Adolpho Lindenberg (1924–2024)

Ein Konterrevolutionär aus Überzeugung


Adolpho Lindenberg
Adolpho Lindenberg

Von Rober­to de Mattei*

Anzei­ge

Die bra­si­lia­ni­schen Zei­tun­gen erin­ner­ten an her­aus­ra­gen­der Stel­le an Adol­pho Lin­den­berg, der am 2. Mai 2024 im Alter von neun­und­neun­zig Jah­ren ver­stor­ben ist. Die Pres­se stell­te ihn als welt­be­rühm­ten Archi­tek­ten vor und beton­te, daß er in dem Jahr ver­starb, in dem das von ihm gegrün­de­te Unter­neh­men CAL (Cons­truc­to­ra Adol­pho Lin­den­berg) sein sieb­zig­jäh­ri­ges Bestehen feierte.

Der am 3. Juni 1924 als Sohn einer ange­se­he­nen deutsch­stäm­mi­gen Fami­lie gebo­re­ne Lin­den­berg, der sein Inge­nieur- und Archi­tek­tur­stu­di­um an der Uni­ver­si­tät Macken­zie absol­vier­te, begann sei­ne beruf­li­che Lauf­bahn 1954 in São Pau­lo in Bra­si­li­en. Seit­dem rea­li­sier­te er mehr als 700 Pro­jek­te, vor allem in der bra­si­lia­ni­schen Metro­po­le, wo er, wie sich Mar­ce­lo Bua­zar, einer der vier heu­ti­gen Part­ner des Unter­neh­mens, erin­nert, mehr als 100 Bau­stel­len gleich­zei­tig hat­te. Die Tages­zei­tung Fol­ha de S. Pau­lo vom 3. Mai bezeich­ne­te ihn als „Iko­ne des Immo­bi­li­en­mark­tes und Ver­brei­ter des neo­klas­si­schen Stils in São Paulo“.

Lin­den­berg war der ein­zi­ge bra­si­lia­ni­sche Archi­tekt des 20. Jahr­hun­derts, der inter­na­tio­na­le Bekannt­heit erlang­te, ohne sich der archi­tek­to­ni­schen Moder­ne zu ver­schrei­ben. Die Jah­re, in denen er gebo­ren wur­de, waren die Jah­re der Archi­tek­tur­re­vo­lu­ti­on, für die Oscar Nie­mey­er, der kom­mu­ni­sti­sche Archi­tekt, der Bra­si­lia ent­wer­fen soll­te, zum Sym­bol wer­den soll­te, wäh­rend Le Cor­bu­si­er zum Ide­al der neu­en Archi­tek­ten Latein­ame­ri­kas wur­de. Gegen den Trend errich­te­te Lin­den­berg in den 1960er, 1970er und 1980er Jah­ren Gebäu­de im neo­klas­si­schen oder medi­ter­ra­nen Stil, die auf dem Markt gro­ße Akzep­tanz fan­den, so daß 60 Pro­zent der dama­li­gen Luxus­ge­bäu­de in São Pau­lo nach sei­nen Vor­ga­ben ent­wor­fen wur­den. „Wegen sei­nes Ein­flus­ses auf die Archi­tek­tur São Pau­los wur­de sein neo­klas­si­zi­sti­scher Stil als ‚Lin­den­berg-Stil‘ bezeich­net, was zeigt, wie er als Schöp­fer einer Immo­bi­li­en­mar­ke die Geschich­te der Archi­tek­tur des Lan­des präg­te“ (Noti­ci­as UOL, 3. Mai 2024).

Die bra­si­lia­ni­schen Medi­en betrach­te­ten es als neben­säch­lich, daß Adol­pho Lin­den­berg auch ein pro­mi­nen­ter Ver­tre­ter der Gesell­schaft für Tra­di­ti­on, Fami­lie und Pri­vat­ei­gen­tum war. In Wirk­lich­keit war Lin­den­bergs gesam­tes Leben Aus­druck eines intel­lek­tu­el­len Enga­ge­ments, das er schon als Jun­ge an der Sei­te sei­nes berühm­te­sten Cou­sins, Prof. Pli­nio Cor­rêa de Oli­vei­ra, aus­üb­te, dem er ein wert­vol­les Erin­ne­rungs­buch mit dem Titel „Meu pri­mo Pli­nio Cor­rêa de Oli­vei­ra – Apor­tes bio­grá­fi­cos“ („Mein Cou­sin Pli­nio Cor­rêa de Oli­vei­ra – Bio­gra­phi­sche Bei­trä­ge“, Art­press, São Pau­lo 2016) widmete.

