Von Roberto de Mattei*
Am 12. Juni 2023 ist Silvio Berlusconi, Gründer von Fininvest und Forza Italia, Ministerpräsident in vier Regierungen und unbestrittener Protagonist von dreißig Jahren italienischem Leben, im Alter von 86 Jahren in Mailand gestorben. Ein Leben mit großem Engagement und starken Gegensätzen in den Bereichen Wirtschaft, Medien und Politik, aus dem er trotz zahlreicher Wunden immer als Sieger hervorging. Es gab nur einen Unternehmer vor ihm, der so viel Macht ausübte, allerdings eher aus erblichen denn aus persönlichen Gründen: Gianni Agnelli. Der Fiat-Chef unterstützte jedoch die kulturelle und politische Revolution, indem er sich den Vorgaben der internationalen „starken Mächte“ anschloß. Berlusconi hingegen war ein „Außenseiter“, der es wagte, den Historischen Kompromiß in Frage zu stellen, indem er sich 1994 der „fröhlichen Kriegsmaschinerie“ von Sozialisten-Kommunisten entgegenstellte und dafür alle Konsequenzen zahlte, einschließlich einer heftigen gerichtlich-medialen Verfolgung, die ihm mehr als 30 Prozesse und 130 Anklagen einbrachte, mit nur einer rechtskräftigen Verurteilung, wegen Steuerbetrugs.
Der Antikommunismus war eine Konstante und das große Verdienst von Silvio Berlusconi. Unvergeßlich ist, daß er am 27. Februar 1998 auf dem Parteitag der Alleanza Nazionale (AN) mit einem Buchgeschenk für jeden der 2.500 Teilnehmer erschien: Das Schwarzbuch des Kommunismus von Stéphane Courtois, das in jenem Jahr von seinem Verlag Mondadori übersetzt wurde. Berlusconis großer Fehler war es, nicht verstanden zu haben, daß ein Antikommunismus nicht ohne eine Reaktion auf den moralischen Verfall möglich war, der Italien in jenen Jahren überfiel und den leider auch seine Fernsehsender anheizten. Bereits 1987 erinnerte das Kulturzentrum Lepanto in einem Aufruf mit dem Titel Wohin steuert Italien?, der am 5. Juni als Anzeige in Berlusconis Tageszeitung Il Giornale erschien, daran, daß
„die wirkliche Alternative, vor der Italien heute steht, zwischen der Verteidigung der westlichen und christlichen Zivilisation und der Kapitulation vor dem moralischen Relativismus besteht, der im Sozialismus und Kommunismus seinen radikalsten Ausdruck findet. Die Opposition gegen den Kommunismus kann nicht vom Kampf gegen diesen Relativismus, d. h. von der Verteidigung der religiösen und moralischen Grundsätze des Evangeliums, getrennt werden. Andererseits kann kein Appell an diese Grundsätze wirksam sein, wenn er nicht von einer radikalen und aktiven Opposition gegen den Sozialismus-Kommunismus begleitet wird, der die heimtückischste Bedrohung unserer Zivilisation darstellt.“
Silvio Berlusconi hatte das Gemüt eines Eroberers. Sein Horizont war vor allem Italien, für das er sich als Repräsentant par excellence fühlte. In seinem langen Leben hat er alles erreicht, was ein Mensch mit Geld, aber vor allem mit den ihm verliehenen Talenten und Fähigkeiten auf Erden erobern kann, bis hin zu seinem letzten Erfolg: der parteiübergreifenden Huldigung von Freunden und Gegnern.
Italien hat ihm die höchsten Ehren erwiesen: Staatstrauer, Staatsbegräbnis im Dom, zelebriert vom Erzbischof von Mailand, unter Teilnahme des Präsidenten der Republik und der höchsten institutionellen Ämter, 33 Seiten im Corriere della Sera und 27 Seiten in La Repubblica (früher sein erbitterter Feind), um sein öffentliches und privates Leben zu illustrieren. In seinen letzten Stunden auf Erden verfolgte Berlusconi laut Corriere das Champions-League-Finale und schien „besessen“ von dem Gedanken an die Neuorganisation seiner Partei Forza Italia und von der Sorge über den Konflikt in der Ukraine und dessen mögliche Ausweitung zu einem Atomkrieg. Wir wissen nichts über den entscheidenden Moment, den Moment, in dem der Sinn eines Lebens, das nicht Gott geschenkt ist, auf den Kopf gestellt werden kann.
Eine Woche vor Berlusconi, am 5. Juni 2023, verstarb der Schriftsteller Antonio Augusto Borelli Machado im Alter von 92 Jahren in São Paulo in Brasilien. „Dr. Borelli“, wie er trotz seines Ingenieursdiploms genannt wurde, lebte in einer kleinen Wohnung im Viertel Higiénopolis, aber sein Blick ging in die ganze Welt. Viele Jahre lang leitete er das Dokumentations- und Forschungszentrum der brasilianischen Vereinigung für Tradition, Familie und Privateigentum, das mehr als vierhundert Veröffentlichungen aus 25 Ländern in dreizehn Sprachen auswertete. Sein Archiv, das zu einer Zeit angelegt wurde, als es noch kein Internet gab, war reich an Zeitungsausschnitten von TFP-Korrespondenten in Amerika und Europa und ermöglichte es Dr. Borelli, unter der Leitung von Professor Plinio Corrêa de Oliveira, dem er seit 1954 folgte, ständig über die wichtigsten religiösen und politischen Ereignisse unserer Zeit informiert zu sein.
Antonio Borelli Machado war auch einer der meistgelesenen brasilianischen Autoren der Welt, dank seiner Studie „Die Erscheinungen und die Botschaft von Fatima nach den Manuskripten von Sr. Lucia“, die 1967 in São Paulo veröffentlicht wurde. Im Vorwort der ersten Ausgabe, die 1977 vom Verlag Cristianità ins Italienische übersetzt wurde, schrieb Professor Plinio Corrêa de Oliveira, daß „man kategorisch und ohne Angst vor Widersprüchen sagen kann, daß die Erscheinungen der Gottesmutter und des Friedensengels in Fatima das wichtigste und aufregendste Ereignis des 20. Jahrhunderts sind“. Derselbe brasilianische Professor erinnerte im Vorwort der von der Vereinigung Luci sull’Est geförderten Ausgabe von 1991 mit dem Titel „Fatima: Botschaft der Tragödie oder der Hoffnung?“ daran, wie „die heilige Muttergottes den Problemen Rußlands eine relevante Bedeutung geben wollte: Die Bestrafung der Menschen wird nur durch ihre Bekehrung vermieden werden, durch die Weihe Rußlands an das Unbefleckte Herz Mariens, durch die Sühnekommunion der Gläubigen am ersten Samstag des Monats. (…) In Fatima hat die heilige Jungfrau ihren mütterlichen Blick auf die Welt und besonders auf Rußland gerichtet und seine Bekehrung nach schrecklichen Prüfungen und Strafen für die Menschheit vorausgesehen“.
Entscheidende Probleme wie der derzeitige Konflikt in der Ukraine, der Berlusconi so sehr zu schaffen machte, können nicht ohne diese übernatürliche Perspektive gelöst werden, die der Schlüssel zur Deutung unserer Zeit ist. Die übernatürliche Perspektive hat das kulturelle Engagement von Dr. Borelli geleitet, der als einer der anerkanntesten „Fatimologen“ der Welt gilt. Sein Werk über Fatima hat eine Auflage von mehr als 4,5 Millionen Exemplaren erreicht, mit 230 Ausgaben in zwanzig Sprachen. Die Tantiemen des Autors hätten ihn sehr reich machen können, aber Antonio Borelli lebte in franziskanischer Armut und folgte der Methode des heiligen Louis Grignion de Montfort zur Weihe an Maria, bei der man sich von allen irdischen Gütern trennt. Sein Leben war offensichtlich das eines gewissenhaften Bürokraten, aber seine Seele war die eines Mystikers. Es war die „ordentliche Mystik“ eines Menschen, der sein Leben in jedem Augenblick seines Tages auf die größere Ehre Gottes ausrichtet, um seine Erfolge nicht in der Zeit, sondern in der Ewigkeit zu ernten. Jeden Tag rezitierte er den Psalm 50, der als Miserere bekannt ist, und seine Stimme überschlug sich vor Rührung, wenn er die Worte „Cor contritum et humiliatum, Deus, non despicies“ [Ein gebrochenes und erniedrigtes Herz wirst Du, Gott, nicht verachten] wiederholte, mit denen wir unsere Schwäche der Macht und Barmherzigkeit Gottes überlassen, der immer über unsere Feinde triumphiert.
Antonio Borelli Machado starb eine Woche vor Silvio Berlusconi, am anderen Ende der Welt. Ich kannte sie beide. Ich empfehle Berlusconis Seele Gott und bitte um Dr. Borellis Fürsprache für all jene, die den Kampf, dem er sein Leben gewidmet hat, weiterführen.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017, und Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte, 2. erw. Ausgabe, Bobingen 2011.
Bücher von Prof. Roberto de Mattei in deutscher Übersetzung und die Bücher von Martin Mosebach können Sie bei unserer Partnerbuchhandlung beziehen.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana