Das wahre Gesicht der Revolution

Das Tagebuch des Kammerdieners


Das Tagebuch der Gefangenschaft von König Ludwig XVI. im Temple-Gefängnis in Paris rückt das Geschichtsbild zur Französischen Revolution und ihrer Einordnung zurecht.
Das Tagebuch der Gefangenschaft von König Ludwig XVI. im Temple-Gefängnis in Paris rückt das Geschichtsbild zur Französischen Revolution und ihrer Einordnung zurecht.

Von Mau­ro Faverzani*

Anzei­ge

„Ich habe dem König und sei­ner erha­be­nen Fami­lie fünf Mona­te lang in der Tour du Temp­le1 gedient; und trotz der Wach­sam­keit der städ­ti­schen Beam­ten, die sie bewach­ten, konn­te ich eini­ge Erin­ne­run­gen über die wich­tig­sten Ereig­nis­se nie­der­schrei­ben, die sich im Inne­ren die­ses Gefäng­nis­ses zuge­tra­gen haben“. Mit die­sen Wor­ten beginnt das Tage­buch über die Ereig­nis­se im Temp­le wäh­rend der Gefan­gen­schaft von Lud­wig XVI., König von Frank­reich, das Jean Bap­ti­ste Antoine Hou­et, genannt Clery, 1798 in Lon­don ver­faßt hat. Hou­et war zwi­schen dem 10. August 1792 und dem 21. Janu­ar 1793 Kam­mer­die­ner des Mon­ar­chen und somit der ein­zi­ge, der über die tat­säch­li­chen Gescheh­nis­se in die­sen düste­ren Mau­ern berich­ten konnte.

Hou­et wur­de 1759 in Jar­dy bei Mar­nes gebo­ren. Er dien­te der könig­li­chen Fami­lie bereits in den Tui­le­rien bis zum Angriff der Ver­schwö­rer unter der Füh­rung von Lou­is-Phil­ip­pe d’Or­lé­ans2, dem Cou­sin des Königs, dem­sel­ben Mann, der den Sturm auf die Bastil­le und die vor­an­ge­gan­ge­ne gna­den­lo­se Hetz­kam­pa­gne gegen den Herr­scher und sei­ne Ver­wand­ten insze­niert hat­te: In der ersten Rei­he stan­den dabei die „Mar­seil­lais“, das Frei­wil­li­gen­ba­tail­lon, das aus Mar­seil­le nach Paris gekom­men war, und den von Roget de L’Is­le kom­po­nier­ten Chant de guer­re pour l’ar­mée du Rhin (Kriegs­lied für die Rhein­ar­mee) anstimm­ten, der spä­ter zur fran­zö­si­schen Natio­nal­hym­ne wur­de und aus die­sem Grund als La Mar­seil­lai­se bekannt ist. Ihnen schlos­sen sich die Bewoh­ner des Vor­orts Saint-Antoine an.

Die Streit­kräf­te in den Tui­le­rien hät­ten an sich aus­ge­reicht, um die könig­li­che Fami­lie zu ver­tei­di­gen und die Unru­he­stif­ter zu ver­trei­ben, aber es gab weder einen Zusam­men­halt noch eine ein­heit­li­che Befehls­ge­walt: Die Natio­nal­gar­de deser­tier­te, und die Schwei­zer3, die auf Befehl des Königs das Feu­er nicht eröff­nen durf­ten, wur­den bar­ba­risch nie­der­ge­met­zelt. Wie durch ein Wun­der ent­kam Hou­et der Erstür­mung des Schlos­ses, die in Abwe­sen­heit der Sou­ve­rä­ne statt­fand, als die­se der Natio­nal­ver­samm­lung vor­ge­führt wurden.

Hou­et erin­nert sich in sei­nem Tage­buch an die­se Momen­te: „Ich rann­te über­all her­um: Die Woh­nun­gen und Trep­pen waren bereits mit Toten über­sät. Es gelang mir, aus einem Fen­ster der Woh­nung der Köni­gin auf die Stra­ße zu sprin­gen“. Dann gelang ihm eine wag­hal­si­ge Flucht zwi­schen zwei Feu­ern, dem der Ver­tei­di­ger und dem der Ver­schwö­rer. Er fand Zuflucht in einer Woh­nung: Der Haus­herr, Mon­sieur Le Dreux, erkann­te die Situa­ti­on und hielt ihn etwa sechs Stun­den lang versteckt: 

