Die Strukturthesen des Synodalen Wegs sind unhaltbare Konstrukte

Die ForuM-Missbrauchsstudie der EKD zeigt es


ForuM-Missbrauchsstudie der EKD und die Irrwege des Synodalen Wegs
ForuM-Missbrauchsstudie der EKD und die Irrwege des Synodalen Wegs

Ein Gast­kom­men­tar von Hubert Hecker

Anzei­ge

Die EKD zeigt sich des­il­lu­sio­niert. Die Ende Janu­ar publi­zier­te Miss­brauchs­stu­die ForuM hat die Illu­sio­nen der Pro­te­stan­ten zer­stört, dass bei ihnen als „bes­se­rer, geschwi­ster­li­cher Kir­che“ deut­lich weni­ger Miss­brauchs­fäl­le vor­kä­men als in der katho­li­schen, „kle­ri­kal-hier­ar­chisch“ orga­ni­sier­ten Kirche.

Aber auch die Mehr­heit der katho­li­schen Bischö­fe und Lai­en­ver­tre­ter muss nun durch das Säu­re­bad der Des­il­lu­sio­nie­rung gehen. Sie haben auf dem Syn­oda­len Weg das Spie­gel­bild der evan­ge­li­schen Selbst­täu­schung gepflegt, dass sexu­el­ler Miss­brauch aus den spe­zi­fisch katho­li­schen Kir­chen­struk­tu­ren erwach­sen wür­de, die des­halb refor­miert wer­den müss­ten. Auch die­se Annah­me ist falsch und durch die Ergeb­nis­se der ForuM-Stu­die zu widerlegen.

Die­se The­se soll anhand von zwei Punk­ten erläu­tert und belegt werden.

1. Der Vergleich mit der ForuM-Studie zeigt die Fehleinschätzungen der Synodalen

Wenn alle Annah­men und Ablei­tun­gen des Syn­oda­len Wegs mit der evan­ge­li­schen ForuM-Stu­die kon­fron­tiert wer­den, dann erge­ben sich fol­gen­de des­il­lu­sio­nie­ren­de Erkenntnisse:

• Was die Syn­oda­len als miss­brauchs­ver­ur­sa­chen­de katho­li­sche Macht­struk­tu­ren erkannt zu haben glau­ben, haben die Pro­te­stan­ten mit ihrer „hier­ar­chie­ar­men“ Kir­chen­struk­tur schon lan­ge abge­baut. Ohne die­se angeb­lich miss­brauchs­för­dern­den Struk­tu­ren müss­te die Zahl der sexu­ell über­grif­fi­gen evan­ge­li­schen Pasto­ren nach der ForuM-Stu­die deut­lich unter der der katho­li­schen Kle­ri­ker lie­gen. Tat­säch­lich aber liegt die Zahl der 1402 pro­te­stan­ti­schen Pfar­rer als miss­brauchs­ver­däch­ti­ge Täter nur gering­fü­gig unter der Mar­ge der MHG-Stu­die von 1429 beschul­dig­ten katho­li­schen Diözesanpriestern.

• Die Syn­oda­len glau­ben, durch Bestel­lung und Kon­trol­le der kle­ri­ka­len Amts­in­ha­ber sowie durch gere­gel­te Par­ti­zi­pa­ti­ons- und Teil­ha­be­rech­te an Lei­tungs- und Ent­schei­dungs­pro­zes­sen dem Macht- und Sexu­al­miss­brauch wirk­sa­me Schran­ken zu set­zen.
Doch wie sieht es bei den Pro­te­stan­ten aus? Sie wäh­len und kon­trol­lie­ren ihre Pfar­rer und Kir­chen­prä­si­den­ten schon immer. Die Bezie­hun­gen zwi­schen Gläu­bi­gen und Ordi­nier­ten wer­den von der ForuM-Stu­die als „grund­le­gend par­ti­zi­pa­tiv“ beschrie­ben. Die Struk­tu­ren der evan­ge­li­schen Kir­che als „hier­ar­chie­arm, geschwi­ster­lich und par­ti­zi­pa­tiv“ haben nichts an den ver­gleichs­wei­se hohen Dimen­sio­nen des Miss­brauchs geändert.

