Was haben wir im Roten Meer zu suchen? Aktuelle Geopolitik und nationale Interessen

Wem sind die Regierenden verpflichtet?


Die USA und Großbritannien drängen ihre europäischen Verbündeten, sich an der Militäroperation im Roten Meer zu beteiligen. General Laporta stellt die Frage, wessen Interessen das nützen soll.
Die USA und Großbritannien drängen ihre europäischen Verbündeten, sich an der Militäroperation im Roten Meer zu beteiligen. General Laporta stellt die Frage, wessen Interessen das nützen soll.

Wer sich zur Ablen­kung etwas mit ita­lie­ni­scher Innen­po­li­tik oder ins­ge­samt mit Geo­po­li­tik befas­sen will oder even­tu­ell nach Ana­lo­gien und Par­al­le­len zur Situa­ti­on im eige­nen Land suchen möch­te, dürf­te bei den stets pro­vo­kan­ten Ana­ly­sen von Gene­ral­ma­jor Pie­ro Lapor­ta fün­dig wer­den. Der Gene­ral rich­tet den Blick­win­kel auf die natio­na­len Inter­es­sen, ein Begriff, der in Deutsch­land inzwi­schen so unbe­kannt gewor­den ist, daß er ein Fremd­wort zu sein scheint. Dem ist in ande­ren Län­dern nicht so. Hier sein neue­ster Text:

Liebe Regierung, werdet Ihr wahnsinnig? Die Wähler verzeihen keine Dummheit

Anzei­ge

Gene­ral Pie­ro Laporta*

Das Wahl­volk ver­zeiht alles, nur nicht den Schwach­sinn. Die Regie­rung und das Land lei­den unter zwei Mini­stern in Schlüs­sel­po­si­tio­nen, bei­de sind gro­ße Wein­ken­ner. Vom natio­na­len Inter­es­se und poli­ti­scher Zweck­mä­ßig­keit ver­ste­hen sie aller­dings erwie­se­ner­ma­ßen weni­ger. Was haben wir im Roten Meer ver­lo­ren, an der Spit­ze einer Mis­si­on, deren Zie­le Licht­jah­re vom natio­na­len Inter­es­se ent­fernt sind?

Na gut, finan­zie­ren wir den Krieg in der Ukrai­ne aus gut­nach­bar­li­chen Bezie­hun­gen [mit der Ukrai­ne und mehr noch mit den USA]. Das soll­te uns aber nicht dazu zwin­gen, ihr ver­seuch­tes, mit Insek­ten bela­ste­tes Getrei­de zu impor­tie­ren. Es soll­te unse­re Land­wir­te nicht dazu zwin­gen, nicht mehr anzu­bau­en, unse­re Züch­ter, nicht mehr zu züch­ten und unse­re Pro­du­zen­ten, nicht mehr zu produzieren.

Die­ser Weg führt zum Kol­laps, und Ihr wer­det nicht von einem schmei­cheln­den Gene­ral geret­tet, der Bücher vol­ler Bana­li­tä­ten schreibt und noch mehr Ver­wir­rung in Euren ver­wirr­ten Köp­fen stif­tet. Indem Ihr ukrai­ni­schen Wei­zen mit Wür­mern und Tscher­no­byl-Rück­stän­den bevor­zugt, nehmt Ihr das EU-Dik­tat sogar vor­weg. Ihr schickt die NAS-Cara­bi­nie­ri (Gesund­heits­po­li­zei), wenn in Restau­rants Kaker­la­ken auf dem Boden lie­gen, wäh­rend alles in Ord­nung ist, wenn die Kaker­la­ken auf den Tel­lern ser­viert wer­den. Wie ver­rückt ist das, mei­ne Damen und Her­ren in der Regierung?

Nun gut, die Geheim­klau­seln des von Alci­de De Gas­pe­ri unter­zeich­ne­ten Frie­dens­ver­trags sehen vor, daß wir bis 2046 vor den USA stramm­ste­hen müs­sen; hun­dert Jah­re, so heißt es.

Wenn das wahr sein soll­te, müß­te De Gas­pe­ri eher ver­dammt als hei­lig­ge­spro­chen wer­den. Und das erklärt, war­um Pater Pio aus­ra­sten wür­de, wenn man ihn um Gebe­te für die Selig­spre­chung von Alci­de anruft.

