Das zerstörte Kreuz von Stepanakert

Die gleichgültige Tragödie


Das Kreuz von Stepanakert bei Daschuschen wurde von aserischen Truppen zerstört. Es bringt die Tragödie der Bergkarabach-Armenier zum Ausdruck.
Das Kreuz von Stepanakert bei Daschuschen wurde von aserischen Truppen zerstört. Es bringt die Tragödie der Bergkarabach-Armenier zum Ausdruck.

(Jere­wan) Der Lei­dens­weg des arme­ni­schen Vol­kes hat zur fak­ti­schen Aus­lö­schung der Exkla­ve Berg­ka­ra­bach geführt. Aller­dings sind dies­mal nicht nur aus­län­di­sche Mäch­te dar­an schuld, son­dern auch die amtie­ren­de arme­ni­sche Regie­rung. Für das Volk ist das kein Trost und die Zukunft von Berg­kar­bach liegt nicht mehr in sei­nen Hän­den. Das Ende der arme­ni­schen Repu­blik Arz­ach ist bereits besiegelt.

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Die Tra­gö­die trifft ein christ­li­ches Volk, deren direk­te Ver­fol­ger erneut isla­mi­sche Staa­ten sind, ins­be­son­de­re der Nach­bar Aser­bai­dschan, dem die Tür­kei nicht nur den Rücken frei­hält, son­dern sich aktiv am Mili­tär­an­griff betei­lig­te. Die Tür­kei aber ist jenes Land, das für den Völ­ker­mord an den Arme­ni­ern von 1915/​16 und auch die ihm schon seit 1878 vor­aus­ge­gan­ge­ne grau­sa­me Ver­fol­gung ver­ant­wort­lich ist.

Die arme­ni­sche Staats­füh­rung hat es sich mit Ruß­land, der ein­zi­gen Schutz­macht Berg­ka­ra­bachs, ver­spielt, um sich unter die Fit­ti­che der USA zu bege­ben. Um genau zu sein, hat­te die jetz­ti­ge arme­ni­sche Füh­rung nicht ein­mal den Mut, die Repu­blik Arz­ach anzu­er­ken­nen. Doch Washing­ton ist allein an der Erich­tung eines Cor­don sani­taire um Ruß­land zur Durch­set­zung sei­ner geo­po­li­ti­schen Inter­es­sen inter­es­siert, nicht aber an den vita­len Inter­es­sen des arme­ni­schen Volkes.

Die selbst­er­nann­te Wer­te-EU steht dane­ben, gibt gewich­ti­ge Erklä­run­gen ab und schaut zu. Garan­tien für Arme­ni­en, mit denen die arme­ni­sche Regie­rung für ihr selbst­schä­di­gen­des Ver­hal­ten belohnt zu wer­den hoff­te, wird es nicht geben. Das mit Hil­fe der EU für den 5. Okto­ber ange­setz­te Tref­fen in Gra­na­da auf der ibe­ri­schen Halb­in­sel lie­ßen Aser­bai­dschan und sein Men­tor, die Tür­kei, ein­fach platzen.

Die EU ver­mit­telt also, doch ohne irgend­ei­nen Druck aus­zu­üben. Ber­lin hat, um Washing­ton zu gefal­len, im Ukrai­ne-Krieg die eige­ne Ener­gie­ver­sor­gung aufs Spiel gesetzt. Aus „mora­li­schen“ Grün­den kop­pelt man sich seit­her von Ruß­land, dem bis­her siche­ren Haupt­lie­fe­ran­ten, ab und braucht drin­gend Ersatz.

Einen Teil davon hofft man durch Lie­fe­run­gen aus Aser­bai­dschan erset­zen zu kön­nen. Ent­spre­chen­de Ver­trä­ge wur­den unter­zeich­net. Das erklärt, war­um die EU den ase­ri­schen Dik­ta­tor Ilham Ali­jew mit „Samt­hand­schu­hen“ (FAZ) behan­delt. Ber­lin und ande­re EU-Staa­ten haben kein Inter­es­se, in die­ser selbst­ver­schul­de­ten pre­kä­ren Situa­ti­on zu sehen, daß die Ase­ris den Gas­hahn abdrehen.

Tür­ken und Ase­ris haben am 19. Sep­tem­ber Arz­ach aus der Luft ange­grif­fen, vor allem mit Droh­nen, um das völ­li­ge Cha­os aus­zu­lö­sen und eine panik­ar­ti­ge Flucht der arme­ni­schen Bevöl­ke­rung nach Arme­ni­en zu pro­vo­zie­ren. Dann gin­gen ase­ri­sche Boden­trup­pen zur Erobe­rung des arme­ni­schen Sied­lungs­ge­biets über.

