Die wahre Bedeutung des Sonnengesangs

Keine Öko-Ideologie, sondern Umkehr, Buße und Lobpreis Gottes


Älteste erhaltene Niederschrift des "Sonnengesangs" des heiligen Franz von Assisi

Von Cri­sti­na Siccardi*

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Bekannt­lich gilt der „Son­nen­ge­sang“, auch „Lob­ge­sang der Geschöp­fe“, ursprüng­lich unter dem Titel „Lob­ge­sang der Schwe­ster Son­ne“ bekannt, wäh­rend der Ori­gi­nal­ti­tel Lau­des Crea­turarum lau­tet, als das erste poe­ti­sche Werk, das in der ita­lie­ni­schen Spra­che ver­faßt wur­de. Es han­delt sich um eine erha­be­ne Dich­tung des hei­li­gen Fran­zis­kus, deren Ent­ste­hung sich in die­sem Jahr zum 800. Mal jährt. Sie ent­stand im Jahr 1225 im Klo­ster der Armen Frau­en (der Kla­ris­sen) von San Dami­a­no. Der „Lob­ge­sang“ steht in der phi­lo­so­phisch-theo­lo­gi­schen Tra­di­ti­on augu­sti­ni­scher Prä­gung und weist Ver­bin­dun­gen zum Psalm 148 auf, in dem alle Geschöp­fe – beleb­te wie unbe­leb­te – auf­ge­ru­fen wer­den, Gott zu loben. Eben­so erin­nert er an das alt­te­sta­ment­li­che Buch Dani­el (3,56–88), wo eben­falls alle Ele­men­te des Kos­mos dazu auf­ge­for­dert wer­den, den Herrn zu preisen.

Das Geheim­nis die­ses zeit­lo­sen lite­ra­ri­schen und reli­giö­sen Mei­ster­werks liegt in sei­ner Rein­heit und kind­li­chen Schlicht­heit. Die dar­in ent­hal­te­nen Wahr­hei­ten ver­mit­teln die Freu­de dar­über, in jedem Geschöpf die Hand des Schöp­fers zu erken­nen. In die­ser Freu­de grün­det das Lob der Schöp­fung – ein Lob der Lie­be – an den Herrn des Lebens und des Todes.

Das Herz des mystisch ver­an­lag­ten hei­li­gen Fran­zis­kus, der bereits die Wund­ma­le Chri­sti trug, quoll über vor Lie­be und Dank gegen­über dem Vater – obwohl er unter einer schmerz­haf­ten Augen­krank­heit litt, die ihm die Seh­kraft raub­te und ihn in Dun­kel­heit leben ließ. Es waren jene Tage, die er in San Dami­a­no ver­brach­te, in einer Zel­le, die aus Mat­ten gefloch­ten war. Wäh­rend­des­sen wur­de er stän­dig von Mäu­sen belä­stigt – ein Umstand, den sei­ne Brü­der als dämo­ni­sche Ver­su­chung deu­te­ten. Eines Nachts, von kör­per­li­chen Schmer­zen gequält, fleh­te er den Herrn an, ihm bei­zu­ste­hen, damit er alles gedul­dig ertra­gen kön­ne. Der Vater ließ ihn nicht war­ten: Er sprach zu ihm, er sol­le die­se Prü­fun­gen als irdisch anse­hen, denn uner­meß­li­che Freu­den erwar­te­ten ihn in der ewi­gen Erlösung.

