Die heilige Klara von Assisi ohne Filter

Eine Charakterskizze gegen alle Klischees


Die heilige Klara von Assisi, filterlos, ohne Verzerrung und Kitsch dargestellt
Die heilige Klara von Assisi, filterlos, ohne Verzerrung und Kitsch dargestellt

Von Rober­to de Mat­tei*

Der Blick der Hei­li­gen ist anders als alle ande­ren Blicke: Er drückt das Leben ihrer See­le aus. Aber es ist nicht leicht, ihn dar­zu­stel­len. Einem Künst­ler fällt es leich­ter, die Phy­sio­gno­mie eines Man­nes oder einer Frau dar­zu­stel­len, die vom Laster zer­fres­sen sind, als die eines Hei­li­gen, der sei­ne Tugen­den in sei­nen Gesichts­zü­gen zum Aus­druck bringt. Dies geschafft zu haben ist genau das Ver­dienst des Buches von Cri­sti­na Sic­car­di, das der hei­li­gen Kla­ra von Assi­si gewid­met ist und gera­de im Ver­lag Sug­ar­co mit einem Vor­wort von Pater Ser­a­fi­no Tognet­ti1 erschie­nen ist. Die römi­sche Künst­le­rin Bar­ba­ra Fer­a­be­co­li hat das Gesicht der hei­li­gen Kla­ra auf dem Gemäl­de für den Buch­ein­band die­ser schö­nen Bio­gra­phie mit dem Titel „Die hei­li­ge Kla­ra ohne Fil­ter“ und dem Unter­ti­tel „Ihre Wor­te, ihre Taten, ihr Blick“ gekonnt dar­ge­stellt. In die­sem Buch, das ich für eines ihrer besten Wer­ke hal­te, schil­dert Cri­sti­na Sic­car­di nicht das Leben der hei­li­gen Kla­ra, son­dern skiz­ziert ihren Cha­rak­ter, ihre gei­sti­ge Physiognomie.

Die Wor­te der hei­li­gen Kla­ra, die, wie die Autorin der Bio­gra­phie fest­stellt, aus­schließ­lich reli­giö­se Inhal­te haben, sind von grund­le­gen­der Bedeu­tung, um ihren Cha­rak­ter zu lesen und ihren Geist zu ergründen.

Ihre Taten, sowohl die irdi­schen als auch die wun­der­tä­ti­gen, sind glei­cher­ma­ßen wich­tig, nicht nur um ihre Wer­ke zu sehen, son­dern auch um die gött­li­che Lie­be zu ver­ste­hen, die ihnen zugrun­de liegt.

Ihr kla­rer und leuch­ten­der Blick ist wesent­lich, um das Geheim­nis ihres über­wäl­ti­gen­den Erfolgs und ihrer gei­sti­gen Grö­ße zu erfassen.

Die hei­li­ge Kla­ra von Assi­si wur­de um 1193 gebo­ren. Ihr erster Bio­graph war der seli­ge Fran­zis­ka­ner Tho­mas von Cela­no, der zu Beginn sei­nes Wer­kes ein trau­ri­ges Bild der Zeit zeich­net, in der Kla­ra Scif­fi, die aus einer adli­gen Fami­lie in Assi­si stamm­te, Toch­ter eines Gra­fen, auf die Welt kam. Tom­ma­so da Cela­no schreibt: „Als ob sich die Däm­me­rung einer Welt abzeich­ne­te, die im Begriff war, unter­zu­ge­hen, erschien das Aus­se­hen des Glau­bens ver­dun­kelt, die Füh­rung der Sit­ten schwank­te, die Kraft der mensch­li­chen Tätig­keit ver­faul­te; ja, zur Fäul­nis der Zei­ten gesell­te sich die Fäul­nis der Laster; als Gott, der die Men­schen liebt, durch einen geheim­nis­vol­len Plan sei­ner Güte in der Kir­che neue Orden zur Unter­stüt­zung des Glau­bens und als Norm für die Reform der Sit­ten erweck­te“.

Das neue Buch von Cri­sti­na Siccardi

In die­sem dunk­len Hori­zont erhe­ben sich die leuch­ten­den Ster­ne des hei­li­gen Fran­zis­kus und der hei­li­gen Kla­ra, zwei Namen, die dazu bestimmt sind, in Zeit und Ewig­keit eng mit­ein­an­der ver­bun­den zu sein.

