Warum die Tradition verhindert wird

„Die Ultras sind wenige, aber laut“


Die Tradition und ihre Bedeutung in der Kirche
Die Tradition und ihre Bedeutung in der Kirche

Von Cami­nan­te Wanderer*

Anzei­ge

Meh­re­re Anzei­chen schei­nen dar­auf hin­zu­deu­ten, daß Kar­di­nal Fernán­dez seit eini­gen Wochen beun­ru­higt ist. Soll­te dies zutref­fen, so dürf­te sich die­se Sor­ge in der ver­gan­ge­nen Woche noch ver­stärkt haben, als neue ero­ti­sche Pas­sa­gen aus Büchern bekannt wur­den, die aus sei­ner eige­nen Feder stam­men und deren Titel er – bezeich­nen­der­wei­se – aus sei­nem offi­zi­el­len Lebens­lauf ent­fernt hatte.

Eines der Anzei­chen für die Besorg­nis des argen­ti­ni­schen Pur­pur­trä­gers besteht dar­in, daß er bereits vor dem Bekannt­wer­den die­ser Tex­te auf sei­ne Freun­de zurück­griff – die, man muß es sagen, nicht sehr zahl­reich sind –, um ihn öffent­lich zu ver­tei­di­gen. Zunächst war es Austen Ive­reigh, ein bri­ti­scher Jour­na­list und Autor zwei­er Bio­gra­phien über Papst Fran­zis­kus (und enger Freund von P. James Mar­tin SJ), danach José Manu­el Vidal auf Reli­gión Digi­tal und schließ­lich ein Bei­trag von Eli­sa­bet­ta Piqué auf X. Wir erlau­ben uns, Sei­ner Emi­nenz zu pro­phe­zei­en, daß es ihm mit einer der­ar­ti­gen „Arma­ta Bran­ca­leo­ne“ kaum gelin­gen dürf­te, sein ange­schla­ge­nes öffent­li­ches Image wiederherzustellen.

Eines der Schlag­wor­te, das die­se Ver­tei­di­ger des berg­o­glia­nisch gepräg­ten Pro­gres­sis­mus – und vie­le ande­re ihres­glei­chen – immer wie­der gebets­müh­len­ar­tig wie­der­ho­len, lau­tet: „Die Ultras [das heißt: die Tra­di­tio­na­li­sten oder Ultra­kon­ser­va­ti­ven] sind weni­ge, aber laut.“ Es han­delt sich dabei um eine recht grob­schläch­ti­ge Form eines Ad-homi­nem-Argu­ments im Sin­ne von: „Es lohnt sich nicht, sich um sie zu küm­mern; es sind gera­de ein­mal ein paar Han­seln“, lau­tet die unaus­ge­spro­che­ne Bot­schaft. Die Wahr­heit ist jedoch: Man küm­mert sich sehr wohl um sie. Und man weiß sehr wohl, daß es nicht stimmt, daß wir nur „ein paar Han­seln“ wären.

Die im März vom Pew Rese­arch Cen­ter ver­öf­fent­lich­ten Stu­di­en, ins­be­son­de­re die Erhe­bung zur reli­giö­sen Pra­xis, zei­gen, daß hin­sicht­lich des Glau­bens und der Zustim­mung zu den grund­le­gen­den Glau­bens­wahr­hei­ten – etwa des Glau­bens an die Real­prä­senz Chri­sti, der Meß­be­suchs­häu­fig­keit, der Sakra­men­ten­pra­xis, der Erfül­lung des Sonn­tags­ge­bots, des Glau­bens an die Unauf­lös­lich­keit der Ehe usw. – ein gera­de­zu abgrün­di­ger Unter­schied zwi­schen „ultra­t­ra­di­tio­na­li­sten „Ultra“-Katholiken und libe­ra­len Katho­li­ken besteht. Wir „tra­di­tio­nel­len Katho­li­ken“ sind in der Tat eine zah­len­mä­ßi­ge Min­der­heit, doch die Glau­bens­treue – und sie ist letzt­lich das ent­schei­den­de Kri­te­ri­um für die Zuge­hö­rig­keit zur Grup­pe – ist in der Min­der­heit ungleich höher als in der Mehr­heit. Dabei han­delt es sich nicht um Wunsch­den­ken, son­dern um nüch­ter­ne Zahlen.