Seit sei­ner Bekeh­rung stan­den Gna­de und Natur in stän­di­gem Zwie­ge­spräch in ihm. So woll­te er, von Gott getrö­stet und in sei­ner See­le von Jubel erfüllt, an jenem Früh­lings­mor­gen – wie Fran­zis­kus selbst sag­te – ein „neu­es Lob des Herrn in bezug auf sei­ne Geschöp­fe“ dich­ten, zur eige­nen Erbau­ung und zum Nut­zen der Mit­men­schen. Denn täg­lich, so sag­te er, „gebrau­chen wir Geschöp­fe, ohne die wir nicht leben kön­nen, und durch sie belei­digt das Men­schen­ge­schlecht den Schöp­fer in hohem Maße. Und täg­lich zei­gen wir uns undank­bar für die­ses gro­ße Geschenk und loben unse­ren Schöp­fer und Spen­der alles Guten nicht, wie wir es soll­ten“. (Com­pi­la­zio­ne di Assi­si, in: Fon­ti Fran­ce­sca­ne, Edit­ri­ci Fran­ce­sca­ne, 3. Aufl., Padua 2011, § 1614, S. 947 und § 1615, S. 947).

Nach­dem der „Lob­ge­sang“ in Vers­form gebracht war, wur­de auch eine Begleit­me­lo­die kom­po­niert. Der hei­li­ge Fran­zis­kus lieb­te das Sin­gen. Daher ließ er Bru­der Paci­fi­co rufen, um eini­ge Brü­der aus­zu­wäh­len, die in die Welt hin­aus­zie­hen und Gott mit dem „Lob­ge­sang der Schwe­ster Son­ne“ prei­sen soll­ten. Am Ende soll­ten sie dem Volk sagen:

„Wir sind die Spiel­leu­te des Herrn, und der Lohn, den wir von euch erbit­ten, ist die­ser: daß ihr in wah­rer Buße lebt“ (ebd., § 1615, S. 948).

Doch es gibt noch mehr – jenes „Mehr“, das heu­te kaum noch erwähnt wird:

Der hei­li­ge Fran­zis­kus preist in die­sem Lob­ge­sang auch die­je­ni­gen, die zu ver­ge­ben wis­sen und Krank­hei­ten sowie Lei­den um der Lie­be Got­tes wil­len gedul­dig ertragen:

„Gelobt seist Du, mein Herr, /​ durch die, die um Dei­ner Lie­be wil­len ver­ge­ben /​ und Krank­heit und Trüb­sal ertragen.“

Und wei­ter:

„Selig, die dies in Frie­den ertra­gen, /​ denn von Dir, Höch­ster, wer­den sie gekrönt werden.“

Am Ende schließt er den Gesang mit der Aus­sa­ge über den wah­ren Sinn des Lebens, der sich voll­stän­dig erst im Moment des Todes erschließt, wenn der Mensch zum ewi­gen Leben ein­geht – ent­we­der als Ver­damm­ter oder als Geretteter:

„Gelobt seist Du, mein Herr, /​ durch unse­ren leib­li­chen Bru­der, den Tod, /​ dem kein leben­der Mensch ent­rin­nen kann. /​ Wehe denen, die in töd­li­cher Sün­de ster­ben! /​ Selig, die sich fin­den in Dei­nem hei­lig­sten Wil­len; /​ ihnen wird der zwei­te Tod nichts anha­ben. /​ Lobt und preist mei­nen Herrn, /​ dankt und dient Ihm mit gro­ßer Demut.“

Zur Ver­herr­li­chung Got­tes beschrei­tet Fran­zis­kus, wie stets, den Weg der Kon­tem­pla­ti­on und Eksta­se, nicht jenen der spe­ku­la­tiv-phi­lo­so­phi­schen Aus­le­gung. Durch sei­ne vom Geist durch­drun­ge­nen Sin­ne dringt er zum Guten und zur Schön­heit des Herrn vor und dankt Ihm für alles, was aus Sei­ner Hand her­vor­ge­gan­gen ist.