„Ich blieb in die­sem Asyl von zehn Uhr mor­gens bis vier Uhr abends und beob­ach­te­te das Spek­ta­kel der Greu­el­ta­ten, die auf der Place Lou­is XV began­gen wur­den. Die einen mor­de­ten, die ande­ren schlu­gen den Lei­chen die Köp­fe ab, und meh­re­re Frau­en, die jede Scham­haf­tig­keit ver­ga­ßen, ver­stüm­mel­ten sie, indem sie, sie ihnen Stücke abris­sen und im Tri­umph mit sich führten.“

Zur glei­chen Zeit wur­de der König in der Ver­samm­lung von sei­nen Pflich­ten ent­bun­den und mit der Köni­gin und ihren Kin­dern im Palais du Temp­le ein­ge­sperrt. Und das, obwohl das Volk dem Herr­scher immer nahe­stand: „Die öffent­li­che Mei­nung schien immer für den König zu sein“.

Als Hou­et zu ihnen stieß, wur­de er mit einer gewis­sen Zurück­hal­tung betrach­tet: Er kam näm­lich durch die Für­spra­che des Anwalts Péthion, einer Per­son von nie­de­rem Adel, Bür­ger­mei­ster und dann Erster Kon­sul von Paris, aber vor allem – zu jener Zeit – ein pro­mi­nen­ter Revo­lu­tio­när. Péthion war ein Giron­dist, galt also als „gemä­ßigt“ und war den Herr­schern bereits bekannt: Er war näm­lich einer der Dele­gier­ten, die sie nach dem miß­glück­ten Flucht­ver­such, der in Varennes ende­te, nach Paris zurück­brach­ten. Daß Péthion tat­säch­lich ein „Gemä­ßig­ter“ war, zeigt sich an sei­nem tra­gi­schen Ende, das ihn kurz dar­auf erwar­te­te: Er wur­de ver­haf­tet, floh und beging in den Wäl­dern der Giron­de Selbst­mord. Sei­ne Lei­che wur­de eini­ge Tage spä­ter von Wöl­fen zer­fres­sen aufgefunden.

Hou­ets Tage­buch hebt eini­ge Aspek­te her­vor, die sich in den Geschichts­bü­chern nicht fin­den, obwohl sie zum Ver­ständ­nis der Tra­gö­die, die sich im Temp­le abspiel­te, von Bedeu­tung sind – einer Tra­gö­die, die spä­ter das Schick­sal des gesam­ten Abend­lan­des ver­än­dern soll­te. Eine davon ist das offen­sicht­li­che ideo­lo­gi­sche Kli­ma, das in die­ser Zeit vor­herrsch­te, wie die Art der Über­wa­chung der könig­li­chen Fami­lie zeigt, deren Unter­künf­te oft die indis­kre­te Anwe­sen­heit der städ­ti­schen Wäch­ter erdul­den muß­ten, die sich für die Lek­tü­re und Erzäh­lun­gen inter­es­sier­ten, die von den Mon­ar­chen ihren Kin­dern vor­ge­tra­gen wur­den, und die ent­schie­den, wel­che Tex­te sie ein­se­hen durf­ten und wel­che nicht. Und nicht nur das: Um dem klei­nen Prin­zen das Rech­nen bei­zu­brin­gen, hat­te Hou­et „auf Anwei­sung der Köni­gin eine Mul­ti­pli­ka­ti­ons­ta­bel­le“ ange­fer­tigt, als „ein törich­ter Stadt­ver­tre­ter“ mein­te, es hand­le sich dabei um eine Art Geheim­spra­che, um „in Chif­fren zu spre­chen; und so muß­te der Rechen­un­ter­richt auf­ge­ge­ben wer­den“. Das glei­che gilt für die von den Prin­zes­sin­nen im Gefäng­nis ange­fer­tig­ten Zeich­nun­gen: „Die Stadt­ver­tre­ter glaub­ten, daß die Zeich­nun­gen Hie­ro­gly­phen dar­stell­ten, die für die Kor­re­spon­denz nach drau­ßen bestimmt waren, und erlie­ßen ein Dekret, das ver­bot, sie aus dem Turm hin­aus­zu­las­sen“.