Cri­sti­na Sic­car­di, die in ihrer Bio­gra­phie den Geist von Tho­mas von Cela­no ein­fängt und ihn mit einer nach moder­nen wis­sen­schaft­li­chen Kri­te­ri­en durch­ge­führ­ten histo­rio­gra­phi­schen Unter­su­chung ver­bin­det, erklärt sehr gut die Natur der sehr star­ken geist­li­chen Ver­bin­dung zwi­schen den bei­den See­len, von der ersten Begeg­nung zwi­schen der 18jährigen Chia­ra Scif­fi und Fran­zis­kus, nicht mehr von Ber­nar­do­ne, son­dern von Chri­stus. Kla­ra beschloß, die Welt zu ver­las­sen und Gott in sei­nem Gefol­ge nach­zu­fol­gen, indem sie sich der geist­li­chen Füh­rung von Fran­zis­kus unter­stell­te. Und „wenn der hei­li­ge Fran­zis­kus“, schreibt Cri­sti­na Sic­car­di, „das Abbild Chri­sti auf Erden war, bis hin zum Tra­gen der Stig­ma­ta an sei­nem eige­nen Kör­per, so war die hei­li­ge Kla­ra das Abbild der aller­se­lig­sten Maria auf Erden, indem sie die Vor­rech­te der unbe­fleck­ten Jung­frau wie­der auf­griff: Sie war die mei­ster­haf­te Inter­pre­tin der maria­ni­schen Rein­heit und Demut, auch sie als eine Magd des Herrn“.

Nach einer ersten vor­über­ge­hen­den Unter­brin­gung im Bene­dik­ti­ner­klo­ster San Pao­lo in der Gegend von Bastia Umbra zog Fran­zis­kus mit Kla­ra nach San­t’An­ge­lo di Pan­zo und dann nach San Dami­a­no, wo sie bis zu ihrem Tod Äbtis­sin war.

Ihr Ruf als Hei­li­ge ver­brei­te­te sich schnell, sodaß sie zwi­schen 1216 und 1253 einen inten­si­ven Brief­wech­sel mit vier Päp­sten führ­te: Inno­zenz III., Hono­ri­us III. und vor allem Gre­gor IX. und Inno­zenz IV. Ihr Leben wech­sel­te zwi­schen Gebe­ten und Eksta­sen, Fasten und kör­per­li­chen Buß­übun­gen. Unzäh­lig sind die Wun­der, die sie im Leben und im Tod voll­brach­te und von denen eini­ge in den Hei­lig­spre­chungs­pro­zeß auf­ge­nom­men wur­den. Zwei­mal wur­de Assi­si vom Heer Kai­ser Fried­richs II. bedroht, zu des­sen Sol­da­ten auch sara­ze­ni­sche Söld­ner gehör­ten. An einem Frei­tag im Sep­tem­ber 1240, als die Sara­ze­nen einen Über­fall ver­üb­ten, wur­de Mut­ter Kla­ra, die zu die­sem Zeit­punkt krank war, mit der Pyxis, die das Aller­hei­lig­ste ent­hielt, in der Hand auf die Stadt­mau­ern gebracht: Ihre Bio­gra­phen berich­ten, daß das feind­li­che Heer bei die­sem Anblick die Flucht ergriff. Sie selbst woll­te den Mär­ty­rer­tod für die Bekeh­rung der Mus­li­me erlei­den, in Nach­ah­mung unse­res Herrn, der für uns gemar­tert wur­de und den Tod erlitt.

Neun­und­zwan­zig Jah­re lang, von etwa 1224 an, leb­te Kla­ra in stän­di­ger Krank­heit, ohne zu kla­gen. Als sie dem Tod nahe war, besuch­te Papst Inno­zenz IV. sie zwei­mal, im Mai und im August 1253. Kla­ra bat den Papst um den Erlaß all ihrer Sün­den, und der Papst mur­mel­te: „Brauch­te ich doch nur eine ver­gleich­ba­re Ver­ge­bung“. Bei die­sem ent­schei­den­den Tref­fen bat sie Papst Inno­zenz um die Geneh­mi­gung der stren­gen Regel, die sie in jenen Jah­ren aus­ge­ar­bei­tet hat­te, und erhielt sie auch. Das „Pri­vi­leg der Armut“, dank des­sen die Regel der hei­li­gen Kla­ra für immer ein Leben und eine Form der Armut blieb, wur­de von Inno­zenz IV. mit einer fei­er­li­chen Bul­le gewährt, die Kla­ra weni­ge Tage vor ihrem Tod über­reicht wurde.