Die Ver­se über Ver­ge­bung und Lei­dens­fä­hig­keit wur­den von Fran­zis­kus ein­ge­fügt, als er durch das Sin­gen des „Son­nen­ge­sangs“ sei­ner „Spiel­leu­te des Herrn“ die Ver­söh­nung zwi­schen Bischof Gui­do II. von Assi­si und dem Bür­ger­mei­ster Opor­tu­lo her­bei­führ­te. Die letz­te Stro­phe hin­ge­gen dik­tier­te er kurz vor sei­nem Tod im Okto­ber 1226. Ins­ge­samt umfaßt das Gedicht 33 Ver­se – eine Zahl, die ein Viel­fa­ches von drei ist, was sowohl auf die Hei­lig­ste Drei­fal­tig­keit ver­weist als auch auf das irdi­sche Lebens­al­ter Chri­sti bei sei­nem Tod.

Fran­zis­kus’ brü­der­li­ches Emp­fin­den gegen­über den Geschöp­fen des Him­mels, des Mee­res und der Erde bedeu­tet nicht, daß er die­se Wesen idea­li­sier­te oder ihnen eine mensch­li­che Gleich­wer­tig­keit zuschrieb. Viel­mehr sah er in ihnen Stim­men, die sich mit sei­ner ver­ein­ten, eben­so wie mit den Stim­men aller demü­ti­gen Gläu­bi­gen, um Gott zu ver­herr­li­chen – in einem sym­pho­ni­schen Chor, der sich in sei­ner Viel­falt zur Ein­heit im drei­ei­nen Gott formt.

Man­che haben ver­sucht – und ver­su­chen es noch immer –, die­ses Mei­ster­werk zu säku­la­ri­sie­ren, indem sie den Blick aus­schließ­lich auf die Ele­men­te der Natur len­ken und dabei bewußt den Schöp­fer aus­klam­mern, der sie gewollt und erschaf­fen hat. Damit möch­ten sie eine umwelt­po­li­ti­sche Ideo­lo­gie stüt­zen, die Erde und Uni­ver­sum entchristlicht.

Der hei­li­ge Bona­ven­tura von Bagno­re­gio, der Bio­graf des hei­li­gen Fran­zis­kus, erkann­te und beschrieb sowohl theo­lo­gisch als auch mystisch die Freu­de, die der demü­ti­ge Mann aus Assi­si an allen Wer­ken des Herrn emp­fand. Er ver­stand den wah­ren Sinn sei­ner Kon­tem­pla­ti­on, wie sie sich in „Lau­da­to si’, mi’ Signo­re“ aus­drückt, mit den Worten:

„In den schö­nen Din­gen betrach­te­te er den Aller­schön­sten,
und den Spu­ren, die in den Geschöp­fen ein­ge­prägt waren, fol­gend,
ver­folg­te er über­all den Gelieb­ten.
Aus allen Din­gen mach­te er sich eine Lei­ter,
um empor­zu­stei­gen und jenen zu errei­chen,
der ganz und gar begeh­rens­wert ist.“

*Cri­sti­na Sic­car­di, Histo­ri­ke­rin und Publi­zi­stin, zu ihren jüng­sten Buch­pu­bli­ka­tio­nen gehö­ren „L’inverno del­la Chie­sa dopo il Con­ci­lio Vati­ca­no II“ (Der Win­ter der Kir­che nach dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil. Ver­än­de­run­gen und Ursa­chen, 2013); „San Pio X“ („Der hei­li­ge Pius X. Das Leben des Pap­stes, der die Kir­che geord­net und erneu­ert hat“, 2014), „San Fran­ces­co“ („Hei­li­ger Fran­zis­kus. Eine der am mei­sten ver­zerr­ten Gestal­ten der Geschich­te“, 2019), „Quella mes­sa così mar­to­ria­ta e per­se­gui­ta­ta, eppur così viva!“ „Die­se so geschla­ge­ne und ver­folg­te und den­noch so leben­di­ge Mes­se“ zusam­men mit P. Davi­de Pagli­a­ra­ni, 2021), „San­ta Chia­ra sen­za fil­tri“ („Die hei­li­ge Kla­ra unge­fil­tert. Ihre Wor­te, ihre Hand­lun­gen, ihr Blick“, 2024), 

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Avve­ni­re (Screen­shot)

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