Von Mag. Michael Gurtner
Vielfach ist in der heiligen Fastenzeit, speziell wenn es auf den Palmsonntag zugeht, in Predigten und Katechesen die Aussage zu hören, Jesus wäre aus Gründen der Demut und Bescheidenheit auf einem einfachen Esel, der ja „nur“ ein Last- und Arbeitstier gewesen sei, in Jerusalem eingeritten. Er wollte, so heißt es nicht selten, von vorneherein klarmachen, keine weltliche Macht zu beanspruchen, und den Menschen, welche ihn gerne als ihren König gesehen hätten, schon allein durch die Wahl seines Reittieres verdeutlichen, daß er kein König über die Welt sei. Er, der gekommen ist, um zu dienen, nicht zu herrschen, wobei man dann vergißt, daß er sich bereits kurz darauf vor Pilatus selbst als König bekennen wird (Mt 15,2).
Mitunter zieht man diese Episode aus dem Leben Jesu sogar dazu heran, um die totale Trennung von Kirche und Staat, oder gar die Unterwerfung der Kirche unter den Staat, theologisch zu belegen, indem man behauptet, Jesus habe das irdische Königtum für sich abgelehnt, keine Ansprüche darauf erhoben, sondern sich ganz im Gegenteil bewußt diesem unterworfen, und überträgt dies dann auf die Kirche, die sich den staatlichen Gesetzen widerstandslos zu beugen hätte. Nicht nur, aber auch in Corona-Zeiten gab es so manche Geistliche, welche vor ihren entsetzten Gläubigen dem duckmäuserischen Verhalten der Kirche so eine fromm klingende Rechtfertigung zu geben suchten.
Bei etwas genauerem Hinsehen muß man jedoch erkennen, daß diese Bibelstellen mitnichten für einen Demutsbeweis Jesu oder eine Ablehnung der Königswürde herhalten können. Daß Jesus qua homo [kraft seines Menschseins] demütig war, ist damit nicht bestritten und versteht sich von selbst (wobei ergänzend zu erwähnen ist, daß Demut im biblischen Sinne oft etwas anderes meint als das, was vielfach darunter verstanden wird) – aber es ist unabhängig vom Eselsritt, und hat mehr mit der Unterwerfung seines menschlichen Willens unter den göttlichen Willen, wie er beispielsweise in der Ölbergszene beschrieben ist, zu tun (Mt 26,39). Die Demut Jesu besteht nicht darin, „nur“ auf einem Esel eingeritten zu sein, noch ist dies umgekehrt ein Ausdruck seiner Demut, sondern seine Demut besteht darin, daß er als wahrer Mensch seinen Willen dem des göttlichen Vaters unterstellte. „Demut“ hat, wenn sie recht verstanden ist, also nichts mit der Wahl des Geringstmöglichen zu tun, sondern ist stets auf Gott bezogen: Es ist die Unterstellung unter Gottes heilige Ordnung.
Der vielgehörte Satz: „Jesus würde nicht Porsche fahren, sondern Fahrrad“, ist also nicht korrekt bzw. geht absolut nicht aus dem Eselseinritt Jesu in Jerusalem hervor. Zwar wird Jesus sehr wohl als demütig beschrieben und in einem korrekten Sinne ist er es auch, jedoch hat der Einritt auf dem „Füllen einer Eselin“ einen weitaus tieferen und geistlicheren Sinn.
Die Wahl Jesu, auf einem Esel in Jerusalem einzureiten, war eine ganz bewußte „Zelebration“ (vgl. Mt 21, Mk 11, Lk 19 und Joh 12) mit einer eindeutigen soteriologischen Aussage [also gemäß Erlösungslehre], die damals alle verstanden, und sie war daraufhin finalisiert, einen ganz bestimmten Anspruch zu erheben: Nämlich wollte er sich damit als der eigentliche, wahre Richter erweisen: der Weltenrichter, Herr über Leben und Tod, der Seelenrichter. Der Esel ist im Alten Testament immer wieder eng mit dem Richteramt verbunden (etwa Ri 10,1ff).