Die rich­ti­ge Fra­ge lau­tet daher nicht, wer mehr oder weni­ger sind, son­dern wel­che der Ver­sio­nen des katho­li­schen Glau­bens – denn wir müs­sen aner­ken­nen, daß es sich um grund­ver­schie­de­ne Ver­sio­nen han­delt – tat­säch­lich funk­tio­niert. Die Evi­denz zeigt, daß in der klei­nen und ver­folg­ten Grup­pe der Tra­di­tio­na­li­sten, denen sämt­li­che Erleich­te­run­gen zur Aus­übung des Glau­bens in der histo­ri­schen Form der Kir­che ver­wehrt wer­den, dort, wo die­se Ver­bo­te auf­ge­ho­ben wer­den oder – um einen inzwi­schen berühm­ten Aus­druck zu ver­wen­den – wo man „das Expe­ri­ment der Tra­di­ti­on zuläßt“, das Wachs­tum sehr rasch und sehr inten­siv ist. In einem in der ver­gan­ge­nen Woche in La Croix ver­öf­fent­lich­ten Arti­kel wird fest­ge­stellt, daß 67 Pro­zent der fran­zö­si­schen Katho­li­ken, die wöchent­lich die Mes­se besu­chen, zumin­dest erklä­ren, nichts gegen den über­lie­fer­ten Ritus ein­zu­wen­den zu haben. Mehr noch: Seit eini­gen Jah­ren ent­steht eine Gene­ra­ti­on von „Bir­ri­tua­li­sten“, also Katho­li­ken, die bei­den Meß­bü­chern zuge­neigt sind – fern der histo­ri­schen Spal­tun­gen zwi­schen Tra­di­tio­na­li­sten und Konziliaren.

Ein wei­te­rer rele­van­ter und leicht über­prüf­ba­rer Befund: Der Anteil der Kin­der und Jugend­li­chen, die nach dem Emp­fang der Fir­mung in den „nor­ma­len“ Pfar­rei­en wei­ter­hin reli­gi­ös prak­ti­zie­ren – sofern sie die­ses Sakra­ment über­haupt noch emp­fan­gen –, ist ver­schwin­dend gering. Jeder Prie­ster weiß das. Dem­ge­gen­über blei­ben Kin­der und Jugend­li­che, die sich der tra­di­tio­nel­len Lit­ur­gie zuwen­den und in ihr erzo­gen wer­den, in einem deut­lich höhe­ren Pro­zent­satz bei der reli­giö­sen Pra­xis. Mit ande­ren Wor­ten: Sowohl die Stu­di­en des Pew Rese­arch Cen­ter als auch die Erfah­rung zei­gen, daß Gläu­bi­ge, die an der tra­di­tio­nel­len Lit­ur­gie teil­neh­men, eine wesent­lich stär­ke­re Bin­dung an die Glau­bens­wahr­hei­ten und an die reli­giö­se Pra­xis besit­zen. [Dies bedeu­tet selbst­ver­ständ­lich nicht, daß Katho­li­ken, die die neue Mes­se besu­chen, weni­ger eif­rig oder weni­ger hei­lig wären als die „Tra­dis“. Wir alle ken­nen hei­li­ge Män­ner und Frau­en von tie­fem Glau­ben, die gewöhn­lich die neue Mes­se besu­chen. Die Fra­ge ist eine andere.]

Aus die­ser Fest­stel­lung las­sen sich meh­re­re Schluß­fol­ge­run­gen zie­hen. Die erste und klar­ste lau­tet, daß das, was man uns als „Früh­ling der Kir­che“ und als Wohl­tat der refor­mier­ten Lit­ur­gie gegen­über den vor­kon­zi­lia­ren „Ver­kru­stun­gen“ ver­kauft hat, geschei­tert ist. Mit ande­ren Wor­ten: Das kon­zils­be­ding­te Expe­ri­ment hat nicht funk­tio­niert; seit sech­zig Jah­ren funk­tio­niert es nicht.

