
Wer sich zur Ablenkung etwas mit italienischer Innenpolitik oder insgesamt mit Geopolitik befassen will oder eventuell nach Analogien und Parallelen zur Situation im eigenen Land suchen möchte, dürfte bei den stets provokanten Analysen von Generalmajor Piero Laporta fündig werden. Der General richtet den Blickwinkel auf die nationalen Interessen, ein Begriff, der in Deutschland inzwischen so unbekannt geworden ist, daß er ein Fremdwort zu sein scheint. Dem ist in anderen Ländern nicht so. Hier sein neuester Text:
Liebe Regierung, werdet Ihr wahnsinnig? Die Wähler verzeihen keine Dummheit
General Piero Laporta*
Das Wahlvolk verzeiht alles, nur nicht den Schwachsinn. Die Regierung und das Land leiden unter zwei Ministern in Schlüsselpositionen, beide sind große Weinkenner. Vom nationalen Interesse und politischer Zweckmäßigkeit verstehen sie allerdings erwiesenermaßen weniger. Was haben wir im Roten Meer verloren, an der Spitze einer Mission, deren Ziele Lichtjahre vom nationalen Interesse entfernt sind?
Na gut, finanzieren wir den Krieg in der Ukraine aus gutnachbarlichen Beziehungen [mit der Ukraine und mehr noch mit den USA]. Das sollte uns aber nicht dazu zwingen, ihr verseuchtes, mit Insekten belastetes Getreide zu importieren. Es sollte unsere Landwirte nicht dazu zwingen, nicht mehr anzubauen, unsere Züchter, nicht mehr zu züchten und unsere Produzenten, nicht mehr zu produzieren.
Dieser Weg führt zum Kollaps, und Ihr werdet nicht von einem schmeichelnden General gerettet, der Bücher voller Banalitäten schreibt und noch mehr Verwirrung in Euren verwirrten Köpfen stiftet. Indem Ihr ukrainischen Weizen mit Würmern und Tschernobyl-Rückständen bevorzugt, nehmt Ihr das EU-Diktat sogar vorweg. Ihr schickt die NAS-Carabinieri (Gesundheitspolizei), wenn in Restaurants Kakerlaken auf dem Boden liegen, während alles in Ordnung ist, wenn die Kakerlaken auf den Tellern serviert werden. Wie verrückt ist das, meine Damen und Herren in der Regierung?
Nun gut, die Geheimklauseln des von Alcide De Gasperi unterzeichneten Friedensvertrags sehen vor, daß wir bis 2046 vor den USA strammstehen müssen; hundert Jahre, so heißt es.
Wenn das wahr sein sollte, müßte De Gasperi eher verdammt als heiliggesprochen werden. Und das erklärt, warum Pater Pio ausrasten würde, wenn man ihn um Gebete für die Seligsprechung von Alcide anruft.
Zurück zu uns. Es findet eine Neuverteilung der Einflußsphären statt, und wir befinden uns in der US-Sphäre. Wir sind also ein Protektorat des kriegerischsten Staates der Welt, dessen Präsident offiziell laut Justizministerium dement ist, aber den Atomkoffer in der Hand hat. Alles klar? Könnten wir also die strategische Einschätzung erfahren, warum es von Vorteil sein sollte, den USA heute auf die Schlachtfelder zu folgen?
Protektorat? Wir sollten uns nicht zu sehr auf die Protektion verlassen. Kein einziger „Protegierter“ ist gut geendet. Wer das bezweifelt, sollte die Afghanen, die Iraker, die Kurden… und bald auch die Briten fragen. Wir selbst haben bisher viel Einflußnahme, aber wenig „Schutz“ erlebt. Sie haben zugelassen, daß Aldo Moro von den Sowjets getötet wurde und die Marionetten der Roten Brigaden (BR) als Vermittler fungierten. Sie haben zugelassen, daß auf Johannes Paul II. ein Attentat verübt wurde, und es war nicht die CIA, die ihm das Leben gerettet hat, sondern ein Wunder. Sie haben das Simulakrum der gemäßigten italienischen Führungsschicht, die aus dem Kalten Krieg hervorgegangen war, mit den Lügen des US-Konsulats in Mailand und vier Winkeladvokaten in ihren Diensten zerstört.