• Die Lai­en­mehr­heit auf der Syn­odal­ver­samm­lung ist der Über­zeu­gung, dass eine Umver­tei­lung von Macht von Kle­ri­kern auf Lai­en struk­tu­rell zu weni­ger Miss­brauch füh­ren wür­de. Die­se Annah­me ist offen­sicht­lich eine Fehl­ein­schät­zung, wie die Ergeb­nis­se der ForuM-Stu­die zei­gen: Die­se hat­te – im Gegen­satz zur MHG-Stu­die – auch den Bereich der Dia­ko­nie unter­sucht. Sie stell­te dabei fest, dass in die­sem Sek­tor die Zahl der Beschul­dig­ten und Opfer sexu­el­ler Gewalt etwa dop­pelt so hoch ist wie bei den ordi­nier­ten Pastoren.

• Die hohen Miss­brauchs­zah­len im Dia­ko­nie­be­reich der evan­ge­li­schen Kir­che decken eine wei­te­re Schwä­che im Auf­klä­rungs­an­satz der katho­li­schen Kir­che auf: Mit der Fixie­rung auf sexu­el­le Über­grif­fe von Kle­ri­kern wird der Miss­brauch von kirch­li­chen Lai­en­mit­ar­bei­tern in der Kin­der- und Jugend­ar­beit, Ver­wal­tung, Cari­tas und katho­li­schen Schu­len weit­ge­hend aus­ge­blen­det, als wenn es in den lai­en­do­mi­nier­ten Berei­chen kei­ne Vor­fäl­le von sexu­el­ler Gewalt gäbe. Auch das ist eine Art von Ver­tu­schung, die auf dem Syn­oda­len Weg von der Lai­en­mehr­heit zugun­sten der lai­ka­len Miss­brauchs­tä­ter betrie­ben wird. Die­se Ein­sei­tig­keit zeigt sich in dem syn­oda­len Hand­lungs­text: „Prä­ven­ti­on sexua­li­sier­ter Gewalt, Inter­ven­ti­on und Umgang mit Tätern in der katho­li­schen Kir­che“. Der „Blick des Hand­lungs­tex­tes ist durch­weg auf männ­li­che Kle­ri­ker“ fixiert, heißt es auf Sei­te 2. Die­ser Tun­nel­blick mani­fe­stiert sich bei den „Voten zum Umgang mit iden­ti­fi­zier­ten Tätern“: Nur für über­führ­te Geist­li­che habe der zustän­di­ge Bischof per Dekret eine The­ra­pie anzu­ord­nen, für über­grif­fi­ge Lai­en­tä­ter ist kei­ne The­ra­pie vor­ge­se­hen (Punkt 7). Nur den Kle­ri­ker-Tätern soll ein(e) „Fall-Manager*in“ zuge­wie­sen wer­den, die The­ra­pie­auf­la­gen und Berufs­weg des Inkri­mi­nier­ten über­prüft und kon­trol­liert (Punkt 8). Bei sol­chen ein­ge­schränk­ten Inter­ven­ti­ons­maß­nah­men, die Lai­en­tä­ter nicht in die Pflicht neh­men, wird das Prä­ven­ti­ons­ziel der Kir­che als „siche­rer Ort für Kin­der und Jugend­li­che“ nicht erreicht werden.

Zwi­schen­fa­zit: Bei einem Ver­gleich mit der evan­ge­li­schen ForuM-Stu­die sind am Forums­text I wie auch am letz­ter­wähn­ten Hand­lungs­text der Syn­odal­ver­samm­lung gra­vie­ren­de Fehl­ein­schät­zun­gen fest­zu­stel­len. Die Tex­te offen­ba­ren die fehl­ge­lei­te­ten Ansät­ze und fal­schen Ori­en­tie­rungs­maß­nah­men des Syn­oda­len Wegs. Sie soll­ten daher als wis­sen­schaft­lich unhalt­bar und kirch­lich des­ori­en­tie­rend aus dem Ver­kehr gezo­gen werden.

2. Weiheamt und Zölibat sind nicht als missbrauchsfördernd anzusehen

Prof. Tho­mas Groß­böl­ting war Pro­jekt­lei­ter bei der ForuM-Stu­die und hat­te vor­her zu Miss­brauch in der katho­li­schen Kir­che geforscht. Zum Ver­gleich der bei­den For­schungs­be­rei­che erklärt er:
„Für mich war der über­ra­schend­ste Punkt, wie ähn­lich sexua­li­sier­te Gewalt in der katho­li­schen und der evan­ge­li­schen Kir­che funk­tio­niert. Ich habe die Stu­die zum Bis­tum Mün­ster gelei­tet und auf den spe­zi­fisch katho­li­schen Risi­ko­fak­tor Kle­ri­ka­lis­mus hin­ge­wie­sen. Aber jetzt muss­te ich erken­nen: Es scheint fast gleich­gül­tig zu sein, ob sie einen geweih­ten Prie­ster oder einen ordi­nier­ten Pfar­rer in einer luthe­ri­schen oder einer refor­mier­ten Gemein­de haben: Die Pastor­al­macht in bei­den Kir­chen ist rela­tiv ähn­lich, unab­hän­gig von den theo­lo­gi­schen Grund­le­gun­gen.“1

