Folgende Überlegungen zur Datierung des Buches der Offenbarung des Johannes wurden von Marco Tosatti veröffentlicht, der allerdings nicht preisgibt, wer ihr Autor ist. Aus diesem Grund kann der sehr lesenswerte Text nur anonym erscheinen. Zum Vergleich, der Neutestamentler Klaus Berger datierte die Johannesbriefe auf die Zeit von 50 bis 55 n. Chr. und das Johannesevangelium und die Geheime Offenbarung auf die Zeit 68/69 n. Chr und damit auch vor die Zerstörung des Tempels in Jerusalem.
Es gibt viele Gründe, an der Spätdatierung zu zweifeln, die besagt, daß die Offenbarung des Evangelisten Johannes zur Zeit des Kaisers Domitian (der von 81 bis 96 n. Chr. regierte) geschrieben wurde.
Diese Hypothese stützt sich fast ausschließlich auf einen Satz des heiligen Irenäus in seiner Schrift Adversus haereses („Gegen die Irrlehren“, V,30,3) aus der Zeit um 180 n. Chr.
Auf der Grundlage der zahlreichen verfügbaren Informationen scheint eine wesentlich frühere Datierung logischer und glaubwürdiger.
Johannes berichtet, daß er die Offenbarung auf der Insel Patmos unweit von Ephesus (ca. 50 km Luftlinie) erhielt.
Der Apostel und Evangelist Johannes lebte mit Maria in der Nähe von Ephesus bis zum Tod und der Himmelfahrt der Gottesmutter.
Während er die Apokalypse schrieb, war er nach eigenen Angaben auf der Insel Patmos gefangen. Wer hatte ihn dort gefangengehalten? Wahrscheinlich die Römer, die Propheten und ihre Prophezeiungen mit magischen Praktiken in Verbindung brachten, die dem Gemeinwohl zuwiderliefen, insbesondere, wenn sie politische Auswirkungen hatten.
Die kleinen Inseln der Sporaden waren ideal, um dort potentielle Unruhestifter zu isolieren (wie Plinius in seiner Historia 4.69f und Tacitus in den Annalen 4.30 schreibt). Patmos hatte eine historisch belegte Funktion als römisches Gefängnis.
In den drei Jahren, die Paulus in Ephesus verbrachte (53–55 n. Chr.), wird kein direkter Kontakt mit Johannes erwähnt, was schwer vorstellbar scheint, falls Johannes zu dieser Zeit auch in der Gegend gewesen wäre. Daher ist es denkbar, daß er zu dieser Zeit auf Patmos eingesperrt gewesen sein könnte.
Paulus hatte in jenen Jahren mehr als ein Gerichtsverfahren gegen sich erlebt, als er zum ersten Mal vor Senecas Bruder Junius Gallius Annaneus (Gallio in Apg 18,12) erschien, dem Vertreter des römischen Reiches in Achaia vom 1. Juli 51 bis 30. Juni 52 n. Chr. (die Amtszeit ist gesichert, wie aus Inschriften in Delphi hervorgeht, die 1908 entdeckt wurden und sich auf die Regierungszeit von Claudius beziehen). Das ist eineinhalb Jahre nach seiner Ankunft in Korinth am Ende einer Reihe von Etappen, die mindestens weitere 6 Monate gedauert hatten. Etwa ein halbes Jahr später wurde er in Cäsarea inhaftiert (für zwei Jahre), bevor er nach Rom geschickt wurde, um seine Position als römischer Bürger vor dem Kaiser zu vertreten, und dort weitere Jahre im Hausarrest verbrachte. Diese Angaben machen relativ genaue Datierungen möglich.
Die Verfolgung der Christen, die vor allem von den Synagogen angezettelt wurde, war also schon lange im Gange, bevor sie am Ende der Regierungszeit Neros und später unter Domitian in weitaus schwereren Angriffen gipfelte.
Zunächst hatten die Christen, die sowohl nach ihrer Herkunft als auch ihren alttestamentlichen Glaubenswurzeln von den Juden abstammten, ihre ersten Auseinandersetzungen gerade mit den Juden und nicht mit den Römern. Die römischen Richter, an die sich die Juden wandten, um ihre Konkurrenten loszuwerden, waren nicht sonderlich an theologischen Streitigkeiten interessiert, deren Wesen und Feinheiten sie nicht verstanden. In dieser Situation konnten sich die Christen, wenn auch halb im Verborgenen, im ganzen Reich ausbreiten. Wie es zuvor und parallel auch die Juden taten.
