„Wir leben mit den Völkern des Heiligen Landes, mit ihren Höhen und Tiefen, auf unsere eigene kleine Art und Weise, wir beten für Frieden und Gerechtigkeit heute und morgen.“
Dies schreiben die Unbeschuhten Karmelitinnen des Paternoster-Klosters in Jerusalem, die in der Abgeschiedenheit der Klausur ihr Leben dem Gebet an einer der heißesten Grenzen zwischen zwei verfeindeten Völkern widmen, die sich erneut bekämpfen und Tod, Schmerz und Zerstörung säen.
Die Ordensfrauen tun dies auf dem Ölberg, an dem Ort, den eine sehr alte christliche Tradition mit dem von Jesus gelehrten Gebet und seinen Worten über die Vergebung verbindet. Ein Ort, der heute in einem arabischen Gebiet der Heiligen Stadt liegt, wo die Spannungen sehr groß sind. Die Karmelitinnen des Vaterunser-Klosters haben in diesen für das Heilige Land sehr schmerzhaften Tagen einen Brief an ihre Freunde geschrieben. Zusammen mit diesem Brief soll an den Tag des Gebets und des Fastens erinnert werden, um den der Lateinische Patriarch von Jerusalem alle Katholiken und Menschen guten Willens für den 17. Oktober aufgerufen hat:
„Unsere Liebe Frau vom Rosenkranz: Während der Laudes und der Eucharistiefeier am Samstagmorgen, dem 7. Oktober, ertönte fast ununterbrochen der Alarm über Jerusalem… bis gegen Mittag. Die dumpfen Geräusche von Raketen, die von Iron Dome [ein israelisches mobiles bodengestütztes Raketenabwehrsystem] zerstört wurden, ließen uns wissen, daß es sich um einen Angriff handelte. Die Überraschung war vollständig. Es war ein ernstes Ereignis: ein Angriff auf Jerusalem.
Am letzten Tag des jüdischen Sukkot-Festes wichen die fröhlichen Gesänge plötzlich den Geräuschen des Krieges. Seltenere Alarmsignale ertönten auch noch an den darauffolgenden Tagen: In diesen Momenten verharrte jede an ihrem Platz, schweigend, betend und wartend.
Jerusalem kam zum Stillstand, wie an einem langen Sabbat: Geschäfte und Schulen geschlossen, Touristen und Pilger verschwunden, nur wenige Menschen auf den Straßen. Zu hören ist das dumpfe Geräusch von Militärflugzeugen, die in Richtung Gazastreifen fliegen und wieder zurück und dort schwere Repressalien durchführen. Unsere Stadt ist durch zahlreiche Kontrollpunkte ‚geschützt‘ gegen den nach Israel strömenden ‚Feind‘ und jene, die sich ihm anschließen wollen.
Die Palästinensergebiete sind abgeriegelt, niemand kann ein- oder ausreisen, viele Arbeiter werden dadurch schwer bestraft, weil sie nicht von Bethlehem oder Jericho zu ihrem Arbeitsplatz kommen können…
Angriffe werden von Einzelpersonen verübt. Gestern gegen die Polizeistation in der Nähe des Postamtes, wo wir unsere Post abholen, heute gegen gewöhnliche jüdische Passanten oder als Reaktion auf Steinwürfe palästinensischer Jugendlicher…
Die palästinensische Regierung in Gaza hat einen schrecklichen Angriff gegen die Juden durchgeführt, die in der Nähe ihres Gebiets leben, und Palästinenser in anderen Gebieten könnten dasselbe tun oder es versuchen: Wenn es in unserem palästinensischen Viertel dunkel wird, hören wir Demonstrationen und Schüsse von jenseits unserer Mauern… Dies ist nicht das erste Mal. Aber die Erfahrung dieses Jahres hat uns Tränengasgeschoße beschert, diese kleinen Granaten, die wir morgens im Kreuzgang und im Garten aufsammeln, hatten wir zuvor noch nie gesehen: Und unser Wissen erweitert sich nach den Knallkörpern, Patronenhülsen und stinkendem Wasser…
Wir haben von den Angriffen auf jüdische Gemeinden in der Nähe des Gazastreifens erfahren, mit den unvorstellbaren Morden, den Verwundeten, den Geiseln und den vielen Toten… und wir sind ebenso voller Mitgefühl für die Bewohner des Gazastreifens, die unter heftigem Bombardement, der Blockade und der Massenflucht leiden. Unsere Herzen sind bei der kleinen christlichen Gemeinschaft, die mit ihren wenigen Ordensfrauen und Seminaristen und auch einigen Muslimen Zuflucht in der Schule und der Kirche genommen hat.
Trotz allem bereiten wir uns auf das Fest der Gottesmutter an diesem Sonntag vor [das Fest der heiligen Teresa von Avila, das gestern gefeiert wurde], an dem wir den 150. Gründungstag unseres Klosters begehen. Das Kloster und seine Ordensschwestern durchlebten viele Perioden der Feindseligkeit und lebten unter verschiedenen Behörden, osmanischen, jordanischen, britischen… Heute sind die Behörden israelisch, auch wenn unser Viertel der Altstadt und des Ölbergs mit seiner palästinensischen Bevölkerung das ‚umstrittene, besetzte, annektierte‘ Gebiet von Ost-Jerusalem bleibt.
Auch unsere Karmel in Bethlehem, Nazareth und Haifa sind Angriffen aus dem Gazastreifen ausgesetzt. Der Südlibanon liegt dem Berg Karmel gegenüber und ist ihm sehr nahe. Wir sind solidarisch… Die Botschaften schlagen Repatriierungen vor, aber natürlich geht es nicht darum, zu gehen!
Wir leben mit den Völkern des Heiligen Landes, mit ihren Höhen und Tiefen, auf unsere eigene kleine Weise, wir beten für Frieden und Gerechtigkeit heute und morgen. Dieser Krieg beweist, daß Mauern und andere Beschränkungen und Wachsysteme auf lange Sicht nutzlos sind. Nur Gerechtigkeit und Respekt können zum Frieden führen, der zwar schwierig, aber dauerhaft ist. Jeden Tag können wir durch außergewöhnliche Menschen, sowohl jüdische als auch palästinensische, christliche wie muslimische, die Samen ernten.
Für unser Kloster ist die Zeit der Olivenernte gekommen, eine anstrengende, aber heitere und frohe Zeit; das Gebet gliedert unverändert unseren Tag, doch die Spannung ist spürbar. Ich danke dem ganzen Orden für das gemeinsame Gebet für die Leidenden und für jene, die die Aufgabe haben, Entscheidungen zu treffen. Und auch für jene, die auf beiden Seiten kämpfen: Mögen sie menschlich bleiben…
Für die Christen des Heiligen Landes wird der Dienstag, der 17. Oktober, ein Tag des Fastens und des Gebets für den Frieden und die Versöhnung sein, ‚denn Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens‘ (1 Kor 14,33). Wir laden Sie, liebe Brüder und Schwestern, ein, mit uns zu beten, daß der Herr uns wirklich seinen Frieden schenken möge!
Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons/AsiaNews