Von Wolfram Schrems*
Der Renovamen-Verlag ist ein junges und äußerst produktives katholisches Projekt. Einige seiner Publikationen wurden auf dieser Seite bereits präsentiert. Der Verlag brachte im vergangenen Jahr die sehr gelungene, präzise und prägnante Apologetik des Eichstätter Domkapitulars Joseph Schielle (1871–1966) aus dem Jahr 1953 (9. Auflage) neu heraus.
Dieses Buch wurde von Hans Jakob Bürger bereits kurz vorgestellt.1 Weil es auch diesem Rezensenten wichtig erscheint, hier nun eine etwas ausführlichere Besprechung.
Apologetik – im nachkonziliaren Katholizismus praktisch tot
Nach der Einschätzung des Rezensenten ist die klassische Apologetik (Begriff nach 1 Petr 3,15 ἀπολογεῖσθαι; „Apologetik ist die Wissenschaft, welche die Glaubwürdigkeit der von der katholischen Kirche verkündeten göttlichen Offenbarung beweist“: 13) in der Kirche nach dem II. Vaticanum, zumal im deutschen Sprachraum, mucksmausetot.
Das Bestreben, durch Apologetik die Überzeugung zu stärken, „daß es vernünftig ist, der Offenbarung Glauben zu schenken“ sowie „den Glauben gegen Angriffe zu verteidigen“ (13), wird seit Jahrzehnten von akademischen Theologen genauso wie von den Hirten der Kirche und ihren Apparaten im deutschen Sprachraum zurückgewiesen. Wenige Katholiken machen sich eine Vorstellung von der Selbstzerstörung der katholischen Theologie.
Ein Sargnagel der Apologetik ist natürlich die historisch-kritische Bibelzersetzung, besonders die Irrlehre von der Spätdatierung und der historischen Unzuverlässigkeit der Evangelien. Denn wenn die Grundlagen der Glaubensverkündigung lange nach den Ereignissen von Ignoranten oder orientalischen Märchenerzählern geschrieben worden sein sollen, erübrigt sich jegliche Verteidigung eines solchen Glaubens.
Schielle bietet einen unter den heutigen tristen Umständen erfrischenden und selbstbewußten Blick auf die Verteidigung der Glaubwürdigkeit des katholischen Glaubens.
Der klassische Dreischritt
Er geht nach dem althergebrachten Schema vor: zuerst die demonstratio religiosa, der Aufweis, daß der Glaube an den personalen Schöpfergott vernünftig ist, dann die demonstratio christiana, der Aufweis, daß der Glaube an Christus vernünftig ist, schließlich die demonstratio catholica, der Aufweis, daß der Glaube an die Katholische Kirche vernünftig ist.
Schielle schreibt programmatisch:
„Jeder Katholik ist verpflichtet, die göttlichen Offenbarungswahrheiten zu glauben. Der Glaubensakt setzt aber voraus, daß die Wahrheiten glaubwürdig sind und daß die Glaubwürdigkeit durch Vernunftgründe bewiesen ist. Die Beweise hierfür kann [die Apologetik] nicht aus der Glaubenslehre selber (Dogmatik) schöpfen – das wäre ein Zirkelbeweis; sie nimmt dieselben aus der Vernunft und Geschichte. Die Apologetik benutzt zwar auch die Heilige Schrift, aber nicht als inspiriertes Buch, sondern zunächst nur als historische Urkunde; ebenso gelten die Aussprüche der Kirche nur als historische Zeugnisse“ (14).
Im ersten Teil behandelt Schielle die verschiedenen Gottesbeweise und bezieht dazu die Physik und Biologie mit ihren spektakulären Entdeckungen (Struktur des Atoms und der Organismen) mit ein. Ein ehrlicher Blick auf die Natur erkennt Ordnung und Zweckmäßigkeit, die einen Ordner und Planer verlangen. Diese Ordnung erscheint wie für den Menschen gemacht.
Schielle anerkennt den Wert der klassischen Gottesbeweise, weiß aber auch um ihre Grenzen in der Praxis, da bei der Zustimmung zur Existenz Gottes auch „Gefühl und Wille stark beteiligt“ sind. Er verweist in diesem Zusammenhang auf die katastrophalen Auswirkungen des Atheismus in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft, wofür der Sowjetblock seiner Zeit reichlich Anschauungsmaterial bereitstellte: Der gottlos gewordene Mensch werde „von dem dämonischen Wahnsinn der Vernichtung“ getrieben (49).
Der Autor geht in diesem Zusammenhang auf die Evolutionslehre nach Lamarck und Darwin ein. Er hat sich damit offenbar intensiv beschäftigt und behandelt diesen Abschnitt äußerst scharfsinnig. Alleine schon deswegen lohnt sich die Konsultation des Buches.