Die ersten direkten Ärgernisse für den Kaiser – auch in der Hauptstadt, aufgrund von Streitigkeiten zwischen Juden und Christen, von denen in der Apostelgeschichte und im Galaterbrief berichtet wird – veranlaßten Claudius im Jahr 50 n. Chr. zu einem Dekret, das die Ausweisung der Juden aus Rom anordnete.
Trotzdem verschlimmerte sich die Lage für die Christen, bis nach dem Brand Roms im Jahr 64 n. Chr., für den die Christen verantwortlich gemacht wurden, eine grausame Verfolgung einsetzte, die auch zum Martyrium der Apostel Petrus und Paulus führte. Tacitus beschreibt die Folterungen, denen die Christen durch Nero ausgesetzt waren. Trotz ihrer angeblichen Schuld erweckten die Christen jedoch Mitleid, da sie nicht für das öffentliche Wohl, sondern wegen der Grausamkeit eines einzelnen bestraft wurden (Annales).
Sueton bestätigt, daß Nero die Christen foltern läßt und sie als „neue und böse Abergläubische“ bezeichnet, ohne die Maßnahme jedoch konkret mit dem Brand von Rom in Verbindung zu bringen.
Später, während der Herrschaft Domitians (81–96 n. Chr.), wurden die Christen des Atheismus und der „Übernahme jüdischer Bräuche“ beschuldigt, was zunehmend auch wichtige römische Persönlichkeiten auf den Plan rief.
Der heilige Irenäus und sein Zitat
Der heilige Irenäus war ein Schüler des heiligen Polykarp, der den Apostel Johannes noch persönlich kannte.
Das für die Datierung der Apokalypse um 95 n. Chr. entscheidende Zitat findet sich in seinem berühmten Werk „Gegen die Irrlehren“. Es ist in bezug auf den Antichristen geschrieben und lautet: „Wenn wir in der heutigen Zeit den Namen des Antichristen öffentlich verkünden müßten, hätte er [der Apostel Johannes], der auch die Apokalypse gesehen hat, es gesagt. Denn er wurde nicht vor langer Zeit gesehen, sondern fast in unserer Generation, am Ende der Macht des Domitian“ (Adv. Hae. V, 30,3).
Anmerkung: Nero wurde Lucius Domitius genannt, was eine mögliche Zweideutigkeit hinzufügt, wenn man bedenkt, daß der heilige Irenäus in einer Zeit lebte und schrieb, die vom Glaubensabfall geprägt war, und er Informationen von anderen wiedergab. Er könnte, ob bewußt oder nicht, Nero gemeint haben.
Sein Satz allein bietet also keine Sicherheit für die Datierung, zumal er den Antichristen zum Thema hat und nicht die Offenbarung: In der Bibel kommt der Begriff „Antichrist“ nur in zwei der drei Briefe des Johannes vor, nicht aber in der Geheimen Offenbarung. Der heilige Irenäus sagt lediglich, daß Johannes noch lebte, als sich das, was in Offenbarung 13,8 beschrieben wird, zu manifestieren schien:
„Alle Bewohner der Erde fallen nieder vor ihm: alle, deren Name nicht seit der Erschaffung der Welt eingetragen ist ins Lebensbuch des Lammes, das geschlachtet wurde“.
Es ist das Tier, das angebetet wird, aber das bedeutet nicht, daß sich die Vision/Offenbarung auf jene Zeit bezieht. Es war Eusebius im 4. Jahrhundert, der diese Schlußfolgerung in einer Passage (HE III, 18.3) mit einer zweideutigen Interpretation des Satzes von Irenäus zog, deren Übersetzung zu der Hypothese geführt hat, daß nicht Johannes am Ende der Herrschaft Domitians gesehen wurde (was wahr ist), sondern seine Offenbarung/Apokalypse (was weit hergeholt ist). Der Zweifel ist daher groß.
Nachdem wir festgestellt haben, daß wir durch den heiligen Irenäus keine „Gewißheiten“ haben, wird es interessant, viele andere Kriterien innerhalb des Textes zu bewerten, die zu seiner Datierung beitragen können, auch in Anbetracht der Tatsache, daß einige Historiker nicht damit einverstanden sind, daß es zur Zeit Domitians antichristliche Verfolgungen gab, die mit denen von Nero vergleichbar waren.
Die Kirchen Asiens ohne Erwähnung des katastrophalen Erdbebens
Zu den sieben Städten, an deren Gemeinden die Geheime Offenbarung gerichtet ist, gehört auch Laodizea.
Laut Tacitus (Annales) ereignete sich das verheerende Erdbeben, das die Stadt dem Erdboden gleichmachte, im siebten Jahr der Herrschaft Neros (60/61 n. Chr.).
