘ des Pap­stes – so daß er auch frei­wil­lig nicht auf sein Amt ver­zich­ten kann – voll­stän­dig behin­dert ist, wird der Zustand, der durch sorg­fäl­tig gere­gel­te Ver­fah­ren (unter Ein­schal­tung eines medi­zi­ni­schen Rates und der Rati­fi­zie­rung durch das Kar­di­nals­kol­le­gi­um mit qua­li­fi­zier­ter Mehr­heit) fest­ge­stellt und erklärt wird, recht­lich mit der Sedis­va­kanz gleich­ge­setzt: mit der anschlie­ßen­den Ein­be­ru­fung des Kon­kla­ves zur Wahl des neu­en Nach­fol­gers Petri.“

Damit wür­de die Stu­fe des Amts­ver­zichts über­gan­gen, um direkt zur Sedis­va­kanz zu gelan­gen, da eine Rück­tritts­er­klä­rung dem Papst wegen völ­li­ger Amts­un­fä­hig­keit unmög­lich wäre.

Geral­di­na Boni, Lehr­stuhl für Kir­chen­recht an der Uni­ver­si­tät Bologna

Emeritierter Papst

Zum Pro­jekt über den „eme­ri­tier­ten Papst“, schreibt Boni, daß „ange­sichts der heik­len Lage“ beschlos­sen wur­de, „die Dis­zi­plin erheb­lich ein­zu­schrän­ken und nur eini­ge unbe­dingt not­wen­di­ge Nor­men auf­zu­neh­men, um schäd­li­che Miß­ver­ständ­nis­se zu ver­mei­den und prak­ti­sche Pro­ble­me zu lösen“.

Die dar­in genann­ten Maß­nah­men sei­en nicht als Vor­schrif­ten, son­dern als Ermah­nung for­mu­liert, um „die Aus­übung bestimm­ter Rech­te des Ver­zich­ten­den zu mäßi­gen“, aber „die Wür­de der Per­son, die den Thron Petri besetzt, in kei­ner Wei­se zu ver­let­zen“. Kon­kret wer­den „eini­ge wich­ti­ge Nor­men über den Akt des Ver­zichts, Bestim­mun­gen über den Titel, den Wohn­sitz, den Unter­halt, die Bezie­hun­gen zum Papst, die Lebens­füh­rung, kirch­li­che und öffent­li­che Pflich­ten und das Begräb­nis des ver­zich­ten­den Bischofs von Rom“ angeführt.

Die vor kur­zem frei­ge­schal­te­te Inter­net-Platt­form, so Boni, wur­de als vir­tu­el­ler „Ort“ des wis­sen­schaft­li­chen Aus­tau­sches geschaf­fen. Am Ende des Aus­ar­bei­tungs­pro­zes­ses sol­len die Geset­zes­ent­wür­fe mit Hil­fe von Lati­ni­sten in ein ange­mes­se­nes Rechts­la­tein samt Kom­men­ta­ren über­tra­gen werden.

Es sei die Absicht, so Boni, daß das Kir­chen­recht damit „sei­ne Kennt­nis­se und Fähig­kei­ten in den Dienst des Stell­ver­tre­ters Chri­sti und mit ihm der Kir­che und des Got­tes­vol­kes“ stellt.

Boni the­ma­ti­siert nicht, daß mit der Schlie­ßung der genann­ten Lücken neue Rechts­in­sti­tu­te geschaf­fen wer­den, wel­che die Kir­che in ihrer bald zwei­tau­send­jäh­ri­gen Geschich­te nicht kennt und offen­sicht­lich auch nicht brauchte.

Die krank­heits­be­ding­te Amts­un­fä­hig­keit ist kein neu­es Phä­no­men und die bei­spiel­lo­se Koexi­stenz zwei­er Päp­ste ein­zig dem sin­gu­lä­ren Schritt Bene­dikts XVI. geschul­det, die mit sei­nem Tod ent­fällt. Erst die von Boni und Zanot­ti vor­ge­schla­ge­ne Nor­mie­rung des Amts­ver­zichts wür­de die Insti­tu­tio­na­li­sie­rung des „eme­ri­tier­ten Pap­stes“ bedeu­ten, was zunächst die Klä­rung der Vor­fra­ge ver­lan­gen wür­de, ob die Kir­che eine insti­tu­tio­na­li­sier­te Koha­bi­ta­ti­on über­haupt wünscht und sie ihr gut­tut. Die gött­li­che Stif­tung des Petrus­dien­stes und die kirch­li­che Tra­di­ti­on schei­nen dies viel­mehr auszuschließen.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: MiL/progettocanonicosederomana.com/Youtube (Screen­shot)

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