Zugleich deu­tet die Tat­sa­che, daß die neue Lit­ur­gie und die mit ihr ver­bun­de­ne Spi­ri­tua­li­tät weni­ger Früch­te der Beharr­lich­keit her­vor­brin­gen, zumin­dest dar­auf hin, daß sie in vie­len Fäl­len einen ober­fläch­li­chen Katho­li­zis­mus prä­sen­tie­ren, den nur weni­ge zu ver­tie­fen ver­mö­gen. Daher erklä­ren sich Anstren­gun­gen, mit denen Bischö­fe und Pfar­rer Exer­zi­ti­en nach dem Muster von Éffata oder Emma­us för­dern, oder mas­sen­be­we­gungs­ar­ti­ge Phä­no­me­ne wohl­ha­ben­der Katho­li­ken (oder, in der Ter­mi­no­lo­gie des spa­ni­schen Spa­nisch, „pijos“) wie Haku­na. Man muß Men­schen zusam­men­brin­gen, weil sich die Pfar­rei­en lee­ren; man treibt zusam­men, was immer kommt und wie immer es kommt. Man weiß dort sehr genau, daß es sich um Ein­tags­flie­gen han­delt, denn die Beharr­lich­keit jener, die an die­sen Ein­kehr­mo­men­ten des emo­tio­na­len Schocks teil­neh­men, währt in der über­wäl­ti­gen­den Mehr­heit der Fäl­le kür­zer als das Leben eines wil­den Mohns. Das ist die unwi­der­leg­ba­re Realität.

Es ist daher ein fal­scher und irre­füh­ren­der Ansatz, die Rele­vanz der „Ultras“ inner­halb der Kir­che aus­schließ­lich an ihrer Zahl zu mes­sen. Viel­mehr gilt es, die Tie­fe der Früch­te zu betrach­ten. Eine Kir­che vol­ler jun­ger Men­schen, die an einer eucha­ri­sti­schen Anbe­tung teil­neh­men, mag groß­ar­tig erschei­nen, doch muß man berück­sich­ti­gen, daß ein hoher Pro­zent­satz die­ser Jugend­li­chen es für akzep­ta­bel hält, außer­ehe­li­che sexu­el­le Bezie­hun­gen zu haben, oder sogar homo­se­xu­el­le Bezie­hun­gen für mora­lisch unpro­ble­ma­tisch hält, sofern „Lie­be“ vor­han­den ist. Ja, es stimmt, sie sind dort und „beten“ das aus­ge­setz­te Aller­hei­lig­ste an – in etwas, das einer Mon­stranz ähnelt –, sie las­sen sich von ein­gän­gi­gen, gefühls­se­li­gen Lie­dern ver­zau­bern, alle sehen blen­dend aus und wir­ken glück­lich; doch wenn es ernst wird, fehlt die Sub­stanz. Der Hei­li­ge Geist kann mit sei­ner Gna­de gewiß in vie­len von ihnen wir­ken, doch die Gna­de setzt die Natur vor­aus, und die Natur muß, um die Gna­de ange­mes­sen auf­neh­men zu kön­nen, gute Gewohn­hei­ten oder Tugen­den besit­zen. Und gute Gewohn­hei­ten erfor­dern viel Zeit und viel Anstrengung.

So mögen die Welt­ju­gend­ta­ge Mil­lio­nen jun­ger Men­schen ver­sam­meln und Haku­na meh­re­re Madri­der Kir­chen fül­len, und die Boo­mer von Reli­gión Digi­tal mögen sagen: „Wir sind unend­lich viel zahl­rei­cher als die Ultras“ – doch im Inner­sten wis­sen sie, daß es sich um wei­che Zah­len han­delt, sehr wei­che Zah­len. Wel­che Bedeu­tung kann eine über­wäl­ti­gen­de Zahl haben, wenn sich dahin­ter kei­ne Natur fin­det, die fähig ist, die Gna­de auf­zu­neh­men und zu kul­ti­vie­ren? Ein ernst­haf­tes christ­li­ches Leben funk­tio­niert nicht auf der Grund­la­ge drei­tä­gi­ger emo­tio­na­ler Schocks oder kleb­ri­ger Lied­chen. Es ver­langt eine soli­de Kate­chis­mus­bil­dung, es ver­langt, sich dem Geheim­nis der Lit­ur­gie mit Furcht und Zit­tern zu nähern – und nicht in Ber­mu­da­shorts und Flip­flops. Wie Kar­di­nal New­man sag­te, ist es not­wen­dig, „die Vor­stel­lungs­kraft zu tau­fen“, und das geschieht weder von heu­te auf mor­gen noch inner­halb eines Monats.