Paulus kam Anfang 59 n. Chr. in Rom an und hatte ausreichend Zeit, um einige Briefe vor dem Erdbeben zu schreiben. Im Kolosserbrief wird auch ausdrücklich auf die beiden Städte verwiesen, die später zur gleichen Zeit zerstört werden sollten (Laodizea und Hierapolis). Paulus schreibt eine großartige Katechese an die Kolosser, ohne jedoch das sehr starke Erdbeben zu erwähnen, das ihre Stadt heimsuchte. Auch im Brief an die Epheser, der ebenfalls aus der Zeit seiner Gefangenschaft in Rom stammt, wird Laodizea erwähnt, aber nicht die Naturkatastrophe.
Dieser Hinweis läßt auch die Hypothese zu, daß die Offenbarung viel früher verfaßt wurde als gewöhnlich angenommen (also vor dem Jahr 60) und sich auf Laodizea bezieht, ohne das Erdbeben zu erwähnen, das die Stadt verwüstet hat.
Die Sekte der Nikolaiten
Die Sekte der Nikolaiten wurde aus Ephesus vertrieben und war in den übrigen Städten der Gegend aktiv. Sie wird in Verbindung mit zwei anderen der sieben Gemeinden der Offenbarung erwähnt: Pergamon und Thyatira. Ihre Anhänger aßen Götzenopfer und widersprachen damit den elementarsten Anforderungen für Christen, und sie waren der Unzucht und der Hemmungslosigkeit zugetan, womit sie gegen Apostelgeschichte 15,29 verstießen („Götzenopferfleisch, Blut, Ersticktes und Unzucht zu meiden“).
Es wird auf einen Baal-Kult Bezug genommen. Das Problem ist, daß es sich um Gnostiker handelte (selbsternannte Kenner der tieferen Geheimnisse), die ihre eigene Lehre verbreiteten (sie hatten ihre eigenen Apostel, Propheten und Prophetinnen), die im Gegensatz zur Verkündigung des Evangeliums stand und einen Mysterienkult für Satan darstellte, der in seiner Göttlichkeit mit dem von Christus geoffenbarten Gott gleichgesetzt wurde. Das sind die „falschen Ärzte“, die in anderen katholischen Briefen erwähnt werden, die logischerweise der gleichen Zeit und Gegend zuzuordnen sind.
Das brennende, fast quälende Thema jener Zeit
Die Frage nach der Wiederkehr des Herrn taucht auch in den Johannesbriefen auf und ist ein frühes Zögern des christlichen Glaubens, gerade weil Jesus, der bereits sehnlichst erwartet wird, noch immer nicht zurückkehrt und der (leere) Tempel in Jerusalem inzwischen eine nie dagewesene äußere Pracht erreicht hat (das Werk wird im Jahr 64 n. Chr., dem Jahr des Brandes von Rom, vollendet), während gnostische Sekten und Schwärme von falschen Propheten wuchern.
Die Anprangerung der Bedrohung durch die „falschen Ärzte“ ist fast allgegenwärtig: kennzeichnet fast alle katholischen Briefe, die in wenigen Jahren zwischen 55 und 61 n. Chr. geschrieben wurden.
Auch die Briefe an die sieben Gemeinden der Geheimen Offenbarung behandeln das Thema der falschen Propheten, ebenso wie die anderen Briefe verschiedener Autoren, darunter die ersten beiden Johannesbriefe, die davor warnen, sich von Antichristen verführen zu lassen. Diese Dringlichkeit ist auch das Hauptanliegen des Zweiten Petrusbriefes und des Judasbriefes, die einander sehr ähnlich sind; sie zeichnet auch den Zweiten Timotheusbrief aus, der geschrieben wurde, als Paulus noch verhaftet war und nur Lukas bei ihm war.
Der Brief des Judas, des Bruders von Jakobus dem Jüngeren, erwähnt nicht den Tod des sogenannten „Herrenbruders“, und auch die beiden Petrusbriefe erwähnen nicht das Martyrium seines Bruders Andreas: ein Hinweis darauf, daß sie zum Zeitpunkt der Abfassung noch am Leben gewesen sein müssen, auch wenn sie das Herannahen eines Wendepunkts wahrnahmen, der in Kürze viele der Apostel umbringen würde.
Der Erste Petrusbrief mit seinen starken Assoziationen zu den Briefen an die Kolosser und Epheser deutet aufgrund der darin behandelten Themen auf die Zeitgenossenschaft hin.