Ganz zu schwei­gen von den Schand­ta­ten und Belei­di­gun­gen, denen die könig­li­che Fami­lie aus­ge­setzt war: Abge­trenn­te Köp­fe von Adli­gen, die man, auf Spie­ßen auf­ge­spießt, vor den Fen­stern ihrer Unter­künf­te „tan­zen“ ließ, „belei­di­gen­de Bei­na­men“, Unhöf­lich­kei­ten und Nie­der­träch­tig­kei­ten aller Art waren an der Tages­ord­nung. Der Sou­ve­rän wur­de gezwun­gen, alle sei­ne Rang- und Ehren­ab­zei­chen abzu­lie­fern. Die Zei­tun­gen durf­te er nur dann und in jenen Tei­len lesen, wenn sie „grau­sa­me Dro­hun­gen und infa­me Ver­leum­dun­gen“ ent­hiel­ten. Sei­ne Maje­stät zuck­te nicht mit der Wim­per, wenn er sol­che Schlag­zei­len sah, son­dern bemerk­te nur: „Die Fran­zo­sen sind arme Men­schen, daß sie sich so täu­schen las­sen“.

Hou­et selbst wur­de von einem Revo­lu­ti­ons­ge­richt ange­klagt, kam aber wie durch ein Wun­der unge­scho­ren davon. So sehr, daß er zu dem Schluß kam: 

„Zu die­ser Zeit zeig­te der Cha­rak­ter der mei­sten Wär­ter, die für den Tem­pel aus­ge­wählt wur­den, an, wel­che Art von Män­nern für Revo­lu­tio­nen und Mas­sa­ker her­an­ge­zo­gen wurden“.

Die Abschaf­fung der Königs­wür­de und die Aus­ru­fung der Repu­blik in Frank­reich bedeu­te­ten eine Wen­de zum Schlech­te­ren. Weni­ge Tage spä­ter trenn­ten die Revo­lu­tio­nä­re den König von sei­ner Fami­lie und brach­ten ihn in die Tour du Temp­le, „eine Tren­nung“, schrieb Hou­et, „die tau­send wei­te­re Unglücke ankün­dig­te“. Jeder wei­te­re Kon­takt zwi­schen dem Herr­scher und sei­ner Gemah­lin und sei­nen Kin­dern wur­de unter­bun­den. Dann war ohne Vor­war­nung die Köni­gin an der Rei­he, deren Sohn, der Dau­phin, ihr ent­ris­sen wur­de. Ihr Kum­mer als Mut­ter, so Hou­et, „war extrem“.

Die schwe­ren Schick­sals­schlä­ge, von denen die könig­li­che Fami­lie betrof­fen war, schwäch­ten ihren Glau­ben nicht, son­dern schmie­de­ten ihn, der zum Vor­bild für jene wur­de, die das Glück hat­ten, ihn bewun­dern zu kön­nen: „Der König, nach­dem er sich erho­ben hat­te“, heißt es im Tage­buch, „rezi­tier­te das Offi­zi­um der Rit­ter des Ordens vom Hei­li­gen Geist [Ord­re du Saint-Esprit]: Und da selbst an Sonn- und Fei­er­ta­gen die Zele­bra­ti­on der hei­li­gen Mes­se im Tem­pel nicht erlaubt wur­de, befahl er mir, ihm ein Bre­vier für den Gebrauch in der Diö­ze­se von Paris zu besor­gen. Die­ser Mon­arch war wirk­lich reli­gi­ös“, bemerkt Hou­et mit Bewun­de­rung, „aber sei­ne rei­ne und erleuch­te­te Reli­gi­on hat ihn nie von sei­nen ande­ren Pflich­ten abge­lenkt“. Und wei­ter: „Da die Köni­gin sich nach ähn­li­chen Fröm­mig­keits­bü­chern wie denen des Königs sehn­te, befahl mir Sei­ne Maje­stät, sie kau­fen zu las­sen“.

Als der König dem Natio­nal­kon­vent vor­ge­führt wur­de, erfuhr er von der Ent­schei­dung, ihn end­gül­tig von sei­ner Fami­lie zu tren­nen. Als die Köni­gin davon Nach­richt erhielt, ver­trau­te sie mir an, daß sie sich kei­ne Illu­sio­nen über das Schick­sal ihres Man­nes mache: „Er wird als Opfer sei­ner Güte und Lie­be zu sei­nem Volk ster­ben, für des­sen Glück er sich seit sei­ner Thron­be­stei­gung unab­läs­sig ein­ge­setzt hat. Wie grau­sam wer­den die­se Men­schen getäuscht! Die Reli­gi­on des Königs und sein gro­ßes Ver­trau­en in die Vor­se­hung wer­den ihn in die­sem grau­sa­men Unglück unter­stüt­zen“, sag­te sie. Nichts schien das Königs­paar zu beun­ru­hi­gen, denn sie ver­trau­ten auf Gott und übten so jene Näch­sten­lie­be und Barm­her­zig­keit aus, die dem guten Chri­sten auch in Zei­ten des Unglücks eigen sind: Der Herr­scher, „obwohl er sei­nes Schick­sals gewiß war“, so lesen wir, „fühl­te sich nie ver­an­laßt, sich zu bekla­gen oder zu mur­ren. Er hat­te sei­nen Unter­drückern bereits ver­ge­ben“.