Sie haben uns zuerst den Briten, dann dem deutsch-französischen Kondominium unterworfen. Wir waren auch ihr Virenlabor. Und jetzt sollen wir ins Rote Meer ausrücken. Warum?
Sie sagen: Der Handelsverkehr wird behindert, unsere Häfen sind inaktiv. Was für scharfsinnige Beobachtungen, Donnerwetter. Wird, aber, und das muß die eigentliche Frage sein, die militärische Intervention uns helfen oder unsere Krise verschärfen? Und schließlich, liebe Lambrusco-Strategen, wenn chinesische Industrieerzeugnisse teurer werden, weil die Transportkosten steigen, ist das für unsere Hersteller doch von Vorteil. Von wegen Militäreinsatz, schickt die Hilfen den Huthis.
Die Waren werden früher oder später in den Häfen ankommen. Noch besser wäre es, wenn sie nicht ankommen, sondern Waren exportiert werden und so unsere Zahlungsbilanz beleben.
Italien hat über Gibraltar und Suez hinaus keine nationalen Interessen zu verteidigen. Was ist ein nationales Interesse, liebe Lambrusco-Strategen? Es ist die Summe von drei Gewißheiten: territoriale Sicherheit, wirtschaftliche Sicherheit, soziale Sicherheit. Diese drei Gewißheiten sind so an den Rand gedrängt, daß sie fast nicht mehr vorhanden sind. Mit Eurem strategischen Denken würden wir zusammenbrechen. Die drei Sicherheiten – ich wiederhole: die territoriale, die wirtschaftliche und die soziale – laufen für uns im Mittelmeerraum zusammen. Die Regierung muß sich damit befassen, denn es ist bereits sehr spät.
Nach der angekündigten, aber nie begonnenen Seeblockade gegen die illegale Einwanderung sind wir zum Spielball geworden. Ab dem Frühjahr werden die Wellen und die Temperaturen die Überfahrten weiter begünstigen. Wir erleben eine Invasion, meine Damen und Herren in der Regierung, mit dem Segen eines Vatikans, der derzeit noch verblödeter ist als wir selbst. Wir sollten uns davor hüten, ihm diese Vorrangstellung abjagen zu wollen. Weder die NATO noch die EU noch der Vatikan haben uns geholfen. Sie haben keinen Finger gerührt, sondern nur geredet und Segenswünsche für unsere gefährdete Sicherheit geschickt. Im Gegenteil, die sogenannten Verbündeten haben die NGOs des modernen Menschenhandels, der neuen Sklaven, finanziert, während unsere Städte in die Hände des Abschaums jener Länder fällt, die froh sind, ihn loszuwerden.
Was ist die Strategie jenseits der Dummheit, wenn Schiffe gegen die Huthis geschickt werden in einer Mission, die nur für die Briten gut ist – um sie endgültig ins Verderben zu stürzen? Wenn die Welt verrückt wird, dürfen wir nicht auch verrückt werden und diesen oder jenen unserer vermeintlichen Freunde heiligsprechen. Italien hat derzeit auf den Entscheidungsebenen keine Freunde, sondern nur gierige Weggefährten, die uns alles wegnehmen wollen. Dessen sollten wir uns bewußt sein und entsprechend handeln.
Die einzig mögliche Strategie wäre es also, den Krieg zwischen den Großen zu schüren, damit die Stellvertreterkriege aufhören und sie sich gegenseitig beißen und einander so viel Schaden wie möglich zufügen. Das wäre die einzige Möglichkeit, sich aus dem Abgrund zu erheben, in den wir uns haben versenken lassen durch unsere Politiker, die sich an unsere Verbündeten und Freunde verkaufen.