Wir finden in der Apostelgeschichte (deren Bericht Ende 60 n. Chr. endet), keine Spur vom Martyrium des Jakobus des Jüngeren, ebenso wenig im Hebräerbrief, der – wenn er später entstanden wäre – das Martyrium sicher behandelt hätte. Jakobus der Jüngere wurde in Jerusalem zwischen dem Passahfest und Pfingsten 62 n. Chr. hingerichtet.
Der Tempel von Jerusalem
In der Geheimen Offenbarung ist viel von Jerusalem und dem Tempel die Rede, ohne daß die Zerstörung des Tempels erwähnt wird. Wenn der Tempel in Jerusalem bereits zerstört gewesen wäre, wäre das ein wichtiges Argument gewesen, aber stattdessen … nichts!
Johannes bestätigt vielmehr, daß der Tempel in Jerusalem noch steht (Offb 11,1–2) …
„Dann wurde mir ein Meßstab gegeben, der aussah wie ein Stock, und mir wurde gesagt: Geh, miß den Tempel Gottes und den Altar und zähle alle, die dort anbeten! Den Hof, der außerhalb des Tempels liegt, laß aus und miß ihn nicht; denn er ist den Heiden überlassen. Sie werden die heilige Stadt zertreten, zweiundvierzig Monate lang“.
Die Offenbarung, die Johannes gegeben wurde, bezieht sich auf Ereignisse, die schon bald eintreten sollten (Offb 1,1). Im Jahr 64 nimmt Gessius Florus in Jerusalem den Platz von Albinus ein. Auch die Arbeiten am Tempel, die Herodes der Große 17 v. Chr. begonnen hatte, werden beendet. In der Zwischenzeit, im Sommer 64, brennt Rom.
Josephus Flavius berichtet, daß die Menschen zu dieser Zeit von Scharlatanen und falschen Propheten, die sich als Boten Gottes ausgaben, desillusioniert waren (ist dies eine Anspielung auf jene, die die Zerstörung des Tempels erwarteten oder damit drohten und ihn stattdessen prächtiger denn je vorfanden?)
Vier Jahre vor Beginn des jüdischen Aufstandes (der im Herbst 66 n. Chr. begann), als Jerusalem Anfang Oktober 62 n. Chr. in einer Atmosphäre von Frieden und Wohlstand das Laubhüttenfest feierte, stand ein gewisser Jesus, Sohn des Hananias, ein einfacher Bauer, im Tempel und begann zu rufen: „Eine Stimme aus den vier Winden, gegen Jerusalem und gegen das Heiligtum, gegen den Bräutigam und die Braut, gegen das ganze Volk“. Dieser Mann schrie diese Worte auf den Plätzen und durch die Gassen, Tag und Nacht.
Da die Menschen sich durch seine Insistenz gestört fühlten, wurde er verhaftet und gezüchtigt, aber er ließ sich nicht beirren. Unter den Richtern gab es einige, die in ihm einen übernatürlichen Antrieb vermuteten und ihn vor den römischen Statthalter schickten. Doch obwohl er gegeißelt wurde, bat er nicht um Verzeihung und vergoß keine Träne, sondern wiederholte bei jedem Schlag, der ihm zugefügt wurde: „Wehe Jerusalem“.
Als Albinus, der Prokurator, ihn fragte, wer er sei, woher er käme und warum er auf solchen Worten bestehe, erhielt er keine Antwort, sondern nur weitere Schreie, sodaß Albinus ihn für verrückt hielt und freiließ. In der ganzen Zeit, die bis zum Ausbruch des Krieges verging, wiederholte dieser Jesus, Sohn des Hananias, immer wieder wie eine Litanei: „Wehe Jerusalem!“, ohne jene zu verfluchen, die ihn schlugen, und ohne jene zu segnen, die ihm zu essen gaben. Und während der Feste schrie er noch lauter. Er machte siebeneinhalb Jahre lang unermüdlich so weiter, bis er während der Belagerung der Stadt durch die Römer, die seine Warnung bestätigte, (im März 70) durch einen von einer Wurfmaschine geschleuderten Stein getötet wurde.