Adol­pho und Pli­nio wuch­sen im Haus ihrer Groß­mutter Gabrie­la Ribei­ro dos San­tos auf, einer Gran­de Dame, die in den 1930er Jah­ren einen tief­grei­fen­den Ein­fluß auf die pau­li­sti­sche Gesell­schaft aus­üb­te [Pau­li­stas wer­den die Bewoh­ner des Staa­tes São Pau­lo genannt, des­sen Geschich­te 1508 beginnt]. Groß­mutter Gabrie­la ver­lang­te, daß ihre fünf Kin­der in Beglei­tung ihrer Fami­li­en sie jeden Tag besuch­ten, so daß die Cou­sins prak­tisch wie Brü­der auf­wuch­sen. Pli­nio und Adol­pho waren die Söh­ne von zwei Schwe­stern, Luci­lia und Epo­ni­na. Als Pli­nio zwan­zig Jah­re alt war, war Adol­pho erst sie­ben oder acht Jah­re alt, aber bereits fas­zi­niert von der Per­sön­lich­keit sei­nes Cou­sins, den er für den Mut und die Klar­heit bewun­der­te, mit der er an den Fami­li­en­dis­kus­sio­nen im Hau­se Ribei­ro dos San­tos teil­nahm. „Mon­ar­chist, begei­stert vom Anci­en Régime, gegen extra­va­gan­te Moden, ein bei­ßen­der Kri­ti­ker der zeit­ge­nös­si­schen Kunst und des Hol­ly­wood-Ein­flus­ses, miß­trau­isch gegen­über einem gewis­sen Indu­stria­lis­mus. Man kann sich die leb­haf­ten Pole­mi­ken im Haus von Groß­mutter Gabrie­la gut vor­stel­len, vor allem mit den Onkeln, die von Posi­ti­vis­mus und Bewun­de­rung für die moder­ne Welt durch­drun­gen waren!

Die urba­ne Umge­stal­tung der Stadt São Pau­lo war Aus­druck eines tief­grei­fen­den Kul­tur­kamp­fes. Pli­nio Cor­rêa de Oli­vei­ra hat­te gera­de die Uni­ver­si­tät ver­las­sen, als er bei den Wah­len zur ver­fas­sungs­ge­ben­den Ver­samm­lung im Mai 1933 mit nur 24 Jah­ren der meist­ge­wähl­te Abge­ord­ne­te in ganz Bra­si­li­en wur­de. Im August des­sel­ben Jah­res wur­de er in die Redak­ti­on des Legi­oná­rio beru­fen, des inof­fi­zi­el­len Organs der Erz­diö­ze­se São Pau­lo, das inner­halb weni­ger Jah­re zur ein­fluß­reich­sten katho­li­schen Wochen­zei­tung Bra­si­li­ens wurde.

Dr. Pli­nio selbst, wie er lie­be­voll genannt wur­de, faß­te sein Leben mit fol­gen­den Wor­ten zusam­men: „Als ich noch sehr jung war, betrach­te­te ich die Rui­nen der Chri­sten­heit, die mei­ne Auf­merk­sam­keit gefan­gen­nah­men; ihnen ver­trau­te ich mein Herz an, ich kehr­te mei­ner Zukunft den Rücken, und mach­te aus die­ser Ver­gan­gen­heit vol­ler Seg­nun­gen mein Kom­men­des!“ Hat Adol­pho Lin­den­berg die Radi­ka­li­tät der Beru­fung sei­nes Vet­ters ver­stan­den? Sicher ist, daß er eine feu­da­le Loya­li­tät gegen­über sei­ner Per­son an den Tag leg­te. 1943 wur­de Pli­nio Cor­rêa de Oli­vei­ra, der dama­li­ge Prä­si­dent der Katho­li­schen Akti­on von São Pau­lo, wegen der Ver­öf­fent­li­chung des Buches „Em defe­sa de Ação Cato­li­ca“ („Zur Ver­tei­di­gung der Katho­li­schen Akti­on“) ver­bannt, weil er es gewagt hat­te, die pro­gres­si­ven Irr­tü­mer zu wider­le­gen, die in katho­li­schen Krei­sen gras­sier­ten. Der Legi­oná­rio setz­te sein Zeug­nis jedoch noch eini­ge Jah­re lang fort. Adol­pho war der Jüng­ste der Grup­pe, die sich jeden Abend in einer klei­nen Woh­nung in der Rua Mar­tim Fran­cis­co traf und unter Pli­ni­os Anlei­tung die sich ver­schlech­tern­de reli­giö­se und poli­ti­sche Situa­ti­on in Bra­si­li­en und der Welt ana­ly­sier­te. Der jun­ge Archi­tekt folg­te sei­nem Cou­sin in die Maria­ni­sche Kon­gre­ga­ti­on, war unter sei­ner Lei­tung einer der Redak­teu­re der Monats­zeit­schrift Cato­li­cis­mo und war immer an sei­ner Sei­te, als 1960 die TFP gegrün­det wur­de, die von Bra­si­li­en aus in die gan­ze Welt aus­strahl­te. Der gro­ße bra­si­lia­ni­sche Den­ker und Tat­mensch starb am 3. Okto­ber 1995, aber Adol­pho Lin­den­berg bekräf­tig­te sei­ne Loya­li­tät zu ihm, indem er den Vor­sitz des Insti­tu­to Pli­nio Cor­rêa de Oli­vei­ra über­nahm, das 2006 gegrün­det wur­de, um sein Werk fortzuführen.