Kla­ra starb den Berich­ten zufol­ge am 11. August 1253, als die Got­tes­mut­ter sie umarm­te, beglei­tet von einer Schar weiß geklei­de­ter Jung­frau­en, die die Dun­kel­heit jener Nacht in Tages­licht verwandelten.

Zurück in Rom erließ der Papst die Bul­le Glo­rio­sus Deus, um den Pro­zeß der Hei­lig­spre­chung von Mut­ter Kla­ra ein­zu­lei­ten, aber es soll­te sein Nach­fol­ger Alex­an­der IV. sein, der sie nur zwei Jah­re nach ihrem Tod zu den Altä­ren erhe­ben wür­de, so wie es mit dem hei­li­gen Fran­zis­kus gesche­hen war, der am 3. Okto­ber 1226 starb und am 16. Juli 1228 von Papst Gre­gor IX. hei­lig­ge­spro­chen wur­de, nicht zuletzt dank der ein­dring­li­chen Bit­te von Mut­ter Kla­ra. Ihre Hei­lig­spre­chung erfolg­te am 15. August 1255, dem Fest der Auf­nah­me Mari­ens in den Him­mel, in der Kathe­dra­le von Ana­g­ni mit der Bul­le Cla­ra cla­ris prae­cla­ra meri­tis.

Das Buch von Cri­sti­na Sic­car­di ent­larvt end­gül­tig die pseu­do­hi­sto­ri­schen Kli­schees und die lite­ra­ri­schen und fil­mi­schen Lügen über die Hei­li­ge von Assi­si. Das Buch ent­hält das voll­stän­di­ge Testa­ment der hei­li­gen Kla­ra (S. 164–170) und im Anhang (S. 197–232) eine sehr nütz­li­che chro­no­lo­gi­sche Dar­stel­lung der fran­zis­ka­ni­schen Hei­li­gen, die einer viel­fäl­ti­gen reli­giö­sen Fami­lie ange­hö­ren, die der Kir­che die größ­te Anzahl von Hei­li­gen, Seli­gen und Mär­ty­rern geschenkt hat, sowohl männ­lich als auch weiblich.

Zur Autorin des Buches: Cri­sti­na Sic­car­di, Histo­ri­ke­rin und Publi­zi­stin, zu ihren jüng­sten Buch­pu­bli­ka­tio­nen gehö­ren „L’inverno del­la Chie­sa dopo il Con­ci­lio Vati­ca­no II“ (Der Win­ter der Kir­che nach dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil. Ver­än­de­run­gen und Ursa­chen, 2013); „San Pio X“ (Der hei­li­ge Pius X. Das Leben des Pap­stes, der die Kir­che geord­net und erneu­ert hat, 2014) und vor allem ihr Buch „San Fran­ces­co“ (Hei­li­ger Fran­zis­kus. Eine der am mei­sten ver­zerr­ten Gestal­ten der Geschich­te, 2019).

*Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Autor zahl­rei­cher Bücher, zuletzt in deut­scher Über­set­zung: Ver­tei­di­gung der Tra­di­ti­on: Die unüber­wind­ba­re Wahr­heit Chri­sti, mit einem Vor­wort von Mar­tin Mose­bach, Alt­öt­ting 2017, und Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil. Eine bis­lang unge­schrie­be­ne Geschich­te, 2. erw. Aus­ga­be, Bobin­gen 2011.

Bücher von Prof. Rober­to de Mat­tei in deut­scher Über­set­zung und die Bücher von Mar­tin Mose­bach kön­nen Sie bei unse­rer Part­ner­buch­hand­lung beziehen.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana


1 Pater Ser­a­fi­no Tognet­ti, 1960 in Bolo­gna gebo­ren, ist Prie­ster der Gemein­schaft der Kin­der Got­tes (Comu­ni­tà dei fig­li di Dio, 1946 gegrün­det vom Die­ner Got­tes Divo Bar­sot­ti). Nach einem Stu­di­um der Agrar­wis­sen­schaf­ten trat er in das Klo­ster in Set­tigna­no bei Flo­renz ein und wur­de 1990 zum Prie­ster geweiht. Von 1995 bis 2009 war er Gene­ral­obe­rer der Gemein­schaft. Neben sei­nem Schrif­ten­apo­sto­lat gestal­te­te er meh­re­re Jah­re eine Sen­dung bei Radio Maria. Zur Zeit lebt Pater Tognet­ti in der Ere­mi­ta­ge San Ser­gio ober­halb von Flo­renz, wo auch Don Bar­sot­ti wirk­te und starb und in der Kapel­le begra­ben ist.

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