Die jüdische Bevölkerung Jerusalems kannte die Propheten und die messianischen Verheißungen. Und sie kannte die alten Gebräuche und Gesetze der Vorfahren. Die bewußte Wahl des Esels von Seiten Jesu war die Erfüllung der Offenbarung und damit die bewußte Erhebung des Anspruches, selbst der verheißene Messias zu sein. Diese Verheißung, die sich nun in Christus erfüllen sollte, war eng mit dem Richteramt verbunden – und es war immerhin der (weltliche) Richter, welchem er bei seinem Einzug in Jerusalem bereits entgegenging. Doch warum? Werfen wir einen Blick in das Alte Testament:
Der Esel war jenes Tier, welches zwar (auch) mit Königen verbunden war (entgegen der Meinung, allein das Pferd wäre ein königliches Tier gewesen; vgl. 1 Sam 9,1ff. sowie die nachfolgenden Kapitel aus 1 Sam, welche von Samuel und König Saul handeln und in denen die Esel zahlreich Erwähnung finden), doch noch mehr war es mit den Richtern bzw. mit dem Richteramt verbunden. Der Esel war damals, im Gegensatz zu heute, ein hochangesehenes Tier – deswegen waren dem Esel auch vom Gesetz her verschiedene „Privilegien“ eingeräumt –, das unter dem besonderen Schutze Gottes stand und zu dem er auch den gläubigen Menschen verpflichtete: „Wenn du siehst, wie der Esel deines Gegners unter der Last zusammenbricht, dann laß ihn nicht im Stich, sondern leiste ihm Hilfe!“ (Ex 23,5).
Die Prophezeiung des großen Königs aus Sacharja 9,9ff, nämlich jene des grenzenlosen Herrschers, der ein Herrscher des Friedens sein wird, wird mit einem Esel in Verbindung gebracht: Der König wird auf dem Esel – dem Tier, das von den Königen in Zeiten des Friedens geritten wurde – einherreiten, während die Kriegsrösser hingegen vernichtet werden:
„Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Sieh, dein König kommt zu dir. Er ist gerecht und hilft; er ist demütig und reitet auf einem Esel, auf einem Fohlen, dem Jungen einer Eselin. Ich vernichte die Streitwagen aus Efraim und die Rosse aus Jerusalem, vernichtet wird der Kriegsbogen. Er verkündet für die Völker den Frieden; seine Herrschaft reicht von Meer zu Meer und vom Eufrat bis an die Enden der Erde. Auch deine Gefangenen werde ich um das Blut deines Bundes willen freilassen aus ihrem Kerker, der wasserlosen Zisterne.“
Jesus reitet als Friedensfürst einher, der gekommen ist, die gebrochene Welt mit sich zu versöhnen.
Hätte Jesus tatsächlich jeden Anspruch auf das Richter- oder Königsamt vermeiden wollen, so hätte er jedes Tier gewählt, nur keinen Esel – und erst recht, wenn man bedenkt, daß Jesus auch vor Pilatus sein wahrhaftes Königtum unterstrichen hat. Anstatt dessen gibt er seinen Jüngern extra den Auftrag, genau solch eine Eselin zu besorgen, wie er in der Prophezeiung vorgesehen war (Mk 11,2; vgl. Lk 19,30).
Noch deutlicher wird St. Johannes: Nachdrücklich sagt er uns, daß es einen reellen Bezug gibt zwischen der Prophetie, der Wahl des Reittieres, und dem wahren Königtum Jesu, welches den Jüngern jedoch erst nach der Verherrlichung so richtig bewußt wurde, allerdings eben genau durch den Eselseinritt:
„Am Tag darauf hörte die Volksmenge, die sich zum Fest eingefunden hatte, Jesus komme nach Jerusalem. Da nahmen sie Palmzweige, zogen hinaus, um ihn zu empfangen und riefen: Hosanna! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn, der König Israels! Jesus fand einen jungen Esel und setzte sich darauf – wie es in der Schrift heißt: Fürchte dich nicht, Tochter Zion! Siehe, dein König kommt; er sitzt auf dem Fohlen einer Eselin. Das alles verstanden seine Jünger zunächst nicht; als Jesus aber verherrlicht war, da wurde ihnen bewußt, daß es so über ihn in der Schrift stand und daß man so an ihm gehandelt hatte“ (Joh 12,12ff).