Die­se Aus­sa­ge eines kom­pe­ten­ten Wis­sen­schaft­lers stellt den Ansatz des Syn­odal­pa­piers „Prie­ster­li­che Exi­stenz heu­te“ grund­sätz­lich in Fra­ge. Der Grund­text des Syn­odal­fo­rums II betrach­tet jenen „spe­zi­fisch katho­li­schen Risi­ko­fak­tor Kle­ri­ka­lis­mus“ als Ursa­che und zen­tra­le „syste­mi­sche Begün­sti­gung für Taten des sexua­li­sier­ten und ande­ren Macht­miss­brauchs“. Aus die­ser fal­schen Basis­an­nah­me folgt die pathe­ti­sche Emp­feh­lung: „Kle­ri­ka­lis­mus über­win­den!“ als irre­lei­ten­de Rich­tungs­wei­sung zur Über­win­dung von Miss­brauch in der Kir­che – ein inef­fek­ti­ves und sinn­lo­ses Unter­fan­gen nach den oben auf­ge­zeig­ten Erkenntnissen.

Zu den wei­te­ren Falsch­be­haup­tun­gen des Tex­tes gehört auch die Dif­fa­mie­rung der prie­ster­li­chen Wei­he und der Sakral­macht des Prie­ster­am­tes als miss­brauchs­be­gün­sti­gend. Schließ­lich stei­gert sich der Syn­od­al­text zu einem Wort­ge­schwur­bel, indem er das sakra­men­ta­le Prie­ster­tum als ein „innen­blin­des Regime mono­po­li­sier­ter männ­lich-zöli­ba­t­ä­rer Sakral­macht“ zu denun­zie­ren ver­sucht. Als End­punkt der miss­bräuch­li­chen Miss­brauchs­ar­gu­men­ta­ti­on wird die „sakra­men­ta­le Not­wen­dig­keit des Prie­ster­am­tes in Fra­ge gestellt“. Die syn­oda­le Kon­zen­tra­ti­on auf Kri­tik an den geweih­ten Prie­stern und ihrer Sakral­macht als miss­brauchs­för­dernd ist sach­lich und empi­risch ohne jeg­li­che Rele­vanz. Denn ob ein geweih­ter katho­li­scher Prie­ster oder ein ordi­nier­ter luthe­ri­scher Pfar­rer der Gemein­de vor­steht, scheint gleich­gül­tig zu sein für die Bege­hung von Miss­brauch (Groß­böl­ting).

Die MHG-Stu­die hat­te schon sug­ge­riert, dass die Ver­pflich­tung zum Zöli­bat für katho­li­sche Prie­ster eine „Erklä­rung für sexu­el­le Miss­brauchs­hand­lun­gen an Min­der­jäh­ri­gen sein kann“, also ein „mög­li­cher Risi­ko­fak­tor“. Auch in die­sem Fall unter­stellt der Syn­od­al­text fälsch­li­cher­wei­se eine Tat­sa­chen­be­haup­tung. Er for­dert vom Vati­kan die Öff­nung der Zöli­bats­ver­pflich­tung – um Miss­brauch vor­zu­beu­gen. Gegen die­se Argu­men­ta­ti­on ist dar­auf hin­zu­wei­sen, dass bei den mehr­heit­lich ver­hei­ra­te­ten evan­ge­li­schen Pasto­ren die Miss­brauchs­quo­te ähn­lich hoch ist wie bei den zöli­bats­ver­pflich­te­ten Klerikern.

Nach­dem der For­scher Groß­böl­ting sei­nen fata­len Irr­tum über den Kle­ri­ka­lis­mus ein­ge­stan­den hat, ergibt sich die zwin­gen­de Erwar­tung an die Syn­odal­ver­samm­lung, das Forums­pa­pier II wegen zen­tra­ler Fehl­ein­schät­zun­gen zur Kle­ri­ka­lis­mus­the­se sowie zum prie­ster­li­chen Wei­he­amt und Zöli­bat zurückzuziehen.

Bild: MiL


1 Glau­be, Macht, Gewalt, Ker­stin Claus und Tho­mas Groß­böl­ting im Gespräch, in: Publik Forum 09.02.2024, S. 13

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