Von Roberto de Mattei*
Am 12. September 2024, am Ende der Synode der Armenisch-Katholischen Kirche, wurden die sterblichen Überreste des Dieners Gottes, Kardinal Gregor Petrus (armenisch Krikor Bedros) Agagianian, des fünfzehnten Patriarchen dieser mit Rom unierten Kirche, der 1971 in Rom starb, von Rom nach Beirut im Libanon übergeführt. Der Sarg wurde in der libanesischen Hauptstadt von Patriarch Minassian, Premierminister Najib Miqati und den höchsten religiösen und politischen Würdenträgern empfangen. Das Besondere an dieser Überführung ist, daß der Leichnam von Kardinal Agagianian mehr als ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod unverwest ist, obwohl er nicht einbalsamiert wurde. Sein Gesicht ist entspannt und lächelnd. Auf dem Blog von Pater Livio Fonzaga [Radio Maria] finden Sie einige wirklich erstaunliche Bilder.
Der Leichnam von Kardinal Agagianian wurde in einem Glasschrein durch die Stadt Beirut zur armenischen Kathedrale der Heiligen Elias und Gregor des Erleuchters getragen, wo er unter dem Beifall der Menge, die wie bei der Überführung eines Heiligen Rosenblätter warf, beigesetzt wurde.
Doch wer war Kardinal Agagianian? Der 1895 in Georgien geborene Gregor Petrus Agagianian studierte bereits in jungen Jahren in Rom am Päpstlichen Armenischen Kolleg, an dem er später sowohl Vizerektor als auch Rektor war, und wurde 1917 zum Priester geweiht. Am 11. Juli 1935 wurde er von Papst Pius XI. zum Bischof ernannt und am 30. November 1937 zum Patriarchen von Kilikien der katholischen Armenier gewählt.
Am 18. Februar 1946 ernannte ihn Papst Pius XII. zum Kardinal und verlieh ihm die Titelkirche des heiligen Bartholomäus auf der Insel. Nach dem Tod von Pius XII. bezeichnete ihn Silvio Negro, Vatikanist des „Corriere della Sera“, aufgrund seiner Kenntnisse der Kurie, seiner Kompetenz als Jurist und seiner beispielhaften Frömmigkeit als den Favoriten im Konklave. Stattdessen wurde Johannes XXIII. gewählt. Kardinal Agagianian, der von den Konservativen unterstützt wurde, war auch 1963 ein Papstkandidat im Konklave, das Paul VI. wählte. Als Präfekt leitete er von 1958 bis 1970 die Kongregation für die Propaganda Fide und nahm am Zweiten Vatikanischen Konzil teil. Er starb am 16. Mai 1971 in Rom im Ruf der Heiligkeit. Im Jahr 2022 wurde sein Seligsprechungsprozeß eingeleitet und er trägt daher den Titel eines Dieners Gottes.
In den Selig- und Heiligsprechungsprozessen ist die kanonische Erkundung der sterblichen Überreste von Anwärtern für die Heiligsprechung vorgesehen, und wenn der Leichnam zum Zeitpunkt der Exhumierung unversehrt ist, ohne daß eine Einbalsamierung stattgefunden hat, betrachtet die Kirche den unverwesten Leichnam als ein übernatürliches Zeichen. Der unversehrte Körper ist nicht an sich ein Beweis für die Heiligkeit, sondern eine Bestätigung für diese, so daß die Kirche dies bei der Heiligsprechung erklärt.
