Leo XIV. wird Traditionis custodes nicht ändern?

Wer hat ein Interesse, die Tradition im Würgegriff zu behalten?


Schwinden die Hoffnungen, daß Papst Leo XIV. den überlieferten Ritus aus dem Würgegriff von Traditionis custodes befreien wird?
Schwinden die Hoffnungen, daß Papst Leo XIV. den überlieferten Ritus aus dem Würgegriff von Traditionis custodes befreien wird?

Die Nach­richt begann am Don­ners­tag die Run­de zu machen wie ein schwa­cher Hoff­nungs­schim­mer in einem dich­ten Novem­ber­ne­bel: In Groß­bri­tan­ni­en soll der Apo­sto­li­sche Nun­ti­us den Bischö­fen mit­ge­teilt haben, Leo XIV. garan­tie­re jede bean­trag­te Aus­nah­me­ge­neh­mi­gung zur Fei­er der über­lie­fer­ten Form des Römi­schen Ritus. Was zunächst wie ein vor­sich­ti­ges Ein­len­ken klang, ent­pupp­te sich gestern – dank eines aus­führ­li­chen Berichts von Catho­lic News Ser­vice – jedoch als das Gegen­teil: Es geht um ein Fest­hal­ten am berg­o­glia­ni­schen Sta­tus quo, ledig­lich gepol­stert durch befri­ste­te Sondererlaubnisse.

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Wäh­rend vie­le Katho­li­ken seit Mona­ten hof­fen, daß der neue Papst die schwe­ren Beschrän­kun­gen sei­nes Vor­gän­gers zurück­neh­men wird, klingt die jetzt vor­ge­leg­te Linie ernüch­ternd. Laut Erz­bi­schof Miguel Mau­ry Buen­día, Apo­sto­li­scher Nun­ti­us in Groß­bri­tan­ni­en, ver­si­cher­te Leo XIV. per­sön­lich, kei­ner­lei Absicht zu haben, das Motu pro­prio Tra­di­tio­nis cus­to­des zu widerrufen. 

Statt Frei­heit gibt es also auch wei­ter­hin nur ein Durch­rei­chen von Anträ­gen und befri­ste­te Aus­nah­me­ge­neh­mi­gun­gen – zwei Jah­re, ver­län­ger­bar. Ein büro­kra­ti­sches Almo­sen, aber kein Akt der Gerechtigkeit.

Traditionis custodes – eine Wunde, die weiter eitert

Die Kir­che lebt vom Gedächt­nis. Und das Gedächt­nis des Römi­schen Ritus ist älter und tie­fer als jede moder­ne lit­ur­gi­sche Mode. Um so schmerz­haf­ter, daß Papst Fran­zis­kus 2021, als sein Vor­gän­ger Bene­dikt XVI. zu schwach gewor­den war, ernst mach­te und sei­ner tief ver­wur­zel­ten Abnei­gung gegen die Tra­di­ti­on frei­en Lauf ließ – und sich auch an Bene­dikt XVI. räch­te, nach­dem die­ser Anfang 2020 zugun­sten des Wei­he­sa­kra­ments und des prie­ster­li­chen Zöli­bats inter­ve­niert hat­te. Da der deut­sche Papst noch leb­te, woll­te Fran­zis­kus ihn mit Tra­di­tio­nis cus­to­des auch ad per­so­nam offen­kun­dig demü­ti­gen. Das Motu pro­prio kann nicht anders als ein Ver­such ver­stan­den wer­den, den über­lie­fer­ten Ritus auf ein Mini­mum zu redu­zie­ren und jeder­zeit ganz abwür­gen zu kön­nen. Mit Tra­di­tio­nis cus­to­des wird die gewach­se­ne lit­ur­gi­sche Tra­di­ti­on, ohne­hin seit 1969 in den Kel­ler ver­bannt, wie ein Ast behan­delt, der dem Gan­zen scha­de, und daher eigent­lich abge­schnit­ten gehöre.

Mark Lam­bert (Catho­lic Unscript­ed, Catho­lic Herald) über die Fort­set­zung der Dispens-Politik

Kar­di­nal Arthur Roche, selbst Eng­län­der, – damals wie heu­te einer der eif­rig­sten Betrei­ber die­ser Restrik­tio­nen – zeig­te sich seit­her unbe­irr­bar dar­in, den Zugang zur über­lie­fer­ten Mes­se enger und enger zu füh­ren. Sein Dik­aste­ri­um für den Got­tes­dienst und die Sakra­men­ten­ord­nung wur­de zum künst­li­chen Nadel­öhr, durch das jeder Prie­ster krie­chen muß, um das zu fei­ern, was Jahr­hun­der­te lang die See­le der Kir­che prägte.