Adol­pho Lin­den­berg war über­zeugt, sein kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­res Enga­ge­ment mit einer beruf­li­chen Tätig­keit ver­ein­ba­ren zu kön­nen, die sich als Glücks­fall erwies. Viel­leicht hat die gött­li­che Vor­se­hung ihm groß­zü­gig gehol­fen, damit er ande­ren eben­so groß­zü­gig hel­fen konn­te. Groß­zü­gig­keit war ein cha­rak­te­ri­sti­sches Merk­mal sei­ner Per­sön­lich­keit. Er beschränk­te sei­ne Hil­fe nicht auf die TFP Bra­si­li­ens und ande­rer Län­der der Welt, son­dern ver­stand, wie ein­schrän­kend es war, das Den­ken und Wir­ken von Pli­nio Cor­rêa de Oli­vei­ra auf die Sche­ma­ta einer Grup­pe zu beschrän­ken, und unter­stütz­te mit über­le­ge­nem Geist jede Initia­ti­ve, die ihm die Gegen­re­vo­lu­ti­on in der Welt zu för­dern schien.

Bis kurz vor sei­nem Tod reg­te Herr Lin­den­berg in sei­ner Woh­nung leb­haf­te Dis­kus­sio­nen über die reli­giö­se und poli­ti­sche Kri­se unse­rer Zeit an. Er hat­te sei­ne eige­nen ori­gi­nel­len Gedan­ken, die er in dem Buch „Os Cató­li­cos e a Eco­no­mia de Mer­ca­do – Opo­si­ção ou Cola­bora­ção? Con­sidera­ções do bom sen­so“ („Die Katho­li­ken und die freie Markt­wirt­schaft – Oppo­si­ti­on oder Zusam­men­ar­beit? Über­le­gun­gen des gesun­den Men­schen­ver­standes“ zum Aus­druck brach­te, das in vier Spra­chen vor­liegt, im Jahr 2000 erschien zuletzt eine ita­lie­ni­sche Aus­ga­be. Man darf, so erklärt er in die­sem Essay, die libe­ra­le Ideo­lo­gie, die aus dem revo­lu­tio­nä­ren Drei­klang Frei­heit, Gleich­heit, Brü­der­lich­keit her­vor­geht, nicht mit der Ver­tei­di­gung der Frei­heit ver­wech­seln, die der Mensch in sei­ner wirt­schaft­li­chen Tätig­keit genie­ßen muß. Die vier wich­tig­sten Über­ein­stim­mun­gen zwi­schen dem katho­li­schen Den­ken und der wirt­schaft­li­chen Frei­heit sind für Lin­den­berg die Ver­tei­di­gung des Rechts auf Eigen­tum und Pri­vat­in­itia­ti­ve, die Begren­zung der Rol­le des Staa­tes in der sozio­öko­no­mi­schen Ord­nung, die Ableh­nung syste­ma­ti­scher Refor­men mit ega­li­tä­rem Cha­rak­ter und die Ableh­nung jeg­li­cher Geset­zes­vor­schlä­ge mit kon­fis­kato­ri­schem Charakter.

Im zwei­ten Teil des Buches beschreibt der Autor die Umris­se einer authen­tisch christ­li­chen Gesell­schafts­ord­nung, die auf dem Prin­zip der Sub­si­dia­ri­tät und der har­mo­ni­schen Zusam­men­ar­beit zwi­schen den Instan­zen beruht. Die­se idea­le Gesell­schaft, die der hei­li­ge Lud­wig Marie Gri­gnon de Mont­fort „König­reich Mari­ens“ nann­te, lern­te er in der Schu­le von Dr. Pli­nio inbrün­stig zu erseh­nen: eine stren­ge, hier­ar­chi­sche Gesell­schaft, die in ihren Grund­la­gen hei­lig ist und die Leh­re und den Geist der Kir­che per­fekt umsetzt. Das Able­ben Adol­pho Lin­den­bergs mar­kiert das Ende einer histo­ri­schen Epo­che, ver­an­laßt aber die Gegen­re­vo­lu­tio­nä­re in aller Welt, ihr Enga­ge­ment für die Wie­der­her­stel­lung der christ­li­chen Gesell­schaft zu erneu­ern. Er erin­ner­te sich dar­an, wie sein Vet­ter Pli­nio oft den deut­schen Aus­druck vor­wärts gebrauch­te. Was Adol­pho Lin­den­berg über Dr. Pli­nio sag­te, kön­nen wir heu­te in sei­nem Geden­ken wie­der­ho­len: „Wäre er hier anwe­send, so wür­de er sicher mit der Stim­me des­sen, der zu einem Kreuz­zug auf­ruft, sagen: ‚Laßt uns in die Zukunft blicken, laßt uns auf die Got­tes­mut­ter ver­trau­en und vor­wärts!‘“

*Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Autor zahl­rei­cher Bücher, zuletzt in deut­scher Über­set­zung: Ver­tei­di­gung der Tra­di­ti­on: Die unüber­wind­ba­re Wahr­heit Chri­sti, mit einem Vor­wort von Mar­tin Mose­bach, Alt­öt­ting 2017, und Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil. Eine bis­lang unge­schrie­be­ne Geschich­te, 2. erw. Aus­ga­be, Bobin­gen 2011.

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Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana

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