Beeindruckend sind auch die von Josephus Flavius (Jüdischer Krieg, Buch V, Kapitel V) beschriebenen Details der seltsamen Zeichen, die im Jahr 66 n. Chr. auftraten:
1. Ein Sternbild in Form eines Schwertes (oder eines Kreuzes) war ein Jahr lang über Jerusalem zu sehen, zusammen mit einem Kometen (der Halleysche Komet passierte die Stadt im Januar 66 n. Chr.). Das erinnerte viele an das, was Jesus in Matthäus 24,30–31 sagte:
„Danach wird das Zeichen des Menschensohnes am Himmel erscheinen; dann werden alle Völker der Erde jammern und klagen und sie werden den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf den Wolken des Himmels kommen sehen. Er wird seine Engel unter lautem Posaunenschall aussenden und sie werden die von ihm Auserwählten aus allen vier Windrichtungen zusammenführen, von einem Ende des Himmels bis zum andern.“ Aber auch in der Geheimen Offenbarung…
2. Zur Zeit des Festes der ungesäuerten Brote (im Jahr 66, Ende März), am 8. Tag des Nisan, ging gegen drei Uhr morgens ein helles Licht vom Altar im Tempel aus, sodaß es schien, als wäre es heller Tag. Das dauerte eine halbe Stunde lang.
3. Eine Kuh, die jemand als Opfer gebracht hatte, gebar kurz vor ihrer Tötung im Vorhof des Tempels ein Lamm.
4. Die Tür an der Ostseite des Innenhofs des Tempels, die so massiv war, daß zwanzig Männer nötig waren, um sie abends zu schließen (sie war mit schweren Metallstangen verriegelt und wurde von einem großen Steinblock gehalten), öffnete sich um Mitternacht von selbst. Die Wächter eilten herbei, um ihren Befehlshaber zu informieren, und gemeinsam gelang es ihnen nur mit Mühe, das Tor wieder zu schließen.
5. Nicht viele Tage nach dem Fest des 21. Liyar (Mai 66 n. Chr.), wurde kurz vor Sonnenuntergang ein Phänomen von vielen ungläubig staunenden Zeugen in ganz Judäa gesehen: am Himmel fliegende Streitwagen und aus den Wolken fallende bewaffnete Bataillone.
6. Während des Pfingstfestes (Mai 66 n. Chr.) berichteten die 24 Priester, die in der Nacht den Tempelhof betraten, daß sie ein lautes Geräusch und dann einen Chor hörten, der wie ein Heer klang und sagte: „Wir gehen von hier fort“.
Das ist genau 33 Jahre nach dem Tag, an dem die Apostel den Heiligen Geist empfangen und mit der Verkündigung des Evangeliums begonnen hatten. Der jüdische Krieg begann im Jahr 66 n. Chr. und endete im Jahr 70 n. Chr. mit der Zerstörung des Tempels.
Es wäre in der Tat seltsam, daß dies nicht erwähnt würde, wenn die Geheime Offenbarung erst nach diesem Ereignis verfaßt worden wäre (Offb 11,8), da es nicht nur die Geheime Offenbarung, sondern die Gesamtheit aller Schriften des Neuen Testaments betrifft, die offensichtlich alle vor 70 n. Chr. entstanden sind.
Natürlich ändert sich bei der Datierung und dem Verständnis der Geheimen Offenbarung alles, ob sie vor oder nach 70 n. Chr. geschrieben wurde.
Weitere Besonderheiten des Textes der Geheimen Offenbarung
Die apostolischen Schriften, die zwischen 47 und 63 n. Chr. erschienen sind, stimmen in bestimmten Details überein, die offensichtlich thematisch und historisch, geographisch und kulturell bedeutsam sind, wie z. B. das zweischneidige Schwert (Offenbarung 1,16–2,12 und 19,15 und Hebräer 4,12), das auch in Epheser 6,17 mit Anklängen an Jesaja 49,2 vorkommt.
Häufig wird das Symbol des Lammes verwendet, offensichtlich in Verbindung mit seinem Erlösungsopfer. In der Geheimen Offenbarung kommt das Wort 36 Mal vor, verteilt auf fast alle Kapitel; im übrigen Neuen Testament erscheint es viermal, davon zweimal im Johannesevangelium. Das Lamm ist das Hostienopfer (also ein eucharistischer Bezug), es ist eßbar (verweist auf das „Passahmahl“ Jesu mit den Jüngern), es ist sanftmütig in der Opferung und verweist auf die erste Verkündigung (Philippus und der Kämmerer, vgl. Jesaja).
In der Geheimen Offenbarung lesen wir sieben Seligpreisungen, die sich auf den Empfang des Textes beziehen (z. B. die Gäste beim Hochzeitsmahl des Lammes).
In den apostolischen Schriften der damaligen Zeit werden häufig Engel erwähnt: im Hebräerbrief, im 1. Petrusbrief (3,22 und 4,7), im Epheserbrief (Kapitel 1, 2, 3 und 6) und im Kolosserbrief. In der Offenbarung sind die Engel sehr präsent: Das Wort Engel (im Singular und Plural) kommt etwa siebzigmal vor, was sehr viel ist, wenn man bedenkt, daß es in der ganzen Bibel etwa 320 Nennungen gibt.