Bei­spiel­haft und bewe­gend ist auch sein Testa­ment, das er am Weih­nachts­tag 1792 ver­faß­te. Es lautet: 

„Im Namen der Hei­li­gen Drei­fal­tig­keit, des Vaters, des Soh­nes und des Hei­li­gen Gei­stes. Ich, mit Namen Lud­wig XVI., König von Frank­reich, (…) über­ge­be mei­ne See­le GOTT, mei­nem Schöp­fer; ich bit­te Ihn, sie in sei­ner Barm­her­zig­keit auf­zu­neh­men, sie nicht nach ihren Ver­dien­sten zu beur­tei­len, son­dern nach denen unse­res Herrn Jesus Chri­stus (…). Ich ster­be in der Ein­heit mit unse­rer hei­li­gen Mut­ter, der katho­li­schen, apo­sto­li­schen und römi­schen Kir­che (…). Ich bemit­lei­de von gan­zem Her­zen unse­re Brü­der, die im Irr­tum sein mögen; aber ich maße mir nicht an, sie zu ver­ur­tei­len, und ich lie­be sie alle glei­cher­ma­ßen in Jesus Chri­stus, gemäß dem, was uns die Näch­sten­lie­be lehrt. Ich bete zu GOTT, mir alle mei­ne Sün­den zu ver­ge­ben (…). Da ich nicht in der Lage bin, den Dienst eines katho­li­schen Prie­sters in Anspruch zu neh­men, bit­te ich GOTT, die Beich­te, die ich bei Ihm abge­legt habe, und vor allem die tie­fe Reue (…) anzu­neh­men. Ich bit­te alle, die ich durch Unacht­sam­keit belei­digt habe (…) oder denen ich ein schlech­tes Bei­spiel oder ein Ärger­nis gege­ben habe, mir das Böse zu ver­zei­hen, von dem sie glau­ben, daß ich es ihnen ange­tan habe. (…) Ich ver­ge­be von gan­zem Her­zen denen, die sich zu mei­nen Fein­den gemacht haben, ohne daß ich ihnen einen Grund dazu gege­ben habe; und ich bit­te GOTT, ihnen zu ver­ge­ben (…). Ich emp­feh­le GOTT mei­ne Frau, mei­ne Kin­der, mei­ne Schwe­ster, mei­ne Tan­ten, mei­ne Brü­der und alle, die mit mir bluts­ver­wandt oder auf ande­re Wei­se ver­bun­den sind. (…) Mei­ner Frau emp­feh­le ich mei­ne Kin­der: (…) Ich bit­te sie vor allem, aus ihnen gute Chri­sten und ehr­li­che Men­schen zu machen, damit sie die Grö­ße die­ser Welt (…) als nichts ande­res denn als gefähr­li­che und ver­gäng­li­che Güter anse­hen und ihre Augen auf die ein­zi­ge feste und dau­er­haf­te Herr­lich­keit der Ewig­keit rich­ten. (…) Ich bit­te mei­ne Frau, mir die Übel zu ver­zei­hen, die sie mei­net­we­gen erlei­det, und die Unan­nehm­lich­kei­ten, die ich ihr im Lau­fe unse­rer Ver­bin­dung berei­tet haben mag. Sie kann sicher sein, daß ich nichts gegen sie habe, auch wenn sie meint, sich etwas vor­wer­fen zu müs­sen. (…) Ich emp­feh­le mei­nem Sohn, wenn er jemals das Unglück haben soll­te, König zu wer­den, dar­an zu den­ken, daß er sich ganz dem Glück sei­ner Mit­bür­ger wid­men muß; daß er allen Haß und Groll ver­ges­sen muß, vor allem den, der mit dem Unglück und den Sor­gen zu tun hat, die mir zuteil wer­den; daß er das Glück der Völ­ker nicht anders errei­chen kann, als sie nach den Geset­zen zu regie­ren (…). Ich ver­ge­be auch ger­ne denen, die mich bewacht haben, für die Miß­hand­lun­gen und Stra­fen, die sie glaub­ten, mich erlei­den las­sen zu müs­sen. Ich habe jedoch eini­ge sen­si­ble und mit­füh­len­de See­len gefun­den. Möge es dem Him­mel gefal­len, ihnen die Ruhe zu schen­ken, die sie ver­die­nen (…). Ludwig“.