Das Königreich des Sohnes, auf welches Jesus Anspruch erhebt, bleibt dabei jedoch kein abstraktes, sondern ist ein höchst konkretes: Es ist das „Himmelreich“ (gr. βασιλεία τῶν οὐρανῶν) bzw. das „Reich Gottes“ (gr. βασιλεία τοῦ Θεοῦ). Dieses ist aber keine bloße Vertröstung auf eine ferne und ungewisse Zukunft, sondern bricht mit dem errungenen Sieg Jesu bereits in diese Welt herein. Seine nahe Ankündigung steht ganz am Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu selbst:
„Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,15).
Das Reich Gottes ist gewiß auch das ewige Himmelreich, doch durch das Kommen des Sohnes reicht es nun bereits in die irdische Welt hinein: Das „Himmelreich Gottes“ ist nicht nur die ewige Heiligkeit, die unsichtbare Kirche, sondern auch das in unser irdisches Heute hineinreichende Reich Gottes: die sichtbare Kirche mit ihren sieben Sakramenten und einer gottgegebenen, hierarchischen und pyramidal strukturierten inneren Struktur. Doch ist das Königreich Jesu nicht allein die Kirche, sondern umfaßt letztlich auch die gesamte Schöpfung, ebenso wie die sichtbare und die unsichtbare Kirche. Kurz: Sein ist Zeit und Ewigkeit (vgl. Weihe der Osterkerze), Kirche und Welt.
Das Königtum Jesu Christi ist sowohl angeborenes Recht als auch erworbener Titel. Es erstreckt sich auf alles, worauf sich die Schöpfermacht des Vaters erstreckt, mit dem der Sohn wesensgleich ist. Das Königtum Jesu bezieht sich zwar auf die (sichtbare) Kirche, übersteigt diese aber zugleich auch: Es ist eine Königsherrschaft über die gesamte Schöpfung Gottes.
Und über eben diese Schöpfung wird der König den großen Richterspruch verhängen. Christus ist König und Richter zugleich, wie auch der Esel zugleich das Tier der Könige und jenes der Richter ist.
Insofern Christus wahrer Gott ist, ist ihm das Königtum seit Ewigkeit her zukommend. Insofern Christus wahrer Mensch ist, wurde es ihm vom Vater übertragen. Und insofern er Heiland ist, hat er es am Kreuzessieg auch noch erworben und errungen.
Gerade weil er in jeder Hinsicht („gesalbter“) König ist, ist er auch in jeder Hinsicht Richter, der Messias, der vom Vater mit dem Heiligen Geist gesalbte Sohn. Vorausschauend auf die Passionsereignisse bringt Jesaja diesen verheißenen Messias („gesalbten“) mit dem großen Richter in Verbindung:
„Herr, auf das Kommen deines Gerichts vertrauen wir. Deinen Namen anzurufen und an dich zu denken ist unser Verlangen. Meine Seele sehnt sich nach dir in der Nacht, auch mein Geist ist voll Sehnsucht nach dir. Denn dein Gericht ist ein Licht für die Welt, die Bewohner der Erde lernen deine Gerechtigkeit kennen“ (Jes 26,8f).
Somit schließt sich der Kreis, und alles macht plötzlich perfekt Sinn: die alttestamentarischen Verheißungen, deren Erfüllung man nun sieht, das Königsbekenntnis Jesu vor Pilatus, der Esel als Reittier, die Palmzweige als Zeichen des Sieges, die auch an den Auszug aus Ägypten erinnern, als die provisorischen Hütten aus Palmen gebaut wurden, so wie der mit den Palmwedel verbundene Jubel an die Reinigung des entweihten Tempels erinnert:
„Sie nahmen Stäbe, die sie mit grünen Blättern umwunden hatten, in die Hand und Laubzweige – auch Palmzweige – und brachten dem Loblieder dar, der den Weg zur Reinigung des Ortes bereitet hatte, der sein Eigentum ist“ (2 Makk 10,7).
Der böse Feind, der Welt und Mensch geknechtet hielt, Satan, wird durch Christus besiegt und gerichtet, der zugleich Heiland, König und Richter ist.
Durch die bewußte Wahl des Esels als sowohl königliches als auch richterliches Reittier, welches in besonderer Weise gerade auch dem verheißenen Messias zugeschrieben wird, werden diese hohen Ansprüche durch Jesus erhoben und durch die Hosannarufe und die Palmwedel der jubelnden Menge auch anerkannt.
Wenn man es recht bedenkt, so sind diese Aussagen, die im Esel stecken, es vielleicht doch wert, künftig mehr hervorgehoben und ausgefaltet zu werden. Denn vor all diesen inhaltlich ungemein verdichteten Heilsaussagen, die selbst in kleinen Details rund um die Passion Jesu zu finden sind, die unser Seelenheil betreffen und den Weltenlauf maßgeblich verändert haben, wirkt die Reduktion auf eine einfache Demutsgeste Jesu doch etwas arg blaß und banal.
*Mag. Don Michael Gurtner ist ein aus Österreich stammender Diözesanpriester, der in der Zeit des öffentlichen Meßverbots diesem widerstanden und sich große Verdienste um den Zugang der Gläubigen zu den Sakramenten erworben hat. Jeden Samstag veröffentlicht er eine Kolumne zur Lage der Kirche.
Bild: Rossanensis Purpureus Codex/Wikicommons
Mal wieder etwas/viel dazugelernt. Man staunt, aber es stimmt. Vielen Dank.
Alle abgebildeten Herrscher sitzen eigentlich immer auf einem sehr ansehnlichen starken, edlen und „königlichen“ Ross. Aber auf einem Esel würde diesbezüglich auch nicht mehr passen, denn nur Christus selber darf wahrlich auf einem Esel einherreiten.
Wer sagt, dass 2 Makk 10,7 ein Bericht ist? Vielleicht ist es die exakte prophetische Beschreibung des Geschehens, das durch Jesus Christus erfolgte. Das alte Testament beleuchtet in seiner Gesamtheit immer wieder die Evangelien.
Christi Einzug in Jerusalem war ein grosses Ereignis. Es wird in den Evangelien immer wieder berichtet, dass Tausende am Ort waren wenn Jesus predigte. Dabei wurden nur die Männer gezählt. Es waren aber auch die Familien dabei. Wenn da von 5000 die Rede ist, wäre die tatsächliche Zahl der Anwesenden viel grösser, Frauen und Kinder mitgezählt. Bei der damaligen geringen Bevölkerungsdichte ergibt sich der Eindruck, ein grosser Teil der Bevölkerung war auf Jesus ausgerichtet. Der Einzug in Jerusalem kann als ein grosses Ereignis gesehen werden. Ich stelle mir vor, die Wege waren buchstäblich mit Palmzweigen gepflastert und von Menschenmassen flankiert. Mit Jesus ziehen die Jünger ein, nicht nur die 12 oder die 72.
Die verschiedenen Begegnungen mit anderen Menschen, die in den Evangelien beschrieben werden, zeigen Menschen, die sich zu Boden werfen, jubeln und preisen. Die Demut Christi ist demnach nicht im äusseren Erscheinungsbild zu suchen, sondern in der Erfüllung dessen, was der Vater will.
2 Makk 10,7: „Sie nahmen Stäbe, die sie mit grünen Blättern umwunden hatten, in die Hand und Laubzweige – auch Palmzweige – und brachten dem Loblieder dar, der den Weg zur Reinigung des Ortes bereitet hatte, der sein Eigentum ist“
Es zieht ein in Jerusalem das Wort (Johannes 1). Der Teil der Gottheit, die nach dem Willen des Vaters alles erschaffen hat. Der, dessen Eigentum die Schöpfung ist. Das er damals nicht in seiner wahren Grösse sichtbar war, sagt uns die heilige Schrift. Aber er wird bald zurückkommen in aller Glorie mit seinen Engeln. Dies beschreibt Johannes in der Apokalypse. Und auch in den Endzeitankündigungen bei Matthäus finden wir, wie die Wiederkunft ist. Er wird gleichzeitig von allen Menschen gesehen werden können.