Außerdem wird Jesus als Alpha und Omega (typisch für die Offenbarung), der Anfang (typisch johanneisch, Prolog des vierten Evangeliums) und das Ende, der Erste und der Letzte, der, der war, der ist und der kommt, der Lebendige (ein Ausdruck, der auch im Hebräerbrief häufig vorkommt) bezeichnet. Bemerkenswert sind auch die Darstellungen der Sense, des Feuer- und Schwefelbeckens, des Drachens, der Krone des Lebens, des Morgensterns (zweiter Petrusbrief) und des Baums des Lebens, mit einem starken Bezug zur Genesis, für eine stark marianisches Bild, das nach der Vertreibung aus dem Garten Eden dem Schutz der Cherubim anvertraut und als Schoß für das fleischgewordene Wort verheißen wurde.
Die Jahre der Abfassung des Neuen Testaments
Es ist üblich zu sagen, daß die Offenbarung das letzte Buch des Neuen Testaments ist, aber das ist vielleicht nicht so, da einige Anklänge in anderen Schriften des Neuen Testaments zu finden sind. Bevor wir uns mit dieser Hypothese befassen, ist es sinnvoll, einen kurzen Blick auf den Zeitpunkt der Abfassung der Evangelien zu werfen, und zwar anhand von Hinweisen aus den Paulusbriefen.
Paulus schreibt 55 n. Chr. aus Ephesus an die Korinther und fordert sie auf, sich vor Schismen und Häresien zu hüten: Obwohl seit der österlichen Auferstehung nur etwa zwanzig Jahre vergangen waren, gab es bereits Probleme, und zwar große. Die Kirche hatte bereits das erste Konzil (49 n. Chr.) einberufen müssen, um einige sehr strittige Fragen zu klären.
Der Evangelist Lukas war von etwa 50 bis 60 n. Chr. der Reisebegleiter des Paulus. Ab Kapitel 16 der Apostelgeschichte (50 n. Chr., da Paulus 51 n. Chr. in Korinth war, dem sicheren Datum für die Erwähnung des Prokonsuls Gallius) schreibt Lukas im Text in der ersten Person über sich selbst: nicht mehr als Historiker, sondern als Chronist. Bis 49 n. Chr. beschrieb er die Ereignisse stattdessen in der dritten Person. Auf jeden Fall ist es sicher, daß in den 50er Jahren das Evangelium des Lukas bereits in Umlauf war: Die gute Nachricht wurde niedergeschrieben, und wir finden Spuren davon bereits im Zweiten Brief an die Korinther (8,16–18):
„Mit ihm haben wir auch unseren Bruder gesandt, der in allen Gemeinden wegen des Evangeliums Ansehen genießt“.
Der Zweite Brief an die Korinther wurde kurz nach den Unruhen in Ephesus geschrieben.
Wenn Lukas im Jahr 55 n. Chr. bereits als Verfasser des Evangeliums bekannt ist, ist anzunehmen, daß seine Schrift schon seit einigen Jahren im Umlauf war. Denn Lukas bezeugt auch, daß er nicht der erste war, der ein Evangelium geschrieben hat. Sein Evangelium ist reich an Informationen, die nur Maria kennen konnte, und wir wissen, daß Maria bis zu ihrer Aufnahme in den Himmel (die aufgrund der Visionen von Schwester Anna Katharina Emmerick auf das Jahr 47 n. Chr. datiert werden kann) lange Zeit zusammen mit Johannes lebte.
Das Matthäus- und das Markusevangelium sind früher entstanden, während das vierte Evangelium interessanterweise in seinem berühmten Prolog die gnostischen Strömungen, d. h. die Denkschulen wie die Nikolaiten und Ebioniten, zurückweisen soll, Sekten, die bereits in Jerusalem aktiv waren, in einer Zeit, in der es von Visionären und selbsternannten Messiassen nur so wimmelte und in die auch Paulus verwickelt war, als er zu Pfingsten 56 n. Chr. in die Stadt kam.
Im Brief an die Kolosser (59 n. Chr.) findet sich ein Hymnus, der an den Prolog des Johannesevangeliums erinnert (Kol 1,13–20 und 2,9–11).