Zurück zu uns. Es fin­det eine Neu­ver­tei­lung der Ein­fluß­sphä­ren statt, und wir befin­den uns in der US-Sphä­re. Wir sind also ein Pro­tek­to­rat des krie­ge­risch­sten Staa­tes der Welt, des­sen Prä­si­dent offi­zi­ell laut Justiz­mi­ni­ste­ri­um dement ist, aber den Atom­kof­fer in der Hand hat. Alles klar? Könn­ten wir also die stra­te­gi­sche Ein­schät­zung erfah­ren, war­um es von Vor­teil sein soll­te, den USA heu­te auf die Schlacht­fel­der zu folgen?

Pro­tek­to­rat? Wir soll­ten uns nicht zu sehr auf die Pro­tek­ti­on ver­las­sen. Kein ein­zi­ger „Pro­te­gier­ter“ ist gut geen­det. Wer das bezwei­felt, soll­te die Afgha­nen, die Ira­ker, die Kur­den… und bald auch die Bri­ten fra­gen. Wir selbst haben bis­her viel Ein­fluß­nah­me, aber wenig „Schutz“ erlebt. Sie haben zuge­las­sen, daß Aldo Moro von den Sowjets getö­tet wur­de und die Mario­net­ten der Roten Bri­ga­den (BR) als Ver­mitt­ler fun­gier­ten. Sie haben zuge­las­sen, daß auf Johan­nes Paul II. ein Atten­tat ver­übt wur­de, und es war nicht die CIA, die ihm das Leben geret­tet hat, son­dern ein Wun­der. Sie haben das Simu­lak­rum der gemä­ßig­ten ita­lie­ni­schen Füh­rungs­schicht, die aus dem Kal­ten Krieg her­vor­ge­gan­gen war, mit den Lügen des US-Kon­su­lats in Mai­land und vier Win­kel­ad­vo­ka­ten in ihren Dien­sten zerstört.

Sie haben uns zuerst den Bri­ten, dann dem deutsch-fran­zö­si­schen Kon­do­mi­ni­um unter­wor­fen. Wir waren auch ihr Viren­la­bor. Und jetzt sol­len wir ins Rote Meer aus­rücken. Warum?

Sie sagen: Der Han­dels­ver­kehr wird behin­dert, unse­re Häfen sind inak­tiv. Was für scharf­sin­ni­ge Beob­ach­tun­gen, Don­ner­wet­ter. Wird, aber, und das muß die eigent­li­che Fra­ge sein, die mili­tä­ri­sche Inter­ven­ti­on uns hel­fen oder unse­re Kri­se ver­schär­fen? Und schließ­lich, lie­be Lam­brusco-Stra­te­gen, wenn chi­ne­si­sche Indu­strie­er­zeug­nis­se teu­rer wer­den, weil die Trans­port­ko­sten stei­gen, ist das für unse­re Her­stel­ler doch von Vor­teil. Von wegen Mili­tär­ein­satz, schickt die Hil­fen den Huthis.

Die Waren wer­den frü­her oder spä­ter in den Häfen ankom­men. Noch bes­ser wäre es, wenn sie nicht ankom­men, son­dern Waren expor­tiert wer­den und so unse­re Zah­lungs­bi­lanz beleben.

Ita­li­en hat über Gibral­tar und Suez hin­aus kei­ne natio­na­len Inter­es­sen zu ver­tei­di­gen. Was ist ein natio­na­les Inter­es­se, lie­be Lam­brusco-Stra­te­gen? Es ist die Sum­me von drei Gewiß­hei­ten: ter­ri­to­ria­le Sicher­heit, wirt­schaft­li­che Sicher­heit, sozia­le Sicher­heit. Die­se drei Gewiß­hei­ten sind so an den Rand gedrängt, daß sie fast nicht mehr vor­han­den sind. Mit Eurem stra­te­gi­schen Den­ken wür­den wir zusam­men­bre­chen. Die drei Sicher­hei­ten – ich wie­der­ho­le: die ter­ri­to­ria­le, die wirt­schaft­li­che und die sozia­le – lau­fen für uns im Mit­tel­meer­raum zusam­men. Die Regie­rung muß sich damit befas­sen, denn es ist bereits sehr spät.