Befristete Dispensen – ein System, das Mißtrauen atmet

Nun bestä­tig­te Msgr. Enda Mur­phy vom Got­tes­dienst­dik­aste­ri­um, daß die ange­kün­dig­ten zwei Jah­re der Ver­län­ge­rung nichts Neu­es sind, son­dern nur die Fort­füh­rung des bestehen­den Pra­xis­la­by­rinths. Die Kir­chen­lei­tung unter Fran­zis­kus besei­tig­te weit­ge­hend jenes Vor­drin­gen des über­lie­fer­ten Ritus in den Bereich des Novus Ordo hin­ein. Fran­zis­kus und sei­ne Adla­ten ver­bann­ten ihn, soweit mög­lich, zurück in den engen Eccle­sia-Dei-Kel­ler. Man ver­such­te ihn nicht direkt zu töten, doch die Inten­ti­on ist klar. Mehr als ein restrik­tiv kon­trol­lier­ter Mini­mal­spiel­raum soll­te ihm nicht blei­ben. Jeder Bischof muß wei­ter­hin ein­zeln um die Erlaub­nis bit­ten, der alten Mes­se ein Dach zu geben – und mög­lichst kein Pfarr­dach, son­dern nur das einer Kapel­le. Denn Tra­di­tio­nis cus­to­des unter­sagt aus­drück­lich die Fei­er in Pfarr­kir­chen, als sei die ehr­wür­di­ge Lit­ur­gie dort eine Gefahr.

Über­haupt läßt Tra­di­tio­nis cus­to­des kaum etwas zu. Mit die­sem Doku­ment hat Fran­zis­kus den recht­li­chen Rah­men geschaf­fen, die lit­ur­gi­sche Über­lie­fe­rung jeder­zeit mit einem ein­zi­gen Wür­ge­griff zum Erlie­gen zu brin­gen. Streng genom­men gestat­tet Tra­di­tio­nis cus­to­des nicht ein­mal mehr die Spen­dung von Wei­hen im über­lie­fer­ten Ritus.

Wer nur mehr mit Son­der­ge­neh­mi­gun­gen exi­stie­ren kann, befin­det sich im Pre­ka­ri­at und völ­li­ger Abhän­gig­keit. Eini­ge US-Diö­ze­sen – wie Cleve­land oder San Ange­lo – erhiel­ten zwar kürz­lich sol­che Son­der­ge­neh­mi­gun­gen. Doch was sagt es über den Zustand einer Welt­kir­che aus, wenn das Selbst­ver­ständ­lich­ste – die Fort­füh­rung eines Ritus, dem kei­ner je Häre­sie oder pasto­ra­le Unfrucht­bar­keit nach­sa­gen konn­te, der viel­mehr der gewach­se­ne Aus­druck von 1900 Jah­ren des kirch­li­chen Lebens ist und der das Leben aller Hei­li­gen bis 1970 präg­te – zum Son­der­fall degra­diert wird?

Doch Fran­zis­kus wur­de im ver­gan­ge­nen April aus die­ser Welt abbe­ru­fen; sein kläg­li­ches Pon­ti­fi­kat ist been­det. Der neue Papst Leo XIV. zeig­te in den ersten Mona­ten sei­nes Amtes durch­aus Zei­chen einer gewis­sen Offen­heit, etwa durch die per­sön­li­che Erlaub­nis für Kar­di­nal Ray­mond Bur­ke, im Peters­dom die über­lie­fer­te Mes­se zu zele­brie­ren. Doch Gesten erset­zen kei­ne Grund­satz­ent­schei­dun­gen. Eine wahr­haft kla­re und muti­ge Ent­schei­dung bestün­de dar­in, die unglück­se­li­gen Fes­seln von Tra­di­tio­nis cus­to­des end­lich abzustreifen.

Daß Leo XIV. just am Don­ners­tag Kar­di­nal Roche in Audi­enz emp­fing, läßt zumin­dest die Fra­ge zu, ob der neue Papst sich von sei­nem Vor­gän­ger befrei­en und nicht an des­sen repres­si­ve Linie bin­den las­sen wird.

Der Moment der Entscheidung

Bald beginnt ein neu­es Kir­chen­jahr. Seit dem Kon­kla­ve ist mehr als ein hal­bes Jahr ver­gan­gen. Es macht sich Unru­he breit, denn die Zeit scheint mehr als gekom­men, daß der neue Pon­ti­fex sei­ne mora­li­sche Auto­ri­tät nicht nur in freund­li­chen Anek­do­ten, son­dern in kir­chen­recht­li­chen Ent­schei­dun­gen gel­tend macht. Die Kir­che ist von uner­meß­li­cher Grö­ße. Es zeugt von einem sehr klei­nen Geist, der Fran­zis­kus antrieb, die eige­ne Tra­di­ti­on bis zum Siech­tum abzu­wür­gen, um sie dann mit Aus­nah­me­ge­neh­mi­gun­gen gera­de noch am Leben zu belassen.

Leo XIV. hat die Chan­ce – und die Pflicht –, die Wun­de zu schlie­ßen, die Tra­di­tio­nis cus­to­des der kirch­li­chen Ein­heit geschla­gen hat. Nicht durch eine neue „Son­der­re­ge­lung“, son­dern durch die kla­re Wie­der­her­stel­lung der vol­len Frei­heit des über­lie­fer­ten Ritus.

Solan­ge er sie nicht nutzt, bleibt der Nebel über der Lit­ur­gie dich­ter, als es die Gläu­bi­gen ver­die­nen – und in der Sache recht­fer­tig­bar ist.

Der über­lie­fer­te Ritus konn­te unter Bene­dikt XVI. kurz­zei­tig wie­der frei atmen. Die Zeit war zu kurz, um wirk­lich durch­at­men und sich frei­at­men zu kön­nen. Es bleibt ein gro­ßes Para­dox, daß es Bene­dikt XVI. selbst war, der die neue Repres­si­on durch sei­nen Amts­ver­zicht „aus frei­en Stücken“ mög­lich machte.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: MiL/​X (Screen­shot)

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