Als klar war, wel­ches Schick­sal dem König bevor­stand, wur­de Hou­et von vie­len – dar­un­ter Kom­mis­sa­re und Stadt­rä­te – um Gegen­stän­de gebe­ten, die ihm gehör­ten: von eini­gen um eine Kra­wat­te, von ande­ren um Hand­schu­he… „Selbst in den Augen vie­ler sei­ner Wär­ter waren sei­ne Über­re­ste bereits hei­lig“, notier­te Hou­et in sei­nem Tagebuch.

„Der Baum der Frei­heit“, den die Revo­lu­tio­nä­re pflanzten

Am 17. Janu­ar 1793 über­brach­te der Anwalt des Königs, Chré­ti­en-Guil­laume de Lamoi­gnon de Male­sher­bes4, die schreck­li­che Nach­richt: Lud­wig XVI. war zum Tode ver­ur­teilt wor­den, wenn auch mit knap­per Mehr­heit. Eine Stim­me gab den Aus­schlag für die sofor­ti­ge Exe­ku­ti­on. „An der Tür zur Ver­samm­lung ver­schreck­ten meh­re­re Mör­der, die dem Her­zog von Orlé­ans und der Pari­ser Depu­ta­ti­on ver­schwo­ren waren, mit ihrem Geschrei und droh­ten, jeden zu erste­chen, der sich wei­ger­te, sich für das Todes­ur­teil aus­zu­spre­chen.“ Damit wird das Kli­ma deut­lich und unter wel­chem Druck das Urteil for­mu­liert wur­de, das mit schänd­li­chen Dro­hun­gen und Erpres­sun­gen abge­run­gen wur­de. Der König, der der „Ver­schwö­rung gegen die Frei­heit der Nati­on und des Angriffs gegen die all­ge­mei­ne Sicher­heit des Staa­tes“ beschul­digt wur­de, mach­te „kei­ne Bewe­gung, die Über­ra­schung oder Auf­re­gung“ gezeigt hät­te, um dann bit­ter anzu­mer­ken: „Ich suche kei­ne Hoff­nung, aber ich bin sehr betrübt, daß der Her­zog von Orlé­ans, mein Ver­wand­ter, für mei­nen Tod gestimmt hat“. Und wei­ter: „Ich fürch­te den Tod nicht, aber ich kann nicht den­ken, ohne vor dem grau­sa­men Schick­sal zu erschau­dern, das ich mei­ner Fami­lie hin­ter­las­se“ und dem Volk, das „der Anar­chie ver­fal­len ist“ und dazu bestimmt ist, „das Opfer aller Frak­tio­nen zu wer­den; Ver­bre­chen fol­gen auf­ein­an­der und lan­ge Zwi­stig­kei­ten zer­rei­ßen Frank­reich“.

Als Lud­wig XVI. das Urteil offi­zi­ell über­bracht wur­de, sag­te er: 

„Ich wer­de der Ver­bre­chen beschul­digt, aber ich bin unschul­dig und wer­de ohne Angst ster­ben. Ich wünsch­te, mein Tod wür­de die Fran­zo­sen glück­lich machen und könn­te das Unglück abwen­den, das ich voraussehe.“ 

Erst zu die­sem Zeit­punkt wird ihm erlaubt, einen Prie­ster zu sehen und end­lich sei­ne Fami­lie wie­der­zu­se­hen, ein Moment, der, gelin­de gesagt, herz­zer­rei­ßend ist.

Am 21. Janu­ar 1793 „ver­kün­de­ten Trom­meln und Trom­pe­ten, daß Sei­ne Maje­stät den Turm ver­las­sen hat­te… Eine Stun­de spä­ter ertön­ten Artil­le­rie­sal­ven und Rufe wie ‚Es lebe die Nati­on, es lebe die Repu­blik‘… Der beste aller Köni­ge war nicht mehr“. Mit die­sen Wor­ten schließt das Tage­buch von Hou­et. Ein Tage­buch, des­sen Ver­dienst es ist, zu zei­gen, was in den Geschichts­bü­chern nicht steht und auch nicht ste­hen darf. Bald dar­auf erleb­te Frank­reich eine Zeit, die nicht zufäl­lig als „Ter­ror“ bezeich­net wird und den Begriff Ter­ro­ris­mus erst präg­te. Die trau­ri­gen, aber rea­li­sti­schen Vor­her­sa­gen Lud­wigs XVI. wur­den lei­der wahr.

