(Rom) Am 17. Mai veröffentlichte der Heilige Stuhl neue Normen für das Verfahren zur Beurteilung mutmaßlicher übernatürlicher Phänomene, unterzeichnet von Kardinal Victor Manuel „Tucho“ Fernández und gebilligt von Papst Franziskus. Nur wenige Tage später werden diese Normen bereits herausgefordert, um sich in der Praxis zu bewähren. Aus Mexiko kommen Berichte, daß dort eine Marienstatue Blut weint.
Die neuen römischen Normen fanden ein sehr unterschiedliches Echo. Kritiker sprechen von einem Versuch, Gottes sichtbares Eintreten in die natürliche Welt unterbinden oder zumindest „an die Leine“ legen zu wollen. „Tucho“ Fernández, der Ghostwriter von Papst Franziskus, sein engster Vertrauter und Lieblingsprotegé, der auch als Pornopräfekt bekannt wurde, verwässerte mit den neuen Normen das bisher sehr klare Urteil Roms, daß von einem Phänomen „feststeht“, daß es übernatürlichen oder daß es nicht übernatürlichen Ursprungs ist. Um genau zu sein, beließ er nur das klare Urteil, daß keine Übernatürlichkeit vorliegt. Die Option, daß ein Phänomen gesichert übernatürlich ist, existiert seit dem 17. Mai nicht mehr.
Hat sich der Vatikan selber von der Möglichkeit verabschiedet, daß Marien‑, Engels‑, Heiligenerscheinungen und sogar außergewöhnliche Manifestationen Gottes echt sein könnten? Agnostiker und Atheisten spotten seit 300 Jahren gegen den „Wunderglauben“, der nur etwas für dumme Frömmler sei. Will sich Rom nicht mehr dem Vorwurf „abergläubischer Praktiken“ aussetzen, um abgeklärt und distanziert im Kreis der Ungläubigen nicht mehr aufzufallen?
Mit den neuen Normen werden Erscheinungen nur mehr nach ihrem „pastoralen“ Wert beurteilt und dazu in fünf Abstufungen eingereiht, was einen sehr administrativen und immanent-utilitaristischen Beigeschmack hat.
Begründet wird das Vorgehen mit der Notwendigkeit, die Gläubigen vor der Gefahr möglicher Scharlatanerie und Betrugs schützen zu müssen. Will man deshalb das Kind mit dem Bad ausschütten? Privatoffenbarungen seien für die göttliche Offenbarung und den Glauben nun mal nicht relevant, weshalb man einen „puritanischen“ Schritt setzen könne. Eine solche Nüchternheit erinnert an Prälaten der Aufklärungszeit, denen der Verdacht anhaftete, nur Pro-forma-Katholiken zu sein.
Die Ortsbischöfe haben nun ohnehin in der Sache nichts mehr zu sagen. Sie seien zu ungenügend für solche Herausforderungen vorbereitet und daher überfordert, weshalb jede Entscheidung Rom vorbehalten wurde. Franziskus machte sich zu eigen, daß im Zuge der Auseinandersetzungen um Medjugorje es die Gläubigen waren, die mit Nachdruck ein Eingreifen Roms gefordert hatten.
Nur wenige Tage nach der Veröffentlichung der neuen Normen drängte auch schon, und natürlich ungefragt, der Fall einer neuen angeblichen Erscheinung auf die kirchliche Tagesordnung und wird zum ersten Lackmustest des neuen römischen Instrumentariums.
In Colonia Obrera, einem Stadtteil von Morelia, steht im Wohnzimmer von Miguel Ángel Melchor Raya eine große Statue Unserer Lieben Frau von Guadalupe. Am vergangenen Sonntag, dem 2. Juni, soll diese Marienstatue Tränen von Blut vergossen haben. Seither strömen immer mehr Menschen aus der Nachbarschaft zum Marienbildnis, um zu betrachten, was sie für ein Wunder, ein übernatürliches Zeichen halten.
Morelia liegt im mexikanischen Staat Michoacán, mehr als 200 Kilometer westlich von Mexiko-Stadt. Die Stadt mit 750.000 Einwohnern wird von den beiden mächtigen Türmen der Kathedrale, erbaut im spanischen Barock, überragt.
Melchor Raya betreibt ein Lebensmittelgeschäft, an dessen Rückseite er mit seiner Familie auch wohnt. Am vergangenen Sonntag war Wahltag in Mexiko. Es wurde ein neuer Presidente gewählt, der nach US-amerikanischem Vorbild Staatsoberhaupt und Regierungschef in einem ist. Gewonnen hat die vom amtierenden Präsidenten Andrés Manuel López Obrador geförderte Parteikollegin Claudia Sheinbaum, die demselben Linksbündnis angehört. Melchor Raya war schon zeitig in der Früh wählen gegangen. Auf dem Rückweg vom Wahllokal erhielt er einen Telefonanruf von seiner Tochter, die mit ihrem Freund zu Hause frühstückte. Sie berichtete ihrem Vater, daß über die Wangen der Marienstatue rote Tränen liefen:
„Wir waren alle drei sehr bewegt und wußten nicht, was wir denken oder glauben sollten, als wir vor der Statue standen und sahen, wie die Jungfrau von Guadalupe weinte“, so Melchor Raya später zu Medienvertretern.
Nach einigen Minuten ging er zu Nachbarn, um ihnen zu berichten, was sich ereignete. Diese schlugen vor, Don Chuy, den Priester der nahegelegenen Pfarrkirche Santísima Trinidad (zur heiligsten Dreifaltigkeit) zu benachrichtigen.
„Don Chuy kam und sah die Jungfrau im Eßzimmer, wo wir sie immer haben, und berührte eine ihrer Wangen, um zu prüfen, ob sie weinte. Er sagte dann, daß er dies der Erzdiözese Morelia melden werde, damit ein Spezialist kommen und sie untersuchen könne.“
Seit dem Sonntag kommen ununterbrochen Gläubige und Schaulustige in das Haus, vor allem Frauen und Kinder. Sie bringen Blumen und Kerzen mit, um der Gottesmutter die Ehre zu erweisen.
„Ich habe gemischte Gefühle, ich weiß nicht, warum das passiert ist, aber ich bin entschlossen, alle, die kommen wollen, hereinzulassen, denn, wie mir jemand sagte, ist es ein großer Segen, aber auch eine große Verpflichtung, die wir jetzt gegenüber der Jungfrau eingehen.“
Die Statue der Guadalupana hatte Melchor Raya vor etwa zwei Jahren von einem Straßenhändler gekauft. Seither stand sie immer in seinem Eßzimmer. Da sofort auch Fälschungs- und Betrugsvorwürfe in den Raum gestellt wurden, erklärte er sich „uneingeschränkt“ bereit, die Echtheit des Phänomens durch Experten prüfen zu lassen.
Bislang wurde nur das Weinen der Statue am vergangenen Sonntag registriert. Die blutigen Tränen sind auf den Wangen der Marienfigur aber noch deutlich zu sehen. Auch von einer Heilung berichtet Melchor Raya. Eine Person, die in sein Haus kam und vor der Statue kniete und betete, wurde von lange anhaltenden, starken Kopfschmerzen geheilt. Melchor Raya schränkt ein, daß er natürlich nur wiedergeben könne, was diese Person ihm sagte.
„In meinem Haus ist jedenfalls jeder willkommen. Ich weiß nicht, warum die Jungfrau uns ausgewählt hat, um sich auf diese Weise zu zeigen, aber bis auf weiteres stehen unsere Türen allen offen.“
Heute morgen nahm erstmals die Erzdiözese Morelia Stellung. Es sei zu früh, so heißt es in einer Erklärung, „von einem Wunder zu sprechen“. Der Leiter der diözesanen Pressestelle Angel David Arias Correa betonte, daß die Erzdiözese, sobald ein „relevanter Bericht oder Schlußfolgerungen“ vorliegen, diese umgehend veröffentlichen werde. Bis dahin sollte die Angelegenheit „mit Vorsicht behandelt werden“.
„Die katholische Kirche hat sich in solchen Angelegenheiten stets durch ihre Vorsicht ausgezeichnet und es vermieden, Ereignisse ohne gründliche Analyse und vorherige Untersuchung zu verwerfen oder zu bestätigen“.
Letzteres ist allerdings, was der diözesane Presseverantwortliche noch nicht zu wissen scheint, aufgrund der neuen römischen Normen gar nicht mehr vorgesehen. Arias Correa betonte jedoch, daß „angesichts der Popularität des Falles Schritte unternommen werden, um die Situation gründlich und erschöpfend zu untersuchen“.
Zudem stellte er klar, daß die Anwesenheit des Pfarrer im Haus von Melchor Raya keinerlei Urteil über das Phänomen bedeute. Seine Anwesenheit habe allein den Zweck gehabt, „die kirchlichen Behörden über den Vorfall informieren zu können“.
Erzbischof Carlos Garfias Merlos soll inzwischen einen Priester mit der Leitung der Untersuchungen beauftragt haben. Die Familie Melchor Mondragón wurde aufgefordert, in einem detaillierten Bericht das Ereignis zu schildern.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Quadratin/Wikicommons (Screenshots)