Man könn­te ein­wen­den, mein Ansatz sei anma­ßend, da ich unter­stel­le, die Jugend­li­chen aus dem tra­di­tio­nel­len Milieu sei­en tugend­haf­ter und hät­ten die­se har­ten Pha­sen der For­mung bereits durch­lau­fen, wäh­rend alle übri­gen laster­haf­te Sün­der sei­en. Das ist jedoch kei­nes­wegs mein Ansatz. Was ich behaup­te, ist Fol­gen­des: Die jun­gen – und nicht mehr ganz so jun­gen – Men­schen aus dem „Ultra“-Milieu wur­den ent­we­der von klein auf in ihren Fami­li­en in die­sem Umfeld erzo­gen und besit­zen daher die­se For­mung und viel­fach auch die ent­spre­chen­den Tugen­den; oder aber sie sind durch die Annä­he­rung an die tra­di­tio­nel­le Lit­ur­gie von ihr gefan­gen genom­men wor­den, und die­se Fas­zi­na­ti­on führt sie zur Beharr­lich­keit in der Bil­dung und in der Übung der Tugen­den. Daher gilt: Wäh­rend in den „nor­ma­len“ Pfar­rei­en übli­cher­wei­se 90 Pro­zent der Kin­der und Jugend­li­chen nach Abschluß des Kate­chis­mus­un­ter­richts nicht mehr zur Sakra­men­ten­pra­xis fin­den, liegt die­se Zahl in den tra­di­tio­nel­len Pfar­rei­en bei 10 Pro­zent. Die tra­di­tio­nel­le Lit­ur­gie ist kei­ne Fra­ge des Archäo­lo­gis­mus oder eine Andachts­form „für star­re oder psy­chisch kran­ke“ Men­schen, wie ein Pon­ti­fex trau­ri­gen Ange­den­kens einst behaup­te­te. Die tra­di­tio­nel­le Lit­ur­gie ist Leben – und sie ist vor allem jung.

Zusam­men­fas­send läßt sich sagen: Das pro­gres­si­ve Man­tra „Die Ultras sind weni­ge, aber laut“ ist falsch. Und sie wis­sen es. Und sie wis­sen es so genau, daß sie alles dar­an­set­zen, die „Erfah­rung der Tra­di­ti­on“ in den nor­ma­len Pfar­rei­en zu ver­hin­dern. Genau das geschieht etwa in eini­gen Diö­ze­sen der USA, wie in Char­lot­te. Anders läßt sich der erbit­ter­te Feld­zug des neu­en Bischofs gegen die Pfar­rei­en der über­lie­fer­ten Mes­se, der ihn in aller Mun­de gebracht hat, nicht erklä­ren. Msgr. Micha­el Mar­tin weiß – eben­so wie Msgr. Mar­ce­lo Colom­bo (Erz­bi­schof von Men­do­za) oder Msgr. Jor­ge Gar­cía Cuer­va (Erz­bi­schof von Bue­nos Aires) –, daß, wenn sie die tra­di­tio­nel­le Mes­se in ihren Diö­ze­sen zulie­ßen, sich die­se Pfar­rei­en rasch fül­len und die zum „Indiet­ris­mus“ bekehr­ten Katho­li­ken die übri­gen an Zahl schnell über­tref­fen wür­den. Wir sind weni­ger, ja; wir sind laut, auch das; vor allem aber sind wir stärker.

*Cami­nan­te Wan­de­rer, argen­ti­ni­scher Phi­lo­soph und Blogger.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cami­nan­te Wanderer

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