Nach der ange­kün­dig­ten, aber nie begon­ne­nen See­blocka­de gegen die ille­ga­le Ein­wan­de­rung sind wir zum Spiel­ball gewor­den. Ab dem Früh­jahr wer­den die Wel­len und die Tem­pe­ra­tu­ren die Über­fahr­ten wei­ter begün­sti­gen. Wir erle­ben eine Inva­si­on, mei­ne Damen und Her­ren in der Regie­rung, mit dem Segen eines Vati­kans, der der­zeit noch ver­blö­de­ter ist als wir selbst. Wir soll­ten uns davor hüten, ihm die­se Vor­rang­stel­lung abja­gen zu wol­len. Weder die NATO noch die EU noch der Vati­kan haben uns gehol­fen. Sie haben kei­nen Fin­ger gerührt, son­dern nur gere­det und Segens­wün­sche für unse­re gefähr­de­te Sicher­heit geschickt. Im Gegen­teil, die soge­nann­ten Ver­bün­de­ten haben die NGOs des moder­nen Men­schen­han­dels, der neu­en Skla­ven, finan­ziert, wäh­rend unse­re Städ­te in die Hän­de des Abschaums jener Län­der fällt, die froh sind, ihn loszuwerden.

Was ist die Stra­te­gie jen­seits der Dumm­heit, wenn Schif­fe gegen die Hut­his geschickt wer­den in einer Mis­si­on, die nur für die Bri­ten gut ist – um sie end­gül­tig ins Ver­der­ben zu stür­zen? Wenn die Welt ver­rückt wird, dür­fen wir nicht auch ver­rückt wer­den und die­sen oder jenen unse­rer ver­meint­li­chen Freun­de hei­lig­spre­chen. Ita­li­en hat der­zeit auf den Ent­schei­dungs­ebe­nen kei­ne Freun­de, son­dern nur gie­ri­ge Weg­ge­fähr­ten, die uns alles weg­neh­men wol­len. Des­sen soll­ten wir uns bewußt sein und ent­spre­chend handeln.

Die ein­zig mög­li­che Stra­te­gie wäre es also, den Krieg zwi­schen den Gro­ßen zu schü­ren, damit die Stell­ver­tre­ter­krie­ge auf­hö­ren und sie sich gegen­sei­tig bei­ßen und ein­an­der so viel Scha­den wie mög­lich zufü­gen. Das wäre die ein­zi­ge Mög­lich­keit, sich aus dem Abgrund zu erhe­ben, in den wir uns haben ver­sen­ken las­sen durch unse­re Poli­ti­ker, die sich an unse­re Ver­bün­de­ten und Freun­de verkaufen.

Müs­sen wir die schänd­li­chen Taten von Car­lo Aze­glio Ciam­pi & Co.1 wie­der­ho­len oder müs­sen wir gedul­dig und ohne Zögern ver­su­chen, Boden gut­zu­ma­chen? Las­sen wir jene, die der Fla­sche erge­ben sind, also wie­der ihrer Lieb­lings­be­schäf­ti­gung nach­ge­hen, Haupt­sa­che, sie hal­ten sich von der Regie­rung fern.

Was die Bau­ern zei­gen – die bis­her sehr kor­rekt, fair und gemä­ßigt auf­tre­ten – soll­te deut­lich machen, daß Ita­li­en sich nicht mit der Leich­tig­keit, Träg­heit und Idio­tie der Grie­chen aus­plün­dern las­sen wird.

Ande­rer­seits besteht die Oppo­si­ti­on, die der­zeit aus­nahms­los links von der Regie­rung steht, ein­zig aus Dumm­köp­fen, wenn nicht gar aus Kri­mi­nel­len. Wenn ein alter Kom­mu­nist, der so bekannt ist wie Mas­si­mo D’Ale­ma, die jun­gen Leu­te der Links­de­mo­kra­ten (PD) auf­for­dert, gegen die Regie­rung zu rebel­lie­ren, muß man dann noch mehr sagen? In den Jahr­zehn­ten, als sie die Macht inne­hat­ten, haben die Links­de­mo­kra­ten und ihre Väter ihren Her­ren – der Sowjet­uni­on, Frank­reich, Groß­bri­tan­ni­en, auch der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land und natür­lich den USA – einen Ever­est an Gel­dern über­wie­sen, die mit Steu­ern dem Volk abge­preßt wur­den, um ihre gie­ri­gen und hung­ri­gen Epi­go­nen bis zum heu­ti­gen Tag zu berei­chern. Zu die­sen haben sich noch die Hyä­nen von Davos gesellt.