Müssen wir die schändlichen Taten von Carlo Azeglio Ciampi & Co.1 wiederholen oder müssen wir geduldig und ohne Zögern versuchen, Boden gutzumachen? Lassen wir jene, die der Flasche ergeben sind, also wieder ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgehen, Hauptsache, sie halten sich von der Regierung fern.
Was die Bauern zeigen – die bisher sehr korrekt, fair und gemäßigt auftreten – sollte deutlich machen, daß Italien sich nicht mit der Leichtigkeit, Trägheit und Idiotie der Griechen ausplündern lassen wird.
Andererseits besteht die Opposition, die derzeit ausnahmslos links von der Regierung steht, einzig aus Dummköpfen, wenn nicht gar aus Kriminellen. Wenn ein alter Kommunist, der so bekannt ist wie Massimo D’Alema, die jungen Leute der Linksdemokraten (PD) auffordert, gegen die Regierung zu rebellieren, muß man dann noch mehr sagen? In den Jahrzehnten, als sie die Macht innehatten, haben die Linksdemokraten und ihre Väter ihren Herren – der Sowjetunion, Frankreich, Großbritannien, auch der Bundesrepublik Deutschland und natürlich den USA – einen Everest an Geldern überwiesen, die mit Steuern dem Volk abgepreßt wurden, um ihre gierigen und hungrigen Epigonen bis zum heutigen Tag zu bereichern. Zu diesen haben sich noch die Hyänen von Davos gesellt.
Gute Politik ist vor allem, den realen Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Man kann die Not der Bauern nicht erst dann erkennen, wenn man sie gezwungen hat, wie gewöhnliche Lohnempfänger herumzulaufen, anstatt das Land zu bewirtschaften. Das sind Unternehmer. Wird Euch das klar? Von wegen Marsch der 40.000, der von FIAT manipuliert wurde.2
In diese Situation sind wir durch die Politik der EU und der NATO, neuerdings auch des Vatikans, und durch die rücksichtslose Politik der Regierungen, den vergangenen und der gegenwärtigen, gebracht worden. Eine verschwenderische und unhaltbare Politik. Von wegen angebliche Klimakrise. Es geht um eine Glaubwürdigkeitskrise der politischen Institutionen, von der untersten bis zur obersten, das ist deutlich sichtbar. Wir reden von Dummköpfen, wenn nicht sogar Kriminellen.
Trotz allem ist es ganz klar, daß der Vatikan, die EU und die NATO Italien mehr brauchen als wir sie. Die Regierung sollte sich aufrichten, denn die Zeit läuft ab, und auf diesem Abhang wird die einzige Alternative heftig. In diesem beklagenswerten Fall liegt die Verantwortung allein bei denen, die heute regieren, und denen, die bis gestern regiert haben, Vor- und Zunamen sind wohlbekannt.
Niemand wage es, die Verantwortung dem Volk zuzuschieben, das keine Kakerlaken auf dem Teller haben will, das keinen Krieg im eigenen Land will, das sich nicht von der Bande des Kardinals Zuppi ausquetschen lassen will, das keine Trägheit der Regierung angesichts der Probleme will, die von NATO, EU und Vatikan geschaffen wurden, und das keinen Schwachsinn an der Regierung und in der Opposition will.
Christus siegt und wir müssen aufwachen.
*Piero Laporta, Generalmajor (Divisionsgeneral) der Reserve, leitete zuletzt im aktiven Dienst das Amt für Wehrpolitik des italienischen Generalstabs, Katholik, verheiratet und Vater von zwei Kindern.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons
1 Carlo Azeglio Ciampi (1920–2016), studierter Altphilologe, schloß sich bei Kriegsende dem kurzlebigen sozialistischen Partito d’Azione an, ab 1947 parteilos mit Nähe zum sozialistischen Spektrum, studierte Rechtswissenschaften und trat 1946 in die italienische Zentralbank ein; bis 1980 war er Mitglied der kommunistischen Gewerkschaft CGIL; ab 1960 gehörte er der Generaldirektion der Zentralbank an, 1973 wurde er Generalsekretär, 1976 stv. Generaldirektor, 1978 Generaldirektor und ab 1979 Gouverneur der italienischen Zentralbank; 1993/94 war er italienischer Ministerpräsident, 1996–1999 Schatzminister, als solcher führte er Italien in das Europäische Währungssystem und in die EU-Verträge von Maastricht und Amsterdam, später auch Nizza und Lissabon, da er 1999–2006 Staatspräsident und ab 2006 Senator auf Lebenszeit war.