Heilige mit unverwestem Körper sind selten. Die Zahl der Heiligen, die in den letzten fünf Jahrhunderten von der Kirche heiliggesprochen wurden, beläuft sich auf etwa 1700, von denen nur etwas mehr als hundert unverwest geblieben sind. Dazu gehören die heilige Cäcilia, deren Leichnam mehr als 1500 Jahre nach ihrem Tod unversehrt gefunden wurde, die heilige Klara von Montefalco und die heilige Katharina von Bologna, die heilige Katharina Labouré und die heilige Bernadette Soubirous, der heilige Johannes Bosco und der heilige Luigi Orione. In Don Charles Murrs wunderschönem Buch „The Secret Soul of the Vatican“ („Die geheime Seele des Vatikans“, Fede e Cultura, Verona 2024) erzählt Schwester Pascalina Lehnert ihrem jungen amerikanischen Priesterfreund unter anderem folgende Episode. Als Pius XII. 1956 die Seligsprechung von Pius IX. in die Wege leiten wollte und sein Leichnam exhumiert wurde, schickte er seine Mitarbeiterin, um den Leichnam des Papstes wieder anzukleiden, nachdem Monsignore Enrico Dante und die Kommission dessen Zustand untersucht hatten. „Als der Sarg geöffnet wurde“, erinnert sich Schwester Pascalina, “konnte ich meinen Augen nicht trauen. Er sah nicht tot aus, sondern schlafend! Der Körper war vollkommen unversehrt! Nicht nur das, auch die Finger, die Handgelenke und die Arme waren weich und beweglich. Schwester Pascalina mußte Pius IX. die Haare schneiden, den Bart rasieren und die Nägel kürzen, bevor sie ihm wieder das Pontifikalgewand anziehen konnte.
Auch bei Johannes XXIII. wurde von der Unverwestheit des Körpers gesprochen, aber der Körper von Papst Roncalli war, im Gegensatz zu dem von Pius IX., einbalsamiert, und wenn die Körper von Päpsten dieser Behandlung unterzogen werden, kann das Phänomen nicht als übernatürlichen Ursprungs bezeichnet werden, und die Hypothese der Unverwestheit ist ausgeschlossen.
Warum ist die Zahl der Heiligen, die dem Verwesungsprozeß entgangen sind, so gering? Die Antwort liegt im zentralen Dogma der katholischen Kirche, nämlich dem der Auferstehung der Toten. Die Körper der Menschen sind dazu bestimmt, nach dem Tod zu verwesen und am Ende der Welt wieder mit ihren Seelen vereint zu werden. Der Tod ist die Trennung der Seele vom Körper, und wenn der Körper des Menschen der Seele beraubt wird, die sein einigendes und lebensspendendes Prinzip ist, zerfällt er und wird zu Asche. Am Tag des Jüngsten Gerichts jedoch werden alle Seelen wieder mit ihren Körpern vereint, die unzerstörbar gemacht werden, sowohl die der Auserwählten als auch die der Verdammten. In das Paradies und in die Hölle wird man für die Ewigkeit mit Leib und Seele gehen. Aber nur die Leiber derer, die im Paradies sein werden, werden einen herrlichen, geistigen Leib erhalten, der dem des auferstandenen Christus gleicht. Deshalb sagt der heilige Paulus: „Und die Toten werden zur Unvergänglichkeit auferweckt, wir aber werden verwandelt werden. Denn dieses Vergängliche muß sich mit Unvergänglichkeit bekleiden und dieses Sterbliche mit Unsterblichkeit“ (1 Kor 15,52–53).
Gott, der die Menschen dazu bestimmt hat, ihre Körper zu verwesen, um sie bei ihrer Wiederauferstehung unvergänglich zu machen, hat dennoch dafür gesorgt, daß einige von ihnen ausnahmsweise dem Verwesungsprozeß entgehen. Ihre Körper können auch von anderen übernatürlichen Phänomenen begleitet sein, wie dem Duft, den sie verströmen, der Verjüngung und manchmal der Bewegung. Im Fall von Kardinal Agagianian zum Beispiel ist die Verjüngung auffällig. Man braucht nur die Bilder seines exhumierten Gesichts mit denen seiner letzten Fotos zu vergleichen, um festzustellen, daß der Körper des Kardinals weit weniger als die 76 Jahre zeigt, die er bei seinem Tod alt war. Was unerklärlich ist, muß uns auf die Existenz des Schöpfergottes zurückführen, der in seiner unendlichen Weisheit die Fähigkeit hat, die Naturgesetze zum Wohle der Seelen zu verändern. Deshalb dürfen wir die Zeichen, die uns die göttliche Vorsehung oft vor Augen führt, nicht übersehen. Im Fall des Dieners Gottes, Gregor Petrus Agagianian, ist seine Ankunft im Land der Zedern, im Libanon, genau zu dem Zeitpunkt, an dem der Nahe Osten in Flammen steht, wie ein Zeichen dafür, daß nur die Heiligkeit die Flammen löschen kann, die die Welt in Brand zu setzen drohen.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017, und Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte, 2. erw. Ausgabe, Bobingen 2011.
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Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana
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