Warum sich Donald Trump für den wenig bekannten JD Vance entschieden hat

Der Bär mit den blauen Augen


JD Vance, der bisher weitgehend unbekannte US-Senator aus Ohio, wurde von Donald Trump überraschend als sein Vize nominiert.
JD Vance, der bisher weitgehend unbekannte US-Senator aus Ohio, wurde von Donald Trump überraschend als sein Vize nominiert.

Der Ver­such einer ersten Spu­ren­su­che von Giu­sep­pe Nardi

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JD Van­ce zieht als desi­gnier­ter Vize­prä­si­dent an der Sei­te von Donald Trump in den Wahl­kampf um des­sen zwei­te Amts­zeit als Prä­si­dent der USA. Der jun­ge Sena­tor aus Ohio ist selbst vie­len Ame­ri­ka­nern bis­her kaum bekannt. Er wur­de erst 2022 in den US-Senat gewählt und war 2016 noch ein schar­fer par­tei­in­ter­ner Kri­ti­ker Trumps. Wenn sich Donald Trump, der soeben einen Mord­an­schlag über­leb­te, aus­ge­rech­net für JD Van­ce als sei­nen Vize ent­schied, dann des­halb, weil er damit den indu­stri­el­len Nor­den der USA und die Katho­li­ken gewin­nen will.

Schon 2016, als Trump sein erstes Man­dat erreich­te, wur­de der Aus­gang der Prä­si­dent­schafts­wahl in den alten Indu­strie­staa­ten des Nor­dens ent­schie­den, die bis auf Min­ne­so­ta und Illi­nois alle in das Lager der Repu­bli­ka­ner wechselten.

Selbst auf­merk­sa­me poli­ti­sche Beob­ach­ter muß­ten in den ver­gan­ge­nen Tagen erst ein­mal im Inter­net nach­le­sen, wer denn die­ser JD Van­ce sei, der ziem­lich über­ra­schend von Trump als sein Stell­ver­tre­ter nomi­niert wur­de. Das gilt nicht nur für Demo­kra­ten, son­dern auch für Repu­bli­ka­ner, selbst Par­tei­vor­sit­zen­de, wie der Chef der Repu­bli­ka­ner von Michi­gan gegen­über Medi­en ein­ge­stand. Soll­te Trump im Novem­ber erneut zum Prä­si­den­ten der Ver­ei­nig­ten Staa­ten gewählt wer­den, wofür der­zeit alles spricht, dann wird der erst 39 Jah­re alte Sena­tor aus Ohio an sei­ner Sei­te Vize­prä­si­dent wer­den und damit auch Vor­sit­zen­der des Senats sein. JD Van­ce, „der Bär mit den blau­en Augen“, wäre dann der jüng­ste Vize­prä­si­dent in der Geschich­te der USA.

Van­ce wur­de als James David Bow­man gebo­ren und ist laut einer CNN-Umfra­ge, dem füh­ren­den lin­ken Nach­rich­ten­sen­der der USA, der per­fek­te Unbe­kann­te. Vie­le fra­gen sich, war­um Trump sich aus­ge­rech­net für ihn ent­schied, der vor acht Jah­ren noch in den US-Medi­en als repu­bli­ka­ni­scher Trump-Kri­ti­ker her­um­ge­reicht wurde.

Trump will den Norden überzeugen

Nicht weni­ge Repu­bli­ka­ner hoff­ten, daß Trump gro­ße Kali­ber wie den Gou­ver­neur von Flo­ri­da Ron De San­tis als Vize an Bord sei­nes Wahl­kampf­teams holt. Der ehe­ma­li­ge und höchst­wahr­schein­lich auch zukünf­ti­ge Prä­si­dent der USA mach­te jedoch sei­ne ganz eige­ne Rech­nung und konn­te damit alle, auch sei­ne eige­ne Par­tei, über­ra­schen. Van­ce dien­te eini­ge Jah­re bei US-Mari­nes und war für sechs Mona­te im Irak im Ein­satz. Das sind wich­ti­ge Details in der Bio­gra­phie eines auf­stre­ben­den US-Poli­ti­kers. Der Jurist Van­ce ver­fügt über einen Yale-Abschluß in Rechts­wis­sen­schaf­ten. Auch das ist bei den Angel­sach­sen eine tür­öff­nen­de Visi­ten­kar­te. Van­ce ver­fügt über beste Kon­tak­te zum deut­schen Sili­con-Val­ley-Mil­li­ar­där Peter Thiel, einem der weni­gen Nicht-Lin­ken in der High-Tech-Schmie­de des US-Glo­ba­lis­mus. Thiel war es sogar, der Van­ce vor noch nicht so lan­ger Zeit Trump vor­stell­te. Alle die­se Details sind inter­es­sant und auch wich­tig, waren aber für Trump nicht ent­schei­dend. Zum Ver­gleich: Man stel­le sich vor, ein jun­ger Nobo­dy, der soeben in den deut­schen Bun­des­tag gewählt wur­de, schreibt eine Auto­bio­gra­phie, von der im deut­schen Sprach­raum mehr als 200.000 Exem­pla­re ver­kauft werden.