Es scheint, daß Paulus ihn kannte, als er den aus dem Gefängnis geschriebenen Brief nach Rom schickte. Außerdem wird im Johannesevangelium von dem Teich am Schafstor im Präsens gesprochen (Jerusalem war eben noch nicht zerstört). Diese Details belegen, daß das Johannesevangelium spätestens um 60 n. Chr. geschrieben wurde und die synoptischen Evangelien bereits vorhanden waren.
Wenn man das Lukas- und das Johannesevangelium synoptisch betrachtet, wie in der folgenden Tabelle vorgeschlagen, kann man eine unbestreitbare Komplementarität zwischen den beiden Texten feststellen.
Im Jahr 58 beschloß Nero, der das Chaos und die Unfähigkeit von Marcus Antonius Felix als Prokurator von Judäa satt hatte, ihn durch Porcius Festus zu ersetzen, der sich sofort nach seiner Ankunft für den Fall des Paulus interessierte und diesen nach Rom schickte. Es gibt Münzen, die von Festus geprägt wurden und auf das fünfte Regierungsjahr Neros (58/59) datiert sind: Römische Prokuratoren traten ihr Amt im allgemeinen im späten Frühjahr an, wenn das Wetter für Seefahrten günstiger war.
Der Widerhall der Apokalypse in anderen Schriften des Neuen Testaments
Alle gesammelten Hinweise deuten darauf hin, daß die Geheime Offenbarung ein sehr aktueller Text für die Zeit zwischen 50 und 60 n. Chr. ist, und wir können sie neu lesen, ohne davon auszugehen, daß es sich um eine Schrift aus der Zeit um 90 n. Chr. handelt.
Die angekündigten Verfolgungen waren zum Teil bereits im Gange, zum Teil standen sie unmittelbar bevor.
Paulus verließ Ephesus und ging nach Mazedonien, wo er drei Monate lang blieb. Er überwintert in Griechenland und kehrt im Jahr 56 n. Chr. (Apg. 20,3) über Mazedonien zurück. Im Frühjahr sticht er von Philippi aus in See (Apg. 20,6), um rechtzeitig zum Pfingstfest des Jahres 56 in Jerusalem zu sein, und kommt dabei an Milet vorbei, wo er seine berühmte Rede hält.
Ephesus könnte logischerweise zusammen mit Milet eine der ersten Städte gewesen sein, die der Text der Offenbarung/Apokalypse erreichte, den Johannes auf Patmos empfangen hatte. Nun, im Ersten Brief an die Korinther, der Ende 55 n. Chr. von Ephesus aus geschrieben wurde, lesen wir (15,51–52):
„Seht, ich enthülle euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, aber wir werden alle verwandelt werden – Siehe, ich verkünde euch ein Geheimnis: Wir werden zwar nicht alle sterben, aber wir werden alle verwandelt werden, plötzlich, in einem Augenblick, beim letzten Posaunenschall. Die Posaune wird erschallen, die Toten werden zur Unvergänglichkeit auferweckt, wir aber werden verwandelt werden.“
Sind das Hinweise auf die Apokalypse?
Auch der Hebräerbrief enthält Andeutungen, die aus der Geheimen Offenbarung stammen könnten (Kapitel 3, 5, 7, 14, 20 und 21): der Berg Zion, das himmlische Jerusalem, die große Angelologie, die Versammlung der Erstgeborenen, der Geist der Gerechten und Jesus als Mittler, das Besprengen mit Blut…, denn wir lesen (Hebr 12,18–24):
„Denn ihr seid nicht zu einem sichtbaren, lodernden Feuer hingetreten, zu dunklen Wolken, zu Finsternis und Sturmwind, noch zu einem Schall der Posaunen und zum Schall der Worte, bei denen die Hörer flehten, diese Stimme solle nicht weiter zu ihnen reden; denn sie ertrugen nicht den Befehl: Sogar ein Tier, das den Berg berührt, soll gesteinigt werden. Ja, so furchtbar war die Erscheinung, daß Mose rief: Ich bin voll Angst und Schrecken. Ihr seid vielmehr zum Berg Zion hingetreten, zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, zu Tausenden von Engeln, zu einer festlichen Versammlung und zur Gemeinschaft der Erstgeborenen, die im Himmel verzeichnet sind; zu Gott, dem Richter aller, zu den Geistern der schon vollendeten Gerechten, zum Mittler eines neuen Bundes, Jesus, und zum Blut der Besprengung, das mächtiger ruft als das Blut Abels.“
Da es unwahrscheinlich ist, daß der Verfasser der Geheimen Offenbarung den Hebräerbrief gelesen hat, ist das Gegenteil logischer, daß er von der kraftvollen Bildsprache des Johannesbuches inspiriert wurde.