Nach dem Tod des Königs wur­de Hou­et erneut ver­haf­tet, weil er ver­däch­tigt wur­de, eine gehei­me Kor­re­spon­denz des Königs erleich­tert zu haben. Er blieb zum 9. Ther­mi­dor oder 27. Juli 1794 inhaf­tiert. Als er ein Jahr spä­ter Frank­reich ver­las­sen konn­te, ging er zunächst nach Deutsch­land und dann nach Eng­land. Im Jahr 1798 ver­öf­fent­lich­te er in Lon­don das Tage­buch über die Mona­te im Temp­le wäh­rend der Gefan­gen­schaft von Lud­wig XVI., dem König von Frank­reich. Das Werk wur­de ein unglaub­li­cher Erfolg und kam der Sache der Roya­li­sten sehr zugu­te. Es gelang ihm jedoch nicht, die Rück­kehr des recht­mä­ßi­gen Thron­prä­ten­den­ten zu erle­ben. Hou­et starb fünf Jah­re zuvor, 1809, in der Nähe von Wien.

*Mau­ro Faver­za­ni, pro­mo­vier­ter Psy­cho­lo­ge, Lebens­schüt­zer und Publizist

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana/​Wikicommons


1 Der Berg­fried im Nord­osten von Paris gehör­te zur ein­sti­gen Nie­der­las­sung der Tem­pel­her­ren, deren Groß­mei­ster nach dem Fall von Akkon 1291 hier sei­nen Sitz nahm. Nach der Zer­schla­gung des Temp­ler­or­dens wur­de das Gebiet dem Johan­ni­ter­or­den (Mal­te­ser) über­ge­ben. Der Berg­fried wur­de nach der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on in ein Gefäng­nis umge­wan­delt, in dem die Königs­fa­mi­lie gefan­gen­ge­hal­ten wur­de. Hier kam der jun­ge Thron­fol­ger Lou­is Charles, der einst als Lud­wig XVII. regie­ren soll­te, wegen der har­ten Haft­be­din­gun­gen im Alter von erst zehn Jah­ren ums Leben. Sei­ne Eltern, König Lud­wig XVI. und die öster­rei­chi­sche Erz­her­zo­gin Köni­gin Marie Antoi­net­te, wur­den bereits zwei­ein­halb Jah­re zuvor, Anfang 1793, hingerichtet.

2 Der Bour­bo­ne Lou­is-Phil­ip­pe II., Her­zog von Orlé­ans, war wäh­rend der Revo­lu­ti­on Mit­glied des Natio­nal­kon­vents. Er mach­te nicht nur gemein­sa­me Sache mit den Revo­lu­tio­nä­ren, son­dern führ­te sie zum Teil an. Er stimm­te für die Hin­rich­tung des Königs, sei­nes Cou­sins, und der Köni­gin. Nur drei Mona­te nach deren Hin­rich­tung wur­de er, trotz sei­ner Kom­pli­zen­schaft, selbst ver­haf­tet und wäh­rend der Gran­de Terr­eur, der Ter­ror­herr­schaft, hingerichtet.

3 Gemeint ist die Schwei­zer Gar­de, die Leib­wa­che des Königs, wie sie heu­te noch im Vati­kan für den Schutz des Pap­stes sorgt. Bis 1767 exi­stier­te eine sol­che auch am Kai­ser­hof in Wien.

4 Der Sei­gneur de Lamoi­gnon de Male­sher­bes, Jurist, Staats­an­walt, Mini­ster des könig­li­chen Hau­ses, Staats­mi­ni­ster und zuletzt Straf­ver­tei­di­ger des Königs, wird zusam­men mit sei­ner Toch­ter, sei­nem Schwie­ger­sohn und sei­nen Enkeln 1793 ver­haf­tet und am 22. April 1794 hin­ge­rich­tet, nach­dem er als beson­de­re Grau­sam­keit mit­an­se­hen hat­te müs­sen, wie sei­ne Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen vor sei­nen Augen hin­ge­rich­tet wor­den waren.

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