Doch genau damit kommt man den Moti­ven näher, die Trump zu sei­ner Ent­schei­dung ver­an­laß­ten. Gebo­ren wur­de Van­ce in eine Arbei­ter­fa­mi­lie in Ohio, ver­wur­zelt in den Appa­la­chen. Der Vater ver­ließ die Fami­lie früh, die Mut­ter wur­de dro­gen­ab­hän­gig. So wuchs Van­ce bei sei­nen Groß­el­tern müt­ter­li­cher­seits auf. Er wur­de als Bow­man gebo­ren, erhielt dann den Namen sei­nes Adop­tiv­va­ters und änder­te schließ­lich sei­nen Namen in den sei­ner Groß­el­tern, die ihn in für US-ame­ri­ka­ni­sche Ver­hält­nis­se gera­de­zu ärm­li­chen Bedin­gun­gen groß­ge­zo­gen hat­ten. Die Geschich­te von JD Van­ce ist eine ame­ri­ka­ni­sche Geschich­te. Es ist die Geschich­te eines Man­nes, der es trotz wid­rig­ster Umstän­de geschafft hat. Sei­ne Geschich­te ist die „Hel­den­ge­schich­te“ für eine ganz bestimm­te Wäh­ler­schicht, auf die Trump bereits 2016 gesetzt hat­te. Jenen Teil des alten Ame­ri­kas, der durch Fehl­ent­wick­lun­gen und fal­sche Wei­chen­stel­lun­gen, so Trump, abge­hängt wur­de. Jenen Teil eines glor­rei­chen Ame­ri­kas, um in der Spra­che Trumps zu blei­ben, des­sen Lei­stung mit Undank belohnt wur­de. Es geht um die ame­ri­ka­ni­schen Arbei­ter und Bau­ern in den Staa­ten von Penn­syl­va­nia an der Ost­kü­ste über Ohio, Michi­gan und Wis­con­sin bis nach Min­ne­so­ta. Die­se Staa­ten gaben bei der Wahl 2016 den Aus­schlag und sie wer­den auch im kom­men­den Herbst den Aus­schlag geben. Der mas­si­ve Ver­kauf von Van­ces Auto­bio­gra­phie belegt, daß der jun­ge Sena­tor den Nerv eines Teils der US-Gesell­schaft nicht nur trifft, son­dern personifiziert.

Van­ce war es, der 2016 noch Trumps Migra­ti­ons­po­li­tik scharf kri­ti­siert hat­te. Heu­te hin­ge­gen ist er einer der schärf­sten Kri­ti­ker von Bidens Poli­tik der offe­nen Gren­zen. Per­sön­lich ist er unan­greif­bar, da er mit einer indisch­stäm­mi­gen US-Ame­ri­ka­ne­rin ver­hei­ra­tet ist, mit der er drei Kin­der hat.

Trump reprä­sen­tiert den ame­ri­ka­ni­schen Traum, wur­de jedoch bereits in eine wohl­ha­ben­de Fami­lie gebo­ren. Van­ce kommt aus völ­lig ent­ge­gen­ge­setz­ten sozia­len Ver­hält­nis­sen. Eigent­lich wäre er prä­de­sti­niert gewe­sen, ver­wahr­lost in der Gos­se zu lan­den und nicht mehr her­aus­zu­kom­men. Das Gegen­teil ist dank sei­ner Groß­el­tern gesche­hen. Er ver­tritt, auch auf­grund sei­nes jun­gen Alters, eine fas­zi­nie­ren­de Vari­an­te des Ame­ri­can Dream. Und er spricht, wie die Fak­ten zei­gen, die wei­ßen Ame­ri­ka­ner an, die woke Zeit­gei­ster nicht nur has­sen und aus­lö­schen, son­dern bestra­fen wol­len. Er spricht die Spra­che jener Wäh­ler­schich­ten, die von einer zügel­lo­sen Migra­ti­on, von Infla­ti­on und einem aus­ufern­den Staat bedroht wer­den. Er ist einer von ihnen und wird als sol­cher wahrgenommen.