Schielle erörtert das Wesen der Religion und weist falsche Entstehungstheorien (psychopathologische und evolutionistische) zurück. Dafür wertet er die bahnbrechende Studie des bedeutenden Religionswissenschaftlers P. Wilhelm Schmidt SVD, Menschheitswege zum Gotterkennen (1923), aus.
Schielle behandelt dann die übernatürliche Offenbarung, die über die natürliche Gotteserkenntnis aus Schöpfung und Gewissen hinausgeht: Daß die Menschheit auch vor Christus auf eine Offenbarung hoffte, beweist Schielle mit dem Hinweis auf Platon (Phaidon 85e; Alkibiades II).
Sehr schön sind die Ausführungen über Wesen und Zweck der Wunder im Alten und Neuen Testament:
„Die Wunder der anderen Religionen sind entweder erdichtet oder sie tragen den Stempel des Betruges und der Lächerlichkeit an der Stirn (Wunder des Mohammed, Buddha). Das Christentum aber kann sich auf zahlreiche Wunder berufen, die am hellen Tage und vor vielen Zeugen gewirkt wurden“ (146).
Hier kommt der Autor auf die Glaubwürdigkeit der biblischen Berichte zu sprechen, was scharfsinnig und einleuchtend abgehandelt wird.
Der Autor hat Sinn für Paradoxa (und Humor): So zitiert er prononciert antichristliche Autoren wie Goethe oder Rousseau, wenn sie treffende Aussagen tätigten. Schielle führt ein Argument für die Faktizität der Evangelien an und untermauert es geistreich:
„[Die Evangelisten] konnten den Inhalt ihrer Berichte gar nicht erdichten; denn der Charakter und die Lehre Jesu sind so erhaben, daß Menschen überhaupt nicht imstande sind, sie zu erfinden. ‚Sollen wir die evangelische Geschichte für eine willkürliche Erdichtung ausgeben? Mein Freund, so vermag man nicht zu dichten. Das Siegel der Wahrheit, welches das Evangelium trägt, ist so groß, so überraschend, so unnachahmlich, daß der Erfinder größer wäre als der Held‘ (Rousseau)“ (181).
Ein klassischer Topos für die Wahrheit des Christentums sind dessen Früchte in der Geschichte. Die Lehre Christi erwies in der Geschichte die Kraft zur „Erneuerung und inneren Umwandlung der Welt“, neben der Verbesserung des alltäglichen Lebens in Familie und Gemeinschaft auch in Kultur, Bildung, Wissenschaft und Kunst:
„In den deutschen Heldengedichten, Heliand, Gudrun und Parzival, in der Göttlichen Komödie des Dante ist Tiefsinn und Geisteskraft mit den erhabenen Ideen des Christentums zu einem wunderbaren Ganzen verbunden. Das Drama wuchs aus der Liturgie der Kirche heraus, der Darstellung des großen Dramas der Welterlösung: darum ist sein Gedanke im Christentum vertieft, das Tragische liegt in dem Einklang göttlicher Gerechtigkeit mit der menschlichen Freiheit, göttlicher Gnade und menschlicher Schuld“ (197).
Schielle kommt im dritten Schritt auf die Apologie für den römisch-katholischen Glauben, auf das von Jesus eingesetzte Papsttum und die von Ihm gegründete Kirche, der – zumindest per votum implicitum (einschlußweiser Wunsch) – anzugehören heilsnotwendig ist. Deren autoritative Lehre ist notwendigerweise unfehlbar. Dabei gibt es eine Entfaltung des Glaubensgutes hinsichtlich ihres besseren Verständnisses durch die Kirche, aber natürlich keine Veränderung.
Glauben und Wissen können einander nicht widersprechen, Ruhe findet der Mensch aber letztlich im Glaubensgehorsam:
„Augustinus hatte die Schulen seiner Zeit durchlaufen von Karthago bis Mailand, hatte alle Lehrer der Weisheit gefragt, alle philosophischen Systeme durchsucht; er fand keine Ruhe; er fand sie erst in demütigem Glauben. Ernstes, wissenschaftliches Streben soll der Jugend eigen sein; damit verbinde sich aber, um wahrhaft glücklich zu werden, demütiger Glaube“ (276).
Resümee
Die angeführten Zitate zeigen, daß Schielle eine kompakte, aussagekräftige und verständlich geschriebene Apologetik vorlegt. Er behandelt die relevanten Themen, die sich dem fragenden Menschen, ob gläubig oder nicht, stellen. Die souveräne Behandlung der Einsprüche gegen den Glauben, Atheismus, Pantheismus, Idealismus, Evolutionslehre, ist genauso eindrucksvoll wie die Darlegung der Vernunftgründe zugunsten des Glaubens.