Gute Poli­tik ist vor allem, den rea­len Bedürf­nis­sen Rech­nung zu tra­gen. Man kann die Not der Bau­ern nicht erst dann erken­nen, wenn man sie gezwun­gen hat, wie gewöhn­li­che Lohn­emp­fän­ger her­um­zu­lau­fen, anstatt das Land zu bewirt­schaf­ten. Das sind Unter­neh­mer. Wird Euch das klar? Von wegen Marsch der 40.000, der von FIAT mani­pu­liert wur­de.2

In die­se Situa­ti­on sind wir durch die Poli­tik der EU und der NATO, neu­er­dings auch des Vati­kans, und durch die rück­sichts­lo­se Poli­tik der Regie­run­gen, den ver­gan­ge­nen und der gegen­wär­ti­gen, gebracht wor­den. Eine ver­schwen­de­ri­sche und unhalt­ba­re Poli­tik. Von wegen angeb­li­che Kli­ma­kri­se. Es geht um eine Glaub­wür­dig­keits­kri­se der poli­ti­schen Insti­tu­tio­nen, von der unter­sten bis zur ober­sten, das ist deut­lich sicht­bar. Wir reden von Dumm­köp­fen, wenn nicht sogar Kriminellen.

Trotz allem ist es ganz klar, daß der Vati­kan, die EU und die NATO Ita­li­en mehr brau­chen als wir sie. Die Regie­rung soll­te sich auf­rich­ten, denn die Zeit läuft ab, und auf die­sem Abhang wird die ein­zi­ge Alter­na­ti­ve hef­tig. In die­sem bekla­gens­wer­ten Fall liegt die Ver­ant­wor­tung allein bei denen, die heu­te regie­ren, und denen, die bis gestern regiert haben, Vor- und Zuna­men sind wohlbekannt.

Nie­mand wage es, die Ver­ant­wor­tung dem Volk zuzu­schie­ben, das kei­ne Kaker­la­ken auf dem Tel­ler haben will, das kei­nen Krieg im eige­nen Land will, das sich nicht von der Ban­de des Kar­di­nals Zup­pi aus­quet­schen las­sen will, das kei­ne Träg­heit der Regie­rung ange­sichts der Pro­ble­me will, die von NATO, EU und Vati­kan geschaf­fen wur­den, und das kei­nen Schwach­sinn an der Regie­rung und in der Oppo­si­ti­on will.

Chri­stus siegt und wir müs­sen aufwachen.

*Pie­ro Lapor­ta, Gene­ral­ma­jor (Divi­si­ons­ge­ne­ral) der Reser­ve, lei­te­te zuletzt im akti­ven Dienst das Amt für Wehr­po­li­tik des ita­lie­ni­schen Gene­ral­stabs, Katho­lik, ver­hei­ra­tet und Vater von zwei Kindern.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Wiki­com­mons


1 Car­lo Aze­glio Ciam­pi (1920–2016), stu­dier­ter Alt­phi­lo­lo­ge, schloß sich bei Kriegs­en­de dem kurz­le­bi­gen sozia­li­sti­schen Par­ti­to d’A­zio­ne an, ab 1947 par­tei­los mit Nähe zum sozia­li­sti­schen Spek­trum, stu­dier­te Rechts­wis­sen­schaf­ten und trat 1946 in die ita­lie­ni­sche Zen­tral­bank ein; bis 1980 war er Mit­glied der kom­mu­ni­sti­schen Gewerk­schaft CGIL; ab 1960 gehör­te er der Gene­ral­di­rek­ti­on der Zen­tral­bank an, 1973 wur­de er Gene­ral­se­kre­tär, 1976 stv. Gene­ral­di­rek­tor, 1978 Gene­ral­di­rek­tor und ab 1979 Gou­ver­neur der ita­lie­ni­schen Zen­tral­bank; 1993/​94 war er ita­lie­ni­scher Mini­ster­prä­si­dent, 1996–1999 Schatz­mi­ni­ster, als sol­cher führ­te er Ita­li­en in das Euro­päi­sche Wäh­rungs­sy­stem und in die EU-Ver­trä­ge von Maas­tricht und Amster­dam, spä­ter auch Niz­za und Lis­sa­bon, da er 1999–2006 Staats­prä­si­dent und ab 2006 Sena­tor auf Lebens­zeit war.

2 Anspie­lung auf eine gegen die Gewerk­schaf­ten gerich­te­te Kund­ge­bung im Jahr 1980. Sie steht als Syn­onym für eine von oben gelenk­te Kundgebung.

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