Diese geschichtlichen Hinweise ermöglichen es, alle apostolischen Schriften zu datieren, und was die Geheime Offenbarung betrifft, so ist es eine vernünftige Hypothese, daß das Buch vor dem Ersten Brief an die Korinther entstanden ist.
Johannes starb sehr alt, schrieb aber in seiner Blütezeit
Der Apostel Johannes war sehr jung, als er Jesus begegnete und ihm nachfolgte (weniger als 20 Jahre alt). Als Maria in den Himmel aufgenommen wurde, war der Apostel, den Jesus liebte, Anfang dreißig. Zur Zeit seiner Gefangenschaft auf Patmos könnte er in seinen Vierzigern gewesen sein.
Im vierten Evangelium berichtet Johannes fast stenografisch über die lange Rede Jesu nach dem Letzten Abendmahl: Nicht weniger als vier ganze Kapitel, von 14 bis 17, sind ihr gewidmet. Auch die Vision/Offenbarung der Apokalypse ist sehr ausführlich geschrieben. In beiden Fällen handelt es sich um lebendige, nicht lange zurückliegende und erarbeitete „Notizen“.
Im Fall des langen Abschieds Jesu wurde die Hypothese von aus dem Gedächtnis rekonstruierten, mündlich überlieferten Rezitationen vorgeschlagen, die der jüdischen Kultur nicht fremd sind (so Pierre Perrier: „Évangiles de l’oral à l’ecrit“).
Auch für die Vision der Geheimen Offenbarung würde es wenig Sinn machen, sie erst Jahrzehnte nach dem Sehen und Hören der Bilder und Worte, die Gott benutzte und die sich in das Gedächtnis eines jungen Mannes mit ungewöhnlicher Schärfe und der Reinheit des Herzens eingeprägt hatten, schriftlich niederzulegen. Eine weitere Überlegung: Während die drei synoptischen Evangelien über die apokalyptischen Reden Jesu berichten (die in der Adventszeit gelesen werden), tut dies Johannes nicht: Vielleicht, weil er bereits alles Notwendige geschrieben hatte?
Wann hat Johannes Patmos verlassen? Man weiß es nicht, aber vermutlich am Ende der von Nero angeordneten Verfolgungen. Vor der Katastrophe von Jerusalem und vor der für alle Zeitgenossen erschreckenden Tragödie von Pompeji und Herculaneum im Jahr 79 n. Chr.
Könnte Johannes später die (milderen?) Verfolgungen unter Domitian erlebt haben?
Historische Quellen schreiben Johannes einen sehr späten Tod zu, als er bereits hochbetagt war (mindestens in den Neunzigern), so daß er zur Zeit der Verfolgung unter Domitian noch am Leben gewesen sein könnte und auch, um Polykarp zu treffen und zu unterrichten, der sein Schüler war und während der Herrschaft Trajans Bischof von Smyrna wurde.
Die Apokalypse für eine kommende Zeit, die bis in unsere Zeit reicht
Der Drache bediente sich des Tieres (des Antichristen), um die Könige der Erde zu unterjochen, und bediente sich für die Propaganda des falschen Propheten, der mit allen möglichen Masken spielt.
Das Buch der Geheimen Offenbarung öffnet unseren Blick für ein Szenario, das sich die Menschheitsgeschichte nicht vorstellen konnte: ein augenblicklicher Sturz all dieser Realitäten, die uns sonst zwingen würden, auf die Vorherrschaft dieses oder jenes zu warten, je nach unseren trügerischen Sympathien, während darüber der ist, der sie wie Marionetten benutzt, immer gegen Christus.
Die vernichtende Niederlage des Tieres, der Könige und des falschen Propheten wird augenblicklich erfolgen (Offb 18,21)…
Es ist wirklich eine Frage des Glaubens und nicht der irdischen Studien und Berechnungen. Die Geschichte hat eine lange Zeit, aber Satan hat eine zeitlich begrenzte Herrschaft, um sich am Ende der tausend Jahre nach der Zerstörung Babylons und vor dem glorreichen Ende der Zeit unangefochten zu zeigen.
Satan hat eine eigene Zeit für sich, aber die Gläubigen, die auf die Hochzeit des Lammes und die Wohnung im himmlischen Jerusalem warten, können die Seligpreisungen erleben, die uns Johannes in der Geheimen Offenbarung überliefert. Sie droht nicht das Ende von allem an, sehr wohl aber einer Welt, ihres Fürsten und der Sklaverei, in der die von Gott geliebte Menschheit eingekerkert und gefangengehalten wird.
Maranatha.
Amen.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
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