Und die Katholiken

JD Van­ce soll zudem die Katho­li­ken anspre­chen, poten­ti­ell, rech­net man die ehe­ma­li­gen mit, ein Drit­tel der US-Wäh­ler­schaft. Er, der pro­te­stan­tisch getauft wur­de, kon­ver­tier­te 2019 zur katho­li­schen Kir­che. Er ver­tritt in gesell­schafts­po­li­ti­schen Fra­gen akzen­tu­ier­te­re Posi­tio­nen als der zurück­hal­ten­de­re Trump. Van­ce betont die­se gera­de in der Lebensrechtsfrage.

Und schließ­lich ist JD Van­ce der erste Ange­hö­ri­ge der Mil­len­ni­al Gene­ra­ti­on, der in eines der höch­sten Staats­äm­ter auf­stei­gen wird, soll­te Trump die Wah­len gewin­nen. Trump wit­zel­te bereits in Anspie­lung an Kri­ti­ker, die ihn für zu alt und Van­ce für zu uner­fah­ren hal­ten: Man brau­che nur sein Alter und das von Van­ce zusam­men­zu­zäh­len und durch zwei zu tei­len und schon sei jede Fra­ge nach bei­der Alter erledigt.

Vor allem steht Van­ce in außen­po­li­ti­schen Fra­gen an der Sei­te Trumps, was lang nicht für alle Repu­bli­ka­ner gilt, die in den ver­gan­ge­nen Mona­ten als poten­ti­el­le Anwer­ber für den Posten als Trumps Vize gehan­delt wur­den. Die Nomi­nie­rung von Van­ce bedeu­tet eine Absa­ge an die­sen Teil der Republikaner.

Van­ce schockier­te sofort die euro­päi­schen Ver­bün­de­ten der USA mit gera­de­zu eisig wir­ken­den Aus­sa­gen zur Zukunft der Ukrai­ne. Die­se sei ihm näm­lich so ziem­lich egal. Damit sprach er nur ehr­lich aus, was die gesam­te poli­ti­sche Füh­rung der USA denkt, aber von den Demo­kra­ten und auch den glo­ba­li­sti­schen Repu­bli­ka­nern hin­ter schö­nen Fas­sa­den wie Demo­kra­tie und Men­schen­rech­ten ver­steckt wird. Die geo­po­li­ti­sche Land­kar­te Trumps sieht anders aus, und das ließ er die ukrai­ni­sche Staats­füh­rung auch früh­zei­tig wis­sen. Unter sei­ner Prä­si­dent­schaft von 2017 bis 2021, so die Bot­schaft, war es nicht zum Krieg gekom­men und wäre es auch nach 2021 nicht zum Krieg gekom­men, wenn man ihn im Wei­ßen Haus belas­sen hät­te. Er über­neh­me daher auch kei­ne Ver­ant­wor­tung dafür, daß ande­re den Krieg den­noch füh­ren woll­ten. Er, Trump, set­ze auf Ver­hand­lun­gen und Busi­ness. Man könn­te auch sagen, auf „leben und leben lassen“.

Van­ce folgt Trumps außen­po­li­ti­schen Prä­mis­sen, das glo­ba­le mili­tä­ri­sche Enga­ge­ment der USA ein­zu­schrän­ken. Er, der im Irak gekämpft hat, sagt heute: 

„Im Jahr 2003 habe ich den Feh­ler gemacht, den Krieg im Irak zu unter­stüt­zen, indem ich mich bei den Mari­nes gemel­det habe. Ich habe mei­nem Land ehren­voll gedient, aber im Irak wur­de mir klar, daß ich belo­gen wor­den war, daß die Ver­spre­chun­gen der herr­schen­den Klas­se zur Außen­po­li­tik eine kolos­sa­le Lüge waren.“

Kla­re Wor­te. Und eine deut­li­che Ansa­ge an die Welt.

Bild: US-Senat (Screen­shot)

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