2022: Kreu­zes­pro­zes­si­on in Ste­pa­na­kert für die bei der Befrei­ung und Ver­tei­di­gung von Arz­ach gefal­le­nen Arme­ni­er. Das Land war aber schutz­los gemacht wor­den. Nun gibt es in Berg­ka­ra­bach fast kei­ne Arme­ni­er mehr.

Seit dem Febru­ar 2023 wird viel Ener­gie dar­auf ver­wen­det, auf der deut­schen Wiki­pe­dia den Ukrai­ne-Krieg im Sin­ne der ukrai­ni­schen Regie­rung, bes­ser gesagt, der US-Regie­rung dar­zu­stel­len. Dabei wird unter ande­rem der von Ruß­land für den Angriff auf die Ukrai­ne ver­wen­de­te Begriff „Mili­tär­ope­ra­ti­on“ bekämpft und durch „Über­fall“ ersetzt. Im Berg­ka­ra­bach-Kon­flikt nennt aber die­sel­be Wiki­pe­dia den ase­ri­schen Angriff eine „Mili­tär­ope­ra­ti­on“.

Die arme­ni­schen Flücht­lin­ge wis­sen, selbst wenn sie nach Berg­ka­ra­bach zurück­keh­ren soll­ten, wer­den sie nicht mehr das­sel­be Land vor­fin­den: „Wo die Tür­ken dar­über­fah­ren, hin­ter­las­sen sie Zer­stö­rung und Verzweiflung“.

Und sie machen erneut die Erfah­rung, wie schon 1878 und 1915, daß die Welt weg­schaut, wenn das arme­ni­sche Volk mas­sa­kriert wird. 

Das Abkom­men von 2020, das Arme­ni­en, Aser­bai­dschan, Arz­ach und Ruß­land nach dem dama­li­gen ase­ri­schen Angriff gegen Berg­ka­ra­bach unter­zeich­net hat­ten, sah vor, daß rus­si­sche Frie­dens­trup­pen den Frie­den in dem noch ver­blie­be­nen Arz­ach garan­tie­ren. Unter den Arme­ni­ern von Berg­ka­ra­bach hieß es: „Solan­ge die Rus­sen hier sind, wagt es kein Tür­ke, sei­nen Fuß ins Land zu set­zen“. Die Ase­ris sind auch ein Turkvolk.

2021 ließ die ase­ri­sche Regie­rung ein bar­ba­risch gro­tes­kes Muse­um errich­ten, in dem sie das Töten von Arme­ni­ern fei­ert. Der ase­ri­sche Prä­si­dent Ali­jew ließ sich fil­men, wie er stolz die­ses Muse­um durch­schrei­tet, das ein­zig dazu dient, den Haß gegen die Arme­ni­er zu schü­ren und sich über sie zu erhe­ben. Im Westen will das nie­mand bemerkt haben.

Die Rus­sen haben den Frie­den nicht garan­tiert. Die Arme­ni­er in Berg­ka­ra­bach befürch­te­ten seit dem Aus­bruch des Ukrai­ne-Krie­ges, daß sich Aser­bai­dschan die­se Gele­gen­heit nicht ent­ge­hen las­sen wür­de, um auch den 2020 noch ver­blie­be­nen Rest von Arz­ach zu zer­schla­gen und die arme­ni­sche Prä­senz aus­zu­lö­schen. Als sich dann die arme­ni­sche Regie­rung von Mos­kau abwand­te und Washing­ton und Brüs­sel andien­te, war der letz­te Schutz für Arz­ach ver­spielt, denn Ruß­land zog dann im glo­ba­len Spiel sei­ne eige­nen Inter­es­sen vor.

Und wer es nicht ver­stan­den haben soll­te: Das zer­stör­te Kreuz von Ste­pa­na­kert bringt das gan­ze tra­gi­sche Schick­sal der Berg­ka­ra­bach-Arme­ni­er und ihrer Ver­trei­bung zum Ausdruck.

Über der Haupt­stadt der Repu­blik Arz­ach war 2017 ein gro­ßes, weit­um sicht­ba­res Kreuz errich­tet wor­den. Mit sei­nen 50 Metern Höhe gehör­te das auf den Hügeln von Daschu­schen ste­hen­de und nachts beleuch­te­te Kreuz zu den größ­ten der Welt. In Asi­en war es das siebt­größ­te. Die ase­ri­schen Trup­pen haben es Ende Sep­tem­ber zerstört.

Es geht nicht nur um ein Ter­ri­to­ri­um, es geht nicht nur gegen ein Volk…

Text: Andre­as Becker
Bild: ANS/​Telegram/​Youtube (Screen­shots)

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