2 Anspielung auf eine gegen die Gewerkschaften gerichtete Kundgebung im Jahr 1980. Sie steht als Synonym für eine von oben gelenkte Kundgebung.
„Von oben gelenkte Kundgebung“, das kennen wir derzeit auch mit den Demonstrationen gegen die AfD.
Wenn Italien nur auf 100 Jahre an die USA gebunden ist, steht es noch „gut“ da. Ich denke, dass Deutschland keine solche Einschränkung mit Ablaufdatum gewährt wurde.
Was die „Protektion“ angeht, deren Löcher sehen wir schon jetzt. Washington hat uns in den De-facto-Krieg in der Ukraine getrieben und lässt uns nun damit allein. „Seht zu, wie ihr damit zurechtkommt, aber wehe ihr zahlt nicht“, heißt es von jenseits des Großen Teichs. Die schnelle Deindustrialisierung Deutschlands zeigt, dass die US-Regierung den Wohlstand im eigenen Land ohne Zögern, skrupel- und gnadenlos auf unsere Kosten sichert. Und ja, es geschieht mit Zustimmung unserer Regierenden, die die Rolle der Lakaien spielen.
Alle derzeit lautstark gegen die AfD geschleuderten Vorwürfe, betreffen in Wirklichkeit die derzeit Regierenden. Das ist die nackte, brutale Realität.
Danke für die Bereitstellung dieses treffenden Kommentars! Auch im deutschen Sprachraum sollte man den Herrn Generalmajor hören.
Zu Alcide De Gasperi: Im Sommer 1989 erzählte mir P. Bruno Platter OT, damals Pfarrer in Bozen, nachmaliger Hochmeister des Deutschen Ordens, daß die Südtiroler gegen die (damals offenbar schon diskutierte) Seligsprechung De Gasperis protestieren würden. Denn er sei ein Chauvinist gewesen und habe sich in der Südtirolfrage nicht anders als die Vorgängerregierungen benommen (so oder ähnlich Pater Platter). Daß der Herr Generalmajor nun eine weitere Kritik an diesem ach so gelobten „Gründervater Europas“ anbringt, ist augenöffnend: War die EG doch nur ein US-Projekt, damit die Amerikaner ihre Pappenheimer besser unter Kontrolle haben?
Bezüglich Aldo Moros gestatte ich mir den Hinweis, daß das gar nicht ausgemacht ist, daß die Sowjetunion hinter dessen Ermordung stand. Mark Fellows schreibt in Fatima in Twilight, daß Henry Kissinger Moro scharf gewarnt hätte (eine souveränistische und unabhängige Politik zu machen, o. ä.). Fellows meint, daß die Roten Brigaden gar nicht von Rußland aus gesteuert waren, sondern vom „Westen“.
Nach Fellows sei es auch unwahrscheinlich, daß die Sowjetunion hinter dem Attentat auf Johannes Paul II. gestanden ist.
Es wäre sicher gut, Licht ins Dunkel zu bringen. Vielleicht findet sich ja etwas in den Archiven.
Ich mag die Betrachtungsart von Laporta sehr. Dass wir in Deutschland solche soliden Bestandsaufnahmen nicht haben, ist traurig. Wahrscheinlich haben die Herren alle studiert, oder wurden unterwegs durch Falschbeschuldigung ausgeschaltet.
Mutter von zwei Kindern ist eine Leistung. Vater von zwei Kindern ist der Papst auch.