Nach dem Vorwort des Verfassers wurde diese Apologetik mit Genehmigung der kirchlichen und staatlichen Behörden in Luxemburg für den Schulunterricht eingeführt. Diese Tatsache zeigt den mittlerweile eingetretenen Verfall von fides et ratio in unserer Zeit. –
Der einzige Mangel dieser Ausgabe ist das Fehlen jeglicher Information über Person und Bedeutung des Verfassers.** Einige Auskünfte findet man in der eingangs erwähnten Besprechung von Hans Jakob Bürger. Für eine Neuauflage wäre die Nachreichung dieser Angaben empfehlenswert. Einige, sehr wenige, fürs Einscannen typische Verschreibungen können leicht korrigiert werden.
Vielleicht erwägt der Verlag auch, aktuellere Kritiken des Darwinismus u. a. in Fußnoten einzufügen (analog zum zitierten Werk von Bischof Fernando Areas Rifan). Der interessierte Leser ermutigt den Verlag auch zur Neuauflage weiterer Werke von Domkapitular Schielle. –
Dieser Apologetik ist weite Verbreitung zu wünschen. Sie eignet sich als Grundlage von Lesekreisen und – bei entsprechender Vorbereitung – auch für den Unterricht an höheren Schulen, wie man am Luxemburger Beispiel sehen kann.
Mögen durch sie die Gläubigen bestärkt und die noch nicht Glaubenden erleuchtet werden. Denn letztlich kommt es nicht auf die Apologetik, sondern auf den Glauben an.
Joseph Schielle, Grundriß der katholischen Apologetik, Renovamen, Bad Schmiedeberg 2022, 276 S. (Die vorliegende Neuauflage beruht auf der mit kirchlicher Druckerlaubnis zuletzt 1953 erschienenen 9. Auflage.)
*Wolfram Schrems, Wien, Mag. theol., Mag. phil., Katechist, Pro-Lifer, wurde in den neunziger Jahren durch das Werk von C. S. Lewis tiefer in die Apologetik für Theismus und Christentum eingeführt.
1 Hans Jakob Bürger ist der Betreiber zweier sehr schöner Blogs, die hiermit dem Leser empfohlen seien: Tu Domine und Brunonis).
**Ein bescheidener erster Beitrag bezüglich Informationen zur Person, wobei bei einer schnellen Recherche bemerkenswert wenig über Schielle zu finden ist:
Joseph Schielle wird am 15. Juli 1871 als Sohn eines Schmieds in Bergen bei Neuburg an der Donau im Bistum Eichstätt geboren. 1884 erfolgt seine Aufnahme in die „untere Abtheilung“ des bischöflichen Seminars in Eichstätt als Schüler der fünften Lateinklasse. 1885 beginnt er dort als jüngster Schüler des Jahrgangs das dreijährige Gymnasialstudium. Im Herbst 1888 nimmt er das Theologiestudium auf. Am 8. Dezember wird ihm vom Eichstätter Bischof Franz Leopold Freiherr von Leonrod die Tonsur erteilt. Ein Jahr später empfängt er am selben Marienfest die Niederen Weihen. Am 18. März 1893 erfolgt seine Weihe zum Subdiakon und am 28. Dezember desselben Jahres, dem Gedenktag der unschuldigen Kinder, im Kongregationssaal die Weihe zum Diakon. Am 11. März 1894, dem Passionssonntag, wird er zusammen mit elf weiteren Kandidaten von Bischof Leonrod im Eichstätter Dom zum Priester geweiht. Sein erster Seelsorgeort als Kooperator wird die Pfarrei St. Walburg in Monheim. 1895 wird er Kaplan in Ellingen. 1897 verleiht ihm Bischof Leonrod die Würde eines Domvikars und ernennt ihn zum Domprediger. Zugleich wird ihm von Bischof und Königreich Bayern auch die Erteilung des Religionsunterrichts an der Königlichen Realschule in Eichstätt übertragen, eine Aufgabe, die er viele Jahre ausübt. 1916 erfolgt seine Ernennung zum Domkapitular.
Beim Erscheinen der 4. Auflage seiner „Apologetik“ im Jahr 1926 heißt es, daß sie „für die 6. Klasse der Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalt“ zugelassen ist. Nach dem Ersten Weltkrieg veröffentlicht er einige Besprechungen für die Zeitschriftenschau des Archivs für Religionspsychologie. 1935 ist er als Studienprofessor in München